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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Zum Werk der Georg-Büchner-Preisträgerin Brigitte Kronauer

Kronauer, Brigitte: Sprache, Klang und Blick

Von Peter Mohr

Als im Juni bekannt wurde, dass Brigitte Kronauer in diesem Jahr mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet wird, gehörte ihr Vorgänger Wilhelm Genazino zu den ersten Gratulanten. Kein Zufall, denn beider Werk weist viele Parallelen auf. Kronauer und Genazino schreiben seit vielen Jahren auf hohem Niveau, wurden von der Kritik stets wohlwollend begleitet, ohne jedoch ein breites Lesepublikum gefunden zu haben. Das mag daran liegen, dass sich beide nie dem literarischen Mainstream angenähert haben und stets eine leicht hermetische, detailverliebte Beschreibungsliteratur favorisierten. "Handlungsarm" wurde die Prosa von Kronauer und Genazino oft leichtfertig genannt. Wer jedoch auf die leisen Zwischentöne achtet, dem erschließen sich Menschenbilder von ungeheurer Präzision.

Für Brigitte Kronauer, die am 29. Dezember ihren 65. Geburtstag feiert, ist stets die Sprache der dominante Faktor in ihren Werken. Jede vordergründig nebensächliche Veränderung in den Figurenkonstellationen, jede winzige Regung in der Natur wird registriert: sie arbeitet mit einem literarischen Weitwinkel – geht ganz nah ans Geschehen heran lichtet mit viel Tiefenschärfe ein breites Spektrum ab. Die daraus resultierende Akkuratesse ihrer Beschreibungen trägt nicht selten lyrische Züge.

Die gebürtige Essenerin, die seit vielen Jahren in Hamburg lebt und dieser Stadt und ihrem Umfeld im Roman "Teufelsbrück" (2000) ein eindrucksvolles literarisches Denkmal setzte, hat in den frühen 70er Jahren den Lehrerberuf aufgegeben und sich ganz der Literatur zugewandt. Ein Wagnis, das sich erst ein Jahrzehnt später auszahlte. Drei schmale Bände mit Prosa und Aufsätzen waren bereits in Kleinverlagen erschienen, als Klett-Cotta 1980 ihren ersten Roman, "Frau Mühlenbeck im Gehäus", herausbrachte.

Der Durchbruch gelang Brigitte Kronauer dennoch erst 1986 mit dem Roman "Berittener Bogenschütze", in dem sie einen Literaturwissenschaftler an einem Aufsatz mit dem Titel "Die Leere, Stille, Einöde im innersten Zimmer der Leidenschaft" schreiben lässt. Der Protagonist Matthias Roth (wie Kronauer selbst ein leidenschaftlicher Joseph-Conrad-Fan), der eine schwere intellektuelle Lebenskrise durchmacht, wirkt wie ein männliches Erzähl-Ego seiner Schöpferin.

Drei Jahre später erfolgte die erste bedeutende öffentliche Auszeichnung, als ihr der Heinrich-Böll-Preis verliehen wurde. Wenn ihr am Samstag, dem 5. November, in Darmstadt der mit 40.000 Euro dotierte Georg-Büchner-Preis verliehen wird, kommt dies einem Ritterschlag gleich, der endgültigen Erhebung in den literarischen Adelsstand. Seit 1990 ("Frau in den Kissen") hat Brigitte Kronauer fast jährlich ein neues Buch publiziert: Romane, Prosa und immer wieder auch höchst intelligente Aufsätze und Essays. Eines ihrer gelungensten Werke war der schmale Prosaband "Schnurrer" (1992), der Momentaufnahmen aus dem Leben der leicht kauzigen Hauptfigur Karl-Rüdiger Schnurrer lieferte.

Dieser introvertierte Mann mit all seiner Apathie könnte ein Bruder von Willi Wings sein, der Hauptfigur aus Kronauers Roman "Das Taschentuch" (1994). Beide gefallen sich darin, nicht aktiv am Leben teilzunehmen, sondern es zu beobachten. Schnurrer schaut sich die Leute in einem Copy-Shop aus sicherer Distanz an, und Willi Wings betrachtet lieber den Fisch, als ihn zu verspeisen.

Diese Episode im Roman "Taschentuch" ist im belgischen Nordseebad Oostende angesiedelt, das auch in Kronauers letztem Roman, "Verlangen nach Musik und Gebirge" (2004), wieder eine ganz zentrale Rolle spielt. Häufig hat die Autorin selbst Oostende aufgesucht, um sich dort auf die Spuren des Malers James Ensor zu begeben.

Brigitte Kronauer ist eine der gebildetsten, sprachmächtigsten und ambitioniertesten Schriftstellerinnen im deutschen Sprachraum, die nicht weniger anstrebt als ein Gesamtkunstwerk aus Sprache (Literatur), Klang (Musik) und Blick (Malerei).

Freitag, 04. November 2005 12:22:32

Lexikon



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