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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Ein Eheleben im Dienste eines Genies

Charlotte von Schiller: "Ruhige Glückseligkeit "

Das Haus der Familie Schiller an der Esplanade in Weimar, dargestellt auf einem zeitgenössischen Kupferstich.  Bild aus: Claudia Pilling, Diana Schilling und Mirjam Springer: Friedrich Schiller. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2002.

Das Haus der Familie Schiller an der Esplanade in Weimar, dargestellt auf einem zeitgenössischen Kupferstich. Bild aus: Claudia Pilling, Diana Schilling und Mirjam Springer: Friedrich Schiller. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2002.

Charlotte von Schiller, geborene von Lengefeld. Bild: Archiv

Charlotte von Schiller, geborene von Lengefeld. Bild: Archiv

Von Friedrich Weissensteiner

Sie war fünfzehn Jahre mit ihm verheiratet, schenkte ihm vier Kinder und stellte ihm rückhaltlos ihre ganze Lebenskraft zur Verfügung. Während aber Friedrich von Schiller von seinen Biographen und den Literarhistorikern als charismatischer Freiheitsheld gegen despotische Willkür und höfische Selbstherrlichkeit, als Vorkämpfer für eine gerechtere (bürgerliche) Gesellschaftsordnung gefeiert wurde und noch wird, hat ihr die Nachwelt keine Kränze geflochten. Ihr verpasste man das Etikett der braven, wohl gesitteten Hausfrau und Mutter, und an dieser einseitigen Charakterisierung hat sich bis heute nichts geändert.

Charlotte von Schiller, geborene von Lengefeld, war keine Schattenfrau wie Christiane Vulpius, die Ehefrau Goethes, für die sie übrigens nichts als aristokratische Herablassung und Verachtung übrig hatte. Charlotte war nicht frei von Standesdünkel. Goethes "dicker Hälfte" , über die sich halb Weimar lustig machte, fühlte sie sich bildungsmäßig und intellektuell weit überlegen – und zwar zu Recht.

Zwei Dichtergattinnen

Die beiden Dichtergattinnen waren auch charakterlich völlig verschieden. Christiane war ein ungebildeter, warmherziger Naturmensch. Sie besaß einen gesunden Menschenverstand und hatte ein unbefangenes Verhältnis zur Sexualität. Charlotte war ein Blaustrumpf, gebildet, prüde, schüchtern und so jungfräulich sittenstreng, wie sie aussah. Sie las viel – einer ihrer Lieblingsautoren war der englische Philosoph Shaftesbury –, sie zeichnete gut und schrieb gelegentlich Prosa und Verse. Gegensätzlicher als die beiden hätten zwei weibliche Wesen gar nicht sein können.

Friedrich Schiller, dem literarisch interessierten deutschen Publikum durch seine Dramen "Die Räuber", "Die Verschwörung des Fiesco zu Genua" und "Kabale und Liebe" bereits bekannt, lernte Charlotte von Lengefeld im Dezember 1787 in Rudolstadt an der Saale kennen, wo sie mit ihrer Mutter und ihrer älteren Schwester Caroline wohnte. Caroline war die lebhaftere, impulsivere und lebenserfahrenere, sie war zudem draller, praller und gefallsüchtiger. Aber sie war verheiratet, wenn auch nicht glücklich.

Der Poet findet an den Schwestern Lengefeld Gefallen, und sie an ihm. Briefe werden gewechselt, es kommt zu weiteren Begegnungen. Eine seelische Dreierbeziehung bahnt sich an. Friedrich Schiller will sich verheiraten, er sehnt sich nach Häuslichkeit, aber er scheut vor einer endgültigen Bindung zurück. Seine (Liebes-)Briefe sind an beide Frauen gerichtet: "aber, dachte ich, wie schön wäre es, wenn ich von einem Zimmer ins andere gehen könnte, um bey euch zu seyn . . .", schwärmt er.

Schließlich entschließt er sich doch – ein wenig von ihr dazu gedrängt – für Charlotte. "Caroline ist mir näher im Alter und darum auch gleicher in der Form unsrer Gefühle und Gedanken" , schreibt er an seine zukünftige Frau, "sie hat mehr Empfindungen in mir zur Sprache gebracht als Du meine Lotte – aber ich wünschte nicht um alles, daß dies anders wäre, daß Du anders wärest als Du bist. Was Caroline Dir voraus hat, musst Du von mir empfangen. Deine Seele muß sich in meiner Liebe entfalten und ‚mein‘ Geschöpf musst Du seyn, Deine Blüthe muß inden Frühling meiner Liebe fallen . . ."

Ermunternd ist das nicht gerade. Aber Charlotte empfindet das männliche Dominanzgehabe nicht einmal als Anmaßung. Es gehört zu den Selbstverständlichkeiten der Zeit. Die Mutter gibt zur bevorstehenden Heirat die erbetene Zustimmung. Friedrich Schiller kann mit seinem Einkommen zwar keine Familie ernähren und Charlotte wird unter ihrem Stand heiraten. Die Lengefelds sind uralter Adel, aber sie sind nicht vermögend. Die chére mére muss sich mit diesen Umständen abfinden.

Die Hochzeit

Am 22. Februar 1790 findet in der Dorfkirche von Wenigenjura "bey verschloßenen Thüren"ach lutherischem Ritus die Trauung des 30-jährigen Dichters mit der um etwa acht Jahre jüngeren Charlotte von Lengefeld statt. Außer dem Brautpaar nehmen an der kurzen Zeremonie nur die Mutter und die Schwester der Braut teil. Heiratsmahl gibt es keines und auch keine Hochzeitsreise. Man feiert danach nur ein bisschen in der Mietwohnung Schillers bei den Schwestern Schramm, die in Jena eine Pension für Professoren und Studenten betreiben – die "Schrammei."

Die Mutter schenkt den Neuvermählten Wäsche, Besteck und Möbel, Schiller, seit Dezember 1788 Professor für Geschichte in Jena, mietet ein geräumiges Zimmer dazu und stellt für seine Frau eine Jungfer zur Bedienung an. Die Mahlzeiten kochen und servieren die Vermieterinnen.

Die Ehe plätschert schon im ersten Jahr leidenschaftslos dahin. Schiller selbst charakterisiert sie als "nicht leidenschaftlich gespannt, aber von ruhiger gleichförmiger Glückseligkeit" . Er ist vollauf beschäftigt und rastlos tätig. Er muss seine Vorlesungen an der Universität vorbereiten und arbeitet an seiner "Geschichte des Dreißigjährigen Krieges", die ihn mit Leib und Seele in Anspruch nimmt. Für seine Frau bleibt da nicht viel Zeit. Aber Lotte weiß sich zu beschäftigen. Sie widmet sich dem Studium des Französischen, liest eifrig, nimmt Zeichenunterricht, spielt Klavier und besucht ohne ihren arbeitswütigen Gemahl Tanzveranstaltungen, was ihr prompt eine Rüge des Dichters einträgt, die sie geduldig hinnimmt.

Im zweiten Ehejahr erleidet Friedrich Schiller einen gesundheitlichen Zusammenbruch. Während eines Aufenthaltes in Erfurt wird er von einem heftigen Fieberanfall heimgesucht und verliert zeitweilig das Bewusstsein. Er reist nach Jena zurück. Dort kehrt das Fieber wieder, Atemnot plagt ihn, Magen- und Bauchkrämpfe verschlimmern seinen Zustand. Der Dichter ringt mit dem Tod. Charlotte pflegt ihn aufopferungsvoll, Studenten, unter ihnen der junge Novalis, halten am Krankenbett Nachtwache. Es dauert Monate, ehe er wieder einigermaßen bei Kräften ist.

Friedrich Schiller laboriert an einem schweren Lungenleiden. Er wird nicht mehr völlig gesunden. Das Riesenopus, das in den letzten Lebensjahren bis zu seinem frühen Tod entsteht, wird der Autor buchstäblich seinem kranken Körper abringen.

Die Gattin muss bald zur Kenntnis nehmen, dass ihr "Held" ein Mensch mit vielen Schwächen ist. Friedrich Schiller führt einen unvernünftigen Lebenswandel, er schnupft, raucht, trinkt zu viel Kaffee, ernährt sich ungesund, macht zu wenig Bewegung, arbeitet die Nächte durch oder spielt bis in die Morgenstunden Karten. Von seinen Marotten gar nicht erst zu reden. Er hat eine Phobie vor Spinnen, in seiner Schreibtischschublade liegen halb verfaulte Äpfel, deren Geruch ihm als Inspirationsquelle dient, er breitet seine Manuskripte auf dem Fußboden aus, indes auf dem Schreibtisch peinliche Ordnung zu herrschen hat.

Was ist Liebe?

Das Leben an der Seite eines Genies ist beileibe nicht beneidenswert, es verlangt vom Partner Verständnis, Geduld und Anpassungsfähigkeit bis zur Selbstverleugnung. Charlotte besitzt diese Fähigkeiten. Sie ist nachsichtig und verzeiht dem Gemahl alles, sieht ihn mit dem Blick der Liebe: "Es ist nicht Liebe, wenn man sich nur ein schönes Bild in der Seele entwirft . . . , sondern das ist Liebe: die Menschen so zu lieben, wie wir sie finden . . ." Das war, wenn schon nicht ihr Lebensmotto, so doch ihre Devise im Umgang mit ihrem Genie.

Am 14. September 1793 bringt Charlotte ihr erstes Kind zur Welt, einen Knaben, der den Namen Carl Friedrich Ludwig erhält. Die Mutter ist glücklich, der Vater stolz. "Soviel an mir liegt, soll er ein Federheld werden", schreibt er an Christian Gottfried Körner. Aber Carl wird kein Dichter werden, sondern Förster.

Charlotte widmet sich mit großer Hingabe ihrem Erstgeborenen und ist später auch den anderen Kindern eine gefühlswarme, verständnisvolle Mutter. 1796 schenkt sie dem Sohn Friedrich Wilhelm das Leben, 1799 der Tochter Caroline Henriette, 1804 bringt sie die Tochter Emilie Henriette zur Welt.

Sie sorgt für und sorgt sich um die Kleinkinder, kümmert sich später um deren Ausbildung, nimmt sie ins Theater mit, macht mit ihnen Ausflüge. Wenn der Vater bei seiner Arbeit volle Konzentration benötigt, hält sie die Kinder von ihm fern.

Friedrich Schiller, so berichten wohlwollende Zeitgenossen, war ein liebevoller, zärtlicher Vater. Er spielte mit den Kindern, liebkoste sie, ging auf ihre Wünsche ein, kam mit ihnen zurecht, wenn die Mutter nicht zu Hause war, einen Besuch machte oder, wie nach der Geburt des dritten Kindes, an einer Psychose laborierte.

Freilich, viel Zeit kann der Vielbeschäftige für seinen Nachwuchs nicht gehabt haben. Die Hauptlast der Haushaltsführung und der Kindererziehung trug natürlich die Ehefrau. Charlotte war tagaus, tagein unermüdlich für die Familie und ihr Dichtergenie tätig. Sie führte allerdings keinen gepflegten Haushalt, dazu reichte, abgesehen von allem anderen, das familienväterliche Einkommen nicht aus.

Wenn Goethe zu Besuch ka m

Großbürgerliche Vornehmheit, wie Goethe in seinem Haus am Frauenplan, konnten sich die Schillers nicht leisten. Aber Frau Schiller überbot sich an Gastfreundschaft, wenn der Herr Geheimrat zu Besuch kam – die freundschaftliche Beziehung der beiden Geistesheroen dauerte mit wechselnder Intensität immerhin ein Jahrzehnt –, sie sorgte für sein leibliches Wohl, saß am gemeinsamen Tisch und beteiligte sich am Gespräch.

Ein Dasein wie Christiane, die Schiller bei seinen Besuchen im Goethehaus nie zu Gesicht bekam, hätte Charlotte wohl nicht ertragen. Wie sie ja auch an der Arbeit ihres Mannes regen geistigen Anteil nahm. Schiller las ihr seine Theaterstücke vor und erbat wohl auch ihr Urteil. Das gestattete er ihr großzügig. Sie durfte auch, wenn in der Haushaltskasse Ebbe herrschte, so manches Prosastück aus dem Französischen übersetzen, das er dann bei Cotta drucken ließ. Er sah es allerdings ungern, wenn sie zum Federkiel griff, um Eigenes zu gestalten.

Charlotte Schiller spielte eine mühevolle, unbedankte Rolle, die der egoistische Göttergatte – den Schiller-Verehrern wird das misstönend im Ohr klingen – nur gelegentlich zu schätzen wusste. Sie selbst fühlte sich glücklich. "Die Ehe ist . . . ein Vertrag, das Leben zu teilen, zu erleichtern, zu verschönen, den zwei Menschen zusammen errichten. Wie oft aber bindet Leichtsinn dieses Band" – davon war sie zutiefst überzeugt. Nach dem Tod des geliebten Mannes schrieb sie: "Unter uns verlor keiner so viel wie ich . . . weil ich in ihm die ganze Welt fand". Schön gesagt, wunderschön.

Charlotte Schiller starb am 9. Juli 1826. Sie wurde in Bonn beigesetzt, und nicht in Weimar neben ihrem Gemahl, wie sie es geünscht hatte. Die verständnislose Nachwelt hat ihr selbst diesen letzten Wunsch abgeschlagen.

Verwendete Literatur:

Eva Gesine Baur: "Mein Geschöpf musst Du sein." Das Leben der Charlotte Schiller. Hoffmann & Campe Verlag, Hamburg 2004.

Sigrid Damm: Das Leben des Friedrich Schiller. Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig 2004.

Rüdiger Safranski: Schiller oder die Erfindung des Deutschen Idealismus. Hanser Verlag, München 2004. (Zu diesen Büchern siehe auch Seite 5)

Freitag, 29. April 2005 12:30:46
Update: Freitag, 29. April 2005 18:23:00

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