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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Antonio Skármeta ist chilenischer Botschafter in Berlin

Skármeta: Dichter mit Diplomatenpass

Von Michael Bienert

Dass berühmte Dichter von ihren Heimatländern als Botschafter ins Ausland geschickt werden, ist in Lateinamerika nichts Ungewöhnliches. Schriftsteller wie Pablo Neruda, Carlos Fuentes und Octavio Paz arbeiteten im diplomatischen Dienst, und als im Frühjahr dieses Jahres der neue chilenische Präsident Ricardo Lagos einen Botschafter für Berlin suchte, rief er einfach bei Antonio Skármeta an. Einen Tag hatte der populäre Romancier, Drehbuchautor, Literaturprofessor und Fernsehmoderator Zeit, sich die Sache zu überlegen.

Nun fährt er seit ein paar Wochen täglich in der Dienstlimousine durch die aufgewühlte Stadt und fühlt sich "wie in einem Zigeunerlager". Offiziell befindet sich die Botschaft in einem realsozialistischen Plattenbau am Rande des neuen Regierungsviertels. Lieber als dort empfängt Skármeta Gesprächspartner im noblen Grunewaldviertel, wo er in einem pompösen Schlosshotel aus der Kaiserzeit wohnt. Ganz in der Nähe hat sein Land ein Grundstück gekauft, um nach Plänen eines chilenischen Architekten eine Botschaftervilla zu errichten. "Das wird unser Beitrag zum neuen Berlin", sagt der frischgebackene Diplomat, "ein Haus, das viel von unserer Geographie, unserer Kultur, auch unseren Träumen ausdrücken soll."

Bis die Residenz fertig ist, werden aber noch ein, zwei Jahre vergehen. Schon im kommenden Monat sollen die 15 Botschaftsangestellten in neue Büros am Gendarmenmarkt umziehen, eine der schönsten Andresse in der Innenstadt. Im spannenden Nationenwettbewerb um die ansprechendsten Botschaftsadressen in Berlin will Chile wenigstens im oberen Mittelfeld mitspielen.

Vertraute Plätze von früher

Mit einem Urteil über die neue Hauptstadt hält sich Skármeta noch zurück. Er sehe sie mit Staunen, aber mit seinen Empfindungen sei er noch nicht ganz in der Gegenwart angekommen. Die ersten Wochen verbrachte er damit, seine Lieblingsplätze, vertraute Kneipen und Buchhandlungen im früheren Westberlin wiederzusehen. 14 Jahre hat er dort als chilenischer Exilant gelebt. Nach dem Sturz des sozialistischen Präsidenten Salvador Allende und der Errichtung von Pinochets Militärdiktatur kam Skármeta 1975 mit einem DAAD-Stipendium nach Deutschland. In Westberlin hat er für die chilenische Widerstandsbewegung gearbeitet, war Dozent an der Film- und Fernsehakademie, demonstrierte mit dem heutigen grünen Außenminister Joschka Fischer und führte ein legendäres Liebesleben. Seine älteren Söhne sind hier zur Schule gegangen, einer lebt mit zwei Enkelkindern noch heute in Berlin. Seit vielen Jahren ist Skármeta mit einer Deutschen verheiratet. Er liebt die deutsche Sprache und Literatur, besonders die Romantiker, aber auch Heidegger. Als er im Frühjahr 1989 nach Chile zurückkehrte, fiel ihm der Abschied nicht leicht.

Während andere literarische Emigranten daran zugrunde gingen, dass sie ihren Resonanzraum verloren, überwand Skármeta in Westberlin die kreative Unlust, in die ihn Pinochets Putsch gestürzt hatte. Hier schrieb er seinen Welterfolg "Mit brennender Geduld", die Geschichte der Freundschaft des kleinen Briefträgers Mario mit dem großen Dichter Neruda. Skármetas eigene Verfilmung für das Fernsehen wurde mit Preisen überhäuft, Michael Radfords aufwendigere Filmadaption unter dem Titel "Der Postmann" für mehrere Oscars nominiert. Vor dem Hintergrund wachsender Fremdenfeindlichkeit aktuell geblieben ist die in Berlin spielende Erzählung "Aus der Ferne sehe ich dieses Land". Darin erzählt Skármeta von den Alltagsnöten eines chilenischen Emigrantenkindes, so einfach und plastisch, dass es auch jugendliche Leser gefangen nimmt.

Skármeta ist ein lustbetonter Erzähler, dessen Alltagshelden von heftigen Gefühlen und spontanen Erektionen überwältigt werden, der gerne sinnliche Genüsse in farbige Metaphern kleidet und die ironische Pointe liebt. Im Habitus des heute 59-Jährigen entdeckt man viel von seiner Erzählhaltung wieder: das Augenzwinkern hinter den kleinen runden Brillengläsern, das Lächeln unter dem schwarzen Schnurrbart, die rundliche Statur des in die Jahre gekommenen Genussmenschen.

In Santiago hätte er in den nächsten Jahren ein schönes Poetenleben weiterführen können. In Berlin absolviert er einen dichten Terminplan mit diplomatischen Stehempfängen, Journalistengesprächen und Werbeveranstaltungen für potenzielle Investoren. Warum hat er sich für die Funktionärsrolle entschieden? "Ich habe mich ein Leben lang für die Demokratisierung meines Landes engagiert", antwortet Skármeta, "deshalb war es nur konsequent, auch eine Verantwortlichkeit zu übernehmen, als sie mir angeboten wurde. Jetzt komme ich als Vertreter Chiles in einem Augenblick nach Europa zurück, wo mein Land Sternstunden der Demokratie erlebt. Denken Sie nur an die endgültige Aufhebung der Immunität von General Pinochet. Damit schließt sich für mich ein Kreis in meinem eigenen Leben."

Es trifft sich gut, dass in diesen Tagen Skármetas neuer Roman "Die Hochzeit des Dichters" im Piper Verlag auf Deutsch erscheint, in Lateinamerika bereits ein Bestseller (siehe Besprechung nebenan). Eine kleine Insel in der Adria gerät am Vorabend des Weltkrieges in den Sog der großen Politik. Die Dorfjugend massakriert ein Kommando österreichischer Soldaten, das Kanonenfutter für den Krieg rekrutieren will. Die vernichtende Strafaktion lässt nicht lange auf sich warten. Nur ein Dutzend jugendlicher Rebellen kann sich nach Italien retten. In Rapallo stellt eine gnädige Konsulin den Flüchtigen einen Gemeinschaftspass für die Einreise nach Chile aus. Vorbild für die Figur, verrät der Autor, war die chilenische Diplomatin, Lyrikerin und Nobelpreisträgerin Gabriela Mistral. Als Skármeta die Episode erfand, ahnte er jedoch nicht, wie schnell er sich selbst auf einem Diplomatensessel wiederfinden würde.

Nöte der kleinen Leute

Das Emigrantenschicksal ist tief in seiner Familie verwurzelt. Sein eigener Großvater und dessen Cousin stammen von der dalmatischen Küste. Der eine floh nach Chile, der andere wurde in New York Millionär, so wie die Brüder Stephano und Reino im neuen Roman. Als Kind erzählte die Großmutter viel von der verlorenen Heimat im Habsburgerreich. Während seiner Exilzeit reiste Skármeta von Deutschland nach Jugoslawien, wo das Leben an der Küste ihm seltsam vertraut vorkam. In den neunziger Jahren wurde der Krieg auf dem Balkan zum Katalysator für die Niederschrift des neuen Romans. Skármeta erfand die ungeschriebene Geschichte seiner Vorfahren neu. Wie in früheren Büchern geht es gleichnishaft um die Nöte der kleinen Leute, die plötzlich Entscheidungen auf Leben und Tod treffen müssen. Auch erzähltechnisch hält sich der Autor bei aller Kunstfertigkeit an deren Alltagsperspektive: "Im Großen gesehen beeindrucken uns Kriege als Tragödien. Kennt man sie im Kleinen, sieht man Zwischenstücke von Komödie, Satire und Melodram darin."

Skármetas Bücher sind inzwischen in 25 Sprachen übersetzt. Die Berufung zum Botschafter hat ihn auf dem Zenit seines literarischen Ruhms erwischt. Er freut sich darüber wie über die unvorhersehbaren Wege seiner Romanfiguren. Zum Abschied zitiert er in einer sehr freien deutschen Übersetzung mit chilenischem Akzent eine Weisheit von Albert Camus: "Man kann vom Fußballspiel sehr viel lernen. Vor allem weiß man nie, aus welcher Richtung der Ball kommt."

Freitag, 15. September 2000 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 15:17:00

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