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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Der Romancier wird morgen 60

Kappacher, Walter: Die Helden des Kleinbürgertums

Von Stefanie Holzer

1975 veröffentlichte der österreichische Schriftsteller Walter Kappacher 38jährig sein erstes Buch. „Morgen" machte seinen Autor mit einem Schlag bekannt. Martin Walser schrieb damals,
Kappacher beschreibe nicht, sondern „prüfe" eine Lebensart. 25 Jahre später würde man doch sagen, daß Kappacher die Lebensart der Kleinbürger jedenfalls auch wunderbar beschrieben hat. Der Ich-
Erzähler in „Morgen" ist ungefähr 30 Jahre alt. Für ihn ist wichtig, daß er „Ich" sagt, denn er möchte etwas aus sich machen. Er lebt unter denen, deren Leben er nicht wirklich teilen will. Er liest
richtige Literatur, er hört Musik von Bach und weiß immer wieder einmal nicht recht, wie er sich verhalten soll, wenn er einerseits dazugehören und anderseits doch lieber höher hinaus möchte. Aus
dieser Konstellation heraus entwickelt sich Kappachers Held, der zeigt, wie wenig einfach es ist, man selbst zu sein.

Allerdings · und damit ist nichts verraten · gelingt ihm am Ende, was er vor hatte: „Vor einem Schuhgeschäft blieb ich stehen und betrachtete mein Spiegelbild im Schaufenster, und ich dachte, das
bist du, und ich fühlte mit der Hand in die Rocktasche, ja das Kuvert mit dem Zeugnis, der Abrechnung, dem Geld, alles war da, und ich lief weiter, den ganzen langen Weg nach Hause zu Fuß, ich
erlebte alles, was in mein Bewußtsein einging, intensiv wie nie zuvor, ich war außer mir, jeder Schritt, jeder Blick war abenteuerlich und neu, die Welt hatte sich plötzlich verändert." Bevor es
aber soweit ist, hat der Ich-Erzähler allerhand zu tun: Auf einem riesigen Schrottplatz mit übereinandergetürmten Autowracks sucht er gemeinsam mit Dieter und Gerda nach einem Christophorus in einem
roten Fiat, den ins neue Auto zu übersiedeln Gerda sträflicherweise vergessen hat. Für die hinreißende Gerda ist das kaum zuviel der Anstrengung, wenngleich ein wenig aussichtsreiches Unternehmen.

Ein Weilchen später tanzt der Ich-Erzähler bei einem Betriebsausflug: „ ,Ist Ihnen nicht gut?` fragt mich die Neue aus der Buchhaltung, ihren Mund dicht an meinem Ohr (ich weiß nicht einmal ihren
Namen). ,Warum reden Sie nicht?` fragt sie, und ich denke blöde Kuh ·" Und als ob das noch nicht genug wäre, sieht der selbstkritische Held sich selbst zu, wie er „der Hofer", der Sekretärin des
Chefs, einen Brief diktiert und dabei „unbewußt sogar die Diktion des Chefs" nachahmt und sich deswegen „unsäglich erbärmlich" vorkommt.

In den siebziger Jahren waren die Kleinbürger zu einem literarischen Thema geworden. Der typische österreichische Kleinbürger trat bei Schriftstellern wie Gernot Wolfgruber und Elfriede Jelinek in
den Vordergrund der Bühne. Dort wurde er grell angeleuchtet und gehörig gezaust. Der Kleinbürger repräsentierte die muffige Nachkriegszeit, die in den siebziger Jahren dem modernen Österreich weichen
sollte. Viel politisches Wunschdenken wurde in die Texte dieser Zeit eingearbeitet, so daß manche mittlerweile arg Patina angesetzt haben. Kappachers „Morgen" dagegen war nie mit Zeitgeist
aufgepumpt, wiewohl der Roman seine Enstehungszeit nicht leugnet. Kappacher bemühte sich akribisch um eine wahrhaftige Darstellung dieser Zeit und des Milieus, so daß an diesem Buch nichts gealtert
ist. Er ließ seinen Helden Wünsche haben, der Autor dagegen hatte den Drang nach Erkenntnis.

Von den Romanen und vielen Kurzgeschichten, die Walter Kappacher bei verschiedenen Verlagen in Österreich und Deutschland herausgebracht hat, sei noch „Ein Amateur" genannt. 1993 erschien
dieses wunderbare Buch über einen jungen Mann mit Ambitionen: Simon wird, weil er eines Tages Rennen fahren möchte, gegen den Willen des Vaters Mechaniker, und als er endlich eine gutbezahlte Stelle
in Aussicht hat, entwickelt er die Schnapsidee, Schauspieler werden zu wollen: „Und gerade die Aussichtslosigkeit (. . .) bewog Simon, diesen Traum immer wieder neu zu träumen, sich immer öfter in
ihm zu verlieren." Er geht tatsächlich auf die Schauspielschule; dort lernt er viel und noch mehr, aber Schauspieler wird er am Ende keiner.

„Ein Amateur" ist ein Roman über die Jugend in den fünfziger und sechziger Jahren. Das Tapsige und Fahrige des Helden hat seine Entsprechung in der noch jungen Republik, deren Wertesystem sich
teils von ganz früher (vor dem Krieg), teils von früher (aus dem Krieg) und zu einem ungemein wichtigen Teil aus amerikanischen Einsprengseln · die Welt steht den Wagemutigen nun offen! ·
zusammensetzt. Rührend und witzig zugleich sind die Lehrjahre des Sohns eines Salzburger Beamten, der gewiß nicht Beamter werden will.

Walter Kappachers Helden haben bei all den Rück- und Fehlschlägen, mit denen sie konfrontiert werden, eine optimistische Weltsicht. In ihrer Obstinatheit beflügeln sie den Leser, denn während er noch
über eines der vielfältigen Mißgeschicke, die ihnen widerfahren, lacht, bewundert er ihre Entschlossenheit und ihren Wagemut.

Walter Kappacher wird morgen 60 Jahre alt. Mit eben der Entschlossenheit und dem Wagemut seiner Figuren hat er an seiner Schriftstellerei durch alle Wechselfälle, die eine solche Karriere mit sich
bringt, festgehalten · und eine beeindruckende Reihe von Büchern geschrieben. Neben den bereits genannten Lieblingsbüchern der Verfasserin sei Kappachers Gesamtwerk abschließend aufgelistet:
Morgen (1975), Rosina (1978), Die irdische Liebe (1979), Die Werkstatt (1981), Der lange Brief (1982), Gipskopf (1984), Cerreto (1988), Touristomania (1990), Ein Amateur (1993), Wer zuerst lacht
(1997). Alle lieferbar bei Deuticke in Wien, nur Gipskopf bei Droschl in Graz und Cerreto bei Aigner in Salzburg.

Freitag, 23. Oktober 1998 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 16:52:00

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