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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Eine umfangreiche Ausstellung würdigt den Autor, der erst nach seinem Tod als bedeutender Prosaist anerkannt worden ist.

Robert Walser: Große Literatur aus der Mansarde

Der hoffnungsvolle Poet 1907 in Berlin.  Foto: © Robert-Walser-Archiv, Zürich.

Der hoffnungsvolle Poet 1907 in Berlin. Foto: © Robert-Walser-Archiv, Zürich.

Von Oliver Bentz

Aufz„hlung Vor fünfzig Jahren starb Robert Walser.

Robert Walser (1878 bis 1956) war zu seinen Lebzeiten ein weitgehend verkannter und erfolgloser Schriftstelller. Erst nach seinem Tod wurde er (nach langer Vergessenheit) wieder entdeckt und ab Mitte der 1960er Jahre zum Aushängeschild der schweizerischen Literatur erklärt. Heute zählt sein Werk zur Weltliteratur und ist in mehr als zwei Dutzend Sprachen übersetzt – aber noch immer ist Robert Walser eigentlich ein Autor für Eingeweihte.

Anlässlich seines fünfzigsten Todestages erinnert eine umfangreiche internationale Ausstellung, die zur Zeit in der Prager Nationalbibliothek Station macht, an diesen großen Autor und seine verspielten, lieblich verträumten Werke, hinter denen sich freilich die genaue Kenntnis der Abgründe des Lebens und tiefer Pessimismus verbergen.

Walsers kleiner Kosmos

Die aufwändig und schön eingerichtete, von Bernhard Echte, dem Leiter des Robert Walser-Archivs in Zürich, konzipierte Schau ist in zwei Strängen angelegt: Der erste führt den Besucher anhand von Wandtafeln und Vitrinen mit Dokumenten chronologisch durch Walsers Leben. Der zweite besteht aus fünf Räumen, in denen die Ausstellungsmacher Lebensorte inszenieren, die für Walser und sein literarisches Schaffen äußerst bedeutsam waren. In den fünf Kammern wird der Kosmos dieses eigenwilligen und zerbrechlichen Autors eindringlich greif- und verstehbar gemacht.

Da ist einmal die Welt des Büros. Der im schweizerischen Biel als Sohn eines Kaufmanns und Buchbinders als siebentes von acht Kindern geborene und zweisprachig aufgewachsene Robert Walser arbeitete bis zu seinem 27. Lebensjahr als Banken-"Commis" und Bürodiener. So ist es nicht verwunderlich, dass er die Angestelltenwelt, den Alltag in den Schreibstuben, als einer der ersten Schriftsteller als Topos in die Literatur einführte und in seinen Werken immer wieder aufgriff.

Im stark autobiographisch gefärbten Roman "Der Gehülfe" (1908) beschreibt Walser das Leben eines mittellosen Büroangestellten, der bei einem erfolglosen, größenwahnsinnigen Erfinder in einer schweizerischen Kleinstadt in Stellung ist. Der "Gehülfe" Joseph Marti, der den Dienst beim Ingenieur Tobler antritt, ist als Typus des neuen Angestellten ein Vertreter jener aufstrebenden Schicht, die sich in der Gesellschaft erst zurechtfinden und sich einen Platz in ihr erkämpfen muss. Er ist ein Zerrissener – auf der einen Seite seinem Dienstherrn treu wie der Knappe dem Ritter, andererseits aber schon dabei, sich zu emanzipieren, selbstbewusst aufzutreten und am Sozialismus zu schnuppern. In diesem Roman über ein Büroschicksal im frühen 20. Jahrhundert, dessen Titel archaisierend daherkommt, zeigt Walser in der Form eines anheimelnden Schweizer Märchens vorausschauend die Verfasstheit dieser neuen Gesellschaftsschicht auf, die bald in den Mittelpunkt des europäischen Metropolenrelebens rücken sollte.

Enge Mansarden waren es, in denen Robert Walsers Romane und kunstvollen Feuilletons entstanden. Lange Zeit lebte er als "möblierter Herr" in häufig wechselnden Dachstuben. Seine Habe passte in eine kleine Truhe. Einblick in diese enge, oft einsame Privatsphäre – in die Einsamkeitskerker, in denen Walser schrieb – gibt der zweite Themenraum der Schau. Er ist liebevoll eingerichtet, bis hin zum rostigen Nagel, der als Schirmaufhänger in die Wand geschlagen wurde und den Walser einmal als Symbol der sinnlosen Existenz beschrieb.

Es ist bemerkenswert, mit wie viel Witz Walser, der sich gesellschaftlichen und sozialen Bindungen immer zu entziehen suchte und von einem unbändigen Freiheitswillen getrieben war, diese kärgliche Welt schilderte: "Weil mein Zimmer bloß so ein Zimmerchen war, bohrte ich ein Loch in die Wand, damit gewissermaßen etwas wie eine Erweiterung des Horizontes zustande käme. Im Nebenzimmer wohnten nämlich Mädchen." Wie Walser haben auch die Helden seiner Romane meist nichts zu verlieren, weil sie besitzlos sind. Sie verfügen aber über die Freiheit, mit ihrer Existenz zu experimentieren, von Stadt zu Stadt, und von Stellung zu Stellung zu vagabundieren, wie es auch Walser tat, der wohl nur die Literatur ernst nahm und nicht selten feste Anstellungen verschmähte, um schreiben zu können.

Liebe zum Theater

Im dritten Themenraum der Ausstellung ist eine Bühne aufgebaut. Es ist die Szenerie, die Robert Walsers Bruder Karl 1905 für die Eröffnungsvorstellung des Deutschen Theaters in Berlin schuf. Max Reinhadt inszenierte Kleists "Käthchen von Heilbronn". Das Theater war auch Robert Walsers große Passion. Als junger Mann wollte er Schauspieler werden, nahm auch Schauspielunterricht, gab aber diesen Plan nach einer Begegnung mit dem berühmten Mimen Josef Kainz wieder auf. Dennoch blieb das Theater ein Faszinosum für ihn – vor allem während seiner Berliner Zeit in den Jahren nach der Jahrhundertwende, in der sich der ärmliche Flaneur in der Literaturmetropole zu etablieren versuchte, die Stadt durchstreifte und kleine, wunderbar poetische Prosastücke und impressionistische Miniaturen aus dem Alltagsleben schrieb. Sein als Maler und Bühnenbildner erfolgreicher Bruder führte ihn in die Künstler- und Literatenkreise der deutschen Hauptstadt ein, wo er unter anderem mit Max Liebermann, Max Slevogt und Gerhart Hauptmann freundschaftlich verkehrte. Trotz der Unterstützung durch die Verleger Bruno Cassirer und Samuel Fischer und der Anerkennung, die er mit seinen drei kurz hintereinander erschienenen Romanen "Geschwister Tanner" (1907), "Der Gehülfe" (1908) und "Jakob von Gunten" (1909) bei Kennern und Schriftstellerkollegen wie Franz Kafka, Robert Musil oder Walter Benjamin errang, blieb ihm der große literarische Durchbruch damals versagt.

Walser schrieb, wie er später meinte, zu persönlich, zu eigenwillig. Er wollte keine der Schreibmanieren übernehmen, die gerade en vogue waren. Es ist kein Wunder, dass er als seine Verwandten im Geiste Jakob Michael Reinhold Lenz, Heinrich von Kleist und Nikolaus Lenau ansah: eigenwillige Außenseiter, die aber alle mit einem Hang zur Schwermut ausgestattet waren.

Im Gefühl, gescheitert zu sein, verließ Robert Walser 1913 Berlin und kehrte in seine Heimatstadt Biel zurück. Hier widmete er sich vor allem der kleinen Form und schrieb meisterhaft formulierte Feuilletons und Betrachtungen – "Prosastückli" , die er verstreut in Zeitungen in Berlin, Prag und Zürich veröffentlichte.

Am Ende der Schau erreicht der Besucher einen Raum, den er nicht betreten darf. Beim Blick hinein sieht er das Interieur einer psychiatrischen Klinik. Es ist der Ort, an dem Robert Walser die letzten 27 Jahre seines Lebens verbrachte. Während einer persönlichen Krise – er hatte Angstzustände, halluzinierte und hörte Stimmen – ließ er sich 1929 freiwillig in die Heilanstalt Waldau bei Bern einweisen, aus der er 1933, wohl aus Kostengründen, gegen seinen Willen in die Anstalt Herisau verlegt wurde. Hier hörte er mit dem Schreiben auf und zog sich im Laufe der Jahre immer weiter in seine Innenwelt zurück. Tag für Tag klebte er Papiertüten, drehte Schnüre und sortierte Hülsenfrüchte.

Für Walsers literarische Produktion steht als wichtigster Ort der Ausstellung eine Art "Schatztresor", in dem die von Walser zu Lebzeiten in Schuhschachteln aufbewahrten kunstvollen Manuskripte seiner Werke ebenso präsentiert werden wie die sogenannten "Mikrogramme". Das sind einzigartige Manuskripte in winzigster Sütterlinschrift, die Walser noch in der Anstalt Waldau verfasste und die lange als "Geheimschrift" und als unentzifferbar galten, ehe sie fleißige Literaturwissenschafter in jahrelanger akribischer Arbeit für die Nachwelt entzifferten.

Der Spaziergänger

Robert Walser war ein leidenschaftlicher Spaziergänger, der von sich behauptete: "Ohne Spazieren wäre ich tot." So verläuft auch der Ausstellungsparcours zwischen aufgestellten Bäumen, von denen schon viele Blätter gefallen sind, auf denen sich Zitate aus Walsers Werk finden. "Ich liebe die Sterne, und der Mond ist mein heimlicher Freund" , schrieb er im "Brief eines Dichters", "über mir ist der Himmel. Solange ich lebe, werde ich nie verlernen, zu ihm hinaufzuschauen. Ich stehe auf der Erde: Dies ist mein Standpunkt. Die Stunden scherzen mit mir, und ich scherze mit ihnen. Ich vermag mir keine köstlichere Unterhaltung zu denken. Tag und Nacht sind meine Gesellschaft. Ich stehe auf vertrautem Fuß mit dem Abend und mit dem Morgen."

Als fast vergessener Psychiatriepatient starb Robert Walser am ersten Weihnachtstag des Jahres 1956 während eines einsamen Schneespaziergangs an Herzschlag. Kinder fanden ihn im Schnee liegend. Die Fotos, die den toten Autor in einem Schneefeld wie in einem Bett ruhend zeigen, gehören zu den eindrücklichsten Zeugnissen der Autorenfotografie. Auf fast unheimliche Weise erinnert dieses Ende des Dichters an Motive aus seinem literarischen Werk, in dem ähnliche Todesarten mehrmals geschildert wurden.

Die Ausstellung "Robert Walser 1878 – 1956" ist noch bis zum 7. Jänner 2007 in der Prager Nationalbibliothek zu sehen und wird anschließend vom 27. Jänner bis 25. Februar 2007 im Zentrum Paul Klee in Bern gezeigt werden.

Oliver Bentz, geboren 1969, lebt als Germanist, Kulturpublizist und Redakteur im Medizinbereich in Speyer.

Neuerscheinungen zu Robert Walsers 50. Todestag

Im Zürcher Diogenes Verlag gab Jürg Amann den Band "Robert Walser. Eine literarische Biographie in Texten und Bildern" heraus, eine schöne poetisch-literarische Annäherung mit vielen Zitaten aus Walsers Werk und beeindruckenden Bilddokumenten.

Den unakademischen Kunstkritiker Robert Walser zeigt das bibliophile, im Frankfurter Insel-Verlag erschienene Bändchen "Robert Walser – Vor Bildern". Auf 177 Seiten sind hier jene Feuilletons, spielerischen Glossen, Essays und Gedichte versammelt, die Walser in seiner Berliner Zeit über Ausstellungen von Malern wie Tizian, Rembrandt, van Gogh oder Cézanne geschrieben hat. Neben Walsers vielfältigen literarischen Kunstbetrachtungen Walsers gibt dieses illustrierte Buch einen interessanten Einblick in das Berliner Kunstleben zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Das pulsierende Leben Berlins außerhalb der Kunstsalons zeigt Walser hingegen im Insel-Taschenbuch "Berlin gibt immer den Ton an", in dem die feuilletonistischen Großstadtimpressionen versammelt sind, die der Flaneur Walser bei seinen Erkundungsgängen durch die deutsche Hauptstadt aufschnappte.

Eine kleine bibliophile Kostbarkeit ist schließlich das im Appenzeller Verlag erschienene Buch "Robert Walsers ‚Wilde Jahre‘". Darin illustriert der Maler und Zeichner Joa Gugger frühe Texte Walsers mit etwa 100 Tuschezeichnungen. Diese können so ungestüm daherkommen wie manche von Walsers Charakteren – oder aber mit so zartem, liebevollem Strich gezeichnet sein wie Walsers literarische Landschaftsschilderungen. Mit seinen 96 Seiten ist dieser Band ein schönes Brevier für Walser-Liebhaber und Freunde exquisiter Buchkunst. O. B.

Printausgabe vom Samstag, 23. Dezember 2006
Update: Donnerstag, 28. Dezember 2006 13:33:00

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