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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Die französische Schriftstellerin Christiane Singer, die in Österreich lebte, hat in ihrem letzten Buch das geistige Abenteuer ihres Sterbens beschrieben

"...es gibt nur das Leben"

Christiane Singer (1943 bis 2007).  Foto: ©Caterine Cabrol

Christiane Singer (1943 bis 2007). Foto: ©Caterine Cabrol

Von Andreas Kövary

Aufzählung Nach der langwierigen Magnetresonanztomographie eröffnet ihr der junge Arzt in sehr sachlichem Ton, dass sie an einer aggressiven Form von Krebs erkrankt sei und höchstens noch sechs Monate zu leben habe. Die Schriftstellerin, Vortragsreisende, Esoterikerin und Menschenvernetzerin, die ihre Lebensmitte schon überschritten hat und trotzdem voller neuer Pläne steckt, nimmt die Nachricht zunächst gelassen auf.

Erst als die Familie zusammenkommt und man sich der Tragweite der Information richtig bewusst wird, kommen auch ihr die Tränen. Welchen Auftrag birgt dieses angekündigte Sterben in sich? Welchen auch immer: sie nimmt ihn an und auf sich. Er wird zur intensivsten Herausforderung, zur schmerzvollsten Erfahrung, zum stolzesten Triumph eines ohnehin reichen Lebens.

Christiane Singer kommt als jüngere Tochter österreichisch-ungarischer, jüdisch-christlicher Eltern 1943 in Marseille zur Welt. Sie studiert Literaturwissenschaft in Aix-en-Provence, wird dann Dozentin an den Universitäten von Basel und Fribourg. In der Schweiz lernt sie ihren Mann Giorgio Thurn-Valsassina kennen. Nach der Heirat zieht sie mit ihm auf das Stammschloss der Familie in Rastenberg im Waldviertel. Zwei Söhne kommen auf die Welt. Zu dieser Zeit ist sie auch schon schriftstellerisch tätig. Sie hat mehrere wichtige französische Literaturpreise erhalten. Der Goncourt, für den sie nominiert gewesen ist, ist leider nicht darunter gewesen. Dafür jedoch der von der Académie Française vergebene "Prix de la langue française" für ihren Roman "Seul ce qui brûle" ("Nur was brennt") im Jahre 2006.

1989 wird ein Seminarhaus eröffnet. Ihr Mann Giorgio ist ein Architekt, der in esoterischer Richtung arbeitet. Er konstruiert im Wald hinter der Burg Rastenberg "Die Lichtung": Auf einer Lichtung, die radiästhetisch ausgependelt wird und in ihrer durch einen überdimensionalen Diamanten gekennzeichneten Mitte über 16.000 Bovis anzeigt (zum Vergleich: in einer gotischen Kathedrale misst man an die 25.000 Bovis), errichtet er nach uralten, feinenergetischen Erkenntnissen ein Meditationshaus mit einem angrenzenden, halbmondförmigen Teich. Der Ort soll zum Prototyp eines Kraftortes für die Aufnahme von kosmischen und terrestrischen Schwingungen werden, an dem Menschen an ihrem Bewusstsein arbeiten.

Natürlich werden Kurse und Seminare abgehalten, aber in den ersten Jahren wird das Haus auch sehr offen geführt: für einen Kreis von Begeisterten liegt der Schlüssel immer unter der Matte – solange das Haus nicht belegt ist, kann man zum Yoga, Reiki oder Meditieren kommen, wann immer man will.

Christiane, gelernte Therapeutin in Initiatischer Leibtherapie nach Graf Dürckheim, dessen Adeptin sie seit langen Jahren ist, gibt kostenlose Stunden für alle, die kommen mögen. Die Liste der Kursleiter und Vortragenden beim Zehnjahresfest der "Lichtung" liest sich wie ein repräsentativer Querschnitt durch die alternative Szene der Künste und Wissenschaften.

Daneben widmet sich Christiane Singer fast drei Jahrzehnte selber einer unermüdlichen Vortragstätigkeit, die sie durch ganz Europa und darüber hinaus führt. Sie wird Gründungsmitglied, später eine der Präsidentinnen der überreligiösen Vereinigung "Terre du Ciel" in der Nähe von Lyon, die ein Festpunkt in ihrem Jahresablauf wird. Sie zieht mit ihren Vorträgen durch die Lande und entwickelt sich dabei zu einer der komplettesten Menschenkennerinnen, der man in unseren "fortgeschrittenen" Zeiten begegnen konnte. Zwischen 1990 und 1998 übernimmt sie auch das Generalsekretariat des österreichischen PEN-Clubs.

Der Weg zur Mystik

Etwa um die Zeit des Baus der "Lichtung" dürfte deren Herrin zu der Mystikerin gereift sein, zu der sie in der Tiefe ihres Herzens lange schon tendiert hat. Jede Seite ihres letzten Buches kündet jedenfalls davon. "Bitte glaubt nicht dass ich gestorben bin. Ich bin vollkommen lebendig von einem Leben in das andere gewandert." Diese "Letzten Fragmente einer langen Reise", die soeben bei Bertelsmann in deutscher Fassung erschienen sind, sind trotz ihrer schlanken 144 Seiten ein gnadenloses Werk, das dem Leser bei der Lektüre viel abverlangt. Vor allem Hingabe. Ist er bereit, alle inneren Fenster und Türen zu öffnen, wird er mit Juwelen der Erkenntnis überhäuft.

Aber nicht jedem ist es gegeben, ihre Worte gleich zu verstehen. "Das Christentum ist in mir wie eine brennende Leere, die ich nicht füllen wollte. Eine, die ewig offen bleibt und die sich jeden Tag neu erfindet". Kryptische Worte, festgehalten von einer Globetrotterin zwischen den Religionen und den Welten, deren Achtung und Dankbarkeit nichts entging. Nicht "die kosmische Fülle und Strenge des Hinduismus, und nicht die unglaubliche Güte, mit der der Buddhismus das menschliche Bewusstsein klärt und schärft". Nicht "die harte Schale und die zärtliche Feinheit des Judaismus und nicht die rauschende Pracht und Würde des (humanistischen) Islam". Nicht einmal die "diversen Formen des Schamanismus, die seit unvordenklichen Zeiten den Dialog zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren, zwischen der offenbarten Welt und ihrem Schöpfer" gewährleisten.

Bei der Erinnerung an diese Dichterin des Lebens fallen einem die Bezeichnungen "Zauberin" oder "Magierin" ein. Der oberflächliche Betrachter könnte gar den Eindruck gewinnen, es handle sich um eine Vertreterin der "New Age"-Bewegung. New Age, das ist der Melting Pot, in den man all jene Versatzstücke aus den verschiedensten Religionen und Glaubensrichtungen einbringen kann, die man als maßgeblich für sein persönliches Heil erkannt und im Verlauf seiner Lebensjahre da und dort mitgehen hat lassen. Ist also Christiane Singer ein Späthippie aus der Flower-Power-Ära der berüchtigten Sechziger Jahre, für welche ein anderer scharfer Denker (der ebenfalls vor kurzem verstorbene Arnold von Keyserling) die Heraufkunft des "Wassermann-Zeitalters" errechnet hatte? Für jeden, der sie gekannt hat, eine abstruse Vorstellung. Und doch kann man davon ausgehen, dass sich für sie auch in den Phänomenen, die die "New Age"-Bewegung transportiert hat (Bewusstseinserweiterung, ganzheitliche Lebenspraktiken, Annäherung zwischen exakten Wissenschaften und esoterischen Weltauffassungen) wertvolle Beiträge zum Seinsverständnis des modernen Menschen fanden.

"Meine Kollegen und ich stellen uns Fragen über das Rätsel, das Sie uns aufgeben. Durch die Art, wie Sie mit Ihrer Krankheit umgehen, lernen wir eine andere Beziehung zur Krankheit und zum Leben. Das ist zutiefst verwirrend für uns." Das stellt ein Arzt in jenem Krankenhaus fest, in dem Christiane Singer vor einem Jahr gestorben ist. Angesichts von Sätzen wie "Von nun an stehe ich unter Palliativbehandlung. Angeschlossen an eine wundervolle Pumpe, die mich von den Schmerzen befreit. Ich habe die Waffen gestreckt. Dankbarkeit, Dankbarkeit!" oder "Unbeschreiblich, diese Seelentiefe, in die ich getaucht bin! Heute Nacht wurde ich gekrönt – mit der Dornenkrone" kann man ihm seine Verwirrung nachfühlen.

Ist hier aus der Not, aus der Qual eines leidenden Menschen, wenn auch auf höchster Ebene, wenn auch in tiefster Dimension eine Tugend gemacht, eine Umwertung der Werte betrieben worden? Warum muss eine mit einer derart positiven Ausstrahlung gesegnete, von einem so großzügigen Bewusstsein erfüllte Person, die wie ein Tornado durch die Welt weht und alle entflammt, zu einem vergleichsweise so frühen Zeitpunkt abberufen werden? Und wenn das schon unabänderlich gewesen sein soll, wozu war es ihr dann auferlegt worden, den Kelch der physischen Leiden derart bis zur Neige auszuschöpfen? Wussten die Götter nicht von vornherein, dass sie die Prüfung glorios bestehen würde? War es denn vorstellbar, noch authentischer zu leben als diese eben Entflogene?

Angst vor Schmerzen

Solche Gedanken kommen nur uns. Mit Singers Buch bewegen wir uns weit über "Literatur" hinaus. Auch jenseits von Lebens- oder Sterbehilfe oder von religiöser oder spiritueller Bekenntnisarbeit. Die Autorin, die Berichterstatterin hütet sich, uns die sechs Monate ihres Sterbens als den unbeirrbaren Weg der Mystikerin darzustellen, an dessen Ende diese von Posaunen begleitet durch das weiße Tor des unerschütterlichen Glaubens in die Ewigkeit einzieht.

Ganz im Gegenteil, sie lässt keinen Zweifel darüber, dass sie Nächte erlebt, in denen sie schon mehr drüben als herüben gewesen ist. Dass sie entsetzliche Schmerzen erleiden muss, die weniger durch mystische Entrückung als durch die richtige Dosierung der ihr zugeführten Psychopharmaka gelindert werden können. "Seit gestern bin ich wegen heftiger Blasenblutungen wieder im Krankenhaus. Diese Nacht ein schmerzhaftes Gefühl von Marter und Verlassenheit: diese dicke Sonde pfählte mich bei lebendigem Leib. Meine Körperlichkeit hat etwas Erschreckendes, Zerstörerisches. In der Tiefe meines Herzens habe ich geschrien, gebettelt in meiner Not, Christus um Hilfe angerufen: rette mich, lass ein Wunder geschehen!"

An einer anderen Stelle heißt es: "Furchtbarer Tag. Furchtbare Nacht. Bauch verbrannt zu Asche. Flammen. Lendenwirbel in Stücke gerissen." Und als sie an den Kreis der ihr Nahestehenden einen Rundbrief schickt, lässt sie alle wissen: "Die einzige Dimension, die ich nicht mit kühler Distanz betrachten kann, ist der Abgrund der physischen Qualen. Ich dachte zu wissen, wovon ich spreche, wenn ich von Schmerz sprach. Heute weiß ich, dass ich nichts wusste."

Aber daran schließen sich auch wieder Hymnen der Dankbarkeit: "Wie hätte ich ahnen können, dass ich noch einmal so glücklich sein kann? Durchdrungen von einem Glück ohne Ende, ohne Grenzen, das nichts wünscht, nichts erwartet außer der Verzückung über jede Begegnung, über jede Sekunde!" Sie feiert ihr Sterben, sie jubelt ihm fast zu: "Ins Leben einsteigen, das ist das Gebot der Stunde . . . es kann jetzt geerntet werden!"

Mit tiefem Respekt kann selbst ein Agnostiker solch unfassbaren Glauben zur Kenntnis nehmen. "So sehr habe ich diese Welt geliebt, in der Deine Herrlichkeit wohnt" – diese Lebens- und Sterbemaxime hat uns Christiane Singer hinterlassen. Und folgerichtig erwiderte sie auf die Frage, wie sie sich das Jenseits vorstellen würde, einige Wochen vor ihrem Tod erstaunt: "Darüber mache ich mir doch keine Gedanken... Jetzt ist Jetzt – das ist schon unendlich reichhaltig genug! Es gibt keinen Tod, es gibt nur das Leben."

Christiane Singer: "Alles ist Leben. Letzte Fragmente einer langen Reise." Aus dem Französischen von Wieland Grommes, C. Bertelsmann Verlag, München 2008, 144 Seiten, 12,40 Euro.

Andreas Kövary, lebt als Drehbuchautor, Dramaturg, Journalist, Gestalter für Rundfunk und Fernsehen in Wien.

Printausgabe vom Samstag, 26. April 2008
Online seit: Freitag, 25. April 2008 14:28:00

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