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Grillparzer und der Zensurhofrat

Von Walter Klier

Aufzählung erlesen

Franz Grillparzer: Wenig aufgeführt und kaum gelesen, west dieses Monument aus dem 19. Jahrhundert in unserem literarischen Bewusstsein; dunkel erinnert man sich vielleicht der Zeilen aus "König Ottokars Glück und Ende", wo es heißt: "Es ist ein gutes Land, wohl wert, dass sich ein Fürst sein unterwinde . . ." , Zumindest die Älteren unter uns werden das in der Schule noch gelesen haben.

Das allgemeine Desinteresse ist bedauerlich, und sei es nur wegen eines Textes mit dem Titel "Selbstbiographie". Die 1846 gegründete Akademie der Wissenschaften hatte Grillparzer, der ihr angehörte, bereits zum dritten Mal aufgefordert, ihr seine "Lebensumstände behufs eines Almanachs mitzuteilen" . Da machte er sich denn im Jahre 1853 daran, mit 62 also, mürrisch und jammrig wie nur je, und schrieb sein Leben auf bis zum Jahr 1836, dort brach er die Arbeit ab und nahm sie nicht mehr auf. 1872, also noch zu Lebzeiten, zum ersten Mal gedruckt, wurde sie jedenfalls von Späteren wie Kafka und Musil hoch gelobt, und ist immerhin vor etlichen Jahren bei Residenz in einer Ausgabe erschienen, deren zweifelhafte Besonderheit in der Beibehaltung der originalen Orthographie besteht, was ihre Wirkung beim heutigen Publikum gewiss nicht erhöht hat. ( F. Grillparzer: "Selbstbiographie". Hrsg. und mit einem Nachwort von Arno Dusini. Residenz, 1994, Reihe "Eine österreichische Bibliothek". Antiquarisch in dieser und einigen anderen Ausgaben leicht erhältlich. )

Von einer Wirkung beim Publikum ist zumindest mir nichts bekannt geworden. Das ist nochmals schade – welch Vergnügen, dieses halb geglückte und dann doch mehr und mehr misslingende Dichterleben im Vormärz erzählt zu bekommen, in jenem "Polizeistaat mit Brutwärme" , wie Heinz Politzer in seinem lesenswerten Grillparzer-Buch das Metternichsche System charakterisiert! Allein die notgedrungen wiederkehrenden Begegnungen des Meisters mit der Zensur sind Perlen für sich. So verhindert beim "Ottokar" zunächst Polizeichef Sedlnitzky die Aufführung, wegen "des Kontrastes, in welchem die Österreicher gegenüber denen überall mit den ungünstigsten Farben geschilderten Böhmen" dargestellt seien. Dann ist der Kaiserin langweilig, sie begehrt noch unaufgeführte Stücke zu lesen, bekommt aus der Zensurstelle den "Ottokar", das Stück gefällt ihr und darf nun auch gespielt werden.

Einige Jahre später kam Grillparzer im "Hietzinger Gesellschaftswagen", dem damaligen öffentlichen Verkehrsmittel, ne ben einem Hofrat der Zensurstelle zu sitzen, der "mir bis auf diesen Augenblick immer zugetan geblieben ist. Er begann das Gespräch mit der damals in Wien stereotypen Frage: warum ich denn gar so wenig schriebe? Ich erwiderte ihm: er als Beamter der Zensur müsse den Grund wohl am besten wissen. Ja, versetzte er, so seid Ihr Herren! Ihr denkt euch immer die Zensur als gegen euch verschworen. Als Ihr Ottokar zwei Jahre liegen blieb, glaubten Sie wahrscheinlich, ein erbitterter Feind verhindere die Aufführung. Wissen Sie, wer es zurückgehalten hat? Ich, der ich, weiß Gott, Ihr Feind nicht bin. Aber, Herr Hofrat, versetzte ich, was haben Sie denn an dem Stücke Gefährliches gefunden? Gar nichts, sagte er, aber ich dachte mir: man kann doch nicht wissen . . .!"

Der "treue Diener seines Herrn" hingegen gefiel dem Kaiser so gut, dass er "alleiniger Besitzer desselben zu sein" wünschte. Gegen ein ordentliches Entgelt sollten das Manuskript und alle Kopien abgeliefert, und "das Ganze in der Privatbibliothek des Kaisers aufgestellt" werden, "weil es ihm gar so gut gefallen habe" . Weil wir aber in Österreich sind, ging die Geschichte noch einmal anders aus, nämlich gar nicht. Grillparzer legte dar, er sei ja gar nicht mehr Herr seines Stückes, das schon mehrfach abgeschrieben worden sei und in Wien kursiere, die Sache wurde zu den Akten genommen und versandete. Diese Zensur-Geschichten sind so traurig und lustig wie das ganze Buch, und deshalb sollte man es lesen – vielleicht sogar in der Schule . . .

Walter Klier , geb. 1955, lebt als Schriftsteller in Innsbruck.

Printausgabe vom Samstag, 22. Juli 2006
Update: Freitag, 21. Juli 2006 17:03:00

Lexikon



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