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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Zum 100. Geburtstag eines einflussreichen Pioniers der zeitgenössischen Kunst

Endspiel mit Samuel Beckett

Samuel Beckett.

Samuel Beckett. (© epa/dpa)

Von Alfred Pfabigan

Einer der letzten autorisierten Veröffentlichungen Samuel Becketts trägt den für Mentalität, Sprachhaltung und Witz dieses Autors charakteristischen Titel "Worstward ho". Der Sound Becketts ist nur schwer zu übersetzen, das gilt auch für den folgenden Satz: " Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better." In unautorisierter Übersetzung: "Immer wieder versucht, immer wieder gescheitert. Kein Problem. Nochmals versucht, nochmals gescheitert. Besser gescheitert."

Besser scheitern wollen

Beckett hat – persönlich oder durch seine Figuren – ähnliches unzählige Male verkündet. Ein fast fröhliches Statement, das eine realistische Mitte zwischen "Optimismus" und "Pessimismus" besetzt – und gleichzeitig eine Variante des "apollinischen" Imperativs, dass der Künstler immer besser werden müsse und daher kaum Grund zur Selbstzufriedenheit kennt. Die Kriterien, die hier angewandt werden, um "scheitern" und "besser scheitern" zu bestimmen, sind autonom – der Nobelpreis 1969 hat recht wenig mit ihnen zu tun. Ever tried . Der 1906 als Sohn eines Dubliner Bauunternehmers geborene Samuel Beckett, lange Zeit blockiert durch eine heillose Mutterbeziehung, hat tatsächlich "viel versucht". Dublin scheint von wohlwollenden Bewunderern des begabten jungen Mannes voll gewesen zu sein, und alle hatten ihre eigenen Vorstellungen von seiner Zukunft. Es war eine recht gewalttätige Geste, mit der Beckett – den der Umgang mit seinen "stinkreichen und begriffsstutzigen" Schülern langweilte – eine respektable akademische Karriere am Dubliner "Trinity College" abbrach, um in Paris zu leben, der Stadt des bewunderten James Joyce. Die Gerüchte, die Beckett zu dessen Sekretär, Freund oder gar zum Verlobten von dessen Tochter machten, sind mittlerweile dementiert: Joyce war ein Menschenfresser, ein bewunderter Mann, der durch sein Augenleiden hilfsbedürftig war und viele Menschen in seine Agenden involvierte. Freund war er keiner: " Ich war nie Sam für ihn. Ich war immer höchstens ‚Beckett‘."

Ever tried . Immerhin hat Joyce seinen Bewunderer, der mittlerweile viel begonnen und wenig vollendet hatte, zu dessen erster fertiggestellten Schrift gedrängt und auch gleich die Veröffentlichung organisiert. Der schwer zu lesende, eher akademische Text klärt ein Thema, das Joyce am Herzen lag: sein Verhältnis zu Dante, Giordano Bruno und Giambattista Vico. Doch Beckett schreibt endlich, erste Gedichte erscheinen unter dem die Dubliner Familie provozierenden Titel "Whoroscope", und Beckett beginnt den (erst postum publizierten) recht unflätigen "Traum von mehr bis minder schönen Frauen", ein komisches Buch, sprachlich stark von Joyce beeinflusst, thematisch eine verfremdete Version der eigenen Biographie. Teile des Textes finden sich im Erzählungsband "More pricks than kicks" ("Mehr Prügel als Flügel"), der ihn zu einem veröffentlichten Prosaautor macht.

Es ist ein sehr kleiner Ruhm, der sich daraufhin einstellt, und Beckett vermag ihn nicht zu genießen: schon stellen sich jene physischen Beschwerden ein, die ihn sein Leben lang plagen sollten – Furunkel am Hals, am After und den Genitalien, Herzbeschwerden, Verdauungsstörungen, Schlaflosigkeit und Depressionen. Es lag im damaligen Zeitgeist, dass man solche Beschwerden als psychosomatisch deutete – Stichwort Mutterbeziehung –, also unterzog sich Beckett einer Analyse bei Wilfred R. Bion, ist damit neben Graham Greene und Hilda Doolittle einer der ersten analysierten großen Schriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts.

Ever failed . "Die Sonne schien, da sie keine andere Wahl hatte, auf nichts Neues." Das sind die Anfangsworte von "Murphy", einem herrlich komischen Roman, dessen Titelheld mit sieben Schals an einen Schaukelstuhl festgebunden ist, der im Verlauf der Handlung noch umkippt. Joyce ist sprachlich präsent; es wird noch dauern, bis Beckett seine unverwechselbare Sprache finden wird, doch der Blick des Autors auf die Titelfigur, in der er die eigene Existenz verspottet, ist neu. "Murphy" wird 1938 publiziert, durchaus wohlwollend aufgenommen, doch die Zeitumstände waren der Veröffentlichung nicht freundlich gesinnt. Die nächsten 13 Jahre wird kein Buch von Beckett erscheinen.

Ever tried . Vielleicht kann man Dublin – und auch das Joycesche Spracherbe – nur abstreifen, wenn man die Sprache wechselt. Ab "Molloy" schreibt Beckett auf Französisch und nutzt die Chance, um "klarer" zu werden. Und er wechselt auch das Medium: Ohne jede Theatererfahrung verfasst Beckett in der erstaunlich kurzen Zeit von dreieinhalb Monaten "Warten auf Godot".

Sicher hat Beckett seine jugendliche Schopenhauer-Lektüre nie verleugnet, sicher war er ein Provokateur und liebte das Experiment, doch die Gedankenwelt des "Godot" unterscheidet sich nicht von der, die er in seinen erfolglosen Prosawerken errichtet hatte. Das Ziel des "Godot" war bescheiden: der literarisch erfolglose, materiell ungesicherte und über vierzig Jahre alte Autor wollte ein bühnentaugliches, unterhaltsames, leicht zugängliches und vor allem ohne größeren finanziellen Aufwand spielbares Stück verfassen. Das von Beckett intendierte Neue waren die massiven Anspielungen auf von ihm bewunderte ästhetische Welten: Zirkus, Klamauk, Slapstick, die Marx-Brothers, Chaplin, Stan Laurel und Oliver Hardy. (Angeblich hat Beckett mit seiner Lebensgefährtin Suzanne ähnlich absurde Dialoge geführt, wie Wladimir und Estragon.)

Skandal und Weltruhm

Ever failed . Keiner wollte das Stück. Roger Blin, der es schließlich inszeniert, meinte später, er hätte es nicht verstanden, aber es hätte ihm gefallen – das war wohl genau die Reaktion, auf die Beckett abzielte. Die Uraufführung am 5. Jänner 1953 im Théâtre de Babylone ist ein Skandal – und ein unerwarteter, großer Erfolg. Beckett ist ein gemachter Mann. Amerika ruft, eine projektierte Aufführung mit Buster Keaton als Wladimir und Marlon Brando als Estragon scheitert zwar, doch dann gelingt der Durchbruch am Broadway. Failed better ? Beckett hat den "Godot" später für misslungen gehalten, hat sogar das Stück, auf dem sein Weltrum basiert, " gehasst " – in jedem Fall hat er sich geärgert, dass diese Gelegenheitsarbeit seine aufwändige Prosa überschattete. Es überrascht, in welchem Ausmaß "Godot" und später das "Endspiel" als Projektionsfläche für die zeittypischen Ängste des Jahrhunderts dienten.

Das allgemeine Credo lautete: Diese beiden Theaterstücke bergen ein Geheimnis, man muss es Beckett, der das heftigst leugnete, entreißen, dann wird man mehr über unsere Gesellschaft wissen. Die beiden Theaterstücke machten Beckett neben Kafka zu einem der meistinterpretierten Autoren des Jahrhunderts.

Ever failed . Entschlüsselungen Becketts waren häufig identisch mit den Überzeugungen ihrer Autoren. Günther Anders war wohl der Erste, der "Godot" (der Name, so meinte er, verberge das englische Wort für Gott) schon 1954 als Kronzeugen für tragende Ideen seiner "Antiquiertheit des Menschen" gebrauchte. Dass man Lucky und Pozzo unter die Hegelsche "Herr-Knecht-Dialektik" subsumieren kann, liegt auf der Hand. Bei Anders wird die "Gemeinheit und Misere, die in der philosophischen Formel ‚Herr und Knecht‘ nicht penetrant genug gewesen war, (bei Beckett) in ihrer ganzen Nacktheit" angeprangert. Nachdem Georg Lukács in seinen Tiraden "Wider den missverstandenen Realismus" Beckett vorgeworfen hatte, dieser hätte die Menschen auf ihre Tierheit reduziert, gehörte die sozusagen revisionistische Beckett-Lektüre zum guten Ton der marxistischen Dissidenz. Der arme Beckett wurde so in gewisser Weise zu einem Profiteur des intellektuellen "Kalten Krieges" – dass sein Tod zeitlich mit dem Ende des Sowjetkommunismus zusammenfällt, ist ein schöner Zufall.

In jedem Fall: Beckett, die Filme Ingmar Bergmans, Piet Mondrian und Jackson Pollock, der "Cool Jazz" und Bauhaus-Möbel – das war für die westliche Intelligenz ein aus heutiger Sicht in seiner Kohärenz fragwürdiges Ensemble.

Mit dem "Endspiel" wurde es noch schlimmer. 1958 sah Theodor W. Adorno das Stück in Wien – und war begeistert. In der unvollendeten "Ästhetischen Theorie", die Beckett gewidmet sein sollte, schrieb er: "Die Werke, vollends die oberster Dignität, warten auf ihre Interpretation." Und so entstand sein "Versuch das Endspiel zu verstehen". Becketts Verdienst sei es, so Adorno, die Verblendungshaltung, dass die geschichtliche Unausbleiblichkeit der Absurdität sie ontologisch erscheinen lasse, bloßgestellt zu haben: "Der immanente Widerspruch des Absurden, der U nsinn , in dem Vernunft terminiert, öffnet empathisch die Möglichkeit eines Wahren, das nicht einmal gedacht werden kann." Wie sagt doch Clov im "Endspiel": "Bedeuten? Wir etwas bedeuten? (Kurzes Lachen) Das ist aber gut."

Misserfolgreich sein

Man kann daran zweifeln, dass sich Beckett als Mitglied der heute noch recht munteren bürgerlichen Gesellschaft in ihrer Spätphase definiert hat. Die Rollen, die Marxisten (und Christen) ihm zugewiesen haben, hat er jedenfalls konsequent ignoriert. Failed better ? Im Nobelpreiskomitee wurde lange diskutiert, ob Beckett je wieder die Tiefe und Form des "Godot" erreicht habe. Aber auch ein Weltruhm, der auf falschen Voraussetzungen basiert und die Hauptwerke ignoriert, ist ein Weltruhm, selbst wenn sein Träger dem folgenden Credo verpflichtet ist: "Mich interessieren keine Erfolgsgeschichten, sondern nur Misserfolge." Beckett hat sein Preisgeld verschenkt, aber ansonsten die Vorteile des Preises klug genützt: Beckett ist Beckett und wird deswegen aufgeführt, auch wenn seine formalen Provokationen immer intensiver werden. In seinen letzten Arbeitsjahren experimentiert er unentwegt mit neuen Formen, am Theater positioniert er sich "am Rande des Möglichen" , er reduziert und abstrahiert, was ihm den Vorwurf Arno Schmidts, er arbeite " leicht " und " billig ", einträgt. Im Grunde ist Becketts Spätwerk bis heute nicht ausgeschöpft, doch eines ist sichtbar: der konventionelle Begriff von "Verstehen" ist hier definitiv zertrümmert. Das macht ihn zu einem der einflussreichsten Pioniere der zeitgenössischen Kunst – und zwar nicht nur auf dem Feld der Literatur.

Alfred Pfabigan , geb. 1947, ist Professor für Philosophie an der Universität Wien.

Printausgabe vom Samstag, 15. April 2006
Update: Freitag, 14. April 2006 17:31:00

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