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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Zum 80. Geburtstag der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann

Schönheit und Trauer

Ingeborg Bachmann (25.6. 1926 – 17.10. 1973) Foto: Archiv

Ingeborg Bachmann (25.6. 1926 – 17.10. 1973) Foto: Archiv

Von Hans Höller

Ingeborg Bachmann wäre am Ende dieser Woche achtzig Jahre alt geworden. Sie ist bei einem Brandunfall im Herbst 1973 ums Leben gekommen. Mit einer brennenden Zigarette in der Hand eingeschlafen, erlitt sie so schwere Verbrennungen, dass sie wenige Wochen später verstarb.

Geboren wurde sie am 25. Juni 1926 in Klagenfurt. Ihre Eltern waren noch in der Habsburgermonarchie aufgewachsen. Der Vater, Lehrer, Offizier im Ersten und Zweiten Weltkrieg, schloss sich, wie viele andere Kärntner Lehrer, bereits Anfang der dreißiger Jahre der illegalen nationalsozialistischen Bewegung an. Früh dürfte die Tochter, die ihren Vater liebte, in einen bedrängenden Zwiespalt geraten sein. Nach ihrem eigenen Zeugnis war für sie der Einmarsch der Hitler-Truppen in Klagenfurt, März 1938, das Trauma ihres Lebens. In einem späten Interview hat sie in diesem geschichtlichen Datum die Urszene ihres Lebens gesehen, das Datum, von dem sie sich ‚herschreibt‘: "Es hat einen bestimmten Moment gegeben, der hat meine Kindheit zertrümmert. Der Einmarsch von Hitlers Truppen in Klagenfurt. Es war etwas so Entsetzliches, dass mit diesem Tag meine Erinnerung anfängt: durch einen zu frühen Schmerz, wie ich ihn in dieser Stärke vielleicht später überhaupt nie mehr hatte" (24. Dezember 1971).

Die Metapher der Brücke

1943 arbeitete die siebzehnjährige Schülerin an ihrer ersten großen Erzählung, "Das Honditschkreuz". In dieser Zeit des "Totalen Kriegs" und der Unterdrückung und Vertreibung der Slowenen in Kärnten findet die jugendliche Autorin zu ihrer Utopie einer "Brücke" , und sie möchte, dass ihre "Pfeiler" "friedlich drüben und herüben" "sitzen". Die Grenze überschreiten, angrenzen, übersetzen können zum anderen Ufer, das wird ein Grundmotiv ihres Werks bleiben, bis hin zu den Versen in ihrem vielleicht schönsten Gedicht, "Böhmen liegt am Meer" (1968): "Sind hier die Brücken heil, geh ich auf gutem Grund. […] Grenzt hier ein Wort an mich, so lass ich's grenzen."

Aber noch in diesem utopischen Gedicht, in dem ein Ich die Stadt Prag wie rettendes Terrain betritt – "Sind hierorts Häuser grün, tret ich noch in ein Haus" – ist die tief sitzende Erfahrung einer vorausgehenden Zerstörung gegenwärtig: "Zugrund gerichtet, wach ich ruhig auf. / Von Grund auf weiß ich jetzt". Dem Terror ausgesetzt gewesen zu sein, die Gewalt bis auf den Grund erfahren zu haben, ist die Voraussetzung für ein Wissen "von Grund auf". Anders sind für sie Gedichte nicht zu haben, anders ist auch die utopische Sehnsucht nach einem befreiten Aneinandergrenzen nicht mit lebendiger Intensität zu erfüllen.

Das frühere, 1956 im Lyrikband "Anrufung des Großen Bären" erschienene vielstrophige autobiographische Erzählgedicht "Von einem Land, einem Fluss und den Seen" fragt nach der Geschichte der Politik der Abgrenzung und Ausgrenzung in ihrem eigenen Herkunftsland Kärnten: "Wer weiß, wann sie dem Land die Grenzen zogen / und um die Kiefern Stacheldrahtverhau?" Schreiben, so könnte man diese Verse verstehen, bedeutet nicht nur, nach der Geschichte der Grenzziehungen als einer Geschichte des Terrors zu fragen, sondern auch: im lebendigen Miteinander der Sprachen, des Deutschen und des Slowenischen, die Idee eines lebendigen Miteinanders der Menschen zu sehen: "Wer weiß, was sie auf Grat und Gipfel suchten? / Ein Wort? Wir haben‘s gut im Mund verwahrt; / es spricht sich schöner aus in beiden Sprachen / und wird, wenn wir verstummen, noch gepaart."

Das Gedicht ist nicht blind für die Geschichte, für die Realität der Grenzwächter und Grenzkämpfer auf "Grat und Gipfel", aber es weiß, dass in der Sprache das "Gegenwort", der "Meridian" (Paul Celan), oder, wie man heute sogar in den Geschichtswissenschaften sagt, das "rettende Narrativ" zu finden wäre, "damit die Grenze heilt". Dreißig Jahre später ist in Peter Handkes Jugoslawien-Erzählungen die politische Provokation dieses friedensstiftenden Narrativs so offensichtlich geworden, wie sie es bei Bachmann so früh schon gewesen wäre – nur, dass man bei ihr, der Frau und Lyrikerin, die politische Provokation eines friedensstiftenden Schreibens nicht wahrgenommen oder nicht für erwähnenswert gehalten hat.

"Wir aber wollen über Grenzen sprechen,

und gehn auch Grenzen noch durch jedes Wort:

wir werden sie vor Heimweh überschreiten

und dann im Einklang stehn mit jedem Wort."

In solchen Versen ist Bachmanns Ethik der Alterität zu finden: die in die Musik ihrer Verssprache übertragene Einsicht, dass Heimat erst in der Anerkennung des Anderen und der Sprache der Anderen liegt.

Juni 1945, Klagenfurt, Kriegsende, das ist das andere Datum einer später nie mehr verloren gegangenen Erfahrung. Für Ingeborg Bachmann bedeutete es die Begegnung mit einem jüdischen Intellektuellen, einem aus Österreich nach England geflüchteten Emigranten, der mit den Alliierten Truppen als Offizier nach Kärnten gekommen war. Bezeichnend, dass sie in ihrem Tagebuch das Erlebnis der Befreiung des Jahres 1945 gerade in dieser Begegnung reflektiert. "Vom Frieden merkt man nicht viel, sagen alle" , und sie notiert dazu, dass die meisten noch gar nicht begriffen hätten, welche "Katastrophe" hinter ihnen liege. Für sie ist die Erfahrung der Befreiung ein Ereignis, das für immer die höchsten Töne verlangt: "Das ist der schönste Sommer meines Lebens, und wenn ich hundert Jahre alt werde – das wird der schönste Sommer bleiben." Nie mehr wird ihr dieser hymnische Ton ganz verloren gehen, auch in all den späteren Enttäuschungen nicht. "Ein Tag wird kommen [...]" , das ist noch in "Malina", der Ouverture der "Todesarten"-Romane, das utopische Gegenwort, in dem man die über alle Maßen gehende Erfahrung der Befreiung des Jahres 1945 mitdenken darf.

Die hochherzigen Töne der Befreiung werden aber noch im Jahr 1945, als ihr das Schreiben als Lebensziel bewusst wird, von lähmenden Konflikten der Autorschaft überschattet. Wie kann sie als Kind der "Tätergeneration" und als Frau ihr eigenes literarisches Schaffen legitimieren? Sie verfällt, denkt man nur an ein Gedicht wie "Ängste" oder an die "Briefe an Felician", auf geradezu monströse Schreckensbilder für ihre Berufung zum Schreiben. Die Welt der Literatur, das ist "der dunkle Schatten" , dem sie als schreibendes Ich "seit Anfang" folgt – und der ihr als Opfer das Leben abverlangt. Die Gewalt männlicher Herrschaft tritt ihr in der Institution der Literatur gegenüber: Nirgends eine Schreibgenealogie, in der sie sich als Frau und im Widerstand zu den "Herren Erziehern" sehen kann, die sie eben noch "umbringen" wollten, wie sie im "Kriegstagebuch" formuliert.

Der Ausdruck der Schuld

Erst in der Person und im Werk Paul Celans fand sie ein Gegenüber für ihr eigenes Schreiben, aber auch hier einem neuen Bann ausgesetzt: dem Schuldkomplex nach der Shoah, der in ihren "Liedern auf der Flucht" (1956) seinen bedrängendsten Ausdruck gefunden hat:

"Erlöse mich! Ich kann nicht länger sterben.

Ich bin noch schuldig. Heb mich auf.

Ich bin nicht schuldig. Heb mich auf."

Ingeborg Bachmanns Werk enthält viele schaurige Bilder für den alles andere als selbstverständlichen Ort des Schreibens nach 1945, eigentlich ein Nicht-Ort, der äußerste Gefährdung bedeutet und in jedem Werk neu zu entwerfen ist. In einem ihrer schönsten und traurigsten Gedichte hat sie diesen Platz jenseits der lebendigen Wirklichkeit als "Exil" bezeichnet:

"Ein Toter bin ich der wandelt

gemeldet nirgends mehr

[...] abgetan lange schon

und mit nichts bedacht [...]

Ich mit der deutschen Sprache

dieser Wolke um mich

die ich halte als Haus

treibe durch alle Sprachen".

"Schön und traurig" – das war das Wort, das ihr der kongeniale, Freund, der Komponist Hans Werner Henze als Eindruck mitteilte, als er zum ersten Mal im Herbst 1952 ihre Gedichte gehört hatte. Henze – der übrigens am 1. Juli diesen Jahres seinen 80. Geburtstag feiern kann – hatte ein feines Gehör für das zutiefst Beunruhigende in Bachmanns Gedichten. Er war in den fünfziger Jahren selbst ein zutiefst gefährdeter Künstler, sowohl was seine sexuelle Differenz angeht, die ihn zum potentiellen Opfer der Nazi-Vernichtung gemacht hatte, als auch durch seine Musik, die nach 1945 als Skandal empfunden wurde. In seinem Brief an Ingeborg Bachmann hat er das Englische gewählt, um im fremden Idiom leichter das schwer Benennbare dieser verstörenden Lyrik ausdrücken zu können: "You have in these new poems", schreibt er im Mai 1954, "something alarming, scandalous, bewildering, startling".

Alarmierend, skandalös, befremdlich, erschreckend hat sich das zutiefst bedrohte Ich in Bachmanns Gedichten damals wohl nur für den Freund ausgenommen, vom Mainstream der Kritik wurden sie sofort als Bestätigung dafür genommen, dass nach 1945 der Anschluss an die große Lyriktradition gefunden wurde und das schöne Gedicht wieder möglich ist.

Der weibliche Nicht-Ort

Erst mit Erscheinen der fragmentarischen "Todesarten" -Romane in der postumen Werkausgabe des Jahres 1978 ist jene von Henze angesprochene, verstörende Dimension Teil einer allgemeineren Wahrnehmung ihres Werks geworden. Vor allem ein Bild war es, das nun den Blick auf Bachmanns Werk bestimmte: das in einer Wand zum Verschwinden gebrachte weibliche Ich am Schluss ihres "Todesarten"-Romans "Malina". Der Vorgang, auf den die Romanhandlung zuläuft, ist der neue alte Kriminalfall des Schreibens nach 1945: Die Frau muss sich zurückziehen an einen Nicht-Ort, von wo aus auch ihre Stimme nicht mehr zu hören ist. Der letzte Satz des Romans kommentiert diesen Rückzug lapidar mit der alarmierenden Feststellung: "Es war Mord." Aber auch bei diesem letzten Satz blieb es nicht. Bachmanns Werk bricht ab mit dem letzten zu Lebzeiten veröffentlichten Erzählband "Simultan" (1972). Noch einmal versucht die Autorin ihr Schreiben neu zu begründen, diesmal in den Porträts von Frauen aus Wien, an die sie beim Schreiben denkt und bei denen sie ihre Autorschaft neu begründen kann. "Wienerinnen" hätten diese Frauenporträts zunächst heißen sollen, die inspiriert sind von Frauen, "die auch existieren".

"Die Wienerinnen" , schrieb Ingeborg Bachmann im Entwurf zum Klappentext, "sind meine hommage an etwas, das ich sehr vernachlässigt habe, also an die Frauen, die auch existieren, während ich mich beschäftige mit den Kontroversen, den Ideen, den Männern also, die sie haben, in diesen letzten Jahrzehnten. [...] Ich kenne sie weniger als andre, aber nicht ich habe sie erfunden, sie sind eines Tages zu mir gekommen und wollten leben."

Hans Höller , geboren 1947, ist Professor am Institut für Germanistik der Universität Salzburg. Er ist u.a. der Verfasser der Rowohlt-Monographien zu Thomas Bernhard und Ingeborg Bachmann.

Printausgabe vom Samstag, 24. Juni 2006
Update: Freitag, 23. Juni 2006 15:19:00

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