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"Schreiben stillt mein Heimweh"

Åsa Larsson, die neue schwedische Krimi-Queen.  Foto: Villachica

Åsa Larsson, die neue schwedische Krimi-Queen. Foto: Villachica

Von Jeannette Villachica

Aufzählung Die international erfolgreiche schwedische Krimiautorin Åsa Larsson ist gelernte Steueranwältin und präsentiert sich Besuchern als Unkompliziertheit in Person.

Als Jugendliche hatte

Åsa Larsson ein religiöses Erlebnis. "Ich war auf dem Weg von der Schule nach Hause, als ich von einem starken Gefühl überwältigt wurde. Es war, als ob sich der Himmel öffnete und Gott mich zu sich rief" , erzählt sie heute und lacht. Die kleine Frau im schwarzen, leicht rockigen Outfit mit viel Silberschmuck und dezent schwarz umrandeten Augen wirkt wie die Unkompliziertheit in Person. Man traut ihr weder ihre tief religiöse Vergangenheit zu – sie trat als Jugendliche in eine schwedische Freikirche ein – noch die teils drastischen Szenen in ihren Krimis.

Dennoch hat sie sie geschrieben. Drei von sechs geplanten Teilen einer Serie um die raue, kompromisslose, intelligente und sensible Anwältin Rebecka Martinsson und die fest im Leben stehende, leichtlebigere Kommissarin Anna-Maria Mella sind schon erschienen. Alle spielen in der nordschwedischen Erzbergbaustadt Kiruna, der eigentlichen Heimat der 1966 im südlicheren Uppsala geborenen Autorin. Ihre Eltern, beide aufgewachsen unter streng pietistischen Laestadianern – "eine Erweckungsbewegung schwedischen Ursprungs innerhalb der Staatskirche" , erklärt Åsa Larsson –, wandten sich als Erwachsene davon ab. "Sie waren allergisch gegen jede Art von Religion" , erinnert sich die Tochter.

Kirche als sicherer Ort

Die beiden Großmütter nahmen Åsas religiöse Erziehung in die Hand. Sie brachten ihr bei, wie man abends betet, bereiteten sie auf ihre Rolle in der Gemeinde vor und vermittelten ihr ein Gefühl der Sicherheit, das, wie sie selber meint, vielleicht auch später für ihre Hinwendung zur Freikirche mitverantwortlich war. Als ihre Eltern sich scheiden ließen, war die Freikirche jedenfalls ein sicherer Ort für sie. "Vielleicht war es auch eine Form des Protests gegen meine Eltern" , sagt sie heute. "Ich weiß es nicht."

Mit über zwanzig wurden die Zweifel zu stark. Aber Larsson ist noch immer Mitglied in dieser Freikirche – "passives, aus Loyalität". Sie denke aber generell, dass die schwedischen Freikirchen sich zwischen 1985 und 1990 zu stark "nach der Yuppie-Lebensweise der Zeit richteten: Wenn Du betest, wenn du den richtigen Glauben hast, wirst du reich, gesund, erfolgreich und so weiter sein". Menschen, die ihre Lehre als für alle verpflichtend erklären, machen sie heute wütend, egal ob es Privatpersonen oder Kirchenvertreter sind.

Als Kind malte und schrieb Åsa sehr viel. "Mein Vater war geistig abwesend, nehme ich an, auf jeden Fall waren meine kreativen Projekte ein Mittel, um seine Aufmerksamkeit zu erregen" , sagt sie. Manchmal ziehe sie ihn damit auf, dass sie nur schreibe, um ihm zu gefallen, und ihn gleichzeitig dadurch zu ärgern, dass sie Krimis schreibt, von denen der Vater gar nichts hält.

Die kleine Åsa durfte nur "gute Literatur" lesen. Enid Blyton-Bücher oder ähnliches verbot ihr der Buchhändler. Fürs Studium zog Åsa Larsson dann, wie ihre Eltern in ihrer Jugend, nach Uppsala. Sie wollte gar nicht studieren, bekennt sie heute. "Aber nachdem ich ein paar Jahre als Kellnerin und in anderen Jobs gearbeitet hatte, dachte ich, ich muss studieren, wenn ich diese Jobs nicht noch mit fünfzig machen will." Die Wahl des Studiengangs verlief ähnlich. Sie wusste nur, was sie nicht studieren wollte. Am Ende blieb Jura übrig.

Der schwierige Norden

Nach dem Studium kehrte sie nicht nach Kiruna zurück, obwohl sie ihre Heimat vermisste. Was hätte sie als Steueranwältin dort tun sollen? Außerdem entwickeln ihrer Meinung nach Menschen, die nicht aus dem Norden stammen, selten eine Beziehung zu dieser Gegend, die so schrecklich weit entfernt von allem liegt. Larsson meint damit auch ihren Lebensgefährten. Anders "all diese deutschen Naturliebhaber, die im Sommer nach Nordschweden kommen und meist ganz außer sich sind vor Begeisterung über die Leere und die vielen Wälder. Wenn man dort geboren ist, hasst man all das – oder man liebt es, wie ich es schon immer tat."

Als Anwältin für Steuerrecht "las ich nicht und schrieb natürlich auch nicht". Dann kam ihr erstes Kind und sie konnte einen Moment innehalten. Plötzlich empfand sie ihr Leben als schrecklich langweilig, verspürte das Bedürfnis nach Kreativität, belegte einen Schreibkurs und irgendwann entstand ihr erstes Buch. Ja, so unspektakulär sei es gewesen. Sie würde gerne eine aufregendere Geschichte erzählen und hätte sich mehr Mühe damit gegeben, eine zu erleben, wenn sie geahnt hätte, dass sich einmal jemand für ihre Schreibanfänge interessieren würde. Sie lacht. Und sie hätte sich noch viel mehr darum bemüht, wenn sie gewusst hätte, dass man mit dem Bücherschreiben gutes Geld verdienen kann.

Ihr Erstling, "Sonnensturm" (2003), wurde in Schweden als bestes Krimidebüt des Jahres ausgezeichnet und stand monatelang auf den Bestsellerlisten. Darin wird ein Mitglied einer freikirchlichen Gemeinde in Kiruna ermordet und bestialisch zugerichtet. Alles deutet zunächst auf einen Ritualmord hin, denn das Opfer war als Jugendlicher scheintot gewesen, dann zum Medienstar avanciert und hatte schließlich seine Macht genutzt, um drei Kirchensekten zu einer großen Erweckungsgemeinde zusammenzuschließen. Das brachte ihm nicht nur Freunde ein.

In diesem Debüt begegnen Larssons Leser erstmals der verschlossenen Rebecka Martinsson, die in Stockholm als Anwältin arbeitet. Von Victors Schwester, die verdächtigt wird, zur Hilfe gerufen, reist Rebecka in ihre Heimatstadt. Dort ermittelt die hochschwangere Polizeiinspektorin Anna-Maria Mella, die sich mit dem Fall etwas schwer tut. Denn Schweigen scheint in diesen Kirchengemeinden oberstes Gebot.

Auch der zweite Band "Weiße Nacht" (2004) spielt im religiösen Milieu. Dieses Mal wird eine Pastorin der schwedisch-lutherischen Amtskirche tot aufgefunden. Mit dem gerade erschienenen Roman "Der schwarze Steg" hat Åsa Larsson sich anderen Sphären zugewandt, die mystische Atmosphäre aber ist geblieben. Angebetet wird in dieser Geschichte das große Geld und gefleht wird um menschliche Gnade. Grob gesagt geht es um die Ausbeutung afrikanischer Gruben durch multinationale Konzerne, Machenschaften, in denen der schwedische Selfmademan Mauri Kallis sein anfangs noch vorhandenes Gewissen und seine enge Mitarbeiterin Inna Wattrang verliert. Rebecka wird stellvertretende Staatsanwältin in Kiruna und freundet sich mit der pragmatischen Anna-Maria Mella an.

Seit "Sonnensturm" wird Åsa Larsson als neue schwedische Krimi-Queen gehandelt. Eine zweite Liza Marklund also? Nicht ganz. Die vier Jahre jüngere Larsson ist weniger kämpferisch, weniger politisch und sozial engagiert, auch in ihren Büchern. Sie taucht nicht so tief ein in die gesellschaftlichen Phänomene, denen auch sie nachspürt, und lässt sich auf menschliches Leid nicht so ein wie Marklund. Das kann man unterschiedlich bewerten, aber eines steht jedenfalls fest: Åsa Larsson versteht es, ihre Charaktere mit wenigen Sätzen so zu umreißen, dass man auch bei Nebenfiguren ungeahnte Tiefen vermutet. Wo aber ganz demokratisch überall Tiefe angedeutet wird, bleibt nicht genug wirklicher Tiefgang für die Protagonisten übrig.

Einen Vorwurf, dem sich Medienprofi Liza Marklund häufig ausgesetzt sah, kann man Åsa Larsson nicht machen: Ihre Geschichten sind kein bisschen reißerisch. Selbst die detaillierten Beschreibungen übel zugerichteter Leichen sind nicht auf Schock-effekte angelegt.

Als beste Vorbereitung fürs Krimischreiben sieht Larsson das Lesen des Alten Testaments: "Die Geschichten sind aufregend, voller Action, brutal und sehr abwechslungsreich. Sie sind wunderschön geschrieben und natürlich bekommt man auch etwas Tiefergehendes mit."

Antiheldin Rebecka

Ob ihre Krimi-Serie auch in Südschweden angesiedelt sein könnte? Für ihre Leser sicher, aber sie selbst könnte niemals über einen anderen Ort als Kiruna schreiben, meint sie. In der Tat gehört ihre Antiheldin Rebecka Martinsson nach Nordschweden. Zumindest, wenn man Nordschweden mit Dunkelheit, Stille, Melancholie und Einsamkeit assoziiert. Ihre Schöpferin, immerhin auch ein Geschöpf Lapplands, scheint das Gegenteil zu sein. "Rebecka würde wohl nicht viel von mir halten", meint Åsa Larsson. "Sie würde denken, ich lächle zu viel, rede zu viel, und sie würde mich dafür verachten, dass mir daran liegt, von anderen Menschen gemocht zu werden. Ihr ist das egal. Sie ist keine Lächlerin." Dafür ist sie auch einsam und tieftraurig. Am Ende dieses Buchs deutet sich jedoch an, dass auch Rebecka bald ein bisschen Glück erfahren wird.

Die malerische Kleinstadt namens Mariefred, in der Åsa Larsson heute mit ihrer Familie, einem Hund und zwei Meerschweinchen ( "Ich hasse diese Winzlinge. Wollen Sie sie haben?" ), lebt, liegt 60 Kilometer südwestlich von Stockholm. Hier wurden viele Szenen der Verfilmungen von Astrid-Lindgren-Büchern gedreht, wie Larsson erzählt. Und jeden Sommer kommt ein deutsches Filmteam in die Stadt und verfilmt einen weiteren Inga-Lindström-Roman als Herz-Schmerz-Beitrag fürs deutsche Fernsehen.

In der Nähe liegt auch Schloss Gripsholm, das Larsson zufolge in Schweden niemand kennt. Man könnte meinen, diese idyllische Gegend passe viel besser zur positiven Ausstrahlung der Autorin, aber die möchte wieder nach Kiruna ziehen. "Wenn die Kinder groß sind" , sagt sie. "Bis dahin stille ich mein Heimweh mit dem Schreiben."

Zwischendurch hat sie auch ein Hörspiel verfasst und Erzählungen über einen Polizisten um das Jahr 1910. "Nur, weil es so eine interessante Zeit war, als der Bergbau in Nordschweden in Fahrt kam", spielt sie diese Arbeit herunter. Es wäre ihr zu langweilig, einen Krimi der Serie nach dem anderen zu schreiben. Überhaupt sei sie auf der Suche nach einem Hobby. "Das Schreiben ist ja jetzt meine Arbeit. Ich denke, ich habe mir das Recht auf ein neues Hobby verdient." Sie lacht wieder. Im Prinzip sei ihr Tag zwar voll mit dem Schreiben, den Kindern, dem Haushalt, aber sie könnte sicher noch irgendwie etwas reinpressen. Sie wisse nur noch nicht, was.

Åsa Larsson auf Deutsch:

Der schwarze Steg. Roman. 383 Seiten, 20,60 Euro.

Sonnensturm. Roman, 352 Seiten, gebundene Ausgabe 20,50 Euro, Taschenbuch 9,30 Euro.

Weiße Nacht, Roman, 384 Seiten, gebundene Ausgabe 20,60 Euro, Taschenbuch 9,00 Euro.

Alle drei Romane Åsa Larssons wurden von Gabriele Haefs aus dem Schwedischen übersetzt und sind im C. Bertelsmann Verlag erschienen.

Jeannette Villachica, geboren 1970, lebt in Hamburg und ist als Kultur- und Reisejournalistin für unterschiedliche Medien tätig.

Printausgabe vom Samstag, 05. Jänner 2008
Online seit: Freitag, 04. Jänner 2008 15:11:53

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