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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Zum Tod der Prager Schriftstellerin Lenka Reinerová, die vor kurzem im Alter von 92 Jahren gestorben ist.

Eine Zeugin des 20. Jahrhunderts

Lenka Reinerová, geboren am 17. Mai 1916, gestorben am 27. Juni 2008. Foto: Susanne Schleyer

Lenka Reinerová, geboren am 17. Mai 1916, gestorben am 27. Juni 2008. Foto: Susanne Schleyer

Von Oliver Bentz

Sie war die allerletzte deutschschreibende Prager Schriftstellerin, die letzte Zeugin der großen, vergangenen deutschsprachig-jüdischen Literatur in der tschechischen Hauptstadt, jener Tradition, aus der so bedeutende Autoren wie Max Brod, Franz Kafka, Franz Werfel, Rainer Maria Rilke oder Egon Erwin Kisch hervorgingen. Sie war die letzte Autorin des "alten Prag": Lenka Reinerová, die in ihrer Heimatstadt gestorben ist.

Die Obsession der in Prag als Tochter einer Deutschböhmin und eines tschechischen Eisenwarenhändlers aufgewachsenen Schriftstellerin, die nach der Besetzung der Tschechoslowakei durch Nazideutschland über Frankreich nach Mexiko fliehen musste, war ihre Heimatstadt, in die sie – deren Familie dem Holocaust zum Opfer fiel – 1948 zurückkehren konnte. In Büchern wie "Das Traumcafé einer Pragerin", "Mandelduft", "Zu Hause in Prag – manchmal auch anderswo" oder "Es begann in der Melantrichgasse" hat sie ihre Erinnerungen an die längst vergangene Zeit der deutschsprachigen kulturellen Blüte in der Moldaustadt und an Literaten wie Kisch, Werfel oder F. C. Weiskopf, mit denen sie befreundet war, aufgeschrieben.

Ihre journalistische Laufbahn begann Lenka Reinerová bei der "Arbeiter-Illustrierten-Zeitung", die der kommunistische deutsche Verleger Willi Münzenberg gegründet hatte, und deren Chefredakteur der Schriftsteller F. C. Weiskopf war.

Reinerovás großes Vorbild war damals aber der "Rasende Reporter" Egon Erwin Kisch, der wie sie vor den Nazis ins mexikanische Exil entkommen konnte. Dort arbeitete Lenka Reinerová für die tschechoslowakische Exil-Regierung, die in London saß. Nach Kriegsende kehrte sie zusammen mit ihrem Mann, dem Schriftsteller und Arzt Theodor Balk, mit großen Hoffnungen ins kommunistische Prag zurück.

Nur wenig später aber, 1952, wurde sie ein Opfer der stalinistischen Verfolgungen. Am Abend eines schönen Sommertages, so erinnerte sie sich in dem 2004 erschienenen, ergreifenden Band "Alle Farben der Sonne und der Nacht", verhaftete man sie völlig überraschend und sperrte sie für 15 Monate ein – meist in Einzelhaft. Sie wisse selbst am besten, was sie verbrochen habe, sagten ihr die Verhörer.

Während fast täglich Mitgefangene wegen absurder Vorwürfe hingerichtet wurden, waren für Lenka Reinerová auch in dieser Zeit die Erinnerungen an das Prag der 20er und 30er Jahre und an die Gefährten von einst – an denen sie die Leser von "Alle Farben der Sonne und der Nacht" teilhaben lässt – der letzte Halt.

Nach der Haft war Reinerová – unterbrochen nur durch den kurzen politischen Frühling 1968 – mit Schreibverbot belegt, sie verlor ihre Arbeit und wurde aus der Kommunistischen Partei, an deren Ideale sie noch lange glaubte, ausgeschlossen. Erst nach der politischen Wende 1989 durfte sie wieder publizieren. Bis zuletzt schrieb sie in deutscher Sprache.

Über Jahrzehnte verfolgte Lenka Reinerová ihr großes Anliegen, in Prag ein Museum für die deutschsprachige Literatur zu errichten. Es war berührend, zu sehen, wie diese kleine, zierliche Person bis in ihre letzten Lebensjahre mit aller Energie und mit unglaublich bewundernswertem persönlichen Einsatz für ihr großes Ziel kämpfte.

In Telefongesprächen und in Briefen tauschte sie sich mit dem Verfasser dieser Zeilen 2002 einige Male über ihre Ideen aus. Schon "an 100 Autoren gibt es" , die für das Museum in Frage kämen, das sie so gerne im berühmten "Haus zu den zwei goldenen Bären", dem Geburtshaus des Freundes Egon Erwin Kisch, errichten wollte. Aber "an das Kisch-Haus, das ich vor allem haben wollte, werden von 6 (!) Personen Restitutionsansprüche gestellt, obwohl ich gut weiß, dass es nur eine Verwandte, eine Nicht (sic) in den USA gibt. Aber von kompetenter Seite wissen wir inzwischen, dass sich diese Angelegenheiten jahrelang hinziehen – also müssen wir etwas anderes suchen. (. . .) Aber es gibt schon gewisse Perspektiven."

Da Lenka Reinerová, die im Leben ebenso wie in der Herzensangelegenheit Literaturmuseum nie aufgab, und ihr engster Mitstreiter, der Vorsitzende der Franz Kafka-Gesellschaft, der Germanistikprofessor Kurt Krolop, nicht locker ließen, gibt es in Prag zwar kein richtiges Literaturmuseum, aber doch ein "Literaturhaus deutschsprachiger Autoren", das, so das Ziel, "Prag wieder zu dem durch das einmalige Phänomen des tschechisch-deutsch-jüdischen kulturellen Zusammenlebens geprägten Treffpunkt machen soll, zu dem der Öffentlichkeit bislang der Zugang fehlte" . In diesem Haus muss und wird jetzt auch an Lenka Reinerová als an die letzte Repräsentantin der Prager deutschen Literatur erinnert werden.

Lenka Reinerovás Bücher sind alle im Aufbau-Verlag, Berlin, erschienen.

Oliver Bentz, geboren 1969, lebt und arbeitet als Germanist und Kulturpublizist in Speyer.

Printausgabe vom Samstag, 05. Juli 2008
Online seit: Freitag, 04. Juli 2008 15:06:00

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