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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Zum 100. Todestag des Journalisten Moriz Szeps

Szeps, Moitz: Kronprinz Rudolfs Ratgeber

Von Friedrich Weissensteiner

Er war ein Vollblutjournalist, der die Wiener Zeitungslandschaft (und weit darüber hinaus) in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts entscheidend mitgestaltet - und geprägt hat. Liberal und freiheitlich gesinnt, trat Moriz Szeps in der Blütezeit seiner journalistischen Tätigkeit und des von ihm geleiteten "Neuen Wiener Tagblattes" bedingungslos und mit Nachdruck für eine parlamentarische Regierungsform und freundschaftliche Beziehungen zwischen der Donaumonarchie und Frankreich ein. Mit dieser unverrückbaren politischen Haltung schuf er sich bei Hof und in den Regierungskreisen mächtige Feinde, die ihm arg zusetzten und selbst vor einer Zerstörung seiner Existenzgrundlage nicht zurückschreckten. Der Kronprinz, der ihm persönlich wie politisch eng verbunden war, konnte dagegen schlicht und einfach nichts tun.

Die Wiege von Moriz Szeps, der am 4. November 1834 das Licht der Welt erblickte, stand in der galizischen Kleinstadt Busk, an der Mündung des Peltew in den Bug. Busk war Sitz eines Bezirksgerichtes und zählte damals ein paar tausend Einwohner, die keineswegs mit Glücksgütern gesegnet waren.

Die Familie Szeps gehörte zu den wenigen wohlhabenderen Bürgern der Stadt. Der Vater, jüdischer Abstammung, war Arzt. Der Beruf des Mediziners verhalf ihm im rückständigsten und ärmsten Kronland des habsburgischen Kaiserreiches zu Ansehen, Würde und einem verhältnismäßig passablen Lebensstandard.

Liebe zur Naturwissenschaft

Moriz, über dessen frühe Kindheit und Jugend kaum etwas Bedeutsames bekannt ist, bezog nach der Absolvierung des Gymnasiums die 1784 gegründete Universität Lemberg und nahm dort das Studium der Chemie auf. Er interessierte sich brennend für die Naturwissenschaften. In der Hauptstadt Galiziens, die weitab von allen Strömungen der Zeit lag, hielt es ihn indessen nicht lange. Nach ein paar Jahren schlug der weltoffene, ehrgeizige Student seine Zelte in der Kaiserstadt an der Donau auf, wechselte aber vom Chemie- zum Medizinstudium.

Wien, dessen Einwohnerzahl innerhalb eines halben Jahrhunderts, von 1800 bis 1850, von 175.000 auf eine halbe Million angewachsen war, wies im habsburgischen Kaiserreich von allen Städten die größte Bevölkerungsdichte auf. Der Wohnraum war knapp, die Zuwanderer fanden nur schwer eine menschenwürdige Unterkunft. Jeder Quadratmeter Boden war verbaut, die schmalen Bürgerhäuser wurden weiter aufgestockt, in die engen Gassen fiel kaum ein Sonnenstrahl. Die Wohnungsnot nahm gigantische Ausmaße an, die Mieten waren unerschwinglich. Abertausende Menschen waren obdachlos, hungerten und darbten. "Wenn es in einer Hauptstadt, wie Wien, Vermögliche, Besitzende und Reiche gibt, welche in Equipagen fahren, Sommerwohnungen mieten können, Theater, Concerte, Bälle, Soireen besuchen und bei jeder Gelegenheit sich vorteilhaft zeigen können, so sind diese in der Minderheit nicht maßgebend, und bedecken mit ihrem Glanz und Aufwand das Elend von Tausenden Familien, welche in ihren Katakomben ein kümmerliches Leben dahinschmachten und kaum Brot und Suppe haben. . .", klagte ein Zeitgenosse.

Die Innenstadt mit ihren schönen Adelspalästen platzte aus allen Nähten. Die Stadtbefestigung legte sich wie ein eng geschnürtes Korsett rund um sie und ließ ihr keinen Raum zur Entfaltung.

Um diesen Zustand zu beenden, verfügte der Kaiser per Handschreiben vom 25. Dezember 1857 die Schleifung der Stadttore, der Wälle und Basteien. Der Weg zur Stadterweiterung war damit frei. In den folgenden Jahrzehnten entstanden die Ringstraße und die an ihr liegenden Bauwerke, die heute die Bewunderung der Wien-Besucher erregen. Moriz Szeps wurde Zeuge des riesigen Baubooms, er erlebte aber auch die schmerzlichen Niederlagen des habsburgischen Kaiserreiches in Italien (1859) und gegen das Preußen Bismarcks (1866), die das Ende des neoabsolutistischen Regime des Kaisers herbeiführten.

Der ehrgeizige, wissensdurstige junge Mann kam rasch mit seiner neuen Umgebung zurecht. Er betätigte sich neben seinem Studium journalistisch und schrieb naturwissenschaftliche Artikel mit volksbildnerischem Charakter, die Anklang fanden. August Zang, der Begründer der "Presse", lud ihn zur Mitarbeit ein. Moriz Szeps hängte das Universitätsstudium an den Nagel und widmete sich fortan mit ganzer Kraft und vollem Engagement der journalistischen Tätigkeit. Bald ging es steil nach oben. Bereits nach ein paar Jahren übernahm Szeps die Chefredaktion der gemäßigt-liberalen "Morgenpost", eines Blattes, das den weniger gebildeten Bevölkerungsschichten politische Orientierungshilfe und Unterhaltung bot. Der Chefredakteur schrieb die Leitartikel und richtete die wohl informierte Zeitung linksliberal aus. Den Feuilletonteil betreute der damals sehr bekannte Lustspieldichter Siegmund Schlesinger, der auch die Theaterkritik besorgte. Szeps und Schlesinger profilierten sich nicht nur als journalistisches Dioskurenpaar, es verband sie bald auch ein verwandtschaftliches Verhältnis. Moriz heiratete Schlesingers Tochter Amalie, die ihm 1860 eine Tochter schenkte. Sie wurde auf den Namen Sophie getauft. Vier Jahre später gab es wieder weiblichen Nachwuchs. Am 19. Aril 1864 kam Bertha zur Welt. Wir werden auf sie noch zu sprechen kommen. Der Kindersegen im Hause Szeps hielt an. Es folgten noch zwei Söhne (Leo 1865, Julius 1867) und eine Tochter (Ella, 1869).

Unterdessen hatte sich auch die berufliche Situation des Vaters verändert. Als mit dem Staatsgrundgesetz des Jahres 1867 eine freiere Entfalung im Bereich des Zeitungswesens möglich wurde, verließ Moriz Szeps die "Morgenpost" und gründete gemeinsam mit Schlesinger und Heinrich Pollak das "Neu Wiener Tagblatt", dessen erste Nummer am 10. März 1867 erschien. Der Großteil der Redakteure machte den Wechsel mit.

Auch privat gab es eine Veränderung. Szeps übersiedelte mit Familie aus dem Ghetto in der Leopoldstadt in die Weihburggasse im ersten Gemeindebezirk.

Die Linie der neugegründeten Zeitung, die den Untertitel "Demokratisches Organ" trug, war bürgerlich und deutschliberal. Sie bewegte sich auf dem Boden der Verfassung und tendierte zum Antimarxismus und Antiklerikalismus. Im Gegensatz zur drei Jahre zuvor gegründeten "Neuen Freien Presse", die das gebildete Großbürgertum ansprach, und das feingeschliffene Feuilleton pflegte, wandte sich Szeps mit seiner Zeitung an breitere Bevölkerungsschichten. An Format konnte sich das "Neue Wiener Tagblatt" mit der "Neuen Freien Presse" nicht messen. Seine Zielgruppe war, grob gesprochen, der gesellschaftliche Mittelstand. Das Blatt verstand es allerdings, die aktuellen Themen geschickt aufzugreifen und journalistisch interessant zu verwerten.

Journalistische Blütezeiten

Mit seiner Berichterstattung über das Treffen zwischen Kaiser Franz Joseph und Kaiser Napoleon III. im August 1867 verschaffte es sich einen guten Einstieg, die Meldungen und Reportagen über die Wiener Weltausstellung und den Börsenkrach von 1873 sowie das mutige Eintreten für die Rettung des Wienerwaldes (Szeps stellte Joseph Schöffel Raum für seine Kampagne gegen dessen kommerzielle Abholzung zur Verfügung) festigten seine Position auf dem Zeitungsmarkt. Mit einer Auflage von 40.000 Exemplaren überflügelte das Blatt in seiner Blütezeit zwischen 1867 und 1879 die "Neue Freie Presse". Szeps wurde mit einem Jahresverdienst von 40.000 bis 60.000 Gulden zum Millionär.

Der reich gewordene Zeitungseigentümer und -herausgeber erwarb ein Grundstück auf dem Alsergrund, auf dem er sich ein kleines Palais errichten ließ (Liechtensteinstraße 51), das am 14. Oktober 1878 mit einem prachtvollen Fest eröffnet wurde. Die beiden ältesten Töchter, die bei dieser Gelegenheit mit der Mutter Empfangsdame spielen durften, waren vom neuen Domizil hellauf begeistert. Berta notierte in ihrem Tagebuch: "Das Haus ist sehr schön. Parterre und erster Stock sind umgeben von einem Garten, der bergauf geht. Im Parterre sind die Schlafzimmer von Papa und Mama und auch meine Brüder haben jeder extra ein Schlafzimmer. Dann ist noch eines für Sophie und für mich da. . ." Das Palais Szeps wurde zum Treffpunkt der Wiener Gesellschaft. Künstler und Gelehrte fanden sich hier zum Stelldichein und amikalen Gedankenaustausch zusammen. Im Palais in der Liechtensteinstraße verkehrten unter anderen Max Reinhardt, Gustav Klimt und Hugo von Hofmannsthal. Mit einem der Besucher, dem Anatomen Emil Zuckerkandl, schloss Berta nähere Bekanntschaft. Sie wurden im April 1886 ein Paar. Berta Zuckerkandl-Szeps, die zunächst in der Döblinger Nusswaldgasse und später in der Oppolzergasse im ersten Bezirk einen Salon unterhielt, war eine hochgebildete, kultivierte Dame und erfolgreiche Journalistin, die im Wien der Kaiserzeit und in der Zwischenkriegszeit gesellschaftlich und politisch eine große Rolle spielte.

Moriz Szeps, der ein splendider Gastgeber war, pflegte intensive Kontakte zu französischen Naturwissenschaftlern und Politikern. Er reiste des öfteren nach Paris, wo er mit Leon Gambetta, dem damaligen Präsidenten der Deputiertenkammer, Georges Clemenceau und anderen Gespräche führte. Er engagierte sich, wir haben es einleitend erwähnt, zum Unmut der Wiener Regierungskreise eifrig für eine Zusammenarbeit zwischen der Doppelmonarchie und dem republikanischen Frankreich. Seine Frankophilie, seine Ablehnung des Preußentums und seine liberale Gesinnung erregten das Interesse des Kronprinzen Rudolf, der zu einem geistig aufgeschlossenen, fortschrittsgläubigen und politisch wachen jungen Mann herangewachsen war.

Das (unvermeidliche) Zusammentreffen zwischen den beiden Männern, die geistesverwandt, charakterlich aber grundverschieden waren, wurde von Carl Menger, dem Lehrer Rudolfs für Nationalökonomie, initiiert. Es fand Ende Oktober 1881 in der Wiener Hofburg unter strengster Geheimhaltung statt. Aus der Bekanntschaft wurde mit der Zeit eine freundschaftliche Zuneigung, aus der beide Teile Nutzen zogen. Szeps versorgte den Kronprinzen, der vom Hof und der kaiserlichen Regierung von allen politischen Informationsquellen ferngehalten wurde ("Ich gehöre zu den von offizieller Seite am wenigsten informierten Leuten in ganz Österreich", klagte Rudolf), mit den Berichten seiner Korrespondenten über die wichtigsten innen- und außenpolitischen Ereignisse, der Kronprinz berichtete dem Zeitungsherausgeber über vertrauliche Gespräche mit ausländischen Politikern und Staatsmännern.

Von Szeps dazu ermuntert, schrieb der österreichische Thronfolger unter einem Deckmann politische Leitartikel im "Neuen Wiener Tagblatt". Obwohl man dabei vorsichtig zu Werk ging und Szeps so manche Textpassage abänderte, blieben die journalistische Tätigkeit Rudolfs und seine Kontakte zum Zeitungsmann nicht unentdeckt. Der Kronprinz und sein Mittelsmann, der alte Kammerdiener Karl Nehammer, wurden auf Schritt und Tritt überwacht. "Ich kenne leider nur zu gut die Kampfweise meiner Gegner", schrieb Rudolf an Szeps. "Zuerst wird sondiert, angeschlichen, werden durch Kreuz- und Querfragen Fallen gelegt, und wenn gut vorbereitet, dann geht der Hauptangriff los . . ."

Bannstrahl der Behörden

Der Angriff auf Szeps, der indirekt natürlich auch Rudolf galt, ließ nicht lange auf sich warten. Auf Betreiben der Regierung des Ministerpräsidenten Graf Eduard Taaffe erließ der Statthalter von Niederösterreich, Graf Erich Kielmannsegg, über des "Neue Wiener Tagblatt" ein Verkaufsverbot in den Trafiken, den damaligen Zeitungsvertriebsstätten. Der behördliche Bannstrahl traf Moriz Szeps schwer. Aber er gab sich nicht geschlagen. Er organisierte den Verkauf der Zeitung mit Erfolg über die Buchläden.

Nun meldeten sich auch die Antisemiten zu Wort. Der deutschnationale Judenhasser Georg Ritter von Schönerer feuerte auf Szeps seine pangermanischen Wortsalven ab. Als das "Neue Wiener Tagblatt" scharf zurückschoss, strengte er einen Ehrenbeleidigungsprozess an. Szeps wurde zu vier Wochen Arrest verurteilt. Die Strafe wurde dann auf zwei Wochen reduziert, die der Zeitungsmann im Wiener Landesgericht absaß.

Der Kronprinz hielt ihm die Treue, aber die große Zeit des Moriz Szeps war vorüber. 1886 zerstritt er sich mit seinem Verlag und gründete nach Fürsprache Rudolfs mit finanzieller Unterstützung von Baron Moriz Hirsch, eines jüdischen Bankiers und Philanthropen, das "Wiener Tagblatt", dem jedoch kein kommerzieller Erfolg beschieden war. Der Kronprinz hielt weiter Kontakt zu ihm. Die letzte Unterredung der beiden Männer fand kurz vor der Tragödie von Mayerling statt. Szeps war über den Tod Rudolfs erschüttert. Vom politischen Journalismus angewidert, besann er sich seiner wissenschaftlichen Anfänge und gründete eine Zeitschrift, der er den Namen "Wissen für alle" gab. Die gut gemeinte Absicht, den Menschen die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse nahezubringen, wurde von Karl Kraus in der "Fackel" (Nr. 72 vom März 1901) scharf kritisiert. "Die Familie Szeps", formulierte der gehässige Spötter, "hat sich jetzt auf die Wissenschaft geworfen und das Wissen für alle begründet. Mit Kronprinzenbriefen allein ging's eben nicht; das war nur ,Wissen für wenige'."

Moriz Szeps war tief gekränkt. Eineinhalb Jahre später, am 9. August 1902, sagte er der Welt adieu.

Freitag, 09. August 2002 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 14:47:00

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