Wiener Zeitung Neu in der Linkmap:
 
  Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Das Unternehmen Benutzer-Hilfe
 Politik  Europa  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  Meinung  English  MyAbo 
 Lexikon Interview  Glossen  Bücher  Musik  Debatten 
Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Für Freiheit und Frohsinn

Von Peter Jungwirth

Der originelle englische Autor Tom Hodgkinson plädiert für mehr Müßiggang und legt ein Handbuch für faule Eltern vor.

"Macht die Kinder nicht verrückt!" titelte Anfang August die Hamburger "Zeit". Warum? Weil heutige Eltern zu ambitioniert und fürsorglich sind: "Schon bei den kleinsten Auffälligkeiten schicken sie den Nachwuchs zum Trainer oder Therapeuten. Der Schaden ist riesig".

Dem Zusammenspiel von ehrgeizigen Eltern und überforderten Kindern widmet sich auch der englische Journalist und Schriftsteller Tom Hodgkinson, der für den "Daily Telegraph" eine regelmäßige Kolumne über Kindererziehung schreibt. Und es ist nicht zu übersehen, dass der "Zeit"-Artikel eine Liste von Empfehlungen für den Umgang mit Kindern enthält, die sich wie ein Extrakt von Hodgkinsons soeben erschienenem Buch "Leitfaden für faule Eltern" liest: "Etwas vorlesen. Zusammen kochen. Auf einen Berg klettern. Ball spielen. Gemeinsam aufräumen. Fahrrad statt Auto benutzen. Gar nichts machen."

Gar nichts machen! Dieser schönen Idee widmet sich Hodgkinson, ein anerkannter Experte für Müßiggang, bereits seit Jahren. Sein "Leitfaden für faule Eltern" beginnt daher nicht zufällig mit einem Zitat von D. H. Lawrence: "Wie erziehe ich mein Kind? Regel Nummer eins: Lass es in Ruhe. Regel Nummer zwei: Lass es in Ruhe. Regel Nummer drei: Lass es in Ruhe. Für den Anfang ist das genug."

Wer diesen Rat befolgt, hilft praktischerweise nicht nur seinem Kind, sondern auch sich selbst. Denn Elternschaft ist bekanntlich eine anstrengende Unternehmung. Da ist es sehr nützlich, zu wissen, dass Kinder – zumindest zuweilen – gerne bei der Hausarbeit mithelfen, wenn man sie nur lässt. Das ist einer von vielen Hinweisen, mit denen Hodgkinson Eltern Ärger, Geld und Zeit sparen hilft – und den Kindern gleichzeitig Kompetenz verschafft. Kinder sollen Freude haben und Freude bereiten. Und nicht als dauernde Last empfunden werden.

Tom Hodgkinson, der dem Tempo und Unsinn unserer Zeit mit Weisheit, Witz und mitunter auch Wut begegnet, ist 1968 geboren, und obwohl er diesbezüglich eigentlich ein Nachgeborener ist, kennzeichnet der aufrührerische Geist dieses Jahres sein Wirken. Der Brite, der auch mit 40 noch aus einem spitzbübischen Gesicht auf die Welt blickt, ist aber nicht nur aufmüpfig und eloquent, sondern auch mutig und konsequent. Als er Anfang der 90er Jahre von einer Boulevardzeitung gekündigt wurde, gründete er, statt zu jammern, umgehend die Zeitschrift "Idler" ("Müßiggänger"), deren Chefredakteur er seit 1993 ist.

Radikaler Kritiker

Rotzfrech und unbeirrt schreibt er seitdem gegen jene Phalanx an, die unser Leben bestimmt: Banken, Fast-Food-Ketten, Fernsehen, Gewerkschaften, Industrie, Regierungen, Versicherungen, Zeitungen. Hodgkinson stellt die zentralen Paradigmen unserer Epoche – bedingungslosen Fortschritt, permanentes Wachstum und totale Kontrolle – radikal in Frage. Wobei er durchaus einräumt, dass das Konsumzeitalter sehr "viele Bequemlichkeiten" bietet. Warum kritisiert er es dennoch so vehement? Weil der Output der globalen Wirtschaft immer weniger mit den realen Bedürfnissen der Menschen zu tun hat. Und weil der Welt "Freiheit, Frohsinn und Verantwortung abhanden gekommen" sind.

Aber hat Hodgkinson Alternativen zum Status quo anzubieten? Er hat. Zumindest erweckt er in seinen drei bisherigen Büchern diesen Eindruck: 2004 erschien "Anleitung zum Müßiggang", 2006 folgte "Die Kunst, frei zu sein", und 2009 nun der Ratgeber "Leitfaden für faule Eltern".

Hodgkinson trifft nicht nur mit seinen Themen ins Schwarze, er versteht es auch, mitreißend zu schreiben: Er füllt seine Kapitel mit Zitaten aus der Weltliteratur, fügt die Einzelteile mit großer Übersicht und viel Witz zusammen, verpasst den Texten stets einprägsame und programmatische Titel und scheut auch nicht davor zurück, am Ende seiner eleganten Essays deren Essenz nochmals ganz plakativ in Großbuchstaben zusammenzufassen, wie etwa "Flucht aus dem Gefängnis der Konsumsucht – WIRF DEN FERNSEHER WEG" oder "Stürze die Tyrannei des Reichtums – WÜNSCHE DIR WENIGER".

"Wünsche Dir weniger": Damit fasst Hodgkinson seine Idee eines begrüßenswerten Fortschritts in drei knappe Worte. Sind das die Empfehlungen eines Anarchisten? Oder die eines Konservativen?

Assisi und Nietzsche

Hodgkinson, der ergiebige Quellen bei Franz von Assisi ebenso findet wie bei Friedrich Nietzsche, lässt sich als Autor nicht eindeutig einordnen. Ein revolutionärer Aufrührer ist er jedenfalls nicht. Diesen Verdacht entkräftet er mit der Feststellung, er sei zwar ein Feind der Unterdrückung und der Ausbeutung, aber es liege ihm "nichts ferner, als alle Klassenschranken beseitigen zu wollen". Hodgkinson räumt auch gerne ein, dass bei ihm manches in die Hosen gehe. Nein, Revolutionäre schreiben anders. Hodgkinson ist ein Humanist. Eine Art Hofnarr der Moderne, der seinem Souverän, dem Bürger, lustvoll auf der Nase herumtanzt, um ihm den völlig verdrehten Kopf wieder zurecht zu rücken.

Abseits gesellschaftlicher Umwälzungen bietet aber das eigene Leben genügend Möglichkeiten für erstaunliche Metamorphosen, wofür Hodgkinson selbst ein gutes Beispiel ist: In den frühen 90er Jahren war er ein typischer Großstädter, der in chicen Londoner Cocktail-Bars verkehrte und bei Rave-Parties Nächte durchtanzte. Dann übersiedelte er mit seiner Frau und seinen drei Kindern ins ländliche Devon, lebt dort auf einer Farm und betreibt neben seiner journalistischen und schriftstellerischen Tätigkeit biologischen Gemüseanbau. Statt Gin Fizz trinkt er nun Bier, angelt mit seinen Kindern, versammelt sie ums Lagerfeuer und sieht sich mit ihnen Mond und Sterne an.

Aber kann diese so heiter beschriebene Idylle als Modell für einen alternativen Lebensentwurf taugen? Es scheint so, denn Hodgkinsons Bücher lesen und verkaufen sich gut. Sein Erstlingswerk, "Anleitung zum Müßiggang", eine mit philosophischem Tiefgang gewürzte kulturgeschichtliche Rechtfertigung der Faulheit, wurde sogar ein Bestseller. Hodgkinson legt darin überzeugend dar, dass "müßig zu sein" nicht gleichbedeutend ist mit "nichts tun". Denn oft erzeugt Untätigkeit später ärgerlichen Aufwand: "Weil man keine Lust zum Aufräumen hat", vergeudet man dann Stunden, gewaschene "Socken oder das richtige Messer zu finden. Um wirklich müßig zu sein, muss man paradoxerweise auch rationell sein." Müßiggang führt also nicht zu lähmender Untätigkeit. Und Freiheit nicht zu Chaos, sondern zu Verantwortung.

Wem die Bücher von Ralf Dahrendorf zu trocken sind, und jene von Peter Sloterdijk zu dick, der findet, wenn er sein Leben verantwortungsvoll führen oder sinnvoll ändern will, bei Tom Hodkinson exzellenten Rat. Auch all jene, die im Gelderwerb nicht das Hauptziel des Lebens sehen, werden mit diesem Autor große Freude haben.

Tom Hodgkinson: Anleitung zum Müßiggang. Aus dem Englischen von Benjamin Schwarz. Rogner & Bernhard bei Zweitausend-eins, Berlin 2004, 365 Seiten.

– : Die Kunst, frei zu sein. Handbuch für ein schönes Leben. Aus dem Englischen von Bernd Rullkötter. Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, Berlin 2007, 382 Seiten.

– : Leitfaden für faule Eltern. Aus dem Englischen von Heike Steffen. Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, Berlin 2009, 316 Seiten.

Printausgabe vom Freitag, 14. August 2009
Update: Freitag, 14. August 2009 14:55:00

Kommentar senden:
Name:

Mail:

Überschrift:

Text (max. 1500 Zeichen):

Postadresse:*


* Kommentare werden nicht automatisch veröffentlicht. Bitte beachten Sie unsere Regeln.
Die Redaktion behält sich vor Kommentare abzulehnen. Wenn Sie eine Veröffentlichung Ihrer Stellungnahme als Leserbrief in der Druckausgabe wünschen, dann bitten wir Sie auch um die Angabe einer nachprüfbaren Postanschrift im Feld Postadresse. Diese Adresse wird online nicht veröffentlicht.
Lexikon



Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum · AGB