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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Politiker und Bestsellerautor

Archer, Jeffrey: "Ich bin ein naiver Optimist"

Von Uwe Schütte

Über Jeffrey Archer wird viel gesagt. Manches, was er selber behauptet, ist nicht ganz wahrheitsgetreu. Meistens nur ein wenig übertrieben oder geschönt. Gelegentlich sogar schlichtweg
gelogen. Aber auch seine zahlreichen Neider, Konkurrenten und Feinde nehmen es mit der Wahrheit nicht immer ganz genau, wenn es darum geht, dem Bestsellerautor eins auszuwischen. Trauen kann man also
weder den von seinem PR-Manager verbreiteten Informationen, noch den Artikeln feindlich gesinnter Journalisten. Jeffrey Archer ist der schillerndste und zugleich zwielichtigste Schriftsteller
Englands.

Der Thrillerautor residiert, standesgemäß, in einem luxuriösen Penthouse, das im 13. und 14. Stock eines Apartmenthochhauses am Südufer der Themse liegt. Gleich schräg gegenüber befindet sich das
britische Parlamentsgebäude. Die Houses of Parliament spielen beide eine zentrale Rolle in Archers Leben. Dem Unterhaus gehörte er von 1969 bis 1974 als Abgeordneter der Conservative Party an.
29 Jahre alt war Archer beim Einzug ins Parlament. Jahrzehnte lang behauptete er, das jüngste Parlamentsmitglied dieses Jahrhunderts gewesen zu sein. Dies wurde allenthalben kritiklos wiederholt, bis
der BBC-Reporter Michael Crick in einer 1995 erschienenen Archer-Biographie nachwies, daß es drei jüngere Parlamentsneulinge gab. Der Mythos vom politischen Wunderknaben ist nur eine der vielen
Selbststilisierungen und Erfindungen, die den kometenhaften Aufstieg Jeffrey Archers begleiten.

Ein bewegtes Leben

Bekannt ist er heute vornehmlich als Unterhaltungsschriftsteller und Politiker. Es sind dies aber nur die Endpunkte einer vielseitigen Karriere. In seiner Jugend war Archer professioneller
Bodybuilder, BBC-Rugbykommentator und Sportlehrer an einer Privatschule. Während seines Studiums überredete er die Beatles zur Teilnahme an einer Spendensammelaktion, in der die damalige Rekordsumme
von 1 Mill. Pfund (heute etwa 250 Mill. Schilling) zusammenkam. Archer verbrachte außerdem einige Monate in Armee und Polizei, war zeitweilig Besitzer einer Kunstgalerie und eines Theaters. Mit
katastrophalen Folgen hat er sich wiederholt als Börsenspekulant betätigt. Eine Fehlinvestition im Jahr 1973 brachte ihn an den Rand des Bankrotts, weshalb er von seinen Parlamentssitz zurücktrat.

Doch es war zugleich die Geburt des Erfolgsautors Jeffrey Archer: Obwohl man ihm das Fehlen jeglichen literarischen Talents bescheinigte, hatte er es sich in den Kopf gesetzt, einen Bestseller zu
schreiben, um seine Schulden abzuzahlen. Wie üblich setzte sich Archer, dank unerschöpflicher Energie und ungebremsten Ehrgeizes, gegen alle Zweifel durch. Der innerhalb weniger Wochen geschriebene
Debütroman "Not a Penny More, Not a Penny Less" erschien 1974 und erwies sich in 17 Ländern als Überraschungserfolg. Seitdem zählt Archer zu den meistverdienenden Schriftstellern der Welt. Kein
Wunder also, daß sein Biograph Crick zu dem Resümee kam, Archers Lebenslauf sei "stranger than fiction", unglaublicher und verwickelter als die Handlungen seiner Politthriller und
Kriminalromane.

Seit 1992 ist der Bestsellerautor als Lord Archer of Weston-super-Mare Mitglied des Oberhauses. Die Erhebung in den Adelsstand hat er der Protegierung seines engen Freundes und damaligen Premiers
John Major zu verdanken. Es war eine Kompensation dafür, daß der Realpolitiker Major den oft unberechenbaren Archer nie in seine Regierung aufgenommen hatte. Nicht ganz ohne Hintergedanken: Mehr als
einmal hat Archer verlauten lassen, daß sein größtes Lebensziel der Premierministerposten sei. Der Schriftsteller erfreut sich zwar bei der konservativen Basis in der Provinz, insbesondere den
weiblichen Parteimitgliedern, großer Beliebtheit, das Establishment aber hat dem aus einfachen Verhältnissen stammenden Selfmademan immer Steine in den Weg gelegt.

Adelstitel und Oberhaussitz sind von großem Prestige. Die einflußreiche Position an einer Schaltstelle der Macht, die Jeffrey Archer so sehnsüchtig anstrebt, stellen sie nicht dar. Im Augenblick
gehört seine ganze Energie daher der Mitte 1999 stattfindenden Wahl zum Bürgermeister von London. Lord Archer hat durchaus gute Chancen, den, wie er selber sagt, "zweitwichtigsten Job im Land" zu
bekommen. Wenn ihm nur nicht seine Vergangenheit einen Strich durch die Rechnung macht . . .

Potentielle Stolpersteine finden sich darin einige. Den Universitätszugang in Oxford beispielsweise soll er sich 1963 erschlichen haben, indem er seinen Volksschulabschluß in eine glänzende Matura
verwandelte und das Zertifikat einer Londoner Bodybuilding-Schule als Diplom der Universität von Kalifornien ausgab. 1986 machte Archer Schlagzeilen, weil er einer Prostituierten, die er nach eigener
Aussage nie getroffen hatte, durch einen Mittelsmann einen Umschlag mit einer großen Summe Bargeld übergab. Als eine Zeitung behauptete, er habe mit ihr geschlafen, legte Archer Verleumdungsklage ein
und erhielt eine halbe Million Pfund Schmerzensgeld zugesprochen. Allerdings mußte er öffentlich bekennen, daß das Geldgeschenk ein schwerer Fehler war und sein Amt als stellvertretender
Parteivorsitzender niederlegen. Der bisher letzte Skandal trug sich 1994 zu. Dabei ging es um den Kauf von Aktien eines Fernsehsenders. Desselben Senders, in dem seine Frau Vorstandsmitglied war und
an geheimen Verhandlungen über eine bevorstehende Übernahme teilnahm. Archer bestritt, von ihr einen Tip erhalten zu haben. Eine offizielle Untersuchung seines Geschäftsgebarens, unter der Leitung
eines Parteigenossen, wurde eingestellt. Allerdings nicht, wie Archer gerne behauptet, weil sich seine Unschuld erwiesen habe, sondern aus Mangel an eindeutigen Beweisen für sein Insidertrading.

Ein hochrangiges Parteimitglied der Konservativen hat kürzlich die zahlreichen dunklen Stellen in der Biographie des Schriftstellers zum Anlaß einer parteiinternen Beschwerde gemacht. Sollten sich
Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten finden, sind Archers Aussichten auf den Bürgermeisterposten stark gefährdet, selbst wenn er als unabhängiger Kandidat antritt. Doch Jeffey Archer bleibt, wie
immer, gelassen und optimistisch. "Wenn ich zum Bürgermeister gewählt werde", versprach er kürzlich, "werde ich mich ganz auf die Politik konzentrieren und keine Romane mehr schreiben."

Audienz beim Lord

Ein guter Anlaß also, Lord Archer um eine Audienz zu bitten, um ein wenig über seine Bücher zu sprechen. Die Einladung zum Interview kommt postwendend. Ich finde mich zum angegebenen Termin am
Apartmentgebäude ein und fahre im Aufzug hinauf ins Penthouse. In den unteren Stockwerken, so munkelt man übrigens, sollen hochrangige Spione und Agenten zu den Mitbewohnern des Thrillerautors
gehören. Es ist nämlich ein schlechtgehütetes Geheimnis, daß das postmoderne, festungsartige Nachbargebäude den britischen Geheimdienst MI 6 beherbergt.

In der 13. Etage angekommen, öffne ich die Lifttür · und stehe, vom portugiesischen Butler erwartet, bereits mitten in der Wohnung. So etwas hatte ich zuvor nur in James-Bond-Filmen gesehen. Der in
eine schwarze Uniform gekleidete Diener geleitet mich ins Empfangszimmer. Dort wartet seine Sekretärin. Lord Archer bitte noch um ein wenig Geduld, sagt sie. Umso besser. Zeit, sich in der Wohnung
umzuschauen. Irgendwo im Hintergrund hört man ihn ein Geschäft mit einem Uhrenhändler besprechen. Alle paar Minuten klingelt das Telefon. Auf dem Glastisch stapeln sich Kunstbildbände. Sonst sind in
der imposanten Wohnung des Schriftstellers keine Bücher zu sehen. Stattdessen überall Kunstwerke, Zeichnungen von Picasso, Miró und Manet. Gleich hinter mir hängt ein großes Ölgemälde. Eine
impressionistische Ansicht des Parlamentsgebäudes bei Sonnenuntergang. "Claude Monet 1904" lautet die Signatur darauf. Fotografieren des Bildes strengstens verboten, warnt mich die Sekretärin.
Die sich über zwei Stockwerke erstreckenden Fensterscheiben sind makellos geputzt, nirgendwo der geringste Fleck. Lord Archers Panorama, über das schon ganze Essays geschrieben wurden, ist
tatsächlich atemberaubend: London aus der Vogelperspektive. Wie eine Miniaturstadt liegt die 7-Millionen-Metropole tief unter einem. Die Türme der Tower Bridge, die Kuppel von St Paul's, Waterloo
Bridge, Big Ben · alle weitverstreuten Sehenswürdigkeiten auf einen Blick. Die Themse glitzert golden, die roten Touristenfähren wirken wie Spielzeugboote. Kein Wunder, denke ich mir, daß man, ein
derartiges Panorama täglich vor Augen, Machthunger und ein gesundes Selbstbewußtsein entwickelt.

Und da kommt Lord Archer auch schon, sich für die Wartezeit vielmals entschuldigend. Bevor ich ihm eine Frage stellen kann, beginnt er über den deutschsprachigen Buchmarkt zu plaudern. Schließlich
frage ich ihn, für welche seiner vielen Tätigkeiten er der Nachwelt am liebsten in Erinnerung bleiben möchte. Archer überlegt. "Eine schwierige Frage. Als Autor, denke ich. Und erst in zweiter Linie
als Politiker. Das Schreiben ist für mich das wichtigste. Ich schaffe aber nur alle zwei Jahre ein Buch. Disziplin ist für mich beim Schreiben essentiell. Ich arbeite jeweils von 6 bis 8 Uhr, von 10
bis 12 Uhr, 14 bis 16 Uhr, 18 bis 20 Uhr, dann eine leichte Mahlzeit. 22.30 Uhr gehe ich ins Bett und stehe um 5 Uhr morgens auf. Und dann wieder von vorne." Welche Autoren liest er selber gerne?
"Graham Greene, Evelyn Waugh, Scott Fitzgerald", zählt Archer auf. "Ich bevorzuge Geschichtenerzähler. Literaten wie Nadine Gordimer oder Patrick Wright gefallen mir nicht, obwohl sie beide den
Nobelpreis gewonnen haben. Von den deutschsprachigen Autoren ist Hermann Hesse der Größte, auch ein Nobelpreisträger. Hesse befindet sich in einer ganz besonderen Klasse, denn er besitzt die rare
Gabe, Geschichtenerzähler und Literat zu sein. Die erste Seite von ,Unterm Rad`! So etwas werde ich nie schaffen."

Lord Archer, hat es den Anschein, ist bescheidener geworden. Noch zu Anfang seiner Karriere war, wie er seinem damaligen Lektor gestand, der Nobelpreis sein Ziel beim Schreiben. Doch auch ohne ihn
darf Jeffrey Archer mit dem Erreichten zufrieden sein. Ein 3-Bücher-Vertrag bringt ihm Pauschalzahlungen zwischen 24 und 30 Mill. Dollar ein. Sein Gesamtvermögen wird auf 50 Mill. Pfund geschätzt.
Das sind immerhin zirka 1 Mrd. Schilling. Seine Thriller erscheinen in 64 Ländern und 21 Sprachen. Gesamtauflage: über 120 Millionen. Ich bitte Archer zu beschreiben, wie man sich als Milliardär
fühlt. Wird er etwa sagen, Geld allein mache auch nicht glücklich? "Es ist ein Gefühl von Freiheit", antwortet er, "Man kann machen, was man will. Und man kann alle Entscheidungen selber treffen. Das
ist eine fantastische Freiheit. Es ist ein großes Privileg." Ein Privileg, das Archer zugleich als Verpflichtung versteht. Er spendet Hunderttausende Pfund für wohltätige Zwecke. Personen, die in Not
geraten und ihn um Geld bitten, werden oft großzügig unterstützt. "Ich habe einen unglaublichen Besitz. Ich brauche nicht mehr. Die Spenden sind mein Versuch, der Gesellschaft zurückzugeben, was ich
ihr verdanke."

Ein Opfer des Neides?

Archers Romane werden in den Feuilletons in der Regel mit Hohn überschüttet. Der Literaturredakteur des Guardian etwa urteilte über Archers letztes Buch: "Die Romanfiguren hölzern zu nennen, kommt
einer Beleidigung des britischen Schreinergewerbes gleich." Auch über deren puritanische Vorliebe für Mineralwasser und den Mangel an "sex and violence" in Archers Büchern macht man sich gerne
lustig. "Wenn ich viel fluchen, trinken und Röcken nachjagen würde, hätte das eine Auswirkung auf meine Romane", erklärt Archer. "All das interessiert mich aber nicht. Und übrigens: 120 Millionen
Leute lesen die Bücher. Es muß also eine ganze Menge von uns geben." Der aggressive, gelegentlich auch bösartige Ton vieler Rezensionen macht jedoch nur allzu deutlich, daß es dabei letztlich um mehr
als Literaturkritik allein geht. "Der Grund, warum ich so stark angegriffen werde, als Politiker und Autor, ist purer Neid. Wenn man etwas im Leben erreicht hat, gibt es immer verbitterte Leute, die
es einem streitig machen wollen." Verletzen ihn die persönlichen Angriffe, will ich wissen? "Manchmal schon. Aber sie kümmern mich immer weniger. Es gibt wichtigere Dinge im Leben. Und ich habe ein
sehr gutes Leben. Ja, ich habe sehr viel Glück gehabt. Ich bin ein naiver Optimist. Kein Zyniker." Ich hätte noch so viele Fragen. Doch der nächste Termin drängt. Es ist ein Foto-Shooting zugunsten
einer Hilfsorganisation für Pensionisten. Archer begleitet mich zum Lift. Eigentlich ist er mir irgendwie sympathisch geworden. Beim Abschied wünsche ich ihm "good luck" für die Bürgermeisterwahl.
Lord Archer wird es dringend brauchen.

Von Jeffrey Archer sind folgende Bücher auf Deutsch erschienen:

Abels Tochter

Attentat!

Der Aufstieg

Die chinesische Statue

Falsche Spuren

Imperium

Kain und Abel

Ein Mann von Ehre

Der perfekte Dreh

Rivalen

Die Stunde der Fälscher

Die meisten dieser Bände liegen in unterschiedlich teuren Ausgaben der Verlage Goldmann, Lübbe und Zsolnay vor.

Freitag, 31. Juli 1998 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 16:53:00

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