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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Ein vielseitig talentierte Schriftsteller wird fünfzig

Fian, Antonio: Die Welt als Dramolett

Von Veronika Doblhammer

Am 28. März 2006 wird Antonio Fian fünfzig. Zeit für eine Rückschau? Selbstverständlich. Ein Fünfzigjähriger gilt der Welt nämlich nicht mehr als junger Mann, auch wenn er sich selbst vielleicht noch so fühlt.

Als Fian zu schreiben beginnt, herrscht gerade die Mode, durch realistische Literatur der verblendeten Arbeiterklasse ihre trübe Lage vor Augen zu führen. Auch Fian – Spross einer angesehenen Kärntner Kaufmannsfamilie – ist eine Zeitlang so proletarisch gestimmt. 1982 erscheint sein Gedicht "da paklschupfa", in dem es darum geht, dass die Klo- und Rauchpausen die einzigen erträglichen Momente im Alltag eines Posthilfsarbeiters sind.

Zehn Jahre für "Schratt"

Wiewohl sich Fian der kaufmännischen Tradition seiner Familie verweigert, baut er doch seine Karriere als Schriftsteller mit ökonomischem Geschick auf. Zunächst sucht er sich Kooperationspartner. Als Herausgeber der rührigen Literaturzeitschrift "fettfleck", gemeinsam mit Wolfgang Kobal, macht sich Fian rasch einen Namen. 1980 gibt er sein Volkswirtschaftsstudium auf, um nur noch als Schriftsteller zu leben. 1985 erhält er das österreichische Staatsstipendium für Literatur, 1987 publiziert er "Einöde.Außen.Tag.Erzählungen" und (gemeinsam mit dem Fotografen Nikolaus Korab) "Schreibtische österreichischer Autoren" beim Verlag Droschl in Graz, dem er bis heute die Treue hält. 1990 erscheint "Helden. Ich-Erzähler", sieben satirische Beispiele für die zerstörerischen Erwartungshaltungen des Literaturbetriebes. 1992 kommt der lange unter dem Arbeitstitel "Nach der Natur" angekündigte Roman heraus, der nun aber "Schratt" heißt. Das Werk setzt sich mit der Vermarktung von Kunst auseinander. Obwohl eine bittere, dunkle Stimmung vorherrscht (an Kubin und Kafka erinnernd), kippt der Text immer wieder ins Absurd-Komische. Und: Allein dies schon ist ein satirischer Hieb auf den Literaturbetrieb, dass ein zehn Jahre lang angekündigter Roman schließlich nur 135 Seiten hat.

Die Kritik reagiert ratlos – Günther Nenning in der "Zeit": "Sinnlosigkeit zum Quadrat dividiert durch Wurzel aus minus eins" – oder unbestimmt: "Jeder kann diesen Kurzroman lesen, wie er will" , Wendelin Schmidt-Dengler in "Literatur und Kritik".

"Schratt" ist ein Romanolett oder ein Kurzroman geworden und bedient den Literaturbetrieb nicht so, wie dieser es erwartet. Die titelgebende Hauptfigur erscheint als "österreichischer" Held: wie Kafkas Josef K. enthüllt sich ihr eine zunächst einfache, geordnete Welt als eine komplexe, vorbestimmte, und zwar durch eine berechnende Macht, den "Hausbesitzer". Schratt erkennt sich am Ende als Teil einer gigantischen, mit den Enteignungen der NS-Zeit verknüpften Kunstspekulation. Er ist wohl so machtlos wie seine Vorgänger, erlebt jedoch immerhin den Zusammenbruch der Spekulanten.

Antonio Fian hat sich den Standardbedingungen einer kommerzialisierten Literaturgesellschaft entzogen und findet eigene Wege. Wege der kleinen Formen: Prosaminiaturen, Erzählungen (häufig Satiren), Essays, Gedichte (gereimt wie ungereimt), Dramolette. Inhaltlich ist vieles dem Tag verhaftet, betrifft Ereignisse und Personen, die schon wenige Jahre später vergessen sind.

Fians Buchpublikationen umfassen meist nicht mehr als 200 Seiten. Häufig sind es Zweitverwertungen von zuvor in Zeitschriften oder Zeitungen erschienenen Texten. Rein quantitativ betrachtet, verwertet Fian seine Produktion äußerst ökonomisch. Freilich steht hinter jedem Text ein Verdichtungsvorgang. Der Witz sprudelt nicht in epischer Breite, und kleine Form darf nicht mit kleinem Inhalt gleichgesetzt werden. Noch dazu lädt das Komische nicht eben zu langen Deutungen ein, gibt also auch den Literaturkritikern wenig zu verdienen. Ernsthafte Interpretationsversuche schlagen fehl; was bestenfalls analysiert werden könnte, ist die Mechanik oder Dynamik des Komischen.

Wesentlich für Fians parodistisches Vermögen ist seine Wandlungsfähigkeit, die ihn mühelos in erzählerische oder lyrische Rollen schlüpfen lässt, die Beherrschung sämtlicher literarischer Formen. Er "kann" Rilke ebenso wie Jandl. Diese Virtuosität hat Erich Möchel in der "Wiener Zeitung" einmal so beschrieben: "Wenn Fian parodiert, tut er dem Original Furchtbares an: Er ahmt es nicht nach. Er ersetzt es."

Längst wäre es an der Zeit für einen Nachfolgeband zu Robert Neumanns Meisterparodien mit aktuellen Mustern; so etwas könnte meines Erachtens hierzulande nur Antonio Fian leisten.

Kulturpolitische Diskussionen beleben Österreich, wo im Interesse des Konsenses gerne ver- und geschwiegen wird. Antonio Fian reagiert nicht nur auf kleine und größere Lebensstörungen mit Dramoletten und Erzählungen, ab und zu erscheinen auch Artikel, in denen er offen Stellung zu Zeitproblemen bezieht; mitunter auch zu Personen. André Heller, Peter Turrini, Gerhard Roth, Gerald Grassl, Hans-Jürgen Syberberg, Ulrich Greiner, Friedensreich Hundertwasser und Botho Strauß etwa regten ihn zu sehr scharfen, oft verletzenden Polemiken an.

Was reizt Fian zur Widerrede? Empfänglich für alle großen, erhabenen Gefühle und deren Übertreibung, die bekanntlich nur einen Schritt vom Lächerlichen entfernt sind, attackiert er dort, wo die Lächerlichen sich erhaben dünken.

In seinen Essays wendet sich Fian vor allem gegen die Neuauflagen des Habsburgischen Mythos, der ja auch in den Österreich-Beschimpfungen eines Gerhard Roth oder Robert Menasse noch lebendig ist. Wenn Menasse schreibt: "Kein Land der Welt hat sich selbst öffentlich so wenig problematisiert und grundsätzlich reflektiert wie die Zweite Republik Österreich", ergänzt Fian diesen Satz so: "weder Burma noch Bulgarien, Albanien nicht und auch nicht Island."

Mit dem Beginn der Ära Peymann am Wiener Burgtheater 1986 verschärfen sich die kulturpolitischen Debatten und finden breiteres Interesse. Das Genre des Dramoletts kommt dank Thomas Bernhard in Mode, es wird von Fian aufgegriffen und in einer breitenwirksamen, ihm gemäßen Form der Kritik weiterentwickelt, "eine Fortsetzung des Essays mit boshaften Finten, mit den knappen Mitteln des Witzes". Seine Dramolette entspringen häufig Quellentexten, die collagenartig zerschnipselt und neu zusammengesetzt werden.

Seit Anfang der neunziger Jahre werden Fians Dramolette auch aufgeführt, mit großem Erfolg beim Publikum, vor anfangs noch lauen oder ratlosen Kritikern ("Die Büchermacher", 1992, "Peymann oder Der Triumph des Widerstands", 1992, "Bussi, Kant oder Der Rückfalltäter", 1994, "Ermittlungen, Ergebnisse", 1996). Fians Arbeiten für Theater und Rundfunk treten bald hinter das tagesaktuelle Dramolett zurück. Theaterproduktionen nach 2000 greifen auf die etwas längeren Dramolette der 90er Jahre zurück, kombiniert mit einer Auswahl aus den neuen Lesedramen. Das Wiener Volkstheater zeigt regelmäßig Fian-Dramolette – 2002 "Phantom Europa", 2004 "Bohrende Fragen", 2006 "Abendfüllend". Heute steht die dramatische Qualität der Dramolette außer Frage, Fian ist auch als Theaterautor etabliert.

Das Komische entsteht nicht auf Bestellung, es braucht einen Anlass, eine komische Situation. Der Witz entzündet sich am Unangemessenen und Übertriebenen, an der falschen Ideologie, am Gruppendruck einer Öffentlichkeit, oder an der Banalität eines Anthologie-Titels, zu der beigetragen werden soll. Damit verbietet sich eine parteipolitische Kategorisierung. Entweder das vorliegende Material ist lachhaft, oder nicht. Im Fall Fians ist dieses Lachhafte stets auch mit konkreten Personen, Orten, Geschehnissen verbunden, was den Leserkreis von vornherein einschränkt. Bewegt sich Fian thematisch in der "Literaturgesellschaft", sind es nur wenige Tausende, die das von ihm behandelte Material kennen und darüber lachen können.

Gefühlsstarke Lyrik

In Fians Gedichten zeigt sich seine formale Virtuosität. Im vergangenen Jahr ist (nach "Üble Inhalte in niedrigen Formen", 2000) ein neuer Gedichtband erschienen: "Fertige Gedichte" – Sonette, Laut- und Dialektgedichte (siehe dazu den nebenstehenden Kasten ). So sehr Fians Prosa von klarer, kalter, oft auch verletzender Vernunft geprägt ist, so stark und variantenreich sind die Gefühle in seinem lyrischen Schaffen. Auch hier widersetzt er sich den gängigen Vorstellungen, die vom Künstler, vom Schriftsteller einen wiedererkennbaren Stil einfordern. Fians Gedichte werden besonders von jenen geschätzt, die am Spiel mit alten und neuen Formen ihre Freude haben.

Groß ist die Gemeinde der Antonio Fian-Leser zwar (noch) nicht, doch immerhin gehören ihr so prominente Rezipienten wie Wendelin Schmidt-Dengler, Franz Schuh und Karl-Markus Gauß an. Und bekanntlich hängt der Wert von Einsichten ja nicht von ihrer Auflagenhöhe ab.

Veronika Doblhammer ist Literaturwissenschaftlerin und lebt als Lektorin in Wien.

Printausgabe vom Samstag, 25. März 2006
Update: Freitag, 24. März 2006 16:46:00

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