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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Das uneingelöste Versprechen des Wolfgang Koeppen

Das lange Warten auf den Roman

Von Oliver Bentz

Ich wurde eine Romanfigur. Wolfgang Koeppen 1906-1996 , ist eine umfangreiche Ausstellung betitelt, die zurzeit im Münchner Kulturzentrum Gasteig gezeigt wird. Zu den zentralen Exponaten der Schau gehören die sechs unterschiedlichen Schreibmaschinen sowie ein früher Computer, die dem Autor als Arbeitswerkzeuge dienten. An verschiedenen Wohn- und Arbeitsorten tippte er oft parallel auf ihnen seine Texte, rang nach Sätzen für seine literarischen Werke. Doch kam er nach seinen drei großen Romanen "Tauben im Gras", "Das Treibhaus" und "Der Tod in Rom" als Romancier nicht mehr über Bruchstücke hinaus: Dutzende Romane hat er begonnen, keinen vollendet.

Die Geschichte des Autors Wolfgang Koeppen ist unter anderem auch die Geschichte eines Schriftstellers der uneingelösten Hoffnungen und Versprechen. Von 1961 an unterstützte ihn sein Verleger Siegfried Unseld, zahlte im Lauf der Jahre hunderttausende von Mark an seinen Autor und wartete sehnsüchtig auf Koeppens nächsten großen Roman – der nie erscheinen sollte. Das Drama mit tragikomischen Zügen, das sich zwischen dem Verleger und seinem Autor während vier Jahrzehnten abspielte, dokumentiert auch der Briefwechsel von 482 Briefen, Telegrammen und Postkarten, den Koeppen und Unseld führten und der jetzt unter dem Titel "Ich bitte um ein Wort" im Suhrkamp Verlag erschienen ist.

Es ist der Stoff für einen Roman, den dieser Briefwechsel enthält: Er erzählt nämlich von einem Verleger, der mit allen Mitteln, Tricks und Kniffen versucht, einen erwarteten großen Roman aus seinem bewunderten Autor herauszukitzeln – und von einem Autor, der das Erwartete nicht liefern kann, dem es aber immer wieder gelingt, seinen Verleger zu vertrösten und hinzuhalten.

"Wir nähern uns mit dieser Zahlung nun dem achtzigsten Tausend, das ist ein Betrag, wie er sicher in dieser Höhe noch nie einem Autor vorgeschossen wurde. Ob wir die Zahlungen nun fortsetzen können, hängt nun doch sehr von der Tatsache ab, ob wir wirklich am 15. April einen Blick in das Manuskript tun können, das werden Sie sicherlich verstehen", schrieb Siegfried Unseld am 17. März 1964 an Koeppen. Mahnende Worte des Verlegers, der den Autor wieder einmal drängte, für seinen Honorarvorschuss eine Gegenleistung zu erbringen. Doch wieder sollte es vergebens sein, denn ein viertel Jahr später teilte ihm Koeppen mit, dass es " doch leider so gekommen (ist), dass ich in große Verzweiflung fiel, alles für misslungen hielt und zur Strafe von entsetzlichen Kopfschmerzen heimgesucht wurde" . Briefe dieser Art sollten die beiden noch viele wechseln.

Was aber hinderte den Schriftsteller, der sein erzählerisches Talent schon glanzvoll bewiesen hatte, am Verfassen weiterer großer Prosawerke? Hatte er einfach sein Pulver verschossen? Gab es eine Schreibhemmung, die er nicht mehr überwinden konnte? War Koeppen am Ende gar ein raffinierter Abzocker, der den ihm in Bewunderung zugetanen Verleger zum Narren hielt? Oder war es der Kummer über die Alkoholsucht seiner 22 Jahre jüngeren, innig geliebten Frau Marion, der ihn am Schreiben hinderte? Für alle Möglichkeiten gibt es im Briefwechsel Anhaltspunkte – und für alles Gegenargumente.

"Es ging nicht, es ging nicht, es ging nicht, der Termin ist wieder nichts geworden, das letzte Vertrauen verspielt, die Bedrückung ist furchtbar, und dennoch weiß ich Bücher und neues Leben in mir", teilt Koeppen beispielsweise Unseld im August 1967 mit, als er das versprochene Manuskript wieder einmal nicht liefern kann. "Es war gut bis zum 6. Juli. Ich kam voran. Es schien alles gut zu sein. Dann wurde ich wieder aufgerissen. Exzesse, Alkohol, Tabletten, Wahnsinn, Depression, Kämpfe, Zerstörung, Flucht, Suchen, durchwachte Nächte und Tage. Ich beschäftige drei Ärzte, die so hilflos sind wie ich."

Vielleicht, so hoffte der Verleger einmal, konnte bei solch bedrückenden Verhältnissen ein Ortswechsel helfen. So richtete er im April 1970 an Koeppen die "dringliche Aufforderung" : "Kommen Sie nach Frankfurt! Ich bin sicher, dass Sie nur hier Ihr Manuskript zu Ende schreiben können." Doch wieder wand sich der Autor so lange, bis Unseld diesen Plan fallen ließ. "Bitte schreiben Sie, Schreiben, Schreiben!" , setzte er im Mai schier verzweifelt unter seinen Brief. Und wenn sich der Verleger in München wieder einmal zum Besuch anmeldete, wusste Koeppen genau, worüber er nicht reden wollte: "Und, bitte, sprechen Sie mit mir über alles, nur nicht über den Roman. Ich brauche noch zwei bis drei Wochen und bin halbtot vor Nervosität und Angst und ohne Schlaf."

Unseld schilderte später, dass er noch bis in die siebziger Jahre an den "großen Roman" glaubte. 1974 druckte der Verlag gar die Ankündigung des "neuen Koeppen" in die Verlagsvorschau. Beim traditionellen Buchmessenempfang bei Unseld las Koeppen aus dem Manuskript, nannte dann in Briefen immer wieder andere Titel für das große Werk, das nie erscheinen sollte.

Dennoch führte das beharrliche, behutsame Drängen Unselds noch zu einem Erfolg: 1976 legte Wolfgang Koeppen mit dem bemerkenswerten Fragment "Jugend" den 500. Band der "Bibliothek Suhrkamp" vor – 146 Seiten, die er aus 1300 Manuskriptblättern zusammengebaut hatte. Dem Verleger aber war klar, dass mit dem sehnlichst erwarteten "großen" Manuskript nicht mehr zu rechnen war. Dennoch ging das so gut geübte Spiel von Bitte und Vertröstung weiter – fast bis zu Koeppens Tod im März 1996. Und Unseld zahlte auch weiter monatlich an Koeppen, so dass dessen Verlagskonto am Ende ein Minus von über 300.000 Mark aufwies.

"Lieber Siegfried" , schrieb der an Parkinson leidende Koeppen, der mittlerweile im Pflegeheim lebte, im August 1995 an Unseld (seit 1972 war man beim "du"), "ich werde dieses Buch und andere Bücher fertig schreiben. Lass mich das schreiben, störe mich nicht." Es war Koeppens letzter Brief.

"Ich wurde eine Romanfigur. Wolfgang Koeppen 1906-1996". Ausstellung im Münchner Kulturzentrum Gasteig bis 25. Juni 2006.

Literatur: Hiltrud und Günter Häntzschel: "Ich wurde eine Romanfigur. Wolfgang Koeppen 1906-1996". Begleitbuch zur Münchner Ausstellung. Suhrkamp Verlag, 176 Seiten.

"Ich bitte um ein Wort". Der Briefwechsel zwischen Wolfgang Koeppen und Siegfried Unseld. Herausgegeben von Alfred Estermann und Wolfgang Schopf. Suhrkamp Verlag, 482 Seiten.

Oliver Bentz , geboren 1969, lebt als Kulturpublizist und Germanist in Speyer.

Printausgabe vom Samstag, 17. Juni 2006
Update: Freitag, 16. Juni 2006 16:52:00

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