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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Zu Besuch beim Schweizer Schriftsteller Markus Werner

Ein Chronist des Schwindels

Von Markus Bundi

Über eine Viertelmillion Bücher des 59-jährigen Schweizer Schriftstellers sind bisher verkauft worden. Nun ist "Am Hang" erschinen, sein siebenter Roman (siehe dazu die Rezension auf dieser Seite). Ein typischer Werner - doch was ist das überhaupt? Befragt man ihn auf seine Bücher, winkt er ab, zitiert Nietzsche, wonach der Autor, wenn das Werk einmal spreche, still zu sein habe. Kurz: kein Kommentar. Beziehungsweise: Wer seine Bücher kommentiere, entmündige die Leser. Diese Haltung ist nicht neu, nicht nur Markus Werner vertritt sie, wenn auch - zum Glück - nicht konsequent.

Dann sitzt ausnahmsweise ein Journalist in seinem Garten. Neugier trifft auf Neugier, und das Reden fällt eben doch leichter als das Schweigen. In Werners Romanen wird viel geredet, das Dialogische ist dem Autor wichtig, ist zentral in seinem Werk und tritt vielleicht gerade im jüngsten Roman am deutlichsten hervor. Markus Werner widerspricht nicht, fügt aber hinzu: "Meine Bücher sind über die Jahre stiller geworden." Ein Widerspruch? Mitnichten.

Die Extreme widersprechen sich oft, sind aber nicht selten in derselben Figur vereint und fast im-mer in einem Werner'schen Roman latent spürbar. Die Schwierigkeit beim Schreiben sei es, "die Balance zu finden und zu halten", sagt Werner, insbesondere auch mit Blick auf die beiden Männerfiguren Loos und Clarin im neuen Roman. Der Autor spricht von einer "grundsätzlichen Ambivalenz", die in all seinen Figuren stecke, die sich samt und sonders "fremd fühlen in der Welt".

Das Motiv der Balance findet sich denn auch in vielen Variationen. Im Roman "Die kalte Schulter" (1989) erfahren wir etwa vom Protagonisten Wank: "Es ist mir immer schwindlig, sagte er, es ist mir auch mit Mineralwasser schwindlig, mein Lebenslauf ist nämlich kein Lebenslauf, sondern eine Gleichgewichtsstörung, ich bin ausgeschlüpft und habe sofort das Gleichgewicht verloren, wahrscheinlich bin ich gar kein echtes Wirbeltier." Auch im folgenden Roman "Bis bald" (1992) hält Werner an diesem Motiv fest. Das Buch beginnt mit dem Satz: "Mir wurde schwindlig, kaum dass ich eingestiegen war." Und auch im Roman "Festland" (1996) finden sich aussagekräftige Passagen, die auf die Labilität der Figuren hinweisen. Doch der Autor winkt ab: "Einen festen Boden, den haben nur Idioten." Überhaupt fände man fast immer durchgängige Motive, wenn man lange genug suche. Zum Beispiel sei derzeit eine Berliner Studentin damit beschäftigt, zu beweisen, dass es in seinen Büchern immer um "Die Suche nach dem Ursprung" gehe.

Auch wenn Markus Werner solchen wissenschaftlichen Annäherungen skeptisch gegenüber steht, so sieht er sich keineswegs als Solitär in der Literaturlandschaft. Es seien durchaus Geistesverwandtschaften zu Kleist, Keller oder Kafka vorhanden. Doch war er vielen dieser Größen lange Zeit zu nahe. Das Literaturstudium war ihm für das eigene Schreiben nur bedingt hilfreich. Er brauchte Zeit, sich von den Klassikern wieder zu lösen, sich zu emanzipieren, um überhaupt zu einem eigenen Stil zu finden.

Und inhaltlich? Wie verhält es sich mit der Diagnose des Menschseins, die der Protagonist in Werners Debütroman "Zündels Abgang" (1984) stellte? - "Wie sieht denn ein moderner Lebenslauf aus? Abstoßend. Abstoßend und dreiaktig. Dreiaktig wie eine Komödie. Erster Akt: Auflehnung gegen das Seiende, also Böse. Zweiter Akt: Anpassung an das Seiende, also Böse. Dritter Akt: Bejahung des Seienden, also Bösen." - Heute erscheinen dem Schriftsteller diese Zeilen ein wenig zu laut, die Tonalität habe sich in den vergangenen 20 Jahren verändert, sei "stiller, aber nicht versöhnlicher" geworden, außerdem sei der Umgang mit der Welt in jedem Buch ein anderer.

Markus Werner lässt sich zwischen den jeweiligen Romanen sehr viel Zeit. Ganze fünf Jahre waren es diesmal. Das ist atypisch für die inzwischen übliche Rasanz im Literaturbetrieb. Solche Zwänge interessieren den Schriftsteller jedoch wenig, er stellt lediglich fest: "Ich bin ein exorbitant langsamer Schreiber."

Der "Umgang mit der Welt" ist im neuen Roman "Am Hang" ein doppelter, wenn nicht gar ein dreifacher. Augenfällig ist - ohne dass man lange danach suchen muss - wiederum die Thematik des Lügens. Schon Zündel stellte fest: "So weltfremd bin ich gar nicht. Ich kann lügen. Ich bin tauglich." Und Loos, einer der beiden Protagonisten, 20 Jahre später, ist ein Meister der Lüge, der wiederum Quintilian zitiert, "der meint, dass Lügner angewiesen seien auf ein vorzügliches Gedächtnis".

Auch dieser motivische Brückenschlag ist nur bedingt tragfähig. Denn nicht zuletzt die Umwege zeichnen Werners Romane aus. Die Lektüre seiner Bücher führt selten zu Eindeutigkeiten, das Gegenteil ist meist der Fall: Entscheidende Dinge fehlen, der Leser muss sich viele Geschichten selber ausmalen. Was Lüge ist und was nicht, lässt sich so nicht sagen. Und wenn einer aus Not schwindelt? Oder Geschichten erfindet, die er selber gar nicht mehr als Erfindung erkennt, weil er vielleicht andere Geschichten verdrängte?

Eine spezifische Art psychologischer Studien ohne Psychologie - so könnte man Werners Romane vielleicht vorsichtig bezeichnen. Und dann noch vorsichtiger daran anknüpfen, was die Literatur in ihrem Wesen ausmacht, diese eigenartige Kunstform in den Grauzonen zwischen Fiktionalität und Authentizität. Markus Werner ist ein literarischer Chronist des Schwindels, und dies - das versteht sich fast von selbst - in mehrfacher Hinsicht.

Freitag, 06. August 2004 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 12:13:00

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