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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Der Schriftsteller Friedrich Glauser, Schöpfer des populären "Wachtmeister Studer", ist am 8. Dezember 1938 gestorben

Der Meister des Kriminalromans

Friedrich Glauser (1896 – 1938).Foto: Unionsverlag

Friedrich Glauser (1896 – 1938).Foto: Unionsverlag

Von Andreas P. Pittler

Was Dashiell Hammett und Raymond Chandler für die amerikanische Krimiliteratur, das war Friedrich Glauser für die deutschsprachige. Er war keineswegs der erste Autor hierzulande, der die Kriminalität in all ihren Erscheinungsformen zum Thema seiner Romane machte, aber er war ihr erster Meister, an dem alle, die nach ihm kamen, sich maßen und messen lassen mussten.

Sein Wachtmeister Studer ist mittlerweile so legendär wie Marlowe und Spade und stand Pate für viele spätere Ermittler. Nicht umsonst trägt die bedeutendste Auszeichnung der deutschsprachigen Krimiszene, der vom "Syndikat", der Vereinigung deutschsprachiger Kriminalschriftsteller, vergebene Preis, seinen Namen.

Geboren wurde Glauser am 4. Februar 1896 in Wien als Sohn eines Lehrers, den es aus der Schweiz in die kaiserlich-königliche Residenzhauptstadt verschlagen hatte. Charles Pierre Glauser, der an einer Wiener Handelsakademie unterrichtete, hatte Theresia Scubitz, die Tochter eines kaiserlichen Beamten, geheiratet. Doch im September 1900 stirbt die Mutter an einer Blinddarmentzündung, und Glauser wird jäh aus seiner vertrauten Umgebung gerissen. Nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in Italien wird der Bub zu seinen Großeltern nach Aussig an der Elbe verfrachtet, wo er bis zum Sommer 1902 bleibt. Der Vater hat in der Zwischenzeit Elisabeth Apizsch aus Leipzig geheiratet und holt den Sohn zurück nach Wien, in die frisch bezogene Wohnung in der Schelleingasse im 4. Gemeindebezirk.

Tyrannei des Vaters

Wenig später beginnt für Glauser der Ernst des Lebens. Er tritt in die protestantische Volksschule am Karlsplatz ein, die er als unauffälliger Schüler absolviert. Im September 1906 wechselt er in das Elisabethgymnasium in der Margaretner Rainergasse über. Doch er leidet unter der alttestamentarischen Strenge des Vaters, dessen langer Rauschebart ihn wie Gottvater persönlich erscheinen lässt. Vater Glauser scheint jedoch an sich selbst weit weniger harte Maßstäbe anzulegen, denn die 1909 erfolgte Trennung des Ehepaares hat einen ganz simplen Grund: der Vater tändelt mit der Gouvernante, die wenig später seine dritte Ehefrau wird.

Der Sohn heißt diese Entwicklung keineswegs gut. Er reißt von zuhause aus und wird erst in Pressburg von den Behörden aufgegriffen. Der Vater meldet den Sohn von der Rainergasse ab und steckt ihn im Sommer 1910 in ein typisches Schweizer Internat, nach Glarisegg am Bodensee, in dem der 14-Jährige keineswegs glücklich ist. Glauser rebelliert nicht mehr gegen den Vater, sondern gegen die Lehrer, was ihm 1913 den Ausschluss aus dem Institut einträgt. Der Vater schickt den Sohn daraufhin nach Genf, doch auch dort bleibt dieser ein Sorgenkind. Und als er sich despektierlich über die schriftstellerischen Versuche seines Deutschlehrers äußert, ist auch die Genfer Schulzeit jäh beendet.

Um dem väterlichen Zorn zu entgehen, flüchtet Glauser bei Nacht und Nebel nach Zürich, wo er im Frühjahr 1916 endlich die Matura macht. Er schreibt sich als Student der Chemie an die Züricher Universität ein, doch lange hält sein akademischer Elan nicht an. Glauser hat eine neue Welt für sich entdeckt: die der Schriftstellerei. Er findet Zugang zur Zürcher Dadaisten-Szene, verkehrt freundschaftlich mit Tristan Tzara, Hugo Ball und Max Oppenheimer, tritt mit ersten Gedichten in der Öffentlichkeit auf. Für den Vater hat der Sohn damit endgültig den Verstand verloren. Er lässt ihn psychiatrisch untersuchen und verweigert jegliche finanzielle Unterstützung. Glauser hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, doch die Rache des Vaters holt ihn ein. Im Dezember 1917 wird Glauser in ein psychiatrisches Sanatorium eingewiesen, wo man ihn mit Morphium ruhig stellt. Das "Mo" sollte ihn nie mehr loslassen.

Anfang Jänner 1918 beschließt das Zürcher Amtsgericht auf Antrag des Vaters, Glauser zu entmündigen. Dieser entzieht sich den Folgen dieses Urteils durch Flucht aus der Anstalt. Er setzt sich nach Genf ab, wird jedoch abermals aufgegriffen und nach Zürich expediert. Dass er dort einen Selbstmordversuch unternimmt, erscheint seinen Verfolgern als ein weiterer Beweis für seine psychische Krankheit. Man diagnostiziert "Dementia Praecox" und weist ihn neuerlich in eine Anstalt ein. Erst nach einem Jahr gelingt ihm abermals die Flucht, einige Monate kann er ein normales Leben führen. Er lebt mit einer Freundin in einer alten Mühle und widmet sich wieder der Literatur. Bei einem Besuch in Bellinzona allerdings wird er erkannt, und seine Freiheit hat ein Ende. Wieder reagiert Glauser mit einem Selbstmordversuch, wieder wird er arretiert.

Im Oktober 1920 darf Glauser die Anstalt verlassen, wird einem Bürger zur Obhut überlassen und findet eine Beschäftigung in einer Greißlerei. Doch ein solches Leben kann ihm keine Erfüllung sein. Glauser nutzt die erstbeste Gelegenheit, erneut auszubüchsen. Er begibt sich heimlich über Deutschland nach Frankreich, wo er sich von der Fremdenlegion anwerben lässt. Von 1921 bis 1923 tut Glauser Dienst in Marokko. Die dort gemachten Erfahrungen wird er in seinem einzigen Nichtkriminalroman, in "Gourrama", verarbeiten.

Wegen eines Herzfehlers wird Glauser aus der Legion entlassen. In Paris findet er Arbeit im "Grand Hotel Suisse", später werkt er im belgischen Charleroi als Grubenarbeiter. Die dortigen Bedingungen treiben ihn in einen weiteren Selbstmordversuch, worauf er wieder in der Psychiatrie landet. Im Mai 1925 sind die Irrenärzte seiner müde und bewirken die Abschiebung in die Schweiz, in die psychiatrische Anstalt Müningen.

Mut zur Schriftstellerei

Dort gerät Glauser erstmals in kompetente Hände. Der Freudianer Max Müller analysiert mit dem Patienten die Ursachen seiner seelischen Bedrängung und ermuntert ihn, zur Schriftstellerei zurückzukehren. In der Tat kann Glauser im Juni 1926 entlassen werden und ungeachtet der Tatsache, dass er bereits 30 Jahre alt ist, beginnt er eine Gärtnerlehre. Es sollte die einzige Ausbildung in seinem Leben bleiben, die er abschloss.

1928 beginnt Glauser mit der Arbeit am Roman "Gourrama", den er Anfang 1930 fertigstellt. Da es ihm nicht gelingt, einen Verlag dafür zu gewinnen, schreibt er einen weiteren Roman, der eine Kriminalhandlung zum Thema hat. "Der Tee der alten Damen" ist jedoch nicht nur ein Kriminalroman, er ist auch eine gelungene Gesellschaftssatire, die überkommene Verhaltensweisen ebenso aufs Korn nimmt wie die Affektiertheit Schweizer Biedermänner. Doch auch der "Tee" findet keinen Abnehmer, und Glauser schlittert wieder in die Krise. Er kehrt zum Morphium zurück und begeht kleinere Delikte (Rezeptfälschungen), um an "Mo" zu kommen. Das bringt ihn neuerlich in Konflikt mit der Obrigkeit, ab 1932 verbringt Glauser abermals lange Zeit in diversen Anstalten.

Positiv daran ist nur, dass er Berthe Bendel kennenlernt, die bis zu seinem Tod seine Lebensgefährtin bleibt. Als er im Jänner 1935 in eine Berner Anstalt gebracht wird, beginnt er mit seinem dritten Roman: "Wachtmeister Studer" sollte Glausers (Nach-)Ruhm begründen. In relativ kurzer Zeit entstehen fünf weitere Romane mit dem eigenbrötlerischen, grüblerischen und doch so beharrlichen eidgenössischen Polizisten, und Glauser spürt endlich Boden unter den Füßen. Er gibt Lesungen, zieht, aus der Anstalt entlassen, mit Berthe Bendel zusammen und kann sich im Dezember 1936 über die Veröffentlichung von "Wachtmeister Studer" freuen, dessen zweites Abenteuer schon Anfang 1937 publiziert wird. Glauser und Bendel können es sich leisten, in die Bretagne zu ziehen, wo Glauser sich zum ersten Mal wirklich frei fühlt. Und als im November 1937 sein Vater stirbt, kann Glauser hoffen, endlich wieder mündig gesprochen zu werden und heiraten zu können.

Doch sein Weg bleibt steinig. Entziehungskuren und Krankenhausaufenthalte gehören noch immer nicht ganz der Vergangenheit an, und die Verwirklichung der Hochzeitspläne erweist sich schwieriger als erwartet. Im Sommer 1938 weicht Glauser nach Italien aus, hoffend, man möge ihm dort weniger Steine in den Weg legen. Und tatsächlich: im Herbst hat er alle erforderlichen Dokumente beigebracht, alle Hindernisse überwunden. Die Hochzeit wird auf den 7. Dezember 1938 festgelegt. Am 6. Dezember feiert er mit Freunden Polterabend und verliert beim Abendessen plötzlich das Bewusstsein. Wiewohl in Windeseile ins Spital gebracht, fällt er in ein Koma, aus dem er nicht mehr erwacht. Zwei Tage später ist Friedrich Glauser tot.

Anwalt der Außenseiter

Waren zu Lebzeiten nur zwei Bücher von ihm erschienen, die zwar auf wohlwollendes Echo gestoßen, aber kommerziell kaum erfolgreich gewesen waren, so setzt noch während des Krieges ein gesteigertes Interesse an seinem Werk ein. 1939 beginnt die Verfilmung der Studer-Geschichten, die sich rasch großer Popularität und Beliebtheit erfreuen. So sehr, dass selbst Friedrich Dürrenmatt dem Kollegen seine Reverenz erweist. Der Roman "Das Versprechen" weist deutliche Paraphrasen auf "Wachtmeister Studer" auf, und Kommissär Matthäi wirkt wie ein in die Jahre gekommener Studer.

Heute ist Glauser ohne Frage ein Klassiker. Dies nicht zuletzt deshalb, weil seine Literatur so authentisch aus dem Leben gegriffen ist. Die Menschen, weiß Glauser, sind weder gut noch böse, es braucht nur einen kleinen Stolperstein, um ins Elend zu fallen. Die Welt ist nicht, wie sie sein sollte, uns bleibt nur, in ihr irgendwie zurechtzukommen. Das gelingt den einen besser, den anderen schlechter – und manchen gar nicht.

Glauser sah sich ein Leben lang auf der Seite der Außenseiter, der Ausgestoßenen, der Müden und der Beladenen. Für sie wollte er Verständnis wecken, ihnen wollte er eine Stimme geben: "Wenn es uns gelingt, Sympathien und Antipathien im Leser zu wecken für unsere Geschöpfe, für die Häuser, in denen sie wohnen, für die Spiele, die sie spielen, für das Schicksal, das über ihnen schwebt und sie bedroht oder ihnen lächelt? Das tat früher alles der Roman schlechthin, das Kunstwerk. Wäre es nicht eine lohnende Aufgabe für uns, ihm wieder Leser zuzuführen durch seinen verachteten Bruder, den Kriminalroman?"

Glauser schrieb nicht nur über die kleinen Leute, er wollte auch für sie schreiben: "Mein Ehrgeiz strebt nicht danach, von Literaturbonzen ernst genommen zu werden. Ich möchte die Leute erwischen, die Courts-Mahler lesen oder John Kling." Und indem er aufzeigte, dass "auch einfache Menschen komplizierte Schicksale haben können", holte er die Literatur aus dem Elfenbeinturm zurück und gab sie ihrer eigentlichen Bestimmung wieder. Eine solche Leistung ist nicht hoch genug zu bewerten, wenngleich Glauser selbst hier sofort Einspruch eingelegt hätte. Er, der sich selbst als vom Leben "so mürbe wie eine Linzertorte" sah, hätte sein Schreiben für keine große Sache gehalten: "Denn das Leben läuft weiter. Unlogisch, packend, traurig und grotesk zugleich."

Andreas P. Pittler, geb. 1964, studierte Geschichte und Germanistik und lebt als Publizist in Wien. Er hat neben zahlreichen Sachbüchern mehrere Romane und zwei Bände mit Kurzgeschichten veröffentlicht. Seine Werke wurden u.a. ins Slowenische, Französische und Serbokroatische übersetzt.

Printausgabe vom Samstag, 06. Dezember 2008
Online seit: Freitag, 05. Dezember 2008 14:35:00

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