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Kaip, Günther - "Der Horizont kniet sich nieder"

Günther Kaip.Foto: Archiv

Günther Kaip.Foto: Archiv

Von Evelyne Polt-Heinzl

Der österreichische Schriftsteller Günther Kaip versteht sich auf Skurrilitäten, wie auch sein neuer Erzählungsband, "Die Milchstraße", zeigt.

Günther Kaips Debüt-

roman "Andersland" erschien 1994 im Brandstätter Verlag und wurde damals von der Kritik reichlich zerzaust. Dass es eine düstere Dorfgeschichte war und handlungsmäßig einiges im Dunklen verblieb, kam nicht gut an. Die Anti-Heimatliteratur war gerade im Abebben und hatte einen gewissen Überdruss hinterlassen, dem Kaips Roman zum Opfer fiel. Man sah allenthalben nur Klischees und Versatzstücke, und nahm die sprachlichen Unebenheiten eines Erstlings als Beweis dafür, dass die dichte Bildsprache des schmalen Romans nur missglückt sein konnte. Peter Truschners "Schlangenkind" hatte es knapp ein Jahrzehnt später schon wieder leichter. Die Anti-Heimatliteratur war dann nur mehr ein historisches Phänomen, und schon wurde ein eher konventionelles Remake als große Entdeckung gefeiert . . .

Vielleicht ist das einer der Gründe, warum Günther Kaip in seinem neuen Erzählband, "Die Milchstraße", seinen ersten Roman ebenso verschweigt wie "lichterloh", "Novak" (beide 1996) und "Vademekum für Körper" (2001) und seine Werkliste erst mit "Umarmungen im Windkanal" (2002) beginnen lässt. Doch der schmale Erzählband "Die Milchstraße" hat mit dem Romanerstling einiges zu tun, etliche der Erzählungen entstammen unmittelbar dessen Umfeld.

Skurrile Litanei

Das könnte auch auf die alte Bäuerin der Titelgeschichte zutreffen. Aus der verbiesterten alten Frau, die aus Ungeschick mit ihrer Milchkanne den geweihten Steinboden der Dorfkirche verunreinigt, und dann noch in der Wirtshausküche den Rest verschüttet, bastelt Kaip das ganz durchschnittliche Beispiel eines trostlos vereinsamten Frauenlebens. Fast erzählt er zu viel davon, man hätte sich manches auch unausgesprochen vorstellen können, aber die Erzählung hinterlässt trotzdem einen starken Eindruck. Dass die Bäuerin am Schuss plötzlich nicht mehr "die gewohnte Berglandschaft" sieht, die sie fast achtzig Jahre jeden Tag gesehen hat, ist ein doppelbödiger Erlösungshinweis.

Ganz eindeutig dem Dorf aus "Andersland" entstammen Erzählungen wie "Karl-Karl", "Die Rückkehr" oder "Das Begräbnis": hier wird ein archaisches Ritual mit den Augen eines Mythenforschers beschrieben, der in einigen der Erzählungen auftaucht. Die Szene enthält die wohl skurrilste Litanei der an Litaneien nicht armen österreichischen Literatur.

Das ist ein gemeinsamer Zug vieler Erzählungen des Bandes: Kaip hat das Rad des Skurrilen um eine Schraube weiter gedreht, und er schöpft dabei zunehmend aus dem Reservoir verrutschter Körperbilder, denn "Körper leiden unter Selbstüberschätzung" und sie verlieren "zunehmend an Bedeutung: sie können sich nicht in Kabelfasern zwängen oder mit der Geschwindigkeit eines in Millisekunden übertragenen Signals mithalten. Sie sind zu langsam, haben sich nicht weiterentwickelt" , wie es in der Erzählung "Einfach gehen" heißt.

Deshalb können sich in Kaips Erzählungen einzelne Körperteile von ihren Besitzern verabschieden – und lassen sich dann nicht mehr erhaschen ("Die linke Hand"); Tote können sich in einem Riss im Mauerwerk materialisieren ("Der Riss") und sterbende Körper von der Wiener U-Bahnlinie 1 (nicht 4, wie irrtümlich steht) noch einen Abstecher in die Wüste unternehmen ("Brunmayr stirbt").

Günther Kaip beherrscht die Arbeit mit Sprachbildern und Bildideen. Wenn es blitzt, macht jemand ein Foto von unserer Welt, heißt es einmal – und dieses Spiel mit perspektivischen Verschiebungen, das aus dem Kopfstand des Gewohnten die Energie der Schubumkehr zieht, gelingt Kaip immer wieder. Er riskiert dabei oft einiges, und nicht alles gelingt, aber das ist allemal verdienstvoller als eine vorauseilende Kapitulation und die Beschränkung auf glatte Schreibwerkstatt-Oberflächen.

In "Novak" gibt es eine Episode, in der ein Gedanke auf den Schreibtisch fällt, und vor den Augen des erstaunten Autors beginnt plötzlich der Bleistift selbsttätig und in zierlicher Schrift Seite um Seite zu füllen. Das geht allerdings ebensowenig gut aus wie im neuen Band die Erzählung "Falsche Adresse": Hier erhält der Autor nächtlichen Besuch von seiner Intuition, doch leider hat sich diese in der Dunkelheit in der Adresse geirrt, und schon ist es vorbei. Schreibschwierigkeiten sind ein beliebtes Thema von Literaten, doch selten geht’s dabei so originell zu.

Momentaufnahmen

Von solchem Mut und solcher sprachlicher Energie zehren auch Kaips poetische Momentaufnahmen und Gedankenbilder aus dem Band "Nacht und Tag", erschienen 1998 (und 2004 im Ritter Verlag wieder aufgelegt), wo einige der bekannten Figuren und Szenen des Kaipschen Universums ebenfalls auftreten. Oft funktionieren diese Miniaturen wie die beigefügten Holzschnitte von Joseph Kühn, die vielfach in- und übereinander geschachtelte und geschichtete Mixturen aus Häusern, Fenstern, Bäumen, Menschen und Pflanzen spitzgiebelig neu inszenieren, manchmal zudem mit ver(w)irrten Richtungspfeilen versehen.

"Der Horizont kniet sich nieder und betet für seine Entlassung. Natürlich darf sie ihm niemals gewährt werden" , heißt es einmal. Und so sollte sich auch Günther Kaip nicht beirren lassen und seine Welten und Bilder und Geschichten weiter erzählen. Dass er sein Schreiben und Bilder-Sehen auch selbst in "Wortbildarbeiten" zusammenführt und in Ausstellungen zeigt, ist nur folgerichtig.

Bücher von Günther Kaip:

Andersland. Roman. Brandstätter 1994.

Novak. Eine Groteske. Resistenz Verlag 1996.

lichterloh. Ein Bericht. Das Fröhliche Wohnzimmer 1996.

Vademekum für Körper. Eine Bestandsaufnahme. Das Fröhliche Wohnzimmer 2001.

Umarmungen im Windkanal. Ritter 2002.

Nacht und Tag. Eine Tirade. Mit Messerschnitten von Joseph Kühn. Ritter 2004 (zuerst Resistenz 1998).

Der Schneemann. Ill.: Angelika Kaufmann. NP Buchverlag 2005.

Die Milchstraße. Erzählungen. Arovell 2007.

Am 18. September um 19 Uhr liest Günther Kaip aus seinem Erzählungsband "Die Milchstraße" in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur, Palais Wilcczek, 1010 Wien, Herrengasse 5.

Printausgabe vom Samstag, 15. September 2007
Online seit: Freitag, 14. September 2007 16:25:00

Lexikon



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