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Lion Feuchtwanger: Vernunft gegen Dummheit

Lion Feuchtwanger (1884 bis 1958). Foto: Archiv

Lion Feuchtwanger (1884 bis 1958). Foto: Archiv

Von Oliver Bentz

Vor 50 Jahren starb der Schriftsteller Lion Feuchtwanger, der zu den erfolgreichsten Autoren der deutschen Exilliteratur gehörte.

Als Lion Feuchtwanger im November 1932 von Berlin aus zu einer längeren Vortragsreise nach England und in die USA aufbrach, ahnte er nicht, dass es eine Reise ohne Wiederkehr werden sollte. "Hitler is over", bekräftigte er gegenüber seinen Zuhörern jenseits des Atlantiks noch Anfang 1933, als der "Führer der nationalsozialistischen Bewegung" bereits die Macht in Deutschland übernommen hatte.

Ganz oben auf der Ausbürgerungsliste der Nazis stand der Schriftsteller Feuchtwanger, der es mit seinen historischen Romanen, in denen er sachliche Seriosität mit wortmächtiger, bunter, gelegentlich bewusst Kolportageelemente nutzender Erzählweise zu verschmelzen verstand, geschafft hatte, zu einem der auflagenstärksten Romanciers seiner Zeit zu werden, und dessen Werk eine aus dem Geist des bürgerlichen Humanismus stammende aufklärerische Haltung durchzieht. Schon beim Erscheinen des Romans "Erfolg" (1931), in dem Hitler und dessen Partei entlarvt werden, hatten die Nazis Feuchtwanger angedroht, dass er "einen zukünftigen Emigrantenpass reichlich verdient hat". Folgerichtig ließen sie nach der Machtübernahme sein Haus durch SA-Männer verwüsten, beschlagnahmten sein Vermögen und bürgerten ihn als einen der ersten deutschen Intellektuellen aus.

Münchner Bohémien

Feuchtwanger, am 7. Juli 1884 in eine orthodox-jüdisch geprägte, großbürgerliche Münchner Familie hineingeboren, brach nach seinem Abitur mit dem Elternhaus, um Schriftsteller zu werden. Er verkehrte in der Schwabinger Bohème, schrieb Theaterkritiken für Siegfried Jacobsohns "Schaubühne" und gründete 1908 die Kulturzeitschrift "Der Spiegel". Der "L’art pour l’art" frönend, sind seine frühen Romane und Dramen der ästhetizistischen Antibürgerlichkeit der sogenannten Dekadenzliteratur verpflichtet.

Mit seiner Lebensgefährtin Martha Löffler, die er 1912 geheiratet hatte, führte Feuchtwanger in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg ein unstetes Wanderleben. In Tunis wurden die beiden vom Kriegsausbruch überrascht und von den Franzosen interniert. Eine abenteuerliche und lebensgefährliche Flucht brachte Feuchtwanger nach Deutschland zurück, wo er von der Presse begeistert empfangen wurde. Die wenigen Wochen des Kriegsdienstes, die er – bis zu seiner Entlassung wegen eines Magenleidens – leisten musste, genügten, ihn zu einem lebenslangen Gegner alles Militärischen zu machen, der gegen die patriotische Hysterie in den ersten Jahren des Weltkrieges in Essays und Dramen anschrieb.

Unter dem Eindruck der blutigen Exzesse während der Niederschlagung der Münchner Räterepublik stieß er auf jene Themen, die er neben dem Antisemitismus, mit dem er schon früh Erfahrungen gemacht hatte, in seinen Werken immer wieder aufgreift: den Konflikt zwischen Geist und Macht, Aufklärung und Barbarei, Kontemplation und Handeln. "Ich für meinen Teil", schrieb er einmal, "habe mich bemüht, historische Romane für die Vernunft zu schreiben, gegen Dummheit und Gewalt, gegen das, was Marx das Versinken in der Geschichtslosigkeit nennt."

Sein 1920 erschienener Dialogroman "Thomas Wendt", eine Geschichte um den gleichnamigen Dichterrevolutionär, gab dem jungen Bert Brecht, mit dem Feuchtwanger fortan eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte, entscheidende Anregungen zur Entwicklung seines "Epischen Theaters". Neben Brecht wurde Feuchtwanger auch für viele andere junge Schriftsteller zum Anreger und Mentor.

Kurz nachdem Feuchtwanger Mitte der zwanziger Jahre aus dem immer antisemitischer und unwirtlicher werdenden München nach Berlin übersiedelt war, machte ihn die Veröffentlichung von "Jud Süß" über Nacht zum internationalen Bestsellerautor. Dieser Roman über den steilen Aufstieg und tiefen Fall des Hoflieferanten Süß-Oppenheimer im Württemberg des 18. Jahrhunderts (der mit dem bösartigen Nazi-Propagandafilm Veit Harlans aus dem Jahr 1940 nichts gemein hat) bescherte Feuchtwanger besonders im angelsächsischen Sprachraum, wo es ja eine lange Tradition des historischen Romans gibt, eine große Leserschaft und ein sicheres Einkommen. Es entstand der von Heinrich Mann so bezeichnete "Roman Typ Feuchtwanger", dessen aufwendig recherchierte und mit enormem historischen Wissen ausgestattete Geschichten dem Leser höchst niveauvolle Unterhaltung boten. In Amerika galt das Prädikat "It’s nearly like Feuchtwanger" über Jahrzehnte als Ausweis ausgezeichneter literarischer Qualität in diesem Genre.

Exil in Frankreich

Nachdem in Deutschland im Mai 1933 auch Feuchtwangers Bücher verbrannt wurden, wählte der Schriftsteller das südfranzösische Sanary-sur-mer als Zufluchtsort. Sein literarisches Schaffen stellte er in den Dienst des Kampfes gegen den Nationalsozialismus. Im Winter 1936/37 reiste er in die Sowjetunion, wo er, der meistgelesene deutsche Autor in diesem Land, auch von Stalin empfangen wurde. In seinem Reisebericht bekannte sich Feuchtwanger, der für die Bündelung aller antifaschistischen Kräfte in einer Volksfront warb und von der Zurückhaltung der Demokratien gegenüber Hitler enttäuscht war, eindeutig zum Sowjetkommunismus. Er provozierte damit heftige Debatten innerhalb der Emigration – und manch einer seiner früheren Freunde und Weggefährten wandte sich jetzt von ihm ab, ja bezichtigte ihn sogar, ein Stalinist zu sein. Feuchtwanger selbst sah sich als mit der UdSSR sympathisierender Bürger, der – in Verkennung der Realität – in der Sowjetunion den Versuch erkannte, "ein riesiges Reich einzig und allein auf der Basis der Vernunft aufzubauen".

Nach dem deutschen Angriff auf Frankreich 1940 wurde Feuchtwanger, wie viele andere Emigranten, von der mit den Nazis paktierenden Vichy-Regierung interniert. Aus dem berüchtigten Lager Les Milles, in dem der verzweifelte Schriftstellerkollege Walter Hasenclever Selbstmord verübt hatte, gelang dem schwer erkrankten, an den katastrophalen hygienischen Verhältnissen leidenden Autor nach vier Monaten der Ungewissheit – wiederum auf abenteuerliche Weise – seine heute legendäre Flucht in Frauenkleidern. Der von der amerikanischen Präsidentengattin Eleanor Roosevelt initiierte Plan sah so aus: In der Nähe des Flusses, in dem sich die Lager-Häftlinge einmal in der Woche waschen durften, parkte ein amerikanischer Diplomatenwagen. Darin saß ein "Liebespaar", das sich innig küsste – nämlich Feuchtwangers Frau Martha und ein amerikanischer Diplomat – und das eine günstige Gelegenheit nützte, den berühmten Autor zu "kidnappen", ihn mit Schleier und Hut verkleidete und als "Schwiegermutter" durch sämtliche Kontrollen brachte.

Endstation USA

Die Zeit im Lager und seine Flucht zu Fuß über die Pyrenäen und schließlich nach Amerika hielt Feuchtwanger in dem erschütternden Erlebnisbericht "Der Teufel in Frankreich" fest. In den USA konnte er im Gegensatz zu den meisten anderen Exilanten ein materiell sorgenfreies Leben führen. Seine luxuriöse Villa in Pacific Palisades bei Los Angeles, die Feuchtwanger sich als Autor, dessen Werke in den USA in hohen Auflagen erschienen und für die Buchklubs und Hollywood Lizenzen erwarben, leisten konnte, wurde zum Treffpunkt der Exilanten, denen er dank seiner guten Beziehungen zu höchsten Stellen der US-Regierung nicht selten zu helfen vermochte. Heinrich und Thomas Mann, Bert Brecht und Helene Weigel, Albert Einstein, Leonhard Frank, Billy Wilder oder Hanns Eisler waren Stammgäste im Hause Feuchtwanger.

In seinem Roman "Exil" (1940) verarbeitete Feuchtwanger seine Erfahrungen als Vertriebener. Neben Klaus Manns "Der Vulkan" und Anna Seghers "Transit" zählt dieses Werk Feuchtwangers zu den eindrücklichsten literarischen Auseinandersetzungen mit dem Exil. Das Buch, das er mit den früheren, die Zwischenkriegszeit thematisierenden Romanen "Erfolg" und "Die Geschwister Oppermann" zur Trilogie "Der Wartesaal" vereinigte, ist ein beeindruckendes Dokument über den trostlosen Alltag und das Elend der Exilierten – über ihre Hoffnungs- und Mutlosigkeit, aber auch über ihren Glauben an eine bessere Zukunft. Feuchtwanger drückte beim Abschluss dieser Arbeit die Überzeugung aus, "dass die ungeheuere, blutige Groteske, die sich in uns und an uns allen austobt, enden wird mit dem Sieg der Vernunft über die Dummheit".

Lion Feuchtwanger blieb auch nach Kriegsende in den USA, deren Staatsbürgerschaft er wegen des Verdachts "unamerikanischer Umtriebe" – so die Standardformulierung, mit der die US-Regierung in der Zeit der gegen alles politisch Missliebige gerichteten Hysterie der McCarthy-Ära alle Linksstehenden diffamierte – allerdings nie erhielt. In einen der beiden neu entstandenen deutschen Staaten wollte er nicht zurückkehren. Im östlichen Teil Deutschlands blieb der die DDR befürwortende Lion Feuchtwanger ein viel gelesener Autor und konnte mit seinen Nachkriegswerken, wie der sogenannten Revolutions-Trilogie oder seinen Romanen "Die Füchse im Weinberg" und "Die Jüdin von Toledo" an seine früheren Erfolge anknüpfen. Im Westen jedoch wurden dem Nationalpreisträger der DDR dessen Sympathien für den Kommunismus noch lange vorgehalten.

Lion Feuchtwanger starb am 21. Dezember 1958 in Los Angeles. Acht Jahre zuvor hatte er in dem Roman "Die Füchse im Weinberg" Benjamin Franklin Sätze in den Mund gelegt, die auch seine eigene Sehnsucht nach einer friedlichen und gerechten Welt ausdrückten: "Ich träume von einer Zeit, da nicht nur die Liebe zur Freiheit, sondern auch ein tiefes Gefühl für die Menschenrechte in allen Nationen der Erde lebt. Ich träume von einem Zeitalter, da Leute wie wir, wohin immer auf dem Planeten wir unsere Schritte lenken mögen, sagen dürfen: Hier bin ich zu Hause."

Oliver Bentz, geboren 1969, lebt als Literaturwissenschafter und Kulturpublizist in Speyer.

Printausgabe vom Samstag, 27. Dezember 2008
Online seit: Dienstag, 23. Dezember 2008 16:48:00

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