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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Auden: "Die Poesie kann nichts bewirken"

Von Andreas Brunner

Aufzählung Am 21. Februar jährt sich der Geburtstag des britisch-amerikanischen Dichters W. H. Auden zum hundertsten Mal.

Es war ein klarer, sonniger Herbsttag – Donnerstag der 4. Oktober 1973 in der kleinen Gemeinde Kirchstetten am westlichen Rand des Wienerwalds. In einem alten Bauernhaus mit der Adresse "Hinterholz 6" hatte sich eine Trauergemeinde versammelt und gerade erhoben. Man lauschte Siegfrieds Trauermarsch aus Wagners "Götterdämmerung" in einer Aufnahme von Knappertsbusch mit den Wiener Philharmonikern. Der Verstorbene hatte sich diese Heldenmusik als Auftakt für seinen letzten Weg gewünscht. Nachdem die letzten Takte verklungen waren, ordneten sich die Hinterbliebenen zu einem Zug hinter dem Leichenwagen. Zu Grabe getragen wurde Wystan Hugh Auden.

Alterssitz in Österreich

Ein Land, in dem Deutsch gesprochen wird (aber nicht Deutschland!), und ein Opernhaus in einer Stunde Entfernung – das waren Audens Kriterien, als er mit dem Preisgeld des italienischen Feltrinelli-Preises für Literatur ein Landhaus erwerben wollte. Mit Hilfe einer Wiener Freundin fand er den alten Hof in Kirchstetten (mit der erst Jahrzehnte später kabarettgeadelten Adresse). Seine Beziehung zu Wien und der Staatsoper wird er in einem späten Gedicht mit dem original deutschen Titel "Stark bewölkt" (1971) augenzwinkernd kritisch beurteilen: "The Beamterei, it‘s true, / is as awful as ever, / the drivers are dangerous, / standards at the Staatsoper/ steadily decline each year, / and Wien's become provincial / compared to the pride She was." ("Die Beamterei, das stimmt, / ist so schrecklich wie immer, / die Fahrer sind gefährlich, / das Niveau der Staatsoper / sinkt jedes Jahr tiefer, / und Wien wurde provinziell, / bedenkt man wie stolz Es war.")

Trotzdem wurde Kirchstetten von 1958 an der Ort, an dem Auden, zum Teil gemeinsam mit seinem Partner Chester Kallman, sein mitunter umstrittenes Alterswerk schuf – denn, so heißt es im Gedicht "Stark bewölkt": "Still it's a cosy country, / unracked by riots or strikes / and backward at drug-tacking." ("Noch immer ist‘s ein gemütliches Land, / ungestört von Tumulten und Streiks / und rückständig beim Drogenkonsum.")

W. H. Auden galt in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts als Wortführer einer Gruppe jüngerer Autoren, die sich anschickten, die erste Generation der angelsächsischen lyrischen Moderne abzulösen. Anders als ihre Vorgänger – wie Ezra Pound oder W. B. Yeats – verstanden sich diese Jungen, zu denen auch Stephen Spender und Christopher Isherwood zählten, als radikale Zeitgenossen ihrer Gegenwart. Isherwood verarbeitete seine Erfahrungen mit dem aufkeimenden Nationalsozialismus im Roman "Welcome to Berlin", der die Vorlage für das Musical "Cabaret" bildete. Isherwood und Auden verfassten zusammen an Agit-Prop orientierte Theaterstücke und einen Reisebericht über den Chinesisch-Japanischen Krieg. Mit einer Zweckheirat verschaffte Auden 1935 Erika Mann die Dokumente für ihre Emigration und unterstützte dadurch ihren Kampf gegen den Faschismus. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich Auden auf republikanischer Seite als Krankenpfleger im Spanischen Bürgerkrieg engagierte.

Noch vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs begann Auden mit dem poetischen Nachruf "In Memory of W. B. Yeats" neue Wege zu beschreiten. Darin erklärte er, dass Dichtung nicht dazu da sei, Ereignisse zu provozieren, sondern lediglich die Aufgabe habe, zu überleben: "For poetry makes nothing happen: it survives" . Auden gab sein soziales und politisches Engagement auf und wendete sich – wie es in der Kritik oft hieß – einem "universalen Humanismus" zu.

In einem Interview mit der Zeitung "The Sun" erklärte er 1969: "Ich wurde sehr skeptisch gegenüber der Poesie engagé. Die politische soziale Geschichte wäre nicht anders verlaufen, hätten Dante, Michelangelo, Byron nicht gelebt. Die Künste können nichts bewirken. Nur politische Aktion und die ehrliche journalistische Reportage können das. Ich fühle mich schuldig für manche Dinge, die ich in den 30er Jahren geschrieben habe. Nichts, das ich gegen Hitler schrieb, hat einen Juden vor der Ermordung gerettet. Nichts, das ich schrieb, beendete den Krieg eine Minute früher." Aussagen wie diese entfremdeten ihn gerade in den kämpferischen 60er-Jahren einer engagierten Leserschaft, er wurde als Apologet bürgerlichen Konservativismus kritisiert und belächelt.

Waren Marx und Freud die Gewährsleute seiner poetischen Produktion der 1930er Jahre, verkündete Auden nun öffentlich seine Rückkehr in den Schoß der anglikanischen Kirche. Vor allem die Großgedichte dieser Jahre, der als "Weihnachtsoratorium" untertitelte Gedichtzyklus "For the Time Being" (1945, dt. "Hier und Jetzt" 1961) und der als "barockes Hirtengedicht" bezeichnete Band "The Age of Anxiety" (1947, dt. "Das Zeitalter der Angst" 1951), für den er den Pulitzer-Preis erhielt, legten den Grundstein zu Audens Ruhm. Der österreichische Schriftsteller Gerhard Fritsch, der "Hier und Jetzt" übersetzte, sah in der Versdichtung Audens ein "Schlachtfeld des Ringens mit dem Nihilismus" . Auden greift politische Themen der Zeit nicht mehr propagandistisch auf, sondern reflektiert in seinen Langgedichten künstlerische und religiös-existentielle Probleme, ohne dabei in christliche Erlösungssehnsucht zu verfallen.

Ökumenisches Begräbnis

Die Blasmusikkapelle des Ortes führte den Trauerzug an, denn für sein Begräbnis hatte sich Auden eine fröhliche Musik ausbedungen. Der in Tränen aufgelöste Chester Kallman folgte, gestützt auf Audens Jugendfreund Stephan Spender, als Erster dem Kondukt. Vom Dorfplatz ging es eine kleine Anhöhe hinauf zur Kirche und zum Friedhof, wo ein anglikanischer Geistlicher und der Priester von Kirchstetten den Trauergottesdienst auf Englisch und Deutsch feierten. Von den Fotoapparaten und TV-Kameras unerkannt, stand abseits auch ein gewisser Hugerl mit seiner Frau Christa, die bitterlich weinte.

1939 war Auden in die USA übersiedelt, wo er in New York seinen Partner Chester Kallman kennen lernte. "Will it alter my life altogether?" heißt es in der vorletzten Zeile von Audens berühmtem Liebesgedicht "O Tell Me the Truth About Love". Und ja, die Liebe hatte beider Leben verändert, auch wenn viele Außenstehende die nicht immer harmonische Beziehung kopfschüttelnd betrachteten. Mitunter litt Auden unter der Exaltiertheit seines Freundes, die für zahlreiche Skandälchen sorgte. So erzählte etwa eine Freundin des Paares von einem gemeinsamen Besuch des "Parsifal" in der Staatsoper, bei dem Chester entgegen den Wiener Usancen nach dem zweiten Akt lautstark applaudierte. Protest aus der Loge nebenan quittierte er schnippisch: "This is a theatre, not a church!"

Sowohl Auden als auch Kallman hatten im Laufe der Jahre Liebhaber, wobei der jüngere und attraktivere Chester aktiver war. Kallman, der in den späteren Jahren, wenn Auden den Winter in New York verbrachte, nach Griechenland fuhr, hatte eine Vorliebe für junge südländische Männer. Seine große Liebe, Yannis, kam bei einem Autounfall auf der Westautobahn ums Leben. Auden hielt seine Beziehungen eher auf Distanz. Dies bezeugt das postum erschienene Gedicht "Glad", das von seinem langjährigen Liebhaber, dem bereits erwähnten Hugerl, handelt: "Hugerl, for a decade now / My bed-visitor / An unexpected blessing / In a lucky life, / For how much and how often / You made me glad." ("Hugerl, seit zehn Jahren schon / mein Bett-Gast / ein unverhoffter Segen / in einem glücklichen Leben, / um wieviel und wie oft / hast Du mich froh gemacht.") Auden verzieh Hugerl sogar, dass er seinen Volkswagen für Raubzüge missbrauchte und eingesperrt wurde. " You were in need of money / And I wanted sex." ("Du brauchtest Geld / und ich wollte Sex.")

In New York lernten Auden und Kallman Benjamin Britten und dessen Freund Peter Pears kennen. Für Britten schrieb Auden 1941 sein erstes Libretto, doch "Paul Bunyan" war ein Misserfolg und wurde zu Lebzeiten Audens nie wieder aufgeführt. Erfolgreicher war der zweite Versuch, den er gemeinsam mit Chester Kallman unternahm: Igor Stravinskys "The Rake‘s Progress" gehört seit der Uraufführung 1951 zu den meistgespielten Opern der Nachkriegszeit.

Wie es das ungleiche Paar Auden-Kallman schaffte, an gemeinsamen Projekten zu arbeiten, war selbst vielen Freunden ein Rätsel, aber es entstanden danach noch Libretti für Hans Werner Henze und Nicolas Nabokov. 1961 wurde "Elegie für junge Liebende", und 1966 die zweite Oper für Henze, "Die Bassariden", bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt.

Die späte Lyrik Audens wurde oft kritisiert. Es hieß, er verliere sich in Darstellungen seines unmittelbaren Erfahrungsraums und in allgemeinen Betrachtungen, diese Gedichte ließen die Genauigkeit und politische Schärfe seiner früheren Werke vermissen. Tatsächlich schrieb er viele Gelegenheitsgedichte – oft aus Anlass des Todes von Freunden – oder Betrachtungen des Alltags. In seinem zwölfteiligen Gedichtzyklus "Thanksgiving for a Habitat" ordnete Auden jedem Raum seines Hauses einen Freund aus seinem Leben zu, wobei Chester bezeichnenderweise nicht das Schlaf-, sondern das Wohnzimmer bekam. In Berichten von Freunden werden immer wieder die Abende in diesem Wohnzimmer erwähnt, wo nach dem Essen, das Chester bereitete, getrunken, geplaudert, geraucht, Musik gehört wurde.

Trotz der Verengung seiner Themen verlor Auden jedoch nicht seine formale und sprachliche Meisterschaft. Viele der "Kirchstettner Gedichte", die er während seiner Sommeraufenthalte schrieb, zählen zu seinen schönsten und berührendsten.

Die letzte Nacht

Als sich Wystan Hugh Auden am Freitag, dem 28. September 1973, nach einer Lesung in der "Österreichischen Gesellschaft für Literatur" in das Zimmer seines Stammhotels in der Walfischgasse zurückzog, klagte er darüber, dass er sehr müde sei, bat aber darum, am nächsten Morgen um neun Uhr geweckt zu werden. In dieser Nacht starb er. Am Friedhof von Kirchstetten hat er seine letzte Ruhe gefunden. Sein letztes Gedicht lautet: "He still loves life / But O O O O how he wishes / The Good Lord would take him." ("Er liebt das Leben noch / doch O O O O wie wünscht er / der Gute Gott holte ihn.")

Chester Kallman erholte sich nicht mehr vom Verlust seines Freundes. Nur 15 Monate nach dem Tod seines Lebensmenschen starb er kaum 54-jährig in Athen.

Derzeit sind deutsche Übersetzungen von Audens Gedichtbänden nur im Antquariat erhältlich. Die Gedichte sind hier zitiert nach:

W. H. Auden: Collected Poems. Edited by Edward Mendelson. New York 1991. (Übersetzung A. B.)

Zu Audens Biographie siehe Charles Osborne: W. H. Auden. The Life of a Poet. London 1979.

Thelka Clark: Wystan and Chester. London 1995.

lebt in Wien und arbeitet als Literaturagent, Kurator und freier Publizist.

Printausgabe vom Samstag, 17. Februar 2007
Online seit: Freitag, 16. Februar 2007 16:17:00

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