Zum 70. Geburtstag des albanischen Dichters Ismail Kadare
Fabulierender Grenzgänger
Von Peter Mohr
I ch bin schlicht und einfach Autor, das ist alles. Einen politischen Autor gibt es nicht, ebenso wenig wie einen historischen oder einen Kriminalautor. Alle sind Autoren, und einige davon schreiben gut, andere schlecht" , erklärte der albanische Autor Ismail Kadare, der über Jahrzehnte hinweg im Ausland vor allem als politischer Chronist seines Heimatlandes rezipiert wurde.
Albaniens politischer Sonderstatus nach dem Bruch mit der Sowjetunion Anfang der 60er Jahre und Kadares glühender Patriotismus ( "Albanien ist die rebellischste aller Nationen" ) weckten eine gehörige Portion Neugierde auf seine Romane, die seit den 80er Jahren in deutscher Sprache vorliegen und mittlerweile in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt wurden.
Ismail Kadare, der am 28. Jänner vor 70 Jahren in der südalbanischen Stadt Gjirokastra als Sohn eines Post- und Justizbeamten geboren wurde, Literaturwissenschaften in Tirana und später am Moskauer Gorki-Institut für Weltliteratur studierte, hat im letzten Jahr den vorläufigen Höhepunkt seines internationalen Ruhms erfahren, als ihm in London der erstmals vergebene und mit rund 85.000 Euro dotierte International Booker Prize für sein literarisches Lebenswerk verliehen wurde.
Kadare, der als Lyriker debütierte und die französischen Romanciers des 19. Jahrhunderts schätzt, erregte 1964 erstmals (über seine Landesgrenzen hinaus) mit dem Roman "Der General der toten Armee" Aufsehen. Ein hoher italienischer Offizier erhält zwanzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs den Auftrag, die sterblichen Überreste seiner in Albanien gefallenen Landsleute heimzubringen. Dieser Roman, der später mit Michel Piccoli und Marcello Mastroiani verfilmt wurde, changiert zwischen dämonischem Schauermärchen und historischen Überlieferungen.
Niemals (auch nicht in seinem patriotisch-hymnischen Roman "Der große Winter") hat sich Kadare einer Form des sozialistischen Realismus verpflichtet gefühlt. Das formale, beinahe spielerische Experiment mit Mythen und Wahrheit dominiert das Gros seiner Erzählwerke, die seit einigen Jahren vom Zürcher Ammann Verlag betreut werden und in einer Werkausgabe Neuauflagen erlebten, so "Der zerrissene April", "Die Brücke mit den drei Bögen", "Der Palast der Träume", "Chronik in Stein" und jüngst "Das verflixte Jahr".
"Ich habe im Alter von zehn Jahren Macbeth gelesen. Ich war so begeistert, dass ich das ganze Stück von Hand abgeschrieben habe" , erinnert sich Kadare, der 1990 mit seiner Familie von Tirana nach Paris übersiedelte, an sein literarisches Schlüsselerlebnis. Je mehr sich Albanien in den 90er Jahren dem Westen öffnete und demokratische Verhältnisse etablierte, umso stärker wurden kritische Stimmen über Kadares Wirken laut. Der Lyriker Kasëm Trebeshina, der mehr als zehn Jahre inhaftiert war, während Kadare hohe Staatsämter bekleidete und sich zumindest mit Staatschef Enver Hodscha arrangiert hatte, bezeichnet den von Abschottung und Staatsterror gekennzeichneten albanischen Sonderweg sogar als Epoche des "Hodscha-Kadare-Regimes" .
Ungeachtet der immer zahlreicheren Widersprüche, in die sich Kadare in den letzten Jahren verfing ( "Meine besten Romane sind auf dem Höhepunkt der kommunistischen Diktatur entstanden" ; andrerseits "Authentisches Schreiben und Diktatur sind unvereinbar" ), ist er ein großer Erzähler, ein fabulierender Grenzgänger zwischen fantasievollen Märchen und knallharter Politik, in die er sich immer wieder eingemischt hat. "Wenn ich einen Traum habe, dann den, dass es Frieden auf dem Balkan gibt. Und vor allem, dass Frieden zwischen Serben und Albanern herrscht" , erklärte Ismail Kadare, der nun wieder abwechselnd in Paris und Tirana lebt, vor fünf Jahren in einem Interview.
Printausgabe vom Freitag, 27. Jänner 2006
Update: Freitag, 27. Jänner 2006 13:55:00