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Bruckner, Karl: Als Harry Potter "Sadako" hieß

Karl Bruckner mit Papierkranichen, die im Roman „Sadako will leben“ eine wichtige Rolle spielen.  Foto: Aus „Der vergessene Klassiker“, Edition Praesens

Karl Bruckner mit Papierkranichen, die im Roman „Sadako will leben“ eine wichtige Rolle spielen. Foto: Aus „Der vergessene Klassiker“, Edition Praesens

Von Thomas Karny

Aufzählung Der vor 25 Jahren verstorbene Jugendbuchautor Karl Bruckner war in der Nachkriegszeit ein Meister der Literarisierung aktueller Themen.

Mit seinem 1949 erschienenen Roman "Die Spatzenelf" wird Karl Bruckner mit einem Schlag einem breiten Publikum bekannt und in der Folge zu einem der erfolgreichsten und meistgelesenen Kinder- und Jugendbuchautoren im deutschen Sprachraum. Er wird mehrfach mit dem Österreichischen Staatspreis für Jugendliteratur sowie dem Jugendbuchpreis der Stadt Wien ausgezeichnet. Seine rund 30 Bücher erreichen Rekordauflagen und erscheinen in unzähligen Lizenzausgaben und Übersetzungen.

"Die Spatzenelf" erzählt von Wiener Buben, die zwischen Randstein und Gaslatern’ aufwachsen und auf der Gstettn in Fußballspielen mit einem "Fetzenlaberl" ihre Rivalitäten austragen. Gut ist von Böse klar getrennt, lokaler Bezug in Ort und Sprache hergestellt, das (proletarische) Milieu scharf gezeichnet. Das solidarisches Kollektiv Spatzenelf trägt schließlich den verdienten Sieg über die arroganten Ameisgässler davon. In ihrer humanistisch-idealistischen Konzeption (die nicht selten von moralischem Pathos durchsetzt ist) und ihrem Blick fürs Realistische weist "Die Spatzenelf" prototypische Elemente für Bruckners nachfolgende Publikationen auf.

Druckerei-Hilfsarbeiter

Der Autor ist zu diesem Zeitpunkt bereits 43 Jahre alt und steht doch erst am Beginn seiner schriftstellerischen Karriere. Angeblich im Lazarett von einem verwundeten Kriegskameraden, den Bruckners Erzählungen von seinen abenteuerlichen Erlebnissen sehr beeindruckten, zum Schreiben animiert, bringt er nach dem Krieg sein erstes Manuskript zu Papier. Damals verdingt er sich als Schichtarbeiter in einer Druckerei am Wiener Fleischmarkt. Das Schreiben ist für ihn weniger ein künstlerischer Akt als vielmehr eine Möglichkeit zum Broterwerb und eröffnet die Aussicht, der Hilfsarbeitertristesse zu entkommen.

Das Manuskript wird vom Verleger Erich Sexl zwar abgelehnt, doch Bruckner avanciert zum Gerichtssaalreporter und beginnt seine erste – bezahlte – Autorentätigkeit. Er verfasst ein neues Manuskript, doch auch "Das wunderbare Leben. Ein Zukunftsroman aus dem Jahre 2443" verlegt Sexl zunächst nicht.

Der Zufall bringt es mit sich, dass zu jener Zeit der Österreichische Bundesverlag nach einem brauchbaren Manuskript für ein Jugendbuch sucht und zu diesem Zweck einen Wettbewerb ausschreibt. Denn was in den Lektoraten aufliegt, sind allesamt aus den Dreißigerjahren stammende, über die Kriegszeit gerettete Manuskripte ziemlich talentloser Autoren. Da ist Bruckners Erzählung von der Emigration einer Tiroler Familie nach Brasilien, deren Überlebenskampf und der Rückkehr des Sohnes in die Heimat zumindest in inhaltlicher Hinsicht eine so auffallende Ausnahme, dass "Der Diamant des Tobias Amberger" zum Siegertext prämiert und auch gedruckt wird.

Das Werk bezieht seine Stärke aus der Authentizität der geschilderten Handlung, denn der 1906 in Ottakring geborene Sohn eines Buchdruckers und einer Goldstickerin hatte nach einer abgebrochenen kaufmännischen Lehre und diversen Gelegenheitsjobs zwischen 1934 und 1936 selbst sein Glück in Brasilien versucht. Mochten die dort erlebten Verhältnisse ähnlich schlecht wie in Österreich gewesen sein, deren literarische Verarbeitung verhilft dem ehemals glücklosen Emigranten nun dazu, sich als erfolgreicher Autor zu etablieren. Sexl veröffentlichte in der Hoffnung, an Bruckners Ruhm teilhaben zu können, den Zukunftsroman nun doch.

Nach dem großen Erfolg der "Spatzenelf" entscheidet sich Bruckner für die Laufbahn eines freien Schriftstellers. In rascher Folge erscheinen "Pablo, der Indio", eine jugendliterarische Aufarbeitung der mexikanischen Revolution von 1910/11, "Die Wildspur", eine im Tierreich angesiedelte Parabel auf soziales menschliches Verhalten, sowie "Die große Elf", die als Fortsetzung der "Spatzenelf" das Augenmerk auf die materiellen Interessen im Sportbetrieb richtet.

Mit dem Mexiko-Roman leitet Bruckner seine Rezeption in der DDR ein, wo das Buch zunächst nahezu enthusiastisch begrüßt, kurze Zeit später aber wegen ideologischer Ungenauigkeiten arg verrissen wird. Der Veröffentlichung der "Großen Elf" ging ein – erst vor wenigen Jahren vom Wiener Politikwissenschaftler Manfred Mugrauer publik gemachtes – Zerwürfnis des damaligen KPÖ-Mitglieds Bruckner mit seiner Partei voraus; der Autor trat daraufhin aus der Partei aus und wechselte von Globus/Schönbrunn zu Waldheim-Eberle, für einige Publikationen auch zu Kremayr & Scheriau.

Wiener Jugendbuchpreis

Eine verlegerische Heimat findet Bruckner erst, als ihn Jakob Bindel, Direktor des Kinderfreunde-Verlags Jungbrunnen und Verlagsleiter von Jugend & Volk, als Hausautor gewinnt. Bereits das erste gemeinsame Projekt, ein Buch über die verheerenden Überschwemmungen in der norditalienischen Po-Ebene 1953, für das Bindel den Autor zu Recherchen ins Krisengebiet schickt, wird zu einem großen Erfolg. Für "Giovanna und der Sumpf" erhält Bruckner den Jugendbuchpreis der Stadt Wien; es ist sein erstes Buch, das übersetzt wird. Für die erstmalige Teilnahme an der Kinder- und Jugendbuchmesse hat Jungbrunnen/J&V; in Bologna einen zugkräftigen Titel, der vom "Österreichischen Buchklub der Jugend" auch prompt in die Empfehlungsliste aufgenommen wird.

Im Nachhinein am liebsten ungeschehen gemacht hätte Bruckner die nur mäßig gelungenen Bearbeitungen der klassischen Vorlagen von Tom Sawyer, Huckleberry Finn, Don Quichotte und Robinson Crusoe – Auftragsarbeiten, die im zeitgenössischen Abwehrkampf gegen "Schmutz und Schund" als "gereinigte" Varianten des Originals der Jugend zur Lektüre anempfohlen werden. Davon unbeeinflusst, werden "Die Strolche von Neapel" und "Der goldene Pharao", ein belletristisches Sachbuch, zu großen Erfolgen, an die sich ein weiterer reiht: Der dreifache Goldmedaillen-Gewinner der Olympischen Spiele 1956 in Cortina d’Ampezzo, Toni Sailer, inspiriert ihn zu dem Buch "Der Weltmeister". Der Plan einer Toni Sailer-Biografie war angeblich am mangelnden Kooperationswillen des Protagonisten gescheitert.

Es ist die Zeit der österreichischen Identitätsfindung, zu der Staatsvertrag und sportliche Erfolge einen wesentlichen Beitrag leisten, eine Zeit, in der Stolz auf die eigene Nation und Heimatverbundenheit Hand in Hand gehen und sich Österreich in hübschen Postkartenansichten präsentiert. Was man heute als Kitsch empfindet, hält man damals für authentisch. Folgerichtig erteilt bei Bruckner der dreifache Weltmeister Christian Mairhofer dem "schmutzigen" Profigeschäft eine energische Absage: "Ich will ein Bauer bleiben."

Es dauert fünf Jahre, bis 1961, ehe der viel schreibende, in der Auswahl seiner Themen zuletzt nicht ganz glückliche Bruckner noch einmal in die Bestsellerlisten kommt. Den Anstoß gibt eine Zeitungsmeldung über die Enthüllung des Denkmals für das japanische Mädchen Sadako, das an den Spätfolgen des Atombombenabwurfs über Hiroshima gestorben ist. Das Thema ist auf Grund von Krisenherden, Aufrüstung und West-Ost-Konflikt brandaktuell. Robert Jungk hat den Sachbuch-Bestseller "Heller als tausend Sonnen" verfasst, Winfried Bruckner mit "2/10 bedeutet Tod" nachgezogen.

Karl Bruckner gelingt in seiner Domäne, der Literarisierung aktueller Ereignisse, nun ein großartiges Buch: "Sadako will leben". Die ergreifende Geschichte von einem an Leukämie erkrankten Mädchen, dem die Heilung versprochen wird, sobald es tausend Kraniche aus Papier gefaltet hat. Tapfer macht sich Sadako Tag für Tag ans Werk, hoffnungsfroh faltet sie einen Kranich nach dem anderen. Doch bis zum allerletzten schafft sie es nicht mehr, das Buch hat kein Happy End. Es ist Bruckners eindringlichstes Werk, und sein einziger aktuell lieferbarer Titel.

Mehr als zuvor trägt Bruckner nun die Punze eines schreibenden Pazifisten. Als sich der Rummel um "Sadako" gelegt hat, versucht er dieser Rolle, die ihn ehrt aber auch belastet, mit Büchern zu entsprechen, die ihre reale Vorlage in der Nahost-Krise, dem Vietnamkrieg und dem West-Ost-Konflikt haben. Es ist fast programmatisch, dass er PAX als jenes Zauberwort wählt, um das "Der Zauberring" angesiedelt ist (und für den seine Tochter Marianne die Illustrationen gestaltet hat). Doch die einst spannend zu lesende Literatur, die Kolportage mit dem Appell an idealistische Werte verband, wirkt nun altbacken und oberlehrerhaft. Die aktuellen Themen werden jetzt von Autoren besetzt, die eine andere Sprache sprechen.

Bruckner-Revival beendet

Bruckner bekommt die Gnadenlosigkeit des Marktes zu spüren. "Es ist die Zeit der gut gemeinten, also verlogenen, aufmunternden Gespräche" , erinnert sich Lektor Wolf Harranth. Niemand denkt mehr daran, ein neues Bruckner-Buch zu veröffentlichen. Alte Titel werden neu aufgelegt. Immerhin, der Verlag sichert seinem verdienstvollen Autor ein würdiges Auskommen.

"Mann ohne Waffen" von 1967 erscheint zehn Jahre später als "Passagier in Ketten". Es ist ein Buch mit vielen autobiografischen Aspekten. Einerseits wegen der Handlung, andererseits wegen des Images, dem der Autor gern entsprechen wollte: Als Abenteurer, der im Zwischendeck eines schrottreifen Dampfers von Brasilien nach Europa zurückkehrt; als Anwalt der Entrechteten, der einen gefangengehaltenen Passagier zur Flucht vor der Gestapo verhilft; als glühenden Pazifisten, der sich selbst eine aktive Rolle in der Widerstandsgruppe O5 zuschreibt (eine Behauptung, die übrigens nie widerlegt wurde).

18 Jahre nach Karl Bruckners Tod, am 25. Oktober 1982, legte der Dachs-Verlag "Die Spatzenelf" neu auf und landete damit in Zeiten von "Harry Potter" mehr als einen Achtungserfolg. "Focus" und Deutschlandfunk reihten das Buch unter die "Top Ten". Doch mittlerweile ist das Revival beendet und das Buch nicht mehr im Handel erhältlich. Karl Bruckner war für die jungen Leser der Nachkriegszeit ein literarischer Weggefährte. Der heutigen Jugend wird er wohl – leider – nicht abgehen.

Literaturhinweise:

Karl Bruckner: Sadako will leben. Verlag G und G, Wien 2005 (und als Arena Taschenbuch, Würzburg 2006).

Sabine Fuchs, Peter Schneck (Hrsg.): Der vergessene Klassiker – Leben und Werk Karl Bruckners. Edition Praesens, Wien 2002.

Kathrin Wexberg: Verschriftlichte Heimat? Ein österreichischer Kinder- und Jugendbuchautor im Spannungsfeld zwischen Literatur und Gesellschaft. Praesens Verlag, Wien 2007.

Thomas Karny, geboren 1964. Sozialpädagoge, Autor und Journalist. Mehrere Buchveröffentlichungen zu Zeit- und Motorsportgeschichte. Lebt in Graz.

Printausgabe vom Samstag, 20. Oktober 2007
Online seit: Freitag, 19. Oktober 2007 14:25:00

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