Wiener Zeitung Neu in der Linkmap:
 
  Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Das Unternehmen Benutzer-Hilfe
 Politik  Europa  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  Meinung  English  MyAbo 
 Lexikon Interview  Glossen  Bücher  Musik  Debatten 
Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Ein Gespräch mit dem in Wien geborenen, amerikanischen Schriftsteller Frederic Morton

"Gott ist ja der oberste Boss"

Frederic Morton bei einem Empfang des Wiener Bürgermeisters Michael Häupl im Jahr 2002. Foto: Apa/Jäger

Frederic Morton bei einem Empfang des Wiener Bürgermeisters Michael Häupl im Jahr 2002. Foto: Apa/Jäger

Von Eugen-Maria Schulak

Geboren 1924 in Wien-Hernals, aufgewachsen im Handwerkermilieu, musste Fritz Mandelbaum mit seiner Familie 1939 nach Großbritannien und ein Jahr später nach New York emigrieren. Die Änderung seines Namens erfolgte auf Druck der damals antisemitischen US-Gewerkschaften, die dem Vater unter seinem jüdischen Namen eine Mitgliedschaft verweigerten. Nach dem Besuch der Bäckergewerbeschule arbeitete Frederic Morton bis 1949 in verschiedenen Backstuben, studierte später Nahrungsmittelchemie und schließlich, da ihm die englische Sprache mit den Jahren ans Herz gewachsen war, Literaturwissenschaften. In der Folge begann er an verschiedenen Universitäten englischsprachige Literatur zu unterrichten, schrieb für diverse amerikanische Zeitungen und Zeitschriften und auch Bücher.

Thomas Mann, mit dem er das Schicksal der Emigration teilte, erkannte bereits früh Mortons Talent, bezeichnete ihn als "außergewöhnlich begabten Erforscher der Beziehungen zwischen menschlichem Charakter und gesellschaftlichem Milieu (. . .) ausgereift im Stil und brillant in seinen Einsichten" . 1962 kam der durchschlagende Erfolg: "The Rothschilds. A Family Portrait" erreichte eine Weltauflage von 2,5 Millionen Exemplaren, wurde in 23 Sprachen übersetzt und 1970 sogar als Musical auf die Bühne gebracht. Es folgten zahlreiche autobiographisch gefärbte Romane, unter anderem 1984 "The Forever Street" ("Ewigkeitsgasse"), in der Morton den Aufstieg seines Großvaters vom kleinen Handwerker aus der k.u.k. Provinz zum angesehenen Fabrikanten und Hausbesitzer beschreibt, bis zu dessen Tod in den Wirren der "Reichskristallnacht" 1938. Im Jahr 2002 wurde dieses Buch von der Stadt Wien in 100.000 Gratisexemplaren an das lesefreudige Publikum verteilt.

Das folgende Interview fand im Rahmen der "Siemens Academy of Life" statt, von der Frederic Morton als einer der renommiertesten amerikanischen Schriftsteller eingeladen worden war.

Wiener Zeitung: Sie haben gerade Ihre Autobiographie abgeschlossen?

Frederic Morton: Ja, "Run Away Walls" heißt sie auf Englisch, auf Deutsch "Durch die Welt nach Hause". Sie besteht aus zehn Tagen in meinem Leben in verschiedenen Zeitabschnitten, die Jahre auseinander liegen. Es sind zehn Erzählungen, die jedoch alle auf wahren Begebenheiten beruhen. Es beginnt damit, wie ich als Neunjähriger im Lux-Kino in Wien einen Fred-Astaire-Film gesehen habe. Fred Astaire hat ja früher Fritz Austerlitz geheißen – und ich Fritz Mandelbaum; die gleiche Anzahl von Buchstaben und Silben. Er war für mich ein großes Idol. Dann geht es weiter, wie ich in Amerika Bäckerlehrling wurde, später ein Intellektueller, und es endet wieder in Wien, bei einem Drehtag von "Cross Town Sabbath", dem Film nach meinem Buch.

Sie wuchsen in Wien-Hernals auf, in einer Handwerkerfamilie, zu der sie eine innige Beziehung hatten, besonders zum Großvater.

Mein Großvater ist als Dorfschmiedlehrling nach Wien gekommen und begann als Hufschmiedlehrling in Hernals. Damals gab es ja noch viele Rösser. Später ist mein Großvater auf Eisenwaren umgestiegen und hat eine kleine, aber sehr erfolgreiche Fabrik gegründet. Jedes Mal, wenn er mich gesehen hat, hat er mich hochgehoben, geherzt, geküsst und gesagt: "Das ist mein Herr Kollege!" – und ging wieder zurück in die Fabrik. Das hat mich sehr beeindruckt. Als erfolgreicher Kleinindustrieller hat er später auch Häuser gekauft, aber immer nur in Hernals, in der Telemanngasse, der "Ewigkeitsgasse". Das ist eine kleine Gasse zwischen Hernalsergürtel und Brunnenmarkt. Dort hat er sich festgesetzt. Er hätte sich auch in Grinzing ein Haus leisten können. Aber er war ein Lokalpatriot.

Die Familie musste nach London, später nach New York emigrieren. Dort begannen Sie als Bäckerlehrling.

Wir sind angekommen und hatten überhaupt kein Geld. Die Erwachsenen durften nicht arbeiten, auch die Kinder nicht. Aber Erwachsenen hat man auf die Finger geschaut. Ein alter Bäcker, auch aus Hernals, hat das amerikanische Visum früher bekommen als wir. Er hat mit 73 Jahren als Bäckerlehrling begonnen. Er hat für eine kleine Bäckerei Mehlsäcke getragen. Als er dann das Visum bekommen hat, hat er seinen Job an mich weitergegeben. Ich habe diese Tätigkeit sofort geliebt, ich komme ja aus einer Handwerkerfamilie. Dann bin ich in die Bäckereigewerbeschule gegangen. Dort habe ich auch meinen Highschool-Abschluss gemacht. Ich habe in mindestens sieben verschiedenen Bäckereien in New York gearbeitet.

Wie konnten Sie so schnell die englische Sprache erlernen?

Das frage ich mich oft selbst. Denn es war wirklich verrückt. In der Pubertät war ich auf einmal von den englischen Vokabeln fasziniert – und von Mädchen. Das ging Hand in Hand, der Sexualtrieb und der Trieb, neue Worte zu erlernen und mit ihnen zu spielen. So habe ich im Geheimen zu schreiben begonnen. Und auf einmal, fast zu meiner eigenen Verlegenheit, wurde aus mir schrecklichem Schüler ein Musterschüler in Englisch und den Social Sciences , also in Geschichte. Da sagten die Lehrer zu meinen Eltern: "Das ist ein gescheiter Bursche". Meine Eltern waren ganz verdattert, meinten, ich sollte eigentlich, wenn ich schon so begabt sei, Bäckerwissenschaftler werden. Ich habe begonnen, Tag und Nacht zu lesen, oft so lange in die Nacht hinein, bis mein Vater die elektrischen Sicherungen herausgedreht hat.

Wie viele Exemplare haben Sie von Ihrem ersten Buch verkauft?

2000 Stück vielleicht. Dann habe ich noch ein zweites Buch geschrieben, über die Bäckerei. Das hat fantastische Rezensionen bekommen, wurde von Thomas Mann und auch von Aldous Huxley öffentlich gelobt. Von diesem Buch habe ich vielleicht 2200 Stück verkauft.

Was dann kam, war ein wirkliches Hochstaplerstück. Ich habe für das "Esquire Magazine" eine Artikelserie über die Rothschilds geschrieben. Die Idee stammte von Esquire. Nach der Veröffentlichung sagte mein Agent zu mir: "Daraus wird ein Buch." Auch einen interessierten Verlag gab es schon. Damals habe ich recherchiert, dass bereits 31 Bücher über die Rothschilds geschrieben wurden – und keines davon ein Erfolg war. Ich schrieb mein Buch trotzdem. Und es wurde ein riesiger Erfolg, in Amerika und in England. Es wurde mit dem National Book Award prämiert, als eines der besten fünf Bücher des Jahres.

Sie hatten zwei persönliche Erlebnisse, die in engem Zusammenhang mit der Familie Rothschild stehen, bevor Sie deren Biographie geschrieben haben. Welche waren das?

Im Juni 1939, im Alter von knapp 14 Jahren, stand ich mit meiner Familie und hundert anderen Familien im Stiegenhaus des Palais Rothschild auf der Prinz Eugen Straße, wo heute die Arbeiterkammer ist. Das Palais war damals das Hauptquartier der Gestapo bezüglich jüdischer Angelegenheiten. Wenn man einen deutschen Pass haben wollte, musste man den bei der Gestapo abholen. Da standen wir fast den ganzen Tag angestellt, auf der wunderschönen Marmortreppe, hungerten und zitterten.

Dieses Erlebnis habe ich für die "Times" beschrieben. Aber ich habe dieses Erlebnis auch für die Recherche zu meinem Rothschild-Buch benutzt. Zur englischen Familie Rothschild hatte ich einen guten Kontakt durch die Witwe des letzten österreichischen Barons, Baronin Hilde Rothschild. Sie stand mit Morgan Rothschild sehr gut und hat mich ihm empfohlen. Die Familie war damals sehr zurückhaltend. Sie wollten keine Publicity. Aber irgendwie ist es mir doch gelungen, einen Termin zu bekommen. Er hat mich in sein riesiges Arbeitszimmer geführt und in einem wunderbaren Englisch gefragt: "How did you get the crazy idea to write about us?" Und da habe ich ihm gesagt, das kommt vielleicht davon, dass meine markanteste Erfahrung mit der Familie Rothschild ein Palais Rothschild in Wien war. Und dann habe ich ihm die ganze Geschichte erzählt. Daraufhin begann er zu lächeln und fragte: "Wie lange haben Sie damals warten müssen?" Ich habe geantwortet: "Den ganzen Tag, die Gestapo wollte das so." Darauf er: "Und ihr habt nichts gegessen?""Nein". "In that case" , sagte er, "our family offers you a lunch. Why don't you come to lunch?" Damit war das Eis gebrochen.

Wie ging es nach diesem großen Erfolg weiter?

Man meinte, ich solle nun über die Guggenheims schreiben, über die Rockefellers etc. Das wollte ich aber nicht. Ich wollte zurück zu meinen Wurzeln und habe hintereinander drei Wien-Bücher geschrieben: "Ewigkeitsgasse", "Wetterleuchten" und "Der Letzte Walzer".

Sie sind Wien gegenüber sehr positiv eingestellt, obwohl Sie und Ihre Familie von hier aus in die Emigration getrieben wurden. Welche Spuren hat das bei Ihnen und Ihrer Familie hinterlassen?

Emigranten lieben innerlich nach wie vor das Heimatland, wollen diese Abhängigkeit jedoch verdecken oder bekämpfen und entwickeln so eine noch größere Gegenemotion, die darin besteht, sich selbst oder die Heimat oder beides zu hassen. Die Ressentiments gegen Österreich, die ich bei meinen Eltern bemerkt habe, sind eigentlich ein Ausdruck von unterdrückter Liebe. Viel später einmal, bei einem Spaziergang – ich kam damals von Alpbach nach Bad Reichenhall, wo meine Eltern Urlaub machten – beichtete mir mein Vater, dass er, während meine Mutter schläft, oft zur österreichischen Grenze geht, um sozusagen einen Fuß auf österreichischen Boden zu setzen und zu prüfen, wie sich das anfühlt. Das habe ich sehr ergreifend gefunden. Er hat meiner Mutter nie etwas davon erzählt. Zwei Jahre später sind meine Eltern nach Österreich gefahren.

Verspüren Sie als Schriftsteller so etwas wie ein Sendungsbewusstsein?

Um Schriftsteller zu sein, muss man eine gewisse Arroganz haben, also wirklich daran glauben, eine Sendung zu haben. Wenn man sich hinsetzt und sagt: "Das ist der erste Satz auf einer Seite mit 40 Sätzen – und diese Seite ist die erste von 497 Seiten", so ist das ein sehr bedrückendes Gefühl. Wenn man hingegen sagt: "Jetzt werde ich ‚Krieg und Frieden‘ schreiben", so geht es leichter. Arroganz ist also notwendig, aber auch ein gewisses Schuldgefühl. Wenn mir der liebe Gott schon dieses Talent gegeben hat, dann muss ich es, so gut es geht, verwalten. Gott ist ja der oberste Boss. Wenn er mir das Talent gegeben hat und ich nütze es nicht, dann werde ich dafür be-straft. Ich werde arm sein und niemand wird wissen, wer ich bin. Dann werde ich zwar vielleicht "Krieg und Frieden" geschrieben haben, aber kein Mensch wird es kennen.

Frederic Morton: Durch die Welt nach Hause. Mein Leben zwischen Wien und New York. Aus dem Amerikanischen von Susanne Costa. Deuticke Verlag, Wien 2006, 288 Seiten.

Am Dienstag, den 7. März, um 19 Uhr wird das Buch im Beisein des Autors im Wiener Rathaus, Stadtsenatssitzungssaal, präsentiert. Begrüßung: Bürgermeister Michael Häupl. Laudatio: Oscar Bronner.

Eugen Maria Schulak , geboren 1963, leitet eine "philosophische Praxis" in Wien, ist Autor und Departmentleiter für Philosophie und Weltbild an der Siemens Academy of Life.

Printausgabe vom Samstag, 04. März 2006
Update: Freitag, 03. März 2006 16:39:00

Lexikon



Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum · AGB