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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Der Autor Christian Zillner versucht sich an der literarischen Reanimation des Versepos

Zillner: Ein Mythos für Österreich

Christian Zillner: „Mit meinem Versepos will ich eine andere Stimme zum Klingen bringen.“ Foto: Schandor

Christian Zillner: „Mit meinem Versepos will ich eine andere Stimme zum Klingen bringen.“ Foto: Schandor

Von Werner Schandor

Christian Zillner ist Lesern vor allem als Herausgeber auflagenstarker Firmenzeitungen wie z.B. ".copy" von der Telekom Austria bekannt. Doch der in Wien lebende "Magazineur" (Eigendefinition) ist auch als Schriftsteller hochaktiv. So stellt er dieser Tage den dritten Band seines auf elf Bände angelegten Versepos "Spiegelfeld" vor, mit dem er einen Mythos für Österreich entwerfen will.

Das Epos erzählt in Fragmenten die Geschichte eines Adelsgeschlechts, das den österreichischen Herrschern stets treu ergeben war und für die Einführung der Stempelmarke in Österreich verantwortlich zeichnet. Die Spiegelfelds waren die vorletzte Familie, die 1917 in der k.u.k-Monarchie in den Stand des Hochadels erhoben worden war. Jeder der geplanten elf Bände von Zillners Epos erzählt quer durch die Jahrhunderte, von 907 bis 2002, eine abgeschlossene Episode aus der Familiengeschichte der Spiegelfelds bzw. der Familie Matz, wie sie vor dem Adelsschlag hieß.

"Spiegelfeld" beginnt in Band 1 mit "Neun Tage im Mai 907" – der Beschreibung einer Reise von zwei Ur-Matzen vom Kanaltal über die Alpen zur Klosterinsel Sintleosesau (Reichenau) am Bodensee, wo sie zu Ministerialen ausgebildet werden sollen.

Band 2, "Neun Stunden am 24. April 1048", berichtet vom Besuch des Kaisers Heinrich III. auf eben dieser Insel. Wieder sind zwei Vertreter der Familie Matz anwesend. In Band 3 verdichtet sich die Zeit nochmals, "Neun Minuten am 12. August 1099" werden geschildert – die letzten Augenblicke eines Matzschen Kreuzfahrers namens Mezza in der Schlacht um Askalon (heute Aschkelon), in der die Ritter des ersten Kreuzzuges eine ägyptische Übermacht besiegten.

Heldenepos, freie Verse, Zaubersprüche, Theologie

Christian Zillner bringt in seinem "Spiegelfeld"-Epos viele Dinge zueinander, die auf den ersten Blick nicht zusammenpassen, etwa die aus der Mode gekommene Form des Heldenepos und freie Verse, Merseburger Zaubersprüche und theologisches Wissen, historische Quellen und eigene Spekulation, politische Fakten und fiktive Ereignisse. Die "Wiener Zeitung" sprach mit dem Autor über die Beweggründe für sein ungewöhnliches literarisches Projekt, das im kleinen Wiener "Dornröschen Verlag/Peter Schneidewind" erscheint.

Wiener Zeitung: Herr Zillner, wie kommen Sie auf den Gedanken, dass die Zweite Republik ein Epos braucht?

Christian Zillner: Ich bin in meinem Elternhaus mit Joseph Roth und den nostalgischen Vorstellungen von Österreich und österreichischer Geschichte aufgewachsen. Irgendwann habe ich festgestellt, dass das mit unserer Realität in der Zweiten Republik nichts zu tun hat. Meinem Gefühl nach ist das, was österreichische Tradition war – auch in literarischer und künstlerischer Hinsicht –, eigentlich mit dem Hitlerismus untergegangen. Erst seit der Zweiten Republik gibt es so etwas wie ein österreichisches Nationalbewusstsein. Ich hatte das Gefühl, wenn es ein Nationalbewusstsein gibt, dann muss es auch ein Nationalepos geben – das gehört einfach dazu! Ich hätte mich selber nie als Autor dafür gesehen, habe aber gehofft, dass es irgendjemand anderer einmal machen wird. Ich habe mit Freunden und Bekannten oft darüber gesprochen und festgestellt, es gibt eine Sehnsucht danach, aber es macht halt niemand.

Wie hat sich das Projekt konkretisiert?

Konkretisiert hat es sich, nachdem ich einen Adeligen getroffen hatte, mit dem ich ein Buch über Desktop-Publishing gemacht habe. Das war eine wunderbare Zusammenarbeit, aus der in der Folge eine Freundschaft entstanden ist, und in mir wuchs der Wunsch, die Familiengeschichte dieses Adelsgeschlechts zu erzählen. Zunächst einmal wollte ich über ihn schreiben, aber dann dachte ich: Naja, das wäre jetzt genau die Möglichkeit, die österreichische Geschichte aus einer anderen Perspektive zu erzählen, nämlich am Beispiel einer Familie, die nie sehr im Vordergrund stand.

Warum als Epos?

Der Gedanke mit dem Epos ist mir sehr schnell gekommen, weil ich nach einer Form gesucht habe, die so etwas plausibel machen kann. Wir sind heute fast nur mehr an Romane gewöhnt, und selbst das Entlegenste wird noch als Roman bezeichnet. Der Roman zeichnet sich für mich durch mehrere Dinge aus: Er ist eine "weibliche" Literaturform, kommt aus dem Pietismus und psychologisiert. Was wir an einem guten Roman schätzen, ist, wenn uns dort Figuren gezeigt werden, die plausible Personen darstellen, die ihr eigenes Leben entwickeln. Und der Romanschriftsteller ist jemand, der uns über unsere Befindlichkeiten, unsere politischen Verhältnisse aus einer gleichsam höheren Perspektive einen Überblick geben kann.

Der Roman ist also eher die Form des Individuums, das Epos die Erzählung der Gesellschaft?

Genau so ist es. Das Epos funktioniert nach anderen Kriterien. Im Epos spielen beispielsweise Kataloge eine große Rolle; so gibt es in der "Odyssee" die berühmten Schiffskataloge, in denen einfach nur Schiffe aufgelistet werden. Das Epos ist auch nicht individuell, sondern nach Genealogien aufgebaut, und über die Genealogie werden Zusammenhänge über Jahrtausende hergestellt. Das sind Elemente, denen jede Psychologie fehlt. Auch enthält das Epos Widersprüche, weil in ihm eine Vielzahl von Erzählsträngen zusammengefasst werden.

Die überlieferten Heldenepen sind meist das Destillat einer mündlichen Überlieferung, an der viele Erzähler mitgewirkt haben. Das ist vielleicht ein Unterschied zu Ihrem Epos und auch die Ironie daran: Es stammt nur aus einer Feder.

Manchmal komme ich mir vor wie einer dieser sogenannten verkehrten Indianer, die alles prinzipiell verkehrt machen müssen, was sie machen. Im Grunde ist es das Gleiche: Ich behandle die österreichische Geschichte wie die Vorgeschichte, wie den Mythos von vor 1955 – als ob erst mit 1955 so etwas wie eine Geschichtsschreibung eingesetzt hätte. In Wirklichkeit gibt es natürlich schon eine sehr gute österreichische Geschichtswissenschaft. Es ist ja dem Mythos schon alles entzogen.

Eine Geschichte vom Rand der Geschichte

Was leistet dann so ein Epos, was die Geschichtsschreibung nicht leisten kann? Was ein Epos leistet, und was ein Roman nicht leisten kann, dazu möchte ich aus Emil Angehrns Buch "Die Überwindung des Chaos" zitieren: "Der Mythos erscheint als noch rudimentäre Logik, nahe am sinnlichen Material und aufgrund ihres Abstraktionsmangels nicht zu übergreifenden Systematisierungsleistungen befähigt. Sein Weltbild bleibt ohne stringente Scheidung der verschiedenen Realitätsbereiche und Geltungstypen. Natürliche, göttliche, soziale und psychische Phänomene werden in ungetrennter Überlagerung und Durchdringung in direkter Identität wahrgenommen." – Das ist für mich die Wahrnehmungsweise des sogenannten einfachen Mannes, also nicht der Leute, die Geschichte schreiben oder lesen, sondern es entspricht dem, wie die meisten Leute leben.

Der Romancier ist auch eine herausgehobene Figur, die den Blick in die Seele der Menschen und in die Weite der historischen Dimension hat, und alles synthetisiert – genau das wollte ich nicht! Was ich darstellen will, ist dieses Gestammel der Menschen, die verschiedenen Stimmen und Wahrnehmungsformen. Das ist für mich eine Strategie gegen die historische Wahrheit. Ich bemühe mich natürlich, jeden Satz und jedes Wort aus einem faktischen Zusammenhang zu schöpfen, was mitunter zu seltsamen Situationen im Text führt. Aber die eigentliche Motivation für mich ist es, eine Geschichte vom Rand der Geschichte her zu erzählen. Obwohl mir klar ist, dass die wenigsten Leute Verständnis dafür haben werden, ist es trotzdem ein Sich-Wehren gegen den großen Gestus der Geschichtswissenschaft und des Romans. Ich möchte eine ganz andere Stimme zum Klingen bringen.

Die Bände 1 bis 3 von "Spiegelfeld" sind zu beziehen über den Dornröschen Verlag/Peter Schneidewind, Rechte Bahngasse 8, 1030 Wien, E-Mail: dornroeschen.verlag@chello.at.

>Leseprobe aus Spiegelfeld

Band 3 von "Spiegelfeld" wird am 26. Juni um 20 Uhr im Theater Brett in der Münzwardeingasse 2, 1060 Wien, präsentiert.

Werner Schandor , geboren 1967, lebt als Autor, Journalist und Fachhochschullektor in Graz.

Printausgabe vom Samstag, 24. Juni 2006
Update: Freitag, 23. Juni 2006 14:54:00

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