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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Martin Suter über Identität, Erinnerung und seine Erfolgsromane

Suter: "Meine neurologische Trilogie"

Von Gerald Schmickl

Martin Suter ist in den letzten Jahren zu einem der erfolgreichsten Schweizer Schriftsteller der Gegenwart avanciert. Der 1948 in Zürich geborene Autor, der bis 1991 sein Geld auch als Werbetexter und Creative Director verdiente, wurde zuerst als Kolumnist bekannt: mit seiner seit 1992 wöchentlich erscheinenden Glosse "Business Class" in der "Weltwoche" - und später auch mit der monatlich für das "Folio" der "NZZ" verfassten Serie "Richtig leben mit Geri Weibel" (die Suter kürzlich eingestellt hat). Beide Glossen sind mittlerweile auch in Buchform erschienen.

1997 veröffentlichte Suter, der mit seiner Frau in Spanien und Guatemala lebt, seinen ersten Roman "Small World", der gleich ein großer internationaler Erfolg wurde - genauso wie der im Jahr 2000 heausgebrachte zweite, "Die dunkle Seite des Mondes". Heuer erschien der Roman "Ein perfekter Freund" (siehe unten stehende Rezension), der seit Wochen auf der "Spiegel"-Bestsellerliste steht und auch in Österreich zu den bestverkauften Büchern zählt. Die Gesamtauflage der deutschsprachigen Bücher Suters (allesamt bei Diogenes erschienen) hält derzeit bei 400.000 Exemplaren.

Die "Wiener Zeitung" traf Martin Suter kürzlich bei den "Solothurner Literaturtagen" zu einem Gespräch.

Wiener Zeitung: Herr Suter, in allen Ihrer drei bisherigen Romane spielt das Thema "Vergessen" eine entscheidende Rolle. Was fasziniert Sie so sehr daran?

Martin Suter: Es geht gar nicht in erster Linie ums Vergessen, sondern um Identität. Denn Identität besteht großteils aus Erinnern - und wenn sich an diesem Erinnern etwas ändert, gerät die Identität sofort in eine Krise. Bei meinem zweiten Roman, "Die dunkle Seite des Mondes", ist es ein bisschen etwas anderes: da bekommt der Protagonist der Handlung eine Einsicht, die er bei einem Pilz-, also Drogentrip gewonnen hat, nicht mehr aus seinem Kopf. Und dieses vermeintliche Wissen verändert ihn komplett. Identität hängt ausschließlich damit zusammen, was man weiß.

W. Z.: Probieren Sie nun quasi Roman für Roman verschiedene Arten dessen durch, was man vielleicht "Dekonstruktion der Identität" nennen könnte? Beim ersten Roman die Alzheimer-Erkrankung, beim zweiten die Drogenerfahrung - und beim nunmehrigen dritten einen Unfall, der eine kurzzeitige Amnesie auslöst . . .

Suter: Ja, ich habe das jetzt drei Mal gemacht. Es sind in gewisser Weise "neurologische Romane" geworden, aber ich glaube, jetzt ist das Ende der neurologischen Trilogie gekommen.

W. Z.: War das von vorneherein so geplant?

Suter: Nein, es war nicht so geplant. Es ist einfach das klassische Prinzip, dass eine Figur vom Anfang der Geschichte bis zum Ende sich verändert - und zwar gründlich verändert. Drei Mal hat mich das nun so fasziniert, dass ich es immer wieder ausprobiert habe.

W. Z.: Wie festgelegt sind Ihre Romane? Steht von Beginn an schon fest, wie die Figuren sich entwickeln - oder verändern sie sich im Schreibprozess mit?

Suter: Sie verändern sich schon mit, weil sie ja keine Serienhelden sind - und auch ich sie am Anfang des Romans nicht so gut kenne, wie etwa einen Serienkommissar, der schon eine Geschichte vorweg hat. Ich lerne sie erst kennen, weiß allmählich, wie sie reagieren. Ich strukturiere meine Romane zwar ziemlich genau, aber innerhalb dieser Strukturen erlaube ich mir alle Freiheiten, und da kann es schon sein, dass eine Figur einmal etwas Unvorhergesehenes sagt - und schon verändert das den ganzen Verlauf der Geschichte.

W. Z.: Es gibt ja verschiedene "Schulen der Romankonstruktion". Die Planfetischisten, die ganz genau dem zuvor Festgelegten folgen, oder die Intuitiven, die sich die Handlung Seite um Seite von ihren Figuren gewissermaßen soufflieren lassen. Wo würden Sie sich da einordnen?

Suter: Also, so detailliert planen kann man eine Geschichte gar nicht, denn wenn man das täte, hätte man ja den Roman bereits geschrieben. Ich kann nur ungefähr den Handlungsrahmen abstecken, die Figuren entwerfen, aber wie sie sich dann vom ersten Satz zum zweiten bewegen, das ist dann die tägliche Arbeit, die viel mit Zufall und Intuition zu tun hat.

W. Z.: Wie hat sich denn das Romanschreiben bei Ihnen überhaupt entwickelt? Entstand es aus Ihren Glossen heraus? Wenn man die Geschichten von Geri Weibel liest, fällt auf, dass jede davon eine Art kleiner Roman ist.

Suter: Ja, aber es sind trotzdem zwei verschiedene Stränge. Ich wollte immer schon Romane schreiben. Ich habe früher ja nicht nur Glossen, sondern auch Filmdrehbücher und Liedtexte geschrieben. Ich habe immer vom Schreiben gelebt und mich in allen Disziplinen versucht. Es war auch stets eine materielle Frage: wofür werde ich wie bezahlt?

W. Z.: Behalten Sie diese Vielseitigkeit weiterhin bei - oder wird das Romanschreiben, mit dem Sie derzeit sehr erfolgreich sind, zukünftig den Schwerpunkt bilden?

Suter: Das Romanschreiben wird sicher der Schwerpunkt sein, denn es macht einfach am meisten Spaß, und man hat auch am meisten Einfluss auf das Endprodukt, nicht so wie beim Film, wo man von anderen abhängig ist. Aber ich werde vorläufig auf alle Fälle die "Business Class"-Kolumne weiterführen, denn das ist eine gute Fingerübung.

W. Z.: Geri Weibel gibt es nicht mehr, den haben Sie vor einigen Monaten in die Karibik verabschiedet . . .

Suter: Ja, aber er lebt noch . . .

W. Z.: Könnte also eines Tages zurückkehren?

Suter: Ja, braun gebrannt. Der Geri Weibel hat halt jetzt fünf Jahre versucht, alles richtig zu machen, und es ist ihm nur ein einziges Mal gelungen, nämlich in der letzten Folge, indem er in die Karibik ausgewandert ist.

W. Z.: Auch in Österreich hat Geri Weibel viele Fans. Noch mehr Leser finden aber Ihre Romane. Der letzte, "Ein perfekter Freund", ist seit Wochen in den österreichischen Bestsellerlisten. Das gelingt Schweizern nur selten. Warum Ihnen? Vielleicht weil Sie so unschweizerisch sind?

Suter: Ich habe zwar einmal ein Jahr in Wien gearbeitet, aber ich glaube nicht, dass das eine Rolle spielt. Ich habe einfach das Glück, einen ähnlichen Geschmack zu haben wie viele Leute - und zwar überall. Meine Bücher sind beispielsweise auch in Frankreich sehr erfolgreich. Ich schreibe Romane, die ich selbst gerne lesen würde - und diesen Geschmack teile ich glücklicher Weise mit vielen Menschen. Übrigens zu meiner großen Überraschung!

W. Z.: Wie würden Sie sich selbst in der Schweizer Literatur verorten? Sehen Sie sich in einer bestimmten Traditionslinie?

Suter: Ich sehe mich nicht primär als Schweizer Schriftsteller, wüsste auch gar nicht, was einen solchen als Typus ausmachen sollte, außer vielleicht der Umgang mit der deutschen Sprache, die für uns Deutschschweizer ja auch so etwas wie eine Fremdsprache ist. Man spricht das viel bewusster, reduzierter. Da würden Sprachwissenschaftler wahrscheinlich schon die eine oder andere Ähnlichkeit bei Schweizer Schriftstellern feststellen, aber sonst freue ich mich, dass ich nicht in erster Linie als Lokalschriftsteller betrachtet werde, sondern in vielen Ländern erfolgreich bin - und die Menschen vor allem meine Geschichten mögen, gleich woher sie kommen.

W. Z.: Aber die Schauplätze Ihrer Romane sind allesamt in der Schweiz gelegen. Wird das auch weiterhin so bleiben?

Suter: Ja, weil die kenne ich am besten. Und das, was man am besten kennt, kann man auch am besten beschreiben. Schreiben hat ja viel mit Reduzieren zu tun: was kann ich weglassen, was macht das ganz Spezifische eines Schauplatzes und einer Figur aus, um es mit wenigen Worten beschreiben zu können - dafür muss man das auch gut kennen.

W. Z.: Hie und da mischt sich in all die Elogen über Ihre Bücher auch leise Kritik, dass sie ein bisschen marktkonform seien - und da wird dann auf Ihre einstige Tätigkeit in der Werbeindustrie verwiesen . . .

Suter: Darauf habe ich in einem Interview einmal etwas patzig geantwortet, dass ich auf diesen Vorwurf schon leicht allergisch reagiere. Aber er kommt auch nicht mehr. Das ist alles längst vorbei und abgeschlossen, so wie auch meine früheren Tätigkeiten. Andere waren Lehrer oder Germanisten, ich war halt in der Werbung. Da habe ich auch Erfahrungen gesammelt - es ist ein Fundus, aus dem ich zehre, vor allem in den "Business Class"-Kolumnen.

Freitag, 24. Mai 2002 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 14:47:00

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