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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Vor 125 Jahren wurde der Dichter Theodor Däubler geboren

"Ausgefranster Vergil"

Von Oliver Bentz

Ich lag etwas elend (nicht ernstlich krank) im Bett als die neuesten Inselbüchlein kamen, griff nach dem Däubler und war von der Schönheit von drei, fünf, zehn dieser Gedichte ganz gefangen. Da gibts keinen Zweifel, das ist schön, neu, original und schön, merkwürdig, bizarr und schön, vor allem schön. Es ist etwas: es ist eine neue Welt.

Die begeisterten Worte, die Hugo von Hofmannsthal hier am 23. Mai 1916 aus Rodaun an Katharina Kippenberg, die Frau des Verlegers Anton Kippenberg sandte, galten der Lyrik des Dichters Theodor Däubler, der vor 125 Jahren - am 17. August 1876 - im damals österreichischen Triest als Sohn deutscher Eltern geboren wurde. Heute ist der Name Theodor Däubler weitgehend vergessen, sein Werk, so Friedhelm Kemp, "zerstoben, wie nicht gewesen". Dabei gehörte Däubler mit der prophetischen, rauschhaft empfundenen Bilderwelt, die in seinen Dichtungen zum Ausdruck kommt, und seinen Essays zum Expressionismus in der bildenden Kunst zu den Inauguratoren und einflussreichen Wortführern der expressionistischen Bewegung im Deutschland des frühen 20. Jahrhunderts.

Doch schon zu Lebzeiten war Däubler, dieses Urviech mit der imposanten Leibesfülle und dem archaischen weißen Bart, mehr Legende als vielgelesener Autor. Das dichterische Werk des "vollbartumrieselten, neptungemähnten Kolosses" und "ausgefransten Vergils" (Walter Mehring) galt den Zeitgenossen als genialisch, aber ungenießbar. Seine Bücher wurden zwar bestaunt, aber selten gekauft und kaum gelesen, geschweige denn verstanden - ein Schicksal, mit dem Däubler lebenslang haderte und in seinen Tagebüchern darüber lamentierte. Selbst die Wiederentdeckung der expressionistischen Dichtung nach dem Krieg ging an Däubler nahezu spurlos vorüber.

Mehr Beachtung zu Lebzeiten erlangte Däubler, der neben Herwarth Walden vielleicht der wichtigste Vermittler zwischen Dichtung und Malerei am Beginn des 20. Jahrhunderts war, mit seinen theoretischen Schriften zur zeitgenössischen Kunst. Seine Essays über Marc Chagall, Paul Klee, Franz Marc oder Pablo Picasso öffneten seinen Zeitgenossen den Blick auf die Moderne. Däubler, der fast sein gesamtes Dichterleben auf Reisen verbrachte, war mit vielen wichtigen europäischen Autoren und Künstlern seiner Zeit bekannt oder gar befreundet. Wenn er in Berlin weilte, war der Bohemien ein gern gesehener "Salonlöwe" in den Künstlergesellschaften.

Mit 15 Jahren - die Eltern erachteten den jungen Theodor als schuluntauglich und brachten ihn als Schiffsjungen auf ein Segelschiff - begann das unstete Wanderleben dieser fast tragisch zu nennenden Dichterexistenz. Von 1898 bis 1903 lebte er in Neapel, Berlin, Wien, Venedig und Rom. Es folgten einige Jahre in Paris, wo er die moderne Malerei kennen lernte und sich am Impressionismus begeisterte. 1910 ging der Autor bis zum Weltkrieg nach Italien. In den Kriegsjahren lebte Däubler in Dresden und Berlin, wo er - vom Kriegsdienst freigestellt - als Kunstberichterstatter arbeitete. Einer kurzen Episode in der Schweiz folgte von 1920 bis 1926 der Aufenthalt in Griechenland. Däubler wanderte durch das Land und unternahm ausgedehnte Reisen nach Konstantinopel, Palästina, Syrien, Ägypten und Nubien. Die erbärmliche Lebensumstände in diesen Jahren beschrieb Däubler eindrucksvoll in seinen Aufzeichnungen.

Däublers "poetische Summe" bildet das Riesenepos "Das Nordlicht", an dem der junge Schriftsteller seit 1898 - als der 18-Jährige, der die italienische Sprache ebenso beherrschte wie die deutsche, beschloss, ein deutscher Dichter zu werden - arbeitete und das er erstmals 1910 und in den folgenden Jahrzehnten in verschiedenen Umarbeitungen herausgab. In den mehr als 30.000 Versen dieses voluminösen 1.200 Seiten starken Erdmythos, einer fantastisch-visionären, durch ihren hohen Symbolgehalt schwer zu ergründenden Kosmogonie in großen Gedichtzyklen, strömen christliches und antik-heidnisches Weltgefühl zusammen. Die lyrisch überflutete Handlung des stellenweise chaotisch wirkenden Werkes vereinigt - gleich der expressionistischen Malerei - eine kaum erfassbare Fülle funkelnder, glühender und rauschhafter Bilder und Visionen.

"Die Erde sehnt sich, wieder ein leuchtender Stern zu werden"; "In strengen Seelen glüht der Beruf, im Menschen das Urlicht zu ergründen"; "Daher fasste ich schon damals das Leben als keine persönliche Angelegenheit auf, sondern jedem Dasein musste eine überpersönliche Aufgabe mitgegeben sein"; "Es bleibt unsre Pflicht, die Erde zu sich, d. h. zu ihrem eigentlichen Licht zu bringen". In diesen Zeilen tritt die überindividuelle, mystisch-kosmische Begründung des expressionistischen Pathos zu Tage. Sie fordern den Aufbruch des Menschen, sein Streben über die tote Natur hinaus, seine Bejahung eines durchseelten Kosmos und zugleich des Geistes.

In seinen während der Jahre in Italien und Griechenland entstandenen Werken lieferte Däubler essayistische Beschreibungen antiker Stätten oder feierte in lyrischer Form wortgewaltig und mit hoher Sprachmusikalität die Schönheit des Mittelmeeres und die hellenistische Götterwelt. So verfasste er, durch die Lektüre Platons inspiriert, seine "Attischen Sonette" (1924), eine Sammlung von 60 Sonetten, in denen er die "Entfaltung des Menschen zur Sonne" zum Thema machte. Unter dem Eindruck der griechischen Mythologie sah Däubler in den historischen Stätten Griechenlands den Ort der Entfaltung und das Ziel der Sehnsucht.

Schwer erkrankt kehrte Däubler 1926 nach Deutschland zurück und ließ sich in Berlin nieder. Zeit seines Lebens war er ohne regelmäßiges Einkommen und somit abhängig von spärlich fließenden Zuwendungen und mancherlei Beihilfen, die ihm Kulturinstitutionen oder private Mäzene zukommen ließen.

Auch die Wahl Däublers zum Präsidenten der 1926 gegründeten deutschen Sektion des PEN-Clubs und die zwei Jahre später folgende Aufnahme in die Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste konnten nichts daran ändern, dass Däubler sich von der literarischen Öffentlichkeit in Deutschland missachtet und von seinen Verlegern im Stich gelassen fühlte. Viele der führenden Maler und Bildhauer der Zeit wählten sich den riesenhaften Dichter mit der imposanten Leibesfülle, dem massigen Kopf und dem struppigen Bart zum Modell. "Ich bin in meinem Leben", so schrieb er 1929 in einer Glosse über das Porträtiertwerden, "schon ein halbes Jahr gesessen, auf 50 Jahre verteilt immerhin erträglich. Meine Ankläger waren . . . Huf, Nadel, Lehmbruck, Hettner, Wolf-Königsberg, Meidner, Petrich, Barlach, Dix." Die bekanntesten der in die Hunderte reichenden künstlerischen Darstellungen Däublers sind heute das Gemälde "Bildnis des Dichters Theodor Däubler" von Otto Dix aus dem Jahr 1927 (siehe Abbildung) sowie die Skulpturen Ernst Barlachs, die den Dichter zum Vorbild haben, etwa die 1929 geschaffene Bronzeplastik "Ruhender Däubler".

Am Ende der zwanziger Jahre hielt sich Däubler wieder in Griechenland auf, von wo er 1932 wegen einer schweren Tuberkuloseerkrankung nach Deutschland zurückkehren musste. Kuraufenthalte in der Schweiz brachten keine Besserung.

Nach einem Schlaganfall 1933 verbrachte Däubler seine letzten Lebensmonate in einem Sanatorium in St. Blasien im Schwarzwald, wo er, das Treiben der Nazis in Deutschland deprimiert beobachtend, am 13. Juni 1934 starb. Der Freund Ernst Barlach, der dem "ungetümlichen Wanderpoeten" (Barlach) über seine zahlreichen Däubler-Plastiken hinaus im Roman "Seespeck" ein literarisches Denkmal setzte und auch ein Grabmal für den Dichter entworfen hat, bearbeitete die Totenmaske.

Die Beerdigung auf dem Waldfriedhof Heerstraße in Berlin-Westend nutzten die neuen Funktionsträger im kulturellen Leben Nazideutschlands zum pathetischem Auftritt. "Im Auftrag der Dichterakademie", so schilderten es die Zeitungen in jenen Tagen, "legte Werner Beumelburg einen großen Kranz am Sarge nieder. Für die Union Nationaler Schriftsteller sprach Dr. Hanns Martin Elster, der in feinsinnigen Worten das dichterische Werk Däublers würdigte und ihn einen Dichter heroischer Art nannte."

Däublers Grab schmücken zwei Verse aus dem "Nordlicht": "Ich bin der Glaube an die Macht der Sonne", der Schlussvers des geschwänzten Sonetts "Der Untergang" - und der Schlussvers des gesamten Epos: Die Welt versöhnt und übertönt der Geist!"

Freitag, 17. August 2001 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 14:58:00

Lexikon



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