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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Die Kinderbuchautorin Christine Nöstlinger wird 65

Nöstlinger, Christine: Lust am Handwerk

Von Sabine Fuchs

Weltweit lesen Kinder mit Begeisterung Christine Nöstlingers Geschichten vom Franz und der Mini, von fliegenden Katzen und Gurkenmonstern, österreichische Jugendliche lassen sich von den humorigen Wortschöpfungen inspirieren und auch Erwachsene werden in den Bann der Wiener Dialektgedichte gezogen oder schmunzeln über wöchentlich erscheinende bzw. in Büchern versammelte Kolumnen oder nehmen Nöstlingers Hilfe für ihre kulinarischen Experimente in Anspruch. Aber nicht nur schwarz auf weiß gedruckt, sondern auch zu sehen und zu hören sind Nöstlingers Texte. Märchenhafte Fernsehgeschichten für Erwachsene erdenkt sich die Autorin für Herrn Gsellmanns steirische Weltmaschine ebenso wie flatterohrige, dreizahnreihige Wischer-Wesen, die im Radio höchst amüsant täglich an ihrem Wischerleben teilnehmen ließen.

Begonnen hat die Erfolgsstory mit einem dicken, rothaarigen Mädchen, das die am 13. Oktober 1936 geborene Wienerin unzählige Male auf dem Küchentisch zeichnete. Ihr erfand sie eine phantastische Geschichte, in der sich die schreibende Grafikerin auf die Seite der Außenseiterin schlägt. "Die feuerrote Friederike" erschien 1970 im Verlag Jugend & Volk und begeisterte die emanzipatorisch Engagierten in der deutschsprachigen Kinderliteratur, wie auch Klaus Doderer, den Doyen der Kinder- und Jugendliteraturforschung: "Mein Gott, ein neuer Ton in der Jugendliteratur, ein brisantes Thema im Bereich der Kinderwelt, eine keineswegs süßlich geratene Paradies-Utopie im Kinderbuch!" Weniger Begeisterung lösten die Illustrationen aus, so dass sich Christine Nöstlinger aufs Schreiben verlegte. Aber dass sie sich nicht "zum Schreiben entworfen" habe, wie sie Klaus Doderer zu zitieren pflegt, betont die erfolgreiche Autorin immer wieder. Aber sie habe "Lust an dem Handwerk", diese Lust lässt dann ihre Texte sofort als 'Nöstlingersche' erkennen: Treffende Formulierungen, für sich sprechende Wortkreationen und eine alltagstaugliche Bereicherung der Jugendsprache.

Die "Gebrauchsliteratin"

Wenn sie ihre schriftstellerische Tätigkeit und ihre schier unendliche Fabulierkunst als "Handwerk" und sich selbst als "Gebrauchsliteratin" bezeichnet, entzieht sie sich galant einer literaturwissenschaftlichen Wertung und akademischen Kritik. Ebenso wenn sie betont, dass ihr LeserInnen wichtiger sind als Anerkennung von Fachleuten oder Journalisten. "Mein Arbeitsethos liegt ja nicht darin, dem Herrn Sektionschef ein liebes Kopfnicken zu entlocken. Mir gibt es mehr, wenn mich Arbeiterinnen und Verkäufer, Hausbesorger, Lehrlinge und Bäuerinnen verstehen." So ist es durchaus schlüssig, dass Christine Nöstlinger nach der 1978 für erwachsene LeserInnen geschriebenen desillusionierenden Familiengeschichte "Andreas oder die unteren sieben Achtel des Eisberges", die nicht als "Literatur" rezipiert wurde, keine Romane für Erwachsene veröffentlicht. Dieser Roman, in der die Großelterngeneration mit ihren Utopien scheitert, deren Kinder ohne Rücksicht gesellschaftlich aufzusteigen versuchen und dabei die Enkelgeneration ohne Perspektive zurückbleibt, wurde erst in den Jugendliteraturabteilungen wahrgenommen. Für ihre erwachsenen LeserInnen wählt Nöstlinger nun andere Medien - Tages- oder Wochenzeitungen, Fernsehen - und andere Genres, mit dem Ziel viele Menschen zu erreichen.

Dass sie eigentlich ein fauler Mensch sei und auch ohne Schreiben leben könne, lässt sich schwer vorstellen bei den weit mehr als 100 Büchern, unzähligen Artikeln und Kolumnen, die Christine Nöstlinger bisher veröffentlicht hat. Dazu gehören Bilderbücher, Romane für Kinder und Jugendliche, Gedichte für Kinder und Erwachsene, Kochbücher für Küchenmuffel, Ratgeber für Eltern von Kindern mit Essstörungen und Fotobände über Vogelscheuchen oder Schrebergärten. Aber sicherlich hat sie eben so viele Seiten Papier für ihre wöchentlich erscheinenden Kolumnen oder ihre täglichen Kommentare beschrieben. Nicht zu vergessen sind ihre Drehbücher zu TV-Filmen oder Serien und ihre literarischen Beiträge, die im Österreichischen Rundfunk gesendet werden. Dass die Autorin als "Ein-Mann-Buchstabenfabrik", wie sie selbstironisch ihre Produktivität kommentiert, ihre sprachgewaltigen Figuren variiert, ihre komische Schreibweise perfektioniert und damit ihrem Erfolgsrezept, ihre LeserInnen auch zu unterhalten, treu bleibt, verwundert nicht. Eher die anhaltende Qualität, die trotz auftretender Wiedererkennung gewahrt bleibt.

Internationale Anerkennung

Diese Qualität überzeugt nicht nur weltweit ihre Leserschaft, sondern ebenso die Jurys für diverse Preise: Viele der Bücher von Christine Nöstlinger wurden ausgezeichnet oder befinden sich auf Auswahllisten. Für ihr Gesamtwerk wurde ihr als bisher einziger Österreicherin die Hans-Christian-Andersen-Medaille verliehen. Einige ihrer Bücher, wie "Wir pfeifen auf den Gurkenkönig", zählen sogar zu den "Klassikern" der Kinder- und Jugendliteratur. Selbstverständlich gehören - auch preisgekrönte - Übersetzungen, teilweise in über zehn Sprachen von einem Titel, für den europäischen, amerikanischen und asiatischen Markt zum außerordentlichen Erfolg dieser österreichischen Autorin wie auch Verwertungen für andere Medien, etwa fürs Theater, für Audiokassetten, Fernsehen oder Kino. Erst 1999 reüssierten "Die drei Posträuber" als österreichischer Kinderfilm bei der Berlinale.

Der nun seit über 30 Jahren anhaltende Erfolg der Autorin basiert auf ihren Geschichten, die durch genaue Beobachtung, den Wortwitz der Figuren und der dichterischen Fantasie überzeugen. Sie schreibe über Dinge, die sie kenne, weshalb ihre Figuren so selbstverständlich als österreichische identifizierbar sind - gleich, ob es sich um phantastische Wesen vom Gurkenkönig über Simsalabim bis zum Hugo oder um Alltagshelden, wie sich emanzipierende Mütter, die häufiger Familienverantwortung übernehmenden Väter, opponierende Jugendliche oder die sprachgewaltigen Kinder handelt.

In "Der Spatz in der Hand und die Taube auf dem Dach" hat Christine Nöstlinger vorgeführt, dass sie ungeschönte Realität auch den Kindern nahe bringen kann. Aber
auf Grund mangelnder positiver Resonanz ihrer Leserschaft entschied sie sich, möglichst positive, noch als realistische zu lesende Alternativen anzubieten. "Da blieben, egal, ob phantastische Geschichten oder Alltagsgeschichte, Geschichten zum Lachen und zum Weinen, zum Sich-besser-Auskennen-im-Leben, zum Mitleiden und zum Mitfreuen, auch zum Trost, hoffe ich. Und vor allem dazu, wie ich von meinen Lesern gehört habe, dass da jemand etwas schlüssig formuliert, was man selber spürt, aber nicht so recht in Wörter packen kann."

Trotz des Verlustes an sozialkritischer Hartnäckigkeit bleibt der Realitätsbezug und soziales Engagement in ihren Büchern nicht wegzudenken. So können ihre literarischen Familiengeschichten seit Anfang der 70er Jahre als mögliche Varianten der Sozialform Familie in Österreich gelesen werden. Ihre Entwürfe von Familien, in denen Frauen (z. B. die Mutter von "Gretchen Sackmeier") ihre Emanzipation trotz festgefügter Rollenaufteilung versuchen oder in denen durch Scheidung Kinder, wie Feli in "Einen Vater hab ich auch", ihre Bedürfnisse im täglichen Leben einfordern oder dass eine größere Anzahl an Bezugspersonen "Sowieso und überhaupt" auch als Bereicherung gesehen werden kann, sind in den diversen Familienberichten der Nation demographisch untermauert nachzulesen.

Besonders in ihren Phantastischen Geschichten gelingt es Christine Nöstlinger, gesellschaftliche Zustände zu karikieren, ins Extrem zu steigern und vergnüglich auch für Erwachsene vorzuführen. Die kleinen wie die großen Sorgen und Nöte von "Dschi-Dschei-Wischer Dschunior" begleitete ganz Österreich täglich morgens im Jahr des Kindes 1979. Unschwer war die phantastische Welt als verfremdetes Abbild einer Wiener bzw. österreichischen Familienwelt zu erkennen. Und ihre uneingeschränkte Sympathie für den jungen Wischer wurde nicht immer nur goutiert.

Mit ihren Phantastischen Geschichten nimmt Nöstlinger immer wieder eine Gegenposition zur allgemeinen eskapistischen Tendenz in der phantastischen Literatur (für Kinder) ein. Ihr sozial-engagiertes Credo findet sich besonders deutlich im Roman "Hugo, das Kind in den besten Jahren" (1984), der inspiriert durch die Graphiken Jörg Wollmanns entstand. Mit diesem artikuliert Nöstlinger keine wie auch immer geartete Idylle, sondern bringt auf sarkastische Weise unsere gesellschaftlichen Probleme zum Ausdruck. Die phantastische Welt fungiert als Spiegel, der wie in einem Spiegelkabinett uns selbst verzerrt porträtiert. In dieser vielverzweigten Geschichte tritt sie vehement für die Rechte der Kinder ein, verurteilt jede Form von Diskriminierung und lässt ihrer engagierten Phantasie viel Raum. Gegen den Fatalismus, nichts tun zu können, schreibt Nöstlinger mit Hugo an: "Hasenhatz und Alte-Kinder-Los und Katzendiskriminierung und Krähenleid und Hundsminderheiten abschaffen ist bloß Flickarbeit! Damit änderst du in Wirklichkeit einen Schmarren! " (. . .) "Du bist einfach faul", rief Hugo. "Du willst gar nicht wirklich etwas tun! Man muß einschreiten, wo man kann! Vom Träumen wird nichts!"

Als ob Hugo ein Alter Ego wäre, schreitet Christine Nöstlinger ein, wo sie kann: Öffentlich wirbt sie für Steyrer als Bundespräsident im Wahlkampf gegen Waldheim oder trotzt als Galionsfigur von SOS-Mitmensch der stärker werdenden Ausländerfeindlichkeit, aber besonders mit ihren sozialkritischen Texten, die sie als eine Anwältin für die Rechte der Kinder ausweisen. Und als solche meldet sie sich nach einer einjährigen Pause mit der neuen Bilderbuchserie mit Dani Dachs zurück. Auch rechtzeitig zu ihrem Geburtstag beschenkt Christine Nöstlinger ihre Fans mit den von ihr selbst gelesenen Dialektgedichten "Iba de gaunz oaman Leit".

Sabine Fuchs hat gerade im Dachs Verlag Wien das Buch "Christine Nöstlinger. Eine Werkmonographie" veröffentlicht.

Christine Nöstlingers Lebenswerk

Bücher

Geplant habe ich gar nichts. Aufsätze, Reden, Interviews, 1996

Die feuerrote Friederike, 1970

Wir pfeifen auf den Gurkenkönig, 1972

Iba de gaunz oaman kinda, 1974, Iba de gaunz oaman fraun, 1982, Iba de gaunz oaman mauna, 1987 (zusammen ediert in: Iba de gaunz oaman leit, 1996)

Maikäfer flieg!, 1973, Zwei Wochen im Mai, 1981, Der geheime Großvater, 1986 (autobiographische Romane)

Der Spatz in der Hand und die Taube auf dem Dach, 1974

Konrad oder Das Kind aus der Konservenbüchse, 1975

Die unteren sieben Achtel des Eisbergs, 1978

Gretchen Sackmeier, 1981, Gretchen hat Hänschenkummer, 1983, Gretchen mein Mädchen, 1988

Hugo, das Kind in den besten Jahren, 1983

Geschichten vom Franz (seit 1984)

Haushaltsschnecken leben länger, 1985

Der neue Pinocchio, 1987

Werter Nachwuchs. Die nie geschriebenen Briefe der Emma K., 1988

Der Zwerg im Kopf, 1989

Einen Löffel für den Papa. Einen Löffel für die Mama . . ., 1989

Anna und die Wut, 1990

Sowieso und überhaupt, 1991

Ein und Alles. Ein Jahrbuch, 1992

Mini-Bande (seit 1992)

Mit zwei linken Kochlöffeln, 1993

Einen Vater hab ich auch, 1994

Madisou, 1995

Bonsai, 1997

Dani Dachs (seit 2001)

Hörspiele

Dschi-Dschei-Wischer Dschunior, 1979

TV-Filme und -serien

Die Weltmaschine, 1981

Auf immer und ewig, 1984

Die verlorene Wut. TV-Oper, 1987

Franz und frei. Musical, 1991

Vier Frauen sind einfach zuviel, 1992

Eine Dicke mit Taille, 1994

Die Emmingers, 1977

Rosa und Rosalind, 1987

Sowieso und überhaupt, 1991

Ein Wahnsinnskind, 1993

Nicht ohne Marie, 1994

Preise und Auszeichnungen (Auswahl)

Friedrich-Baldecker-Preis, 1973

Deutscher Jugendliteraturpreis 1973, 1988

Österreichischer Kinder- und Jugendliteraturpreis 1974, 1979, 1984, 1987

Kinder- und Jugendbuchpreis der Stadt Wien 1981, 1982, 1987, 1990, 1991

Hans-Christian-Andersen-Medaille 1984

Johann-Nestroy-Ring der Stadt Wien 1986

EA-Generali-Sonderpreis des Hans-Czermak-Preises des Verbands Wiener Volksbildung für gewaltfreie Erziehung 1994

Friedenspreis des österreichischen Buchhandels 1998

Freitag, 12. Oktober 2001 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 14:57:00

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