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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Eich, Günter: Der unromantische Lyriker

Von Markus Bundi

AufzŠhlung Vor hundert Jahren wurde Günter Eich geboren, der die deutschsprachige Nachkriegsliteratur entscheidend prägte. Von den Brüchen seiner Biografie wusste er stets abzulenken.

Keine Frage, Günter

Eich beeinflusste wie nur wenige die deutschsprachige Lyrik der Nachkriegszeit, und bis Mitte der 1950er Jahre galt er im Bereich Hörspiel als das Nonplusultra; man sprach vom "Eich-Maß", an dem sich jede Produktion zu messen hatte. Als "paradigmatisch" für die sogenannte Kahlschlagbzw. Trümmerliteratur werden noch heute Gedichte wie "Inventur" oder "Latrine" genannt, die Eich während der amerikanischen Gefangenschaft verfasste und später im Band "Abgelegene Gehöfte" (1948) veröffentlichte. Zu den wichtigsten Auszeichnungen Eichs zählten – folgerichtig – der Hörspielpreis der Kriegsblinden im Jahr 1953 sowie der Büchner-Preis sechs Jahre später.

Bis heute in Erinnerung geblieben sind die Zeilen: "Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt." Sie stammen ursprünglich aus dem Hörspiel "Träumen" von 1951, doch baute Eich die Zeilen auch in spätere Reden ein, zum Beispiel beim Ostermarsch 1968 in Ulm. Und Jahre nach seinem Tod im Jahr 1972 tauchten die Zeilen während der "Häuserkämpfe" in Berlin und Frankfurt Ende der 70er Jahre wieder auf einer Postkarte auf, die einen Steine werfenden Demonstranten zeigte, der einem Heer von Polizisten gegenübersteht.

Werk oder Biografie?

Rechtzeitig zum 100. Geburtstag des Dichters hat nun der Suhrkamp Verlag, der über die Rechte an fast allen zu Lebzeiten Eichs veröffentlichten Texten verfügt, sämtliche Gedichte neu herausgegeben. Dazu gibt es auch eine neue Ausgabe der "Maulwürfe" von 1968 – erstmals mit Illustrationen von Florian Ruhig. Zwei neue Bücher, das ist schön, könnte man meinen. Man könnte aber auch fragen: Ist das nicht schön wenig? Wäre es nicht an der Zeit für eine ausführliche Biografie jenes Schriftstellers, der einst das poetische Hörspiel begründet hat? Schärfte nicht eben dieser Eich den Blick für die konkreten (Alltags-)Dinge und gab somit der kommenden lyrischen Generation eine Perspektive, ganz ohne Pathos, frei von jeder falschen Idylle?

Schlägt man beispielsweise in Joachim Kaisers vor wenigen Jahren bei Harenberg erschienenem "Buch der 1000 Bücher" nach, so stellt man fest, dass Eich zwar keinen Eingang in das Kaiserliche Tausend fand, aber dennoch als einstiger Kollege der Gruppe 47 erwähnt wird, nämlich in einem Kästchen zu Hermann Kasacks Roman "Die Stadt hinter dem Strom". Der Text trägt den Titel "Deutsche Nachkriegsliteratur" und kreist um drei Autorengruppen, bzw. um die Begriffe "Emigrantenliteratur", "innere Emigration" und "junge Generation". Günter Eich wird – trotz seines Geburtsjahrgangs 1907 – der jungen Generation und damit der oft beschworenen literarischen "Stunde Null" zugeschlagen: "Abgrenzung vom Denken und Handeln der Vätergeneration bestimmte das Schreiben dieser Autoren", schreibt Joachim Kaiser dazu – wider besseres Wissen.

Eichs erste Karriere

Spätestens nachdem Axel Vieregg 1993 in der Edition Isele den Essay "Der eigenen Fehlbarkeit begegnet. Günter Eichs Realitäten 1933 – 1945" veröffentlicht hatte und damit eine Feuilleton-Debatte auslöste, die auch noch im Folgejahr anhielt, war klar, dass nach dem Krieg nicht Eichs erste, sondern seine zweite Karriere begonnen hatte. Und entgegen früherer Vermutungen war die erste Karriere weder eine zufällige noch eine unbedeutende. Die lange kolportierte Einschätzung, Eich hätte in jenen Jahren lediglich einige wenige harmlose Hörspiele verfasst und sich so einen bescheidenen Broterwerb gesichert, erwies sich – bei allem Wohlwollen muss es gesagt werden – als eindeutig falsch. Eich schrieb in dieser Zeit um die 150 Beiträge für den Deutschlandsender, darunter mindestens 35 Arbeiten für die bekannte Funkreihe "Deutscher Kalender. Monatsbilder vom Königswusterhäuser Landboten". Und er wusste, was er tat: Die Hörspiele folgten klaren inhaltlichen Direktiven von Ottoheinz Jahn, dem damaligen Dramaturgen beim Deutschlandsender, der sich seinerseits an den Vorgaben von Joseph Goebels‘ Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda orientierte. In Stichworten: Volksgemeinschaft, Idylle, Blut und Boden.

Eich selbst agierte keineswegs naiv, sondern hinterfragte seine Rolle zum Beispiel im Hörspiel "Radium" (1937): Aus finanzieller Notwendigkeit dient sich ein Dichter der Großindustrie an, verfasst contre coeur Werbetexte, bis er – von sich selbst angewidert – in den Urwald flieht. Jener Dichter, Chabanais genannt (frz. für Bordell), der sich prostituiert, ist seinem Schöpfer ein naher Verwandter, der wiederum nichts anderes tat, als für ein verbrecherisches Regime Werbetexte zu verfassen. Allerdings mit einem Unterschied: In der Realität fand Eich keinen Urwald.

Wohl nicht ganz zufällig tauchte nach Viereggs Essay auch das verschollen geglaubte Hörspiel "Rebellion in der Goldstadt" von 1940 wieder auf und erwies sich, vom NDR Ende 1993 wieder gesendet, als das einst von Eich zum Thema "Englische Politik am Pranger" verfasste Propaganda-Werk, was Vieregg und andere aufgrund der erhaltenen Inhaltsangabe bereits vermutet hatten.

Was im Rückblick auf die Debatte in den 90er Jahren besonders ins Auge sticht, ist die Vielzahl irrationaler Versuche, Eichs Ruf auf irgendeine Weise dennoch zu retten – als wolle man an der Entscheidung von einst, Eich mit Andersch, Enzensberger, Grass, Walser und andern zur "jungen Generation" zu rechnen (und folglich zu denen, die – warum eigentlich? - von vornherein unverdächtig waren), nichts mehr ändern. Rückblickend erstaunt allein schon die Tatsache, dass Eich, der dank des beliebten "Landboten" schon 1945 einen Namen hatte, so schnell wieder beim Rundfunk und zugleich in der Gruppe 47 unterkommen konnte. Waren denn auf einen Schlag alle verschwunden, die von Eichs Vergangenheit wussten? Und: Sind denn jetzt all jene verschwunden, die in den Jahren 1993 und 94 die Debatte um Eich verfolgten oder gar aktiv mitgestalteten?

Sucht man im Internet nach einer aktuellen Biografie zu Eich, so trifft man vornehmlich – nach wie vor (!) – auf die "unbefleckte" Version; auf eine, wie sie sich eben auch in Kaisers "Buch der 1000 Bücher" findet. Auch Ulrich Greiner, ein fraglos ausgewiesener Literaturkenner, spielte vergangenen Sommer in einem langen Artikel Eich gegen Grass aus, indem er Eich mit den Sätzen zitierte: "Ich habe dem Nationalsozialismus keinen aktiven Widerstand entgegengesetzt. Jetzt so zu tun als ob, liegt mir nicht." Greiner folgerte: "Knapper und ehrlicher kann man nicht sprechen. Eich hat sich, eingedenk seiner unrühmlichen Vergangenheit, nie zum Prediger aufgeschwungen." Tatsächlich insinuiert der Literaturchef der renommierten "Zeit", Eich hätte sich in der zitierten Art öffentlich zu seiner Vergangenheit bekannt – dabei stammen die Sätze aus einem persönlichen Brief Eichs an seinen ehemaligen Weggefährten Willi Fehse. Näher bei der Wahrheit dürfte die Einschätzung Viereggs liegen, wonach Eich die Zeit von der Machtergreifung bis zum Ende des Krieges vornehmlich als Schweige- und Tabuzone behandelte; er wich aus und wiegelte ab.

So verständlich der Wunsch nach einem Neuanfang in der Literatur der unmittelbaren Nachkriegszeit auch war – was zwingt dazu, dieses mittlerweile als falsch erwiesene Bild heute noch zu vermitteln? Auch wenn gewiss niemand auf die späten marktschreierischen Geständnisse eines Günter Grass angewiesen ist, den Gedanken, dass sich die Gruppe 47 aus Literaten zusammensetzte, von denen einige auch eine befleckte Vergangenheit hatten, sollte man im 21. Jahrhundert nicht mehr ganz so leicht von der Hand weisen.

Ein großer Dichter

Die Vorstellung, zu qualitativ herausragender Literatur gehöre zwingend eine makellose Biografie des Autors, wird immer dann dominant, wenn im Autor zugleich die moralische Instanz gesucht wird – was in Nachkriegszeiten besonders der Fall ist. Der 1907 geborene Günter Eich konnte diese Biografie nicht bieten, er hatte eine andere – und war dennoch ein hervorragender Schriftsteller. Viele seiner Texte allerdings harren heute einer Neuinterpretation, allzu lange wurden sie aufgrund falscher Annahmen gelesen – und zwar so, wie man sie haben wollte: als Exempel einer Kahlschlagliteratur. So oft sich Eich zu Lebzeiten verbogen hatte, so oft wird er nun anscheinend postum noch weiter verbogen.

Vieregg hat nachgewiesen, dass Eichs lyrische Krise bereits vor dem Krieg einsetzte, das "Neue" also lange vor 1945 Formen annahm, dass jene Lyrik, die stilbildend werden sollte, einem Prozess entstammte – und also nie an einem "Nullpunkt" war. Anregungen, Eichs Texte (auch die späteren) als Produkte des schlechten Gewissens, als ein Abtragen von Schuld zu verstehen, wurden bis heute kaum ernsthaft verfolgt. Eich schlug spätestens in den 60er Jahren eine andere Richtung ein und entwickelte sich vom populären hin zum sperrigen, wenn nicht gar kryptischen Autor jener späten "Maulwürfe" (1968 und 1970). Eine Entwicklung übrigens, die der Dichter in seiner Rede bei der Verleihung des Büchner-Preises 1959 ankündigte: "Je heftiger sie [die Sprache] der Sprachregelung widerspricht, um so mehr ist sie bewahrend. Nicht zufällig wird sie von der Macht mit besonderem Zorn verfolgt. Nicht weil der genehme Inhalt fehlt, sondern weil es nicht möglich ist, ihn hinein zu praktizieren. Weil da etwas entsteht, was nicht für die Macht einzusetzen ist. Es sind nicht die Inhalte, es ist die Sprache, die gegen die Macht wirkt. Die Partnerschaft der Sprache kann stärker sein als die Gegnerschaft der Meinung."

Die Gedichtbände "Zu den Akten" (1964) und – insbesondere – "Anlässe und Steingärten" (1966) waren bloß für eine kleine Leserschaft bestimmt und verprellten zunehmend das große Publikum. Und man ist geneigt zu sagen: Auch in späten Jahren wusste Eich, was er tat. Er formulierte es unter dem Titel "Zuversicht" auf die ihm eigene, lakonische Art: "In Saloniki / weiß ich einen, der mich liest, / und in Bad Nauheim. / Das sind schon zwei." – Es könnten in nächster Zeit wieder mehr werden.

Markus Nundi geboren 1969, lebt als Autor und Kulturjournalist in Baden/Schweiz.

Printausgabe vom Samstag, 27. Jänner 2007
Online seit: Freitag, 26. Jänner 2007 16:45:00

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