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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Hwang Sok-yong ist einer der bekanntesten koreanischen Autoren der Gegenwart

Der Erinnerung Zeit lassen

Hwang Sok-yong Foto: dtv

Hwang Sok-yong Foto: dtv

Von Margot Fink

Hwang Sok-yong hat viel zu erzählen aus seinem bewegten Leben. 1943 in der Mandschurei geboren, lebt er nach dem Ende der japanischen Kolonialherrschaft 1945 drei Jahre im Norden von Korea. 1948, nach der Teilung des Landes in Nord- und Südkorea, flieht seine Familie in den Süden. Den Beginn des Koreakriegs erlebt er als Siebenjähriger. 1964 – er studiert mittlerweile Philosophie – wird er wegen der Teilnahme an einer Demonstration verhaftet.

Im Gefängnis lernt er Tagelöhner kennen. Er findet an deren rastlosem Leben so sehr Gefallen, dass er nach seiner Entlassung ein Jahr lang mit ihnen herumzieht. 1966 wird Hwang Sok-yong zum Militärdienst eingezogen und nimmt als Soldat auf Seiten der Amerikaner am Vietnamkrieg teil, was er später als "eine surreale Situation" beschreibt. In den 70er Jahren engagiert er sich leidenschaftlich in der Protestbewegung gegen das südkoreanische Militärregime, nimmt an Demonstrationen und Aufständen wie jenen von Gwangju 1980 teil, wobei er die militärische Gewalt am eigenen Leib erfährt. Danach verlässt er Gwangju und lebt eine Weile auf der Insel Jeju.

Die Erfahrung des Exils

1989 reist er zur "Versammlung aller Völker" nach Pjöngjang, obwohl er damit gegen das Sicherheitsgesetz, das unautorisierten Kontakt mit den Nachbarn im Norden streng untersagt, verstößt und eine Haftstrafe riskiert. Hwang Sok-yong geht ins Exil, zunächst nach Berlin. Dort erlebt er den Fall der Mauer mit, und muss an Korea denken, "das immer noch getrennt ist: die US-Armee mit den höchstentwickelten und raffiniertesten Waffen bewacht die Grenze, 1,7 Millionen bewaffnete junge Koreaner im Süden und Norden zielen gegenseitig aufeinander."

Ein Jahr später übersiedelt er nach New York. 1993 entschließt er sich zur Rückkehr nach Südkorea. Er kommt für sieben Jahre ins Gefängnis, wird 1998 unter der Regierung von Kim Dae-jung vorzeitig entlassen, und dann sogar als südkoreanischer Kulturvertreter nach Nordkorea entsandt.

Seine Erfahrungen und Erlebnisse lässt Hwang Sok-yong in seine Literatur einfließen. Seine Kriegserlebnisse verarbeitet er in dem Roman "Der Schatten der Waffen", die Teilung seines Landes macht er in "Die Geschichte des Herrn Han" zum Thema. Mit diesem Roman gelang ihm 1972 in seiner Heimat der Durchbruch als Autor. Erzählt wird darin das bewegende Schicksal eines nordkoreanischen Arztes, der in den Süden flüchtet. Rechtzeitig zur Frankfurter Buchmesse 2005 mit dem Schwerpunkt Südkorea ( siehe Kasten ) erscheint die deutsche Übersetzung dieses Romans.

Seit September liegt auch Hwang Sok-yongs Buch "Der ferne Garten" in deutscher Sprache vor. Dieser Roman entstand aus Notizen, die der Autors während seines fünfjährigen Gefängnisaufenthalts gemacht hat. Er erzählt die Geschichte des politisch aktiven Oppositionellen Oh Hyunuh, der zwei Jahre nach dem Aufstand von Gwangju ins Gefängnis kommt, um dort eine 17-jährige Haftstrafe zu verbüßen. Die Stadt Gwangju steht in der koreanischen Geschichte für den Widerstand und Aufstand der Bevölkerung gegen die Verschärfung des Kriegsrechts und des Versammlungsverbots im Mai 1980, der vom Militär blutig niedergeschlagen wurde. Die 1980er Jahre waren von systematischen staatlichen Gewalt- und Unterdrückungsmaßnahmen geprägt.

Die soziale Wirklichkeit, auf die der Protagonist nach seiner Entlassung trifft, verwirrt ihn. "Die Welt hat sich verändert" , sagt ihm ein ehemaliger Mithäftling, mit dem er nach der Entlassung telefoniert. Die Orientierung in seinem "neuen" Leben in Freiheit fällt ihm schwer, er versucht vergeblich an sein Leben vor der Haft anzuknüpfen. Anfangs dominieren in seinen Gedanken die Erinnerungen an politische Kämpfe und die Jahre der Haft. "Die Zeit einer Generation war vorbei. GWANGJU. Jetzt schlug mein Herz nicht mehr. Allein beim Gedanken an den Namen hatte ich damals stets das Gefühl gehabt, als loderten Flammen auf, als hätte man einen Feuerring darum gelegt. Jetzt kam er mir nur noch wie eine bekannte Touristenattraktion vor. Wie lange war es her? Ich zählte die Jahre . . . neunzehn Jahre." Nur langsam tastet er sich an die veränderte Welt heran.

Der Leser erfährt einiges über den grausamen Gefängnisalltag mit Hungerstreik, Folter und Todesstrafe, über den erbitterten Widerstand gegen die Militärdiktatur, die Arbeit im politisch aktiven Untergrund und die Leidenschaft, mit der die Kämpfe für die Freiheit geführt werden. Doch der Autor lässt im "fernen Garten" nicht nur den Protagonisten sprechen, sondern auch dessen Geliebte, die Malerin Han Yunhi – zu der er während seiner Haft keinen Kontakt haben durfte und die drei Jahre vor seiner Entlassung stirbt. Er verfolgt das Leben Han Yunhis außerhalb der Gefängnismauern, er berichtet von der Geburt der gemeinsamen Tochter, der Arbeit Han Yunhis im Widerstand und von ihren Jahren in Berlin berichtet.

Erinnerung an das Glück

Nach der Entlassung aus dem Gefängnis schickt Hwang Sok-yong den Protagonisten auf eine Reise in die Vergangenheit. Oh Hyunuh reist in den idyllischen Ort Galmö, ein Dorf auf dem Land, wo Yunhi ein Atelier besitzt. An jenem Ort verbrachte er die einzigen glücklichen Momente mit Yunhi, bevor er verhaftet wurde.

In ihrem Atelier findet der Protagonist Skizzen, Bilder, Briefe und Tagebücher, sie stellen eine Verbindung zur Vergangenheit her und führen ihn gleichzeitig in die Gegenwart. "Wieder bekam ich Lust, mich mit Yunhi zu unterhalten, und schlug ihr Tagebuch auf. Wie in ihrem Skizzenbuch hatte sie ihre Gedanken so formuliert, als würde ich direkt vor ihr stehen." Anhand ihrer Schilderung der Ereignisse nach seiner Verhaftung, ihres Kontakts zu Widerstandskämpfern, und anhand deren Erlebnisse, Schicksale und Träume nach Veränderung und einem besseren Leben in Freiheit, holt der Protagonist die versäumte Zeit nach – fast zwei Jahrzehnte Leben außerhalb der Gefängnismauern und die damit verbundenen wichtigen Ereignisse.

"Der ferne Garten" entwirft laut Hwang Sok-yong eine Art Utopie. Das Hauptthema des Romans, der eindeutig autobiographische Züge trägt, ist die Zeit, besser gesagt: die unpassende Zeit. Die Liebenden lernen sich tragischerweise zur falschen Zeit kennen, ihre Lebenszeiten klaffen auseinander. Trotz der schwierigen Umstände, die ein gemeinsames Leben verhindern, ist sich Han Yunhi ihrer Verbundenheit mit Oh Hyunuh bewusst: "Vielleicht ist es eine Täuschung, wenn man glaubt, dass man geliebte Menschen verloren hat, nur weil sich diese in einer anderen Zeit und einem anderen Raum befinden." Oh Hyunuh hingegen beginnt sich durch die Lektüre ihrer Aufzeichnungen wieder als Mensch und nicht mehr bloß als Nummer, nämlich als Gefangener Nummer 1444, wahrzunehmen. Indem sie ihr Leben in Worte fasst, gibt sie ihm sein wirkliches Leben zurück.

Große Welterfahrung

Der Schriftsteller Hwang Sok-yong hat in Amerika und Europa gelebt. Dadurch habe sich, wie er selbst sagt, sein persönlicher Blick auf die Welt geweitet. Vielleicht ist es ihm gerade deshalb gelungen, auch dem Leser, dem die Kenntnis der koreanischen Kultur oder Geschichte fehlt, ein lebendiges und spannendes Bild von Korea zu entwerfen. Gezeigt wird ein Land, in dem sich in den letzten Jahrzehnten ein extremer politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Wandel vollzogen hat.

Auf die Frage, warum deutschsprachige Leser koreanische Literatur lesen sollen, hat Hwang Sok-yong eine klare Antwort parat. Es sei für eine neue Zivilisation wünschenswert, "mit den Augen der Menschen, die Schreckliches erlitten und tiefste Verzweiflung erlebt haben, die Welt neu zu sehen. Dies ist ein wichtiger Entschluss. In Ostasien, nennen wir eine solche Haltung Yeokjisaji – mich in der Lage der Anderen zu betrachten" .

Von Hwang Sok-yong sind auf Deutsch erhältlich:

– Der ferne Garten. Aus dem Koreanischen von Oh Dong-sik, Kang Seung-hee und Torsten Zaiak. dtv München 2005, 520 Seiten.

– Die Geschichte des Herrn Han. Aus dem Koreanischen von Oh Dong-sik, Kang Seung-hee und Torsten Zaiak. dtv München 2005, 138 Seiten.

Margot Fink, geboren 1969, Romanistin, lebt und arbeitet als Sprachtrainerin und Übersetzerin in Wien und in der Steiermark.

Freitag, 14. Oktober 2005 12:38:36

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