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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Der Adalbert-Stifter-Obelisk am Plöckensteinersee hat eine bewegte Geschichte hinter si ch

Stifter, Adalbert: "Dem Dichter des Hochwald"

Der Stifter-Obelisk.  Foto: Vogd

Der Stifter-Obelisk. Foto: Vogd

Von Karl Vogd

Der Obelisk ist im grünen Meer der Fichten kaum wahrzunehmen. Wer das Monument betrachten möchte, muss hinaufmarschieren. Nach einem 20-minütigen Fußmarsch durch einen malträtierten, vom sauren Regen halb zugrunde gerichteten Forst öffnet sich eine kleine Freifläche, von der sich ein großartiger Ausblick bietet. Wie ein dunkles Tuch ist in der Tiefe der See ausgespannt. In der Ferne erstrecken sich die hellen Streifen der Felder, zwischen den grünen Wiesenmatten glänzt das Blau der aufgestauten Moldau. In der Mitte der Aussichtsplattform erhebt sich unübersehbar der graue Obelisk. "A. Stifter – dem Dichter des Hochwald" ist in den Stein graviert.

Der Ort, an dem 1877, knapp zehn Jahr nach dem Tod des Autors, eines der ersten Stifter-Denkmäler entstand, war dem Dichter bekannt. Stifter hat den Charakter der Örtlichkeit auch beschrieben: "Oft entstieg mir ein und derselbe Gedanke, wenn ich an diesen Gestaden saß: als sei es ein unheimliches Naturauge, das mich hier ansehe – tief schwarz – überragt von der Stirne und Braue der Felsen, gesäumt von der Wimper dunkler Tannen – drin das Wasser regungslos, wie eine versteinerte Träne." So beschreibt Stifter den Plöckensteinersee im Böhmerwald. In dieser Gegend hat Stifter den größten Teil der Handlung seiner Novelle "Der Hochwald" angesiedelt. Am Anfang des Textes definiert Stifter die geografischen Koordinaten des Ortes: "An der Mitternachtsseite des Ländchens Österreich zieht ein Wald an die 30 Meilen lang seinen Dämmerstreifen westwärts, beginnend an den Quellen des Flusses Thaia und fortstrebend bis zu jenem Grenzknoten, wo das böhmische Land mit Österreich und Bayern zusammenstößt."

Die Heilkraft des Waldes

Stifter kannte diesen Teil des Böhmerwaldes, der damals kaum erschlossen war, sehr gut. Er wuchs im nahen Oberplan auf, die von der Großmutter erzählten Böhmerwald-Sagen waren für den Knaben eine Art literarische Initiation. Der Student Stifter kehrte in den Sommermonaten Wien den Rücken und verbrachte die Sommerferien mit seinen Freunden in Friedberg. Dabei wurden Wanderungen und Ausflugsfahrten unternommen. Auch der Plöckensteinersee wurde von den jungen Leuten gerne aufgesucht. Stifter liebte den kleinen, länglichen See, der in den Bergwald eingesunken ist, auch deshalb, weil er hier das Wirken der Natur studieren konnte. Im Wald vermeinte er am deutlichsten das Walten göttlicher Kräfte wahrzunehmen. Andererseits ist der Wald das Symbol für Geheimnisse und dunkle Elemente.

Den heilenden, belebenden Kräften des Waldes vertraute sich Stifter vor allem dann an, wenn er sich in Lebenskrisen befand. In seinem letzten Lebensjahrzehnt, als er von schweren Selbstzweifeln und Krankheiten geplagt wurde, suchte er den Böhmerwald immer wieder zur Regeneration auf. Der alternde, und an seiner Mission zweifelnde Dichter hoffte, durch lange Aufenthalte auf dem Rosenbergergut im Böhmerwald seine angeschlagene Gesundheit und seine schwindende Schaffenskraft wieder zu stärken.

Kurz nachdem Stifter, hoch angesehen und schwer verschuldet, im Jahr 1868 gestorben war, tauchten erste Ideen für ein Denkmal auf, das an den Dichter erinnern sollte. Vor allem die Freunde und Verehrer Stifters wurden aktiv. Besonders eifrig war dabei der "Verein der deutschen Böhmerwäldler in Wien", dessen Obmann Jordan Kajetan Markus aus Friedberg stammte und ein langjähriger Verehrer Stifters war. Der in Wien als Bürgerschuldirektor tätige Markus hatte viel zur Verbreitung der Werke Stifters beigetragen. Der von Markus geführte Verein setzte sich unter anderem das Ziel, das Andenken bedeutender Landsleute zu ehren, beispielsweise durch das Anbringen von Gedenktafeln oder Denkmälern.

1869 legte Markus den Plan für ein Projekt von gewaltigen Dimensionen vor. In die Felsenwand am Westufer des Plöckensteinersees sollte wie in eine riesige Tafel eine charakteristische Textstelle aus einem Werk Stifters eingemeißelt werden. Die zwei Meter hohen Buchstaben sollten noch im 15 Kilometer entfernten Oberplan mit Hilfe eines Feldstechers zu lesen sein. Dieser ans Gigantische grenzende Plan wurde aber bald fallen gelassen. Markus hatte nicht nur die technischen Schwierigkeiten, sondern auch die Kosten unterschätzt.

Die Pläne eines Böhmerwald-Denkmals erhielten einige Jahre später neuen Auftrieb. Freunde und Verehrer Stifters hatten 1871 auf dem Grab des Dichters am Linzer Barbarafriedhof ein Denkmal in Form eines Obelisken errichten lassen. Dieses Denkmal wurde zur Gänze durch Spenden finanziert. Ein ähnliches Denkmal, allerdings in weitaus größerer Dimension, wollten Markus und seine Freunde auch auf einer Plattform knapp unter dem Gipfel des Plöckensteins errichten. Für den Entwurf wandten sie sich an den prominenten Wiener Architekten Heinrich Ferstel, der sich damals auf dem Zenit seines Schaffens befand. Ferstel ging vom Linzer Grab-Obelisk aus, vergrößerte aber die Dimension, um die Wirkung zu steigern. Die Pläne sahen vor, dass der 15 Meter hohe Obelisk weit über die Wipfel der damals noch niedrigen Nadelbäume hinausragen sollte. Die Frage des Baumaterials war rasch geklärt – man entschied sich für den am Bauort reichlich vorhandenen Granit. Ausgeführt wurden die Arbeiten von einem Steinmetz namens Adolf Paleczek, der hauptberuflich Heger im Dienste der Schwarzenberg’schen Gutsverwaltung war. 1877 wurde das fertig gestellte Denkmal im Rahmen einer großen Feier enthüllt.

Als im abgelegenen Böhmerwald das Stifter-Denkmal errichtet wurde, begannen in Böhmen die nationalen Streitigkeiten zwischen Deutschen und Tschechen. Ein Instrument in diesem Nationalitätenkampf waren auch die Literaten. Das lässt sich auch an der Stifter-Rezeption ablesen. In den ersten Jahren nach seinem Tod wurde Stifter noch als typischer Regionalautor (miss-)verstanden, durch den die Verborgenheit des Böhmerwaldes zu einem Paradies geworden sei. Ein paar Jahrzehnte später wurden die Töne aber wesentlich aggressiver. Nach 1900 wurde auch der für nationale Anliegen eigentlich gar nicht verwendbare Stifter als Gewährsmann für den Sieg der Deutschen im Nationalitätenstreit herangezogen. So wurde das Denkmal gegen Ende der Monarchie und in der tschechoslowakischen Republik – auch – als Zeichen für das Deutschtum in Südböhmen verstanden.

Der Eiserne Vorhang

Durch die Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Dörfer des Böhmerwaldes entvölkert. Die Orte wurden nicht mehr neu besiedelt, die Häuser ihrem Schicksal überlassen. Als die Kommunisten nach der Machtübernahme das Land kollektivierten, änderte sich die Struktur der Region neuerlich. Mit der Errichtung des Eisernen Vorhangs rissen die Verbindungen nach außen völlig ab. Die schwerbewachte Grenze wurde an einigen Stellen ein wenig ins Landesinnere der Tschechoslowakei zurückverlegt, um den auf den Wachtürmen postierten Grenzposten bessere Sicht zu ermöglichen und eine Fahrstraße für die Patrouillenfahrzeuge anzulegen. Jenseits des hohen Stahlzauns lag "Niemandsland", das von keiner Seite zugänglich war. Und genau dort stand nun das Stifter-Denkmal.

Für die Vertriebenen war Stifter bald zu einem literarischen Patron ihrer verlorenen Heimat und das Denkmal zum Sinnbild dieses Verlustes geworden. Dieses Symbol konnte aber nicht mehr aufgesucht werden. Mutige Mühlviertler fanden Abhilfe. Hie und da schlichen sich junge Leute, die das Denkmal nur aus Berichten von älteren Menschen kannten, es aber noch nie gesehen hatten, nachts ins Niemandsland hinüber. Was nicht ganz gefahrlos war. "Dafür riskierte man ein paar Tage Haft in der Tschechoslowakei" , erzählt Franz Wöss, heute Leiter der Adalbert-StifterJugendherberge in Aigen, der sich damals illegal ins Niemandsland begab, um das Denkmal in Augenschein zu nehmen.

Die Kopie in Aigen

Hält man sich diese Gegebenheiten vor Augen, dann werden die folgenden Ereignisse vielleicht besser verständlich. Als das Gerücht umging, die tschechischen Kommunisten wollten das Monument abreißen lassen, entschloss man sich in der Gemeinde Aigen im Jahr 1952 zur Herstellung einer Kopie. Wer genau die Idee hatte und den Plan entwickelte, ist heute nicht mehr klar. Auch die Motive sind nicht eindeutig zu erkennen. Möglicherweise wollte man den geliebten Dichter "heimholen", ihn den tschechischen Kommunisten entreißen.

Fest steht, dass im Jahr 1952 anlässlich eines Bezirksmusikfestes eine Kopie des Denkmals in verkleinerter Form in Aigen aufgestellt wurde, als Holzattrappe. Ein Foto aus dieser Zeit zeigt eine Menschenansammlung auf dem Festplatz vor den geschmückten Häusern. Hinter den Preisrichtern ist unschwer der Obelisk mit der Würdigungsinschrift für Adalbert Stifter zu erkennen. Obwohl das Fest in der Hauptsache dem 80-jährigen Bestand des Musikvereines galt, sei auch der Dichter gewürdigt worden, erzählt der Pensionist Anton Kurz, damals Mitglied der Blasmusikkapelle. Eine dramatisierte Version der Erzählung "Bergkristall" sei aufgeführt worden, erinnert sich Kurz: "Die Mutter der Kinder wurde von einer vertriebenen Böhmerwäldlerin aus dem Kreis Untermoldau gespielt, deren Tochter in Aigen verheiratet war" .

Offenbar hatte die Kopie Anklang gefunden, denn nach dem Fest wurde das Holzgestell nicht wieder zerlegt, sondern an einem weithin sichtbaren Platz, auf einem Hang hinter Aigen, aufgestellt. Mit der Zeit wurde die Denkmalkopie zu einer Art Wahrzeichen des Ortes, das sogar für eine Weile den Poststempel der Marktgemeinde zierte.

Allerdings war man nach einiger Zeit mit der Attrappe in Aigen nicht mehr zufrieden. Die Kopie sollte dem Original ähnlicher werden, also auch in Granit ausgeführt werden. Um Geld für dieses Projekt zu erhalten, wandten sich die Aigener mit ihrem Anliegen an den oberösterreichischen Landeshauptmann Gleißner. "Der hatte in Prag studiert und zeigte immer viel Verständnis für die Anliegen der Vertriebenen" , erzählt der Publizist Harry Slapnicka. Wider Erwarten ließ Gleißner die Antragsteller aber abblitzen. Der agile Landeshauptmann favorisierte sein eigenes, "lebendes" Stifter-Denkmal – die Errichtung der "Adalbert Stifter-Jugendherberge" in Aigen.

Die Aigener ließen sich jedoch nicht entmutigen. Sie sammelten Geld mittels einer Bausteinaktion und sprachen dabei auch Großspender an. Den Großteil des Steinmaterials stellten beispielsweise die Poschacher Granitwerke in Mauthausen kostenlos bereit. 1962 war es dann soweit: Anlässlich der 600-Jahr-Feier der Markterhebung von Aigen wurde an einem Hang direkt neben der Jugendherberge ein Granitobelisk als Stifter-Denkmal eingeweiht. Ganz konnte es auch diese neue Kopie nicht mit dem Original aufnehmen. Der Obelisk war um einiges niedriger und die Inschriften waren nicht identisch.

Dann blieb alles unverändert – bis zum Jahr 1989. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus und der Öffnung der Grenzen wurden die abgeschotteten Örtlichkeiten des Böhmerwaldes und damit auch das Denkmal über dem Plöckensteinersee auf einmal wieder zugänglich. Die Stifter-Rezeption änderte sich wieder einmal. Der Autor wurde nun zu einem Garanten der Völkerverständigung und des Ausgleichs in Mitteleuropa "ernannt". Besonders viel wurde im Böhmerwald diesseits und jenseits der Grenze im heurigen Jubiläumsjahr 2005 – dem 200. Geburtstag Stifters – getan. Wanderwege wurden in Schuss gebracht. Mehrsprachige Hinweistafeln und Wegweiser glänzen in neuer Frische. Lesungen, Symposien, Ausstellungen und Vorträge sollen Lust auf die Lektüre von Stifter machen und vor allem Fremde hierher locken.

Für die ist weiterhin der Plöckensteinersee die Hauptattraktion. Jeden Tag sind Hunderte Wanderer, die meisten von ihnen Tschechen, unterwegs zum stillen Gewässer, das heute Teil eines bewachten Naturschutzgebietes ist. Der Großteil der Wanderer nimmt den Anstieg hinauf zum Denkmal in Kauf. Dort holen sich auch von Stifter begeisterte Pädagogen Inspirationen und heimatvertriebene Böhmerwäldler suchen das geliebte Denkmal mit ihren Enkelkindern auf.

Währenddessen sind an der Denkmalkopie auf österreichischer Seite die Spuren des Verfalls unübersehbar geworden. Die Plattform des Denkmals ist fast völlig von Buschwerk zugewachsen. Der Brunnen ist unbenützbar, der Anlage rückt ein Kinderspielplatz unaufhaltsam zu Leibe. Im Wettlauf mit der Kopie hat das Original momentan sozusagen die Nase vorn. Aber vielleicht ändert sich das auch wieder einmal.

Karl Vogd, geb. 1954, lebt als Kultur- und Reisejournalist in Niederösterreich.

Freitag, 21. Oktober 2005 18:24:35
Update: Freitag, 21. Oktober 2005 18:45:00

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