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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Der Autor E. A. Richter geht im Roman eines andern spazieren

Ali Babas 41. Räuber

E. A. Richter ist im Begriff, heldischer Argonaut zu werden. Als Romanfigur jedenfalls. Foto: Marko Lipuš

E. A. Richter ist im Begriff, heldischer Argonaut zu werden. Als Romanfigur jedenfalls. Foto: Marko Lipuš

Von Claudia Aigner

In einem 2000-Seiten-Wälzer steht sein Name ja schon. In so einem langatmigen, geisttötend monotonen Telekommunikations-Epos in freien Rhythmen. Da steht auf Seite 1339: "Richter, Erich." Aber dafür kann er nichts. Auch nicht dafür, dass über diesen personenüberfrachteten, handlungsabstinenten Schmöker wohl kein Literaturkritiker je eine Rezension schreiben wird. Weil‘ s keinen interessiert, wie‘ s ausgeht. Und sich deshalb auch keiner jemals über den überraschenden Schluss wundern wird. Das Wiener Telefonbuch endet nämlich nicht mit "ZZ Vermögensverwaltung GmbH", sondern völlig unerwartet mit: "5th Mind Training & Consulting."

Und da wir alle sowieso vergebens davon träumen, dass die Telekom Austria unsre Auserwähltheit erkennt ("Herzlichen Glückwunsch! Sie werden im neuen Telefonbuch lobend erwähnt!" – womit sie ja nur meinen könnte, dass uns Auserkorenen das Prädikat "besonders anrufenswert" verliehen wird), war es also prinzipiell keine schlechte Strategie, sich in einem vermutlich ebenfalls ziemlich umfangreich werdenden Buch sicherheitshalber auch noch unter die berühmten Argonauten zu mischen. Von denen gibt es wenigstens bloß 50. Da hat der Erich Richter aus dem 22. Wiener Gemeindebezirk (aber 1941 in Tulbing, Niederösterreich, geboren) folglich weniger Konkurrenz als im Telefonbuch.

Ein Job als Romanfigur

Moment: Ein Hiesiger gehört jetzt zum Club der Argonauten? Ja. Wahrscheinlich. Denn an einem Samstag in aller Herrgottsfrüh hat er erfolgreich auf eine unartige Stellenausschreibung bei eBay reagiert. Ein gewisser Alban Nikolai Herbst aus Berlin, seines Zeichens hauptberuflicher Schriftsteller in Geld- und möglicherweise auch in Popularitätsnöten, hat dem Meistbietenden einen Traumjob angeboten. Als Romanfigur. Im dritten Teil seiner Trilogie "Argo, Anderswelt" (Argo wie "Argonauten", diese heroischen Seefahrer). Und der E. A. Richter (wieso auf einmal E. A. und nicht Erich? – na weil er sich immer so nennt, wenn er selber als Autor, vor allem Lyriker, auftritt) bekam dann am Sonntag, dem 5. Februar, um 21 Uhr 27 den Zuschlag. Weil er 645 Euro Budgetüberschuss hatte. (Mist. Unter 1000 Euro. Jetzt wird‘ s lediglich eine "liebevoll gestaltete Nebenfigur" werden.) Romanfigur – das klänge an sich ja nicht übel. Wenn das Buch nicht schon so verdammt weit fortgeschritten wäre. Soll da in einem komplett ausgebuchten Roman, 600 Seiten nachdem er abgelegt hat, noch gschwind ein Fahrgast in die Passagierliste hineingestopft werden? Zieht man den dann in einem "liebevoll gestalteten" Beiboot hintennach? Ich ahne: Der wird der 51. Argonaut. Eine undankbare Position wie: Ali Babas 41. Räuber (der auf der Warteliste steht, als Auswechselspieler auf der Ersatzbank herumlungert). Oder der achte Zwerg von Schneewittchen, für den in der Schrumpfmänner-WG kein Bettchen und keine rote Zipfelmütze mehr übrig ist, weil er die Urlaubsvertretung ist.

Haltaus! Das Misstrauen war zu voreilig. Der Herbst führt ja ein ausführliches Weblog (mit ein Grund, weshalb der E. A., den diese Internet-Tagebücher faszinieren, ihm sofort seine Sympathie geschenkt hat). Und da ist ein E. A. Richter in Jasons reguläre Crew aufgenommen. An achter Stelle. (Der 18. Argonaut ist übrigens Alban Herbst selbst.) Jessas, ein begnadeter Hollywood-Bluter spielt auch mit! (Der E. A. blutet ja ebenfalls sehr freigiebig. Hat einen Blutspenderausweis.) Ach, ist wahrscheinlich doch nicht der Bruce Willis, der originale Meister der Hämatome und Fleischwunden. Schließlich heißt er so verdächtig Bruce Kalle Willis.

Wie weit ist die Romanfigur denn nun gediehen? Weiß der Herbst biografische Details vom E. A. ( "Ja; wo ich wohne" ), wie groß er ist ( "Das war nicht das Thema. Einssechsundachtzig") , seine Blutgruppe ("Nein, aber: A positiv") , oder hat er dem Herbst ein Foto geschickt ( "Ein ziemlich romantisches, würd ich sagen. Also nicht ganz scharf" )? Und wird er selber Einfluss nehmen auf die Gestaltung "seines" Argonauten oder jedes Ergebnis akzeptieren, das ihm der Herr Herbst präsentiert? "Tschuldigung: Er is der Chef. Er kann ja auch sagn: Das war a Schnapsidee. Diese Freiheit hat er und hab ich."

Anscheinend tut sich im Moment also gar nix. Und immer wieder der verständnisvolle Verweis darauf, dass der Herbst derzeit zu sehr mit andern Lebenserhaltungsdingen beschäftigt wäre. Mit einem Hörspiel etwa. E. A.: "Es wird sich etwas entwickeln oder nicht. Ende." Und Mitte Mai "weama uns eh treffen – im wahren Leben." Bei einer Veranstaltung vom Literaturbüro Oldenburg. Gut, lassma das. Meine Theorie, das hier wäre die neue Form des Abenteuerurlaubs für Schriftsteller (eben einen Aufenthalt im Roman eines andern zu buchen), muss ich ohnedies noch einmal überdenken.

Wieso eigentlich "E. A."? E für Erich. Und A? – "Das sag ich jetzt aber nicht." – Aber es gibt einen Vornamen. – "In Deutschland wurde ich oft Ernst August genannt." - Na komm, warum sagst du' s mir nicht? - "Wenn du mir versprichst, dass du das nicht erwähnst . . ." – Ehrenwort. – "O. k.: (piep)." Oh. Na, das schreib‘ ich wirklich nicht. E. A.: "Das is halt der Vatername." Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Der Vater ("Ich finde das ja nett von ihm") hieß nicht Adolf, Alf, Attila oder – und da hätte die Namensgebung mit voller Härte zugeschlagen: Amadeus. Inzwischen existiert für das "E. A." (mysteriös wie "E. T.", der Extra-Terrestrische) eine weitere Deutung: der Extra-Argonautische.

Geschlauchte Frauen

Erich, 1984 warst du doch kurz einmal eine Frau und hast Lena geheißen. Bzw. hast du ihr dein Ich zur Verfügung gestellt, dein ganz persönliches Pronomen. E. A.: "Das Ich hat ja eine grammatikalische Funktion, ja? Also es regiert halt diesen Satz." Eine literarische Geschlechtsumwandlung. Das war im Kurzroman "Die Berliner Entscheidung". "Es gibt da ziemlich intime Einblicke, also so intim auch wieder nicht, aber halt . . . ich hab meine Exfreundin und andre immer gefragt, wie das is, wemma eine . . . wemma da hinter der Blase einen Schlauch hat, also eine Gebärmutter. Ich wollte das auf mich projizieren." Der Stefan, der da diese jüdische Ich-Lena als ein leibhaftiger Er ins damalige Ostberlin begleitet, kommt mir freilich sehr bekannt vor. Jedenfalls hat er dieselbe Tabletteneinführungstechnik wie der E. A. (die Pille als blinden Passagier in einem Brotstückerl am Schluckreflex vorbeizuschleusen). Und er ist ein "Man in Black", der konsequent die Tarnkleidung der Nachtaktiven anhat: irgendwas, Hauptsache schwarz (auch wenn er gar kein Nachtmensch ist , der sich in den Erdschatten – und nichts anderes ist die dunkle Zeit – hineintarnt). In seinen Gedichten gibt‘s ebenfalls ein präsentes Ich, das zum Beispiel genau dann in London ist, wenn er selber dort weilt. Aber wahrscheinlich ist die rasend gewordene Muse (die Kalliope, die für Epos und Elegie zuständig ist) bloß seinem lyrischen Ich und nicht seinem autobiografischen hysterisch auf den Schultern geritten. So geschehen in seiner letzten Veröffentlichung "Eurotunnel" vom Vorjahr. (Literaturedition Niederösterreich.)

Lieber Herr Herbst, ob Sie den Argonauten E. A. Richter wohl ein ganzes Wildschwein oder eine gschmackige Sachertorte verputzen lassen könnten, ihn reinhauen lassen wie Obelix, ohne rachsüchtige Magensäure, und ihm zusammen mit den Herrlichkeiten der Küche noch seine eigenen Worte in den Mund legen? Während er kaut, könnte er doch schmatzend skandieren: "Ich bin der Esser, der nicht isst (usw.). / Nie esse ich. / Ich erinnere mich an kein Essen." (Aus einem tragikomischen Gedicht über einen verdauungsgeplagten Tantalos, der bei voller Speisekarte darbt, weil sein Magen Starallüren hat, und der stets hungrig bleibt. Denn das Essen, das keinen nachhaltigen Genuss bereitet, zählt nicht.) Wie auch immer: Die Realität braucht er als Anstoß. E. A.: "Aber die Realität is ja – alles."

"Wenn ich ein Gedicht schreibe, dann bin ich in einer extraordinären Situation. Ich fühl mich dann sehr high. Im Konzert, das mag ich gern. Das kann auch sein im Zug, im Ausland oder: von Wien weg. Im Idealfall isses eine gute Stunde, die eine Art von Epiphanie darstellt. Also Epiphanie bedeutet eigentlich, dass etwas leuchtet."

Sehr geehrter Herr Herbst, wenn ich noch einen Vorschlag machen dürfte: Spendieren Sie Ihrem zahlenden Argonauten eine Bootsfahrt auf der Donau, wo er doch eh gleich ums Eck wohnt. Spülen Sie ihn (zwar nicht mit der Argo, die ist gewiss kein Schiff der Donaudampfschifffahrtsgesellschaft, aber eventuell mit der Johann Strauß) ins Schwarze Meer, an dessen Ost-Ende sich ja Medeas Kolchis befunden haben soll, und händigen Sie ihm freiwillig das Goldene Vlies aus. Der schneidert Ihnen, zumal er bereits als Teenager heftige Modeschöpferfantasien gehabt hat ( "immer kürzere und immer weniger Stoff" ), gewiss einen sexy Fellbikini draus. Für die Schaufensterpuppe in seinem Arbeitszimmer. ( "Derzeit hat sie ein schwarzes Wie-nennt-man-das an: Der BH geht runter bis zum Nabel und is vorne zum Aufmachen." )

Und um Sie vor einem Fauxpas zu erretten: Lassen Sie ihn bloß nie auf seine Armbanduhr schauen! So ein Ding würd‘ ihn beleidigen. Der hechtet zu seinen Terminen prinzipiell im Wettlauf gegen die Uhrzeiger der andern. Lebt in seiner eigenen Zeitzone. Ein Luxus, den er sich jetzt ja leisten kann, seit er nicht mehr ausländischen Studenten gutbürgerlich, sprich: pünktlich Sprachunterricht erteilt (und irgendwann war er auch Gymnasiallehrer für Deutsch und hat sogar zehn Jahre lang freiberuflich als Schreiberling von Drehbüchern und Hörspielen gelebt – und zweimal hat er sein Y-Chromosom weitergegeben und so seinen Beitrag zur Vermehrung der menschlichen Biomasse und zur Sicherung des Pensionssystems geleistet).

Mr. Hyde klaut Klotüren

1986 ließ er dann endlich seinen Mr. Hyde raus (nein, pfui, damit mein‘ ich doch nichts unanständig Anatomisches!). Während sein Dr. Jekyll brav auf den unkundigen Zungen die deutsche Sprache platziert hat, war sein Alter Ego schlicht "der Richtex" (ein Name wie ein Superschurke). Ein "Bildner und Realisator", der gemalt, böswillig verlassene Krankenhäuser fotografiert, Videointerviews gemacht und Gebrauchsgegenständen in seiner Werkstatt Manieren beigebracht hat. Wieso grad "Richtex"? "Richtex ist iudex. Lateinisch für: Richter. So kommt ma zu dem X." Einmal, an einem Pfingstmontag um fünf Uhr in der Früh, ist er zur alten Österreichischen Automobilfabrik gefahren (an der schon die Bagger, diese Aasfresser, knabberten, aber wegen dem Feiertag gerade eine Fresspause einlegten). Mit einem gelben Toyota kam er an und mit einem leeren, erwartungsvollen Autodach. ( "Ich wusste ja nicht, wie viel Türen ich da mitnehme." ) Türen? Ja. Vom Gemeinschaftsklo. Vom Ort der Wahrheit. Die waren noch eingehängt ( "Ich hab das in mühsamer Arbeit . . ." ). Und lockten mit ihren draufgekritzelten Erkenntnissen von zahlreichen Stoffwechselmeditationen. Zwei Türen hat er dem Wiener Kunsthändler Julius Hummel verkauft. "Ich hab, glaub ich, vier noch. Die sind im Keller. Willst eine haben? Es is a Original-Klotür." - Du kannst sie mir ja reservieren.

Und wieso hast du den Mr. Hyde, den entfesselten Richtex, 1997 wieder in dich zurückgestopft? "Weil der Auftrag erfüllt war." Zum Schluss der schönste Satz aus unserm Gespräch auf meinem viel zu weichen, gefräßigen Zweiersofa, das unser beider Sitzfleisch völlig verschluckt hat: "Einsamkeit is o. k. Aber ich hab‘ s schon hinter mir."

Claudia Aigner lebt als Germanistin und Kunsthistorikerin in Wien.

Printausgabe vom Samstag, 18. März 2006
Update: Freitag, 17. März 2006 16:46:00

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