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Martin Walser: Die Lust am Widerspruch

Martin Walser, geboren 1927.  Foto: Patrick Seeger/ EPA

Martin Walser, geboren 1927. Foto: Patrick Seeger/ EPA

Von Peter Mohr

Aufzählung Der Schriftsteller Martin Walser sorgte immer für öffentliche Debatten und Kontroversen – am 24. März wird er 80 Jahre alt.

Martin Walser ist mehr als nur ein wichtiger deutschsprachiger Nachkriegsschriftsteller. Er hat stets auch mit großer Leidenschaft an öffentlichen Debatten teilgenommen. Daher scheiden sich die kritischen Geister nicht nur an seinen Romanen, sondern auch an seinen politischen Statements. Vor allem seine Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels 1998 spaltete die Intellektuellenszene. Ignatz Bubis warf Walser damals "geistige Brandstiftung" vor und rückte den Autor in ein politisch rechtes Eck – eine den Kern der Rede nicht treffende Polemik.

Ähnlich wortgewaltig wurde auch die Debatte über Walsers 2001 erschienenen Roman "Tod eines Kritikers" geführt. Die "FAZ" hatte vier Wochen vor dem Erscheinen des Buches eine hitzige Diskussion ausgelöst, weil sie (nicht zu Unrecht) in der Hauptfigur frappierende Ähnlichkeiten mit Marcel Reich-Ranicki entdeckt hatte. "Tod eines Kritikers", einer der schwächsten Walser-Romane, wirkt wie ein Rachefeldzug des Autors, der sich vom Frankfurter "Kritikerpapst" stets ungerecht behandelt fühlte.

Nicht minder medienträchtig war Walsers Verlagswechsel. Nach über 40 Jahren sagte er vor drei Jahren dem Suhrkamp Verlag ade, seitdem erscheinen seine Werke bei Rowohlt. So auch der pünktlich zu seinem 80. Geburtstag herausgebrachte, schmale Balladenband mit dem Titel "Das geschundene Tier", in dem Tochter Alissa 39 kurze Texte ihres Vaters illustriert hat.

Alterserfolge

Inzwischen haben sich die Wogen geglättet, und es ist ein wahrer Walser-Hype ausgebrochen. Am 19. März zeigte das ZDF die Verfilmung des Romans "Ohne einander" mit Jürgen Prochnow und Walser-Tochter Franziska in den Hauptrollen; der Bodenseekreis unterstützt eine Bühneninszenierung des Romans "Ein fliehendes Pferd" durch das Stadttheater Konstanz mit 20.000 Euro; im Herbst soll die Verfilmung von "Ein fliehendes Pferd" (mit Ulrich Noethen, Katja Riemann und Ulrich Tukur) ins Kino kommen; sogar die "FAZ" hat das Kriegsbeil begraben und am 10. März großformatig Walsers Tagebucheinträge zu vergangenen Geburtstagen veröffentlicht.

Walser ist nie ein Schriftsteller im Elfenbeinturm gewesen. Er nimmt am öffentlichen Diskurs teil und leidet (nach eigenem Bekenntnis) unter den aktuellen politischen Auseinandersetzungen. In einem Interview bekannte er, dass er nicht aufhören könne zu fragen, wie die Attentate des 11. September 2001 zustande gekommen seien, und dass "unser aller Begriffe von gut und böse" ins Wanken geraten sind.

Mehr als vier Jahrzehnte widmete sich Walser in seinen Romanen den gescheiterten Existenzen des Mittelstandes, die mit ihrem "Schöpfer" gealtert sind – durchaus vergleichbar mit John Updikes "Rabbit"-Romanen. Von den "Ehen in Philippsburg" (1955) lässt sich ein thematischer Bogen bis hin zu "Finks Krieg" (1996) ziehen. Die Figuren (einige hat Walser nach mehrjährigen Pausen wiederbelebt – Helmut Halm und Gottlieb Zürn) ähneln einander in ihrer Antriebslosigkeit, in ihrer Lethargie und ihrem Mittelmaß. Ihr Handeln war zumeist aufs Reagieren reduziert; erst mit Stefan Fink schuf Martin Walser einen aktiven, einen agierenden Protagonisten.

Trotz heftiger Anfeindungen hat Walser selbstbewusst lange an seinem Mittelstands-Panorama festgehalten. Und selbstbewusst scheint er schon immer gewesen zu sein. Als er 1951 als junger Rundfunkjournalist die Tagung der legendären "Gruppe 47" besuchte, antwortete er auf Hans Werner Richters Frage "Wie läuft‘s?": "Technisch einwandfrei, aber was da gelesen wird, kann ich besser." Zwei Jahre später gehörte Walser selbst zum "erlauchten Kreis" und wurde 1955 für seine ersten Erzählungen ("Ein Flugzeug über dem Haus") mit dem Preis der Gruppe ausgezeichnet. Danach ging es rapide bergauf.

Dabei hatte Martin Walser, der am 24. März 1927 in Wasserburg am Bodensee geboren wurde, alles andere als gute Voraussetzungen, um eine künstlerische Laufbahn einzuschlagen. Seine Eltern schlugen sich mit einer Gaststätte und einem Kohlenhandel durch. Nach dem Krieg, den er ab 1943 als Flakhelfer miterlebte (diese Erfahrungen flossen später in den Roman "Ein springender Brunnen" ein), musste er gleichzeitig seiner Mutter helfen (der Vater war 1938 gestorben) und sich um seine Ausbildung kümmern. Dennoch schloss er mit 24 Jahren sein Studium mit einer Promotion über Franz Kafka ab.

Viele Romananfänge zeigen eine deutliche Affinität zu dem Prager Dichter und dessen Protagonisten Gregor Samsa aus der "Verwandlung". Die Aufwachenden haben es Walser angetan: "Als Franz Horn aufwachte" (Jenseits der Liebe, 1976); "Xaver griff nach dem leisen, unerträglichen Weckergeräusch" (Seelenarbeit, 1979); "Als Gottlieb Zürn aufwachte" (Das Schwanenhaus, 1980).

Gegen den Strom

In jüngster Vergangenheit lief der seit vielen Jahren in Überlingen am Bodensee lebende Autor noch einmal zur literarischen Höchstform auf. Beginnend mit den aphoristisch zugespitzten Texten der Sammlung "Meßmers Reisen" (2003) über den "Augenblick der Liebe" (2004) bis hin zum letzten Roman, "Angstblüte", (2006). Bücher voller Lebensweisheit, in denen sich Walser (teils ironisch, teils bitter-ernst) mit den Problemen des Älterwerdens auseinander setzte. "Die Lust, nein zu sagen" treibt nicht nur die Meßmer-Figur, sondern auch ihren geistigen Schöpfer an, der zeitlebens gegen den Strom des Zeitgeistes schwamm.

Der nonkonformistische Zeitgenosse Martin Walser durchlief einen politischen Wandlungsprozess sondergleichen. In den unruhigen Jahren der Studentenbewegung kokettierte er öffentlich mit der DKP, ab Anfang der 80er Jahre schwang er sich zum vehementen Befürworter der deutschen Vereinigung auf (die literarische Umsetzung in der Novelle "Dorle und Wolf", 1987, ging allerdings schief) und gastierte als Redner auf den Parteitagen der CSU.

Die zurückliegenden Geburtstage, so haben wir aus den Tagebuchauszügen in der "FAZ" erfahren, waren für Walser häufig Anlass zu melancholischen Grübeleien. Wünschen wir ihm zu seinem 80. Geburtstag das Glücksgefühl seiner Romanfigur Gottlieb Zürn: Im Roman "Augenblick der Liebe" wird dieser betagte Herr auf seiner Terrasse am Bodensee von der jungen Beate Gutbrod mit einer riesigen Sonnenblume beschenkt.

Lesetipp: Martin Walser: Das geschundene Tier. Balladen mit Zeichnungen von Alissa Walser, Rowohlt Verlag, Reinbek 2007, 87 Seiten, 16,90 Euro.

Peter Mohr, lebt als Literaturkritiker und Kulturjournalist in Bochum und Mallorca.

Printausgabe vom Samstag, 24. März 2007
Online seit: Freitag, 23. März 2007 16:51:25

Lexikon



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