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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

US-Autorin Rita Mae Brown im Gespräch

Brown, Rita Mae: Ein Leben in Rubinrot

Von Christine Dobretsberger

Die Möglichkeit besteht darin, dass man alles kann, alles ergreifen · mit allen Daseinsformen experimentieren kann. Denn was die Möglichkeit verspricht, muss
verführerischer wirken als die Wirklichkeit · es sei denn, es handelt sich um eine Wirklichkeit, die in sich schon das äußerste Maß an Mut zu einem facettenreichen Leben birgt. Ein Kontingent, das
die amerikanische Autorin Rita Mae Brown in vollen Zügen ausschöpft: Roman-, Thriller- und Drehbuchautorin, Galionsfigur der Frauen- und Lesbenbewegung, Farmbesitzerin, Katzenliebhaberin und
Pferdezüchterin · eine schillernde Persönlichkeit, die auf Einladung der amerikanischen Botschaft im Zuge ihrer Lesereise in Wien Station machte und ein Gespräch mit der „Wiener Zeitung"
führte.

„Wiener Zeitung": Ich bin sicher, Sie kennen die Theorie, wonach es derselben Energie bedarf, ob man lacht oder weint. Nur dass man sich beim Lachen wohler fühlt. Als ich Ihre Autobiographie
„Rubinrote Rita" las, hatte ich ähnliche Gefühle. Manchmal musste ich lachen, aber es war jenes Lachen, das im Hals stecken bleibt. Ist das Ihr Schreibstil?

Rita Mae Brown: Ich denke ja, obwohl diese Art ungleich schwieriger ist. Nach meiner Erfahrung wird man · zumindest in Amerika · ignoriert, wenn man auf direkte Art und Weise sagt, was man zu
sagen hat. Wenn man es humorvoll-komisch verpackt, hören die Leute zu.

„W. Z.": Diskriminierung und Ihre klar definierte politische Haltung werden in Ihrem Buch stark thematisiert. Sind Sie immer noch politisch aktiv?

Brown: Ja. Zumeist bei Wahlkampagnen. Auch innerhalb der Frauenbewegung gibt es Gruppen, die ich unterstütze.

„W. Z.": Wie groß ist der feministische Einfluss auf die Politik in den USA?

Brown: Das ist schwierig zu beantworten, weil sich die meisten Frauen nicht mehr als Feministinnen bezeichnen. Es ist anders als vor 20, 25 Jahren. Feminismus, im Sinne einer klar definierten
Ideologie gibt es nicht mehr. Irgendwo ein Paradoxon, denn Frauen, vor allem junge Frauen, die es geschafft haben, hohe Positionen inne zu haben, realisieren zwar nicht, dass sie Feministinnen sind,
üben aber dennoch eine große Vorreiterrolle aus.

„W. Z.": Ihre Autobiographie erweckt den Eindruck, dass sie überall unerwünscht waren. Bei den Feministinnen genauso wie in der Szene lesbischer Frauen.

Brown: Ja, das ist absolut wahr.

Zwischen allen Lagern

„W. Z.": Hat sich heute an dieser Situation etwas verändert?

Brown: Ein wenig. Jeder wird älter und weiser. Heute bekomme ich im Nachhinein viel Zustimmung, was mitunter eine groteske Situation ist, nachdem man immer zwischen allen Lagern gestanden ist.
In Bezug auf · wie ich es nenne · „Overground-Politics" bin ich bei vielen Frauen willkommen, im Sinne, dass sie sich durch mein Mitwirken bessere Fortschritte erhoffen. Denn niemand traut in
Wahrheit denjenigen, die fürs Präsidentschaftsamt kandidieren.

„W. Z.": Inwiefern?

Brown: Ich habe das Gefühl, dass man mit Frauen ein letztendlich leicht durchschaubares Spiel treibt. Und das dürfte genauso für Österreich gelten. Es ist immer dasselbe Muster: Vor den Wahlen
verspricht man, unsere Stimme, unsere Wünsche auf politischer Ebene zu vertreten. Und wenn sie dann im Amt sind, vergessen sie uns, vergessen sie, dass wir sie dorthin gebracht haben. Unsere Anliegen
werden nicht vertreten.

„W. Z.": Sie zeichnen von sich das Bild eines vorwiegend rationalen Menschen.

Brown: Das ist schön zu hören.

„W. Z.": Andererseits schimmert hinter vielen Äußerungen ein hoher Grad an Emotionalität durch. Wer ist Rita Mae Brown nun wirklich?

Brown: Wir sind alle eine Mixtur aus Gefühl und Intellekt. Es war wahnsinnig schwierig diese Autobiographie zu schreiben. Noch einmal durch alle Lebensabschnitte zu gehen war sehr verwirrend.
Ich bin zu der Einsicht gekommen, dass man immer nur glaubt, man sei vernünftiger als man es letztendlich ist.

„W. Z.": Sie schreiben: „Freundschaft ist auf ein erträglich gebrachtes Maß an Liebe." Nach dieser Definition könnte man meinen, Liebe sei etwas Unerträgliches?

Brown: Nein, aber Freundschaft ist Liebe minus Verrücktheit. Wenn man in romantische Liebe fällt, eröffnet sich eine stark irrationale Komponente. Es muss irrational sein. Niemand, der rational
darüber nachdenkt wird heiraten. Wenn Sie ganz rational überlegen, was es heißt, mit einem Menschen zu leben, werden sie es nie tun. Es ist einfach zu schwierig. Nur dieses Irrationale erlaubt es,
jenseits aller Fragen, uns aufeinander einzulassen. Aber ich denke, Liebe ist oft sehr schwierig, weil man gegenseitig sehr hohe Ansprüche hat. Freunde sind viel vernünftiger.

„W. Z.": In diesem Zusammenhang fällt mir eine Definition des französischen Philosophen Gabriel Marcel ein: „Einen Menschen zu lieben heißt, ihm sagen, Du wirst nicht sterben."

Brown: Ja, das ist eine sehr schöne Definition von Liebe, und ich denke, sie ist auch wahr. Und genau das ist auch mein Anliegen in „Rubinrote Rita".

„W. Z.": Erinnern Sie sich an Ihren Ausspruch: „Die beste Welt wäre eine Balance zwischen Ideen und Individuen."?

Brown: Nicht genau. Aber es klingt schrecklich intelligent. Ich hoffe, dass ich das gesagt habe.

„W. Z.": Was meinen Sie konkret mit diesem Satz?

Brown: Ich will versuchen, es auf eine andere Weise zu erläutern. Lasen Sie im College die „Orestie" von „Aischylos"? Klytaimestra tötet Agamemnon und Orestes in weiterer Folge
seine Mutter Klytaimestra. Nach der Tat wird Orestes von den Rachegeistern verfolgt, letztendlich aber durch den Richterspruch der Athena freigesprochen. Womit die Blutrache von einem durch Gesetze
geregelten Recht abgelöst wird, was den Übergang zu einem neuen, patriarchalischen Recht markiert.

Ideologien statt Emotion

Aber zurück zu Individuen und Ideen. An amerikanischen Universitäten fungiert diese Metapher als der Beginn von Rechtsprechung. Das Familienrecht, die Blutrache ist somit passé. Das ist ein großer
Schritt vorwärts in der Zivilisation, aber auch der Trick von Patriarchaten. Menschliche Emotion wird durch eine Ideologie ersetzt. Tatsächlich beginnen die Menschen Ideologien zu verherrlichen,
anstatt einander zu lieben. Die Idee bekommt einen wichtigeren Stellenwert als die Person. Was ich sage meint, wir müssen zurück zu einer Balance finden. Das sollte unser Ziel sein.

„W. Z.": Kunst spielt bei Ihnen eine große Rolle.

Brown: Kunst ist das Leben.

„W. Z.": Demzufolge Ihr Ausspruch: „Sex ist flüchtig, Kunst ist ewig."

Brown: Ja, davon bin ich überzeugt.

„W. Z.": Eigentlich eine groteske Situation, wenn man bedenkt, dass homosexuelle Menschen des öfteren fast ausschließlich auf ihre Sexualität reduziert werden.

Brown: Genau dieses gängige Vorurteil muss man zunichte machen. Diese Fokussierung auf den Bereich der Sexualität, was sowohl individuell als auch politisch betrachtet enormen Schaden
anrichtet. Aber Druck ist immer schmerzhaft, egal ob auf Grund von Rasse, Geschlecht, oder in unserem Fall von Sexualität, weil Individualität einfach negiert wird. Man wird als Objekt angesehen, als
Funktion, als Stereotyp, · das macht mich rasend und kämpferisch. Andere mögen sagen, das geht mich nichts an, ich bin die Ausnahme der Regel. Aber niemand ist die Ausnahme der Regel. Jeder der das
leugnet, schadet sich nur selbst. Man muss es akzeptieren, erkennen und kämpfen. Ich denke, die beste Art zu kämpfen ist sich mit anderen Menschen zusammenzuschließen. Aber ich bin eben immer
politisch, das ist meine Art das Leben zu sehen.

„W. Z.": Sie leben in Virginia, einem Bundesstaat, in dem Homosexualität vom Gesetz her immer noch strafbar ist. Kommt es gelegentlich zu Konfrontationen?

Brown: Nein. Virginia ist durch und durch ein Paradoxon. Ich möchte eine kurze Geschichte, einen Witz erzählen: Wie viele Virginier bedarf es, um eine Glühbirne zu wechseln? Es bedarf vier
Menschen. Einen, um die Glühbirne auszutauschen, und drei, die dir erzählen, wie großartig die alte Glühbirne war. Und das beschreibt exakt die Einstellung in Virginia. Die Vergangenheit wird
verehrt. Konkret bedeutet das, dass in den Büchern eine Menge Gesetze sind, die niemand anrührt, aber auch nicht entfernt. Du kannst tun, was immer Du willst, aber komm nicht mit dem Gesetz in
Berührung! Es ist wirklich verückt.

„W. Z.": Was war für Sie ausschlaggebend, die literarische Schiene zu wechseln und Katzenkrimis zu schreiben?

Brown: Ich mache immer noch beides. Nächstes Jahr wird wieder ein Roman von mir herauskommen. Generell versuche ich immer abzuwechseln. Einmal gemeinsam mit Sneaky Pie einen Katzenkrimi, dann
wieder ein Roman. Aber diese Differenzierungen sind im englischen Sprachraum nicht vorhanden. Es ist gang und gäbe, dass ein Autor sich verschiedenen literarischen Genres widmet.

Kunst contra Krieg?

„W. Z.": Denken Sie, generell betrachtet, dass man aus Romanen etwas lernen kann?

Brown: Nach den beiden Weltkriegen ist es sehr schwierig geworden, an einen positiv-vermittlerischen Einfluss von Kunst zu glauben. Der Zweite Weltkrieg ist das Folgekapitel vom Ersten
Weltkrieg. Man muss sich selbst die Frage stellen, wie zivilisierte Menschen auch heute noch dieses horrible Blutvergießen fortsetzen können. Heute mit 55 Jahren habe ich immer noch keine Antwort.
Von daher weiß ich nicht, ob Menschen von Romanen lernen können, wenngleich ich gerne davon ausginge, dass Kunst eine sehr zivilisierte und erhebende Rolle spielt.

„W. Z.": Sie ließen ihren ersten Roman „Rubinroter Dschungel" mit den Worten enden: „Sei auf der Hut, Welt, denn ich werde die schärfste Fünfzigjährige diesseits des Mississippi sein." Können Sie
sich heute noch mit dieser Romanfigur identifizieren?

Brown: Ja! Obgleich Molly mir in vielen Dingen nicht ähnlich ist. Auf anderen Ebenen freilich schon. Auch wenn es seltsam klingt: Es war immer mein Traum 50 zu sein. Schon als ich ein Kind war.
Frauen bekommen in den mittleren Jahren enorm viel Kraft · vor allem auch auf mentaler Ebene. Und ich denke, dass das ein Grund ist, weshalb man im Film kaum Sexsymbole in den mittleren Jahren sieht.
Einfach weil ein schwacher Mann eine starke Frau fürchtet. Und eine Frau in den mittleren Jahren ist immer stark.

Wenn Männer in die mittleren Jahre kommen, ist das mitunter eine traurige Erfahrung, wenn sie den Verlust ihrer physischen Kräfte spüren. Und bei uns ist ganz genau das Gegenteil der Fall! Die
Entwicklung der beiden Geschlechter erfolgt in ganz konträre Richtungen. Ich weiß nicht, ob Sie mir da zustimmen, aber das ist meine Beobachtung. Nur ein starker Mann akzeptiert starke Frauen und das
ist es auch, was ich daran schätze, wenn Männer älter werden. Plötzlich macht man die Erfahrung, dass jemand wirklich zuhört. Das ist mit ein Grund, weshalb ich immer 50 sein wollte. Als ich diese
Zeilen schrieb, war ich 27, also vor 27 Jahren. Meine Mutter sagte, ihre beste Zeit waren ihre 70er-Jahre. Wir haben also etwas, worauf wir uns freuen können.

Romane von Rita Mae Brown, alle erschienen im Rowohlt-Verlag:

Bingo. Dolley; Das Leben der First Lady. Galopp ins Glück. Goldene Zeiten. Herz Dame sticht. Herzgetümmel. Jacke wie Hose. Rubinroter Dschungel. Rubinrote Rita; Eine Autobiographie. Die
Tennisspielerin. Tödliches Beileid. Venusneid. Wie du mir, so ich dir. Mord in Monticello. Ruhe in Fetzen. Schade, daß du nicht tot bist. Virus im Netz.

Freitag, 19. November 1999 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 16:46:00

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