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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

"Schönheit ist ansteckend"

Jonathan Safran Foer

Von Jeannette Villachica

Ein Gespräch mit dem jungen amerikanischen Erfolgsautor Jonathan Safran Foer

Wiener Zeitung: Herr Foer, fühlen Sie sich heute inspiriert?

Jonathan Safran Foer ( lacht ): Nicht unbedingt. Ich weiß nicht, ob ich mich jemals inspiriert fühle. Wollen Sie wissen, ob mir heute danach ist, zu arbeiten?

Ja, auch.

Ich glaube nicht, dass ich heute arbeiten werde. Nach unserem Gespräch fahre ich nach Conneticut und verbringe dort ein paar Tage mit Freunden auf dem Land.

Ich meinte außerdem, ob ich mich darauf einstellen muss, von Ihnen gelangweilt zu werden. Sie denken ja offensichtlich – zumindest habe ich das gelesen –, dass viele Menschen bei der ersten Begegnung mit Ihnen enttäuscht sind, weil Sie selbst Ihrer Meinung nach nur halb so witzig sind, wie Ihre Romane.

Ja, es kommt nicht selten vor, dass beispielsweise Journalisten von mir enttäuscht sind. Wir werden ja sehen, was passiert. Beim Schreiben kann man sich eben viel konzentrierter und komprimierter ausdrücken als im richtigen Leben.

Im Leben gibt es für die meisten Dinge nur einen richtigen Zeitpunkt. Wenn der vorbei ist, kann man sich nur wünschen, man hätte etwas nicht gesagt oder man hätte etwas gesagt, was einem aber zu spät eingefallen ist. Beim Schreiben hingegen kann ich nachträglich Dinge einfügen und verändern. Es ist die konzentrierteste Art, um die tiefgründigste Version meines Ichs zu zeigen.

In Ihren Romanen mischen Sie fantastische Elemente mit geschichtlichen Ereignissen. Zum Beispiel erfindet Oskar, der Held Ihres neuen Romans, der in einem durchaus realistischen Manhattan lebt und seit dem 11. September 2001 ziemlich traumatisiert ist, nachts die abstrusesten Dinge, die die Menschen vor jeglichem Unheil bewahren sollen. Gibt es Ihrer Meinung nach in der US-amerikanischen Literatur einen Trend zum Fantastischen?

Das kann sein, obwohl ich nicht weiß, ob es diese Elemente nicht immer schon gab. Aber mir fällt auf, dass die amerikanische Literatur schriller wird und in letzter Zeit eher Risiken eingeht. Lange war die amerikanische Prosa sehr brav: herkömmliche Geschichten wurden auf herkömmliche Weise erzählt.

Als Sie acht Jahre alt waren – also ungefähr so alt wie Oskar –, kam es im Chemieunterricht zu einer Explosion. Sie wurden nicht verletzt, standen danach aber lange unter Schock. Wie veränderte sich Ihre Weltsicht durch diesen Vorfall?

Das ist eines der Ereignisse, die man erst verstehen kann, wenn man älter wird. Lange wusste ich nicht einmal, dass dieser Vorfall überhaupt wichtig für mich war. Es folgte eine Zeit, in der ich sehr, sehr schüchtern war. Ich ging ungern zur Schule und war sehr ängstlich und nervös. Das habe ich fast vollständig überwunden. Nur manchmal bin ich noch sehr schüchtern. Die Titel meiner Bücher – "Alles ist erleuchtet" und "Extrem laut und unglaublich nah" – klingen wie Beschreibungen dieser Explosion, auch wenn ich überhaupt nicht daran dachte. Sehr oft kommen beim Schreiben Dinge aus dem Unterbewusstsein an die Oberfläche.

Heißt das, Sie sind sich über die Bedeutung der Titel im Unklaren?

Ich weiß, warum ich sie gewählt habe. Aber nur weil man eine bestimmte Absicht hat, heißt das noch nicht, dass sie sich auch erfüllt. Wenn ein Buch veröffentlicht ist, gehört es nicht mehr dem Autor; die Bedeutung seiner Werke gehört sowieso nie ihm. Die Wechselwirkung zwischen Leser und Buch ist einzigartig.

Ihre beiden bisherigen Romane kann man auch als Antikriegsromane lesen. Vor den letzten Präsidentschaftswahlen engagierten Sie sich auf Seiten der Demokraten. Sind Sie jetzt auch noch politisch aktiv?

Ja, ich versuche, Politisches zu schreiben. In den letzten Jahren habe ich viel organisiert: Fund-raising, politische Events, ein Buch mit politischen und weniger politischen Aufsätzen zusammengestellt, dessen Erlös an die Demokraten ging. Nach den letzten Präsidentschaftswahlen waren viele von uns deprimiert. Aber jetzt ist die Zustimmung zu Bushs Politik in der Bevölkerung so niedrig wie nie zuvor. Wir können nun entspannter auf einzelne Themen eingehen, sei es auf die amerikanische Gesundheitsversorgung oder den Irak-Krieg.

Sie haben einmal gesagt, bis zum Irak-Krieg galt für Ihre Generation die Gleichung: amerikanischer Krieg ist gleich guter Krieg. Wie meinten Sie das?

Amerikaner meiner Generation, die nach Vietnam aufwuchsen, haben amerikanische Militärs nur in Einsätzen für eine gute Sache erlebt, in Ruanda oder Bosnien beispielsweise. So kam es, dass wir die US-Armee als eine friedenserhaltende Kraft verstanden, die Völkermorde, Hungersnöte und dergleichen verhindert. Mit dem Irak-Krieg kam die Desillusion. Zum ersten Mal seit Vietnam – wenn man kleinere Konflikte beiseite lässt – war Amerika nicht auf der richtigen Seite.

Sie sind in Washington aufgewachsen, bezeichnen sich aber als New Yorker. Wie lange leben Sie schon in New York?

Seit sechs Jahren.

Und seit wann fühlen Sie sich als New Yorker?

Seit ich dieses Buch geschrieben habe.

Darin erkundet Oskar New York wie nebenbei – und mit ihm der Leser. Parallel zu den Folgen des 11. Septembers 2001 erzählen Sie von der Bombardierung Dresdens 1945. Beim Lesen zieht man automatisch Vergleiche zwischen den beiden Ereignissen.

Ich hatte nicht die Absicht, diese Ereignisse zu vergleichen. Ich habe über Dresden geschrieben, weil es eine so ungeheuerliche historische Episode ist, über die nicht viel gesprochen wird. Aber es gibt tatsächlich Parallelen. Beide Ereignisse werden oft auf dieselbe Art gerechtfertigt: "Sicher war es eine schlechte Sache, viele Zivilisten starben. Aber es war die Antwort auf das unglaublich Böse, das die Deutschen der übrigen Welt – beziehungsweise die USA der arabischen Welt – angetan haben."

Aber wie kann man sagen, was richtig und was falsch ist? Diese Ereignisse können uns daran erinnern, dass alles von der Perspektive abhängt. Das vergessen wir oft. In Amerika sprechen wir so viel von Absolutem: "Absolut gut, absolut böse, absoluter Terror, absolute Gerechtigkeit". Tatsache ist doch, dass des einen Terror des anderen Gerechtigkeit ist.

Der Feuersturm von Dresden hat Oskars Großeltern so stark wie kein anderes Ereignis geprägt. Die Großmutter schreibt: "Ich habe mein Leben damit verbracht, meine Gefühle abzustumpfen." Als sie alt ist, erkennt sie, dass man sich nicht vor Leid schützen kann, ohne sich gleichzeitig vor Glück zu schützen. Aus Angst vor neuen Verletzungen stellen sich viele Menschen auf diese Weise dem Glück in den Weg. Ist das nicht eine der tragischsten, weil selbst verursachten Quellen menschlichen Leids?

Ich weiß nicht, Krieg und Tod sind sehr viel tragischer als das. Wissen Sie, es ist schwer für mich, über solche Dinge zu sprechen, weil ich das Gefühl habe, was ich darüber denke, habe ich, so gut ich konnte, im Buch ausgedrückt. Darin versuche ich aus verschiedenen Perspektiven zu zeigen, wie man diese Dinge betrachten kann.

Leben Ihre Großeltern noch?

Eine Großmutter lebt noch.

Was für eine Beziehung haben Sie zu ihr?

Wir sind uns sehr, sehr nah. Sie lebt in Washington, DC, daher sehe ich sie nicht so oft. Aber wir telefonieren häufig und sind uns, wie gesagt, sehr nah.

Sie sind in einer jüdischen Familie aufgewachsen, in der beispielsweise am Freitagabend Sabbat-Kerzen angezündet wurden. Und in Ihren beiden Romanen spielen Nationalsozialismus und Judenverfolgung eine wichtige Rolle. Dennoch haben Sie immer wieder gesagt, Sie hätten kaum Bezug zum Judentum. Wie ist das möglich?

Ich dachte, dass mir das Judentum und die jüdische Geschichte nicht besonders wichtig sind. Aber dann schrieb ich den ersten Roman, der mir sagte: Vielleicht hast du Unrecht. Die Menschen erschaffen alle möglichen Bilder von sich selbst. Das Gute am Schreiben ist, dass man sich dadurch des eigenen Ichs etwas bewusster wird.

Was haben Sie beim Schreiben des zweiten Romans über sich gelernt?

Ich habe gelernt, wie wichtig es für mein Leben ist, in New York zu leben, welch großen Einfluss diese Stadt auf mich hat. Ich habe gelernt, wie viel ich über Fantasie nachdenke, darüber, was sie wert ist. Wie real ist Imagination, und was kann sie im Leben leisten? Und ich habe wieder darüber nachgedacht, wie schwer es ist zu kommunizieren. Das ist wirklich eines der zentralen Themen meines ersten Romans – und ich denke, auch dieses Buches.

Wie beurteilen Sie jetzt die Bedeutung Ihrer jüdischen Herkunft für Ihr Leben?

(Seufzt.) Ich weiß immer noch nicht genau, welchen Einfluss das Judentum auf mein Leben hat. Ich meine, ich gehe immer noch nicht zur Synagoge, ich lebe nicht koscher, niemand würde mich als religiös bezeichnen. Aber ich fühle mich kulturell jüdisch, und ich merke zunehmend, dass mein Erzählstil Teil der jüdischen Tradition ist.

In welcher Hinsicht?

Der Humor, den ich verwende, die Mischung von Tragödie und Komödie, die es durch die ganze jüdische Literaturgeschichte hindurch gab.

Sie haben dieses Buch Ihrer Frau gewidmet: "Für Nicole, meinen Inbegriff von Schönheit". Wie definieren Sie Schönheit?

Oh, das ist eine sehr schwierige Frage. Schönheit ist möglicherweise eine jener Dinge, die man nur dann erkennt, wenn man sie sieht. Meine Lieblingsautoren schreiben schön: Kafka, Bruno Schulz. Ich denke, Schriftsteller verbringen ihr Leben mit dem Versuch, Schönheit zu beschreiben. Sicher ist nur: Man versucht, sich damit zu umgeben, so oft es geht – sei es, indem man in Museen geht, oder durch Menschen, mit denen man seine Zeit verbringt. Für gewöhnlich bedeutet Schönheit nicht unbedingt körperliche Schönheit, sondern eine gewisse Geisteshaltung oder eine Art von Aufrichtigkeit oder eine gewisse Kreativität oder . . . Es gibt so viele schöne Eigenschaften.

Und was bewirkt die Schönheit in Ihnen?

Das ist einfach: Schönheit bringt einen dazu, mehr davon zu wollen. Ich bin ständig auf der Suche danach. Wenn ich etwas Schönes geschrieben habe, weckt das in mir den Wunsch, mehr Schönes zu erschaffen. Schönheit ist ansteckend.

Freitag, 23. September 2005 17:39:00
Update: Dienstag, 24. November 2009 15:21:00

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