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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Ein Gespräch mit der Berliner Dichterin Eva Corino

Das Geheimnis der Tasche

Von Lisa Grotz

Eva Corino (28) stammt aus Frankfurt am Main und lebt und arbeitet seit fünf Jahren in Berlin. Sie studierte Philosophie, Germanistik und Romanistik in Tübingen, brachte ein Jahr an der École Normale Supérieure in Paris zu und veröffentlichte im Frühjahr 2001 im Berlin-Verlag ihren Gedichtband "Keine Zeit für Tragödien". Ihr zweites Buch ist in Vorbereitung.

Wiener Zeitung: Sie sind dabei, Ihr zweites Buch vorzubereiten?

Eva Corino: Es heißt "Das Taschenbuch", im doppelten Wortsinn. Eva Corino geht durch die Stadt und fragt Passanten nach dem Inhalt ihrer Tasche. Ich bin mit einem kleinen Aufnahmegerät und einer Pocketkamera durch Berlin gestreift, wobei Berlin-Mitte mein bevorzugtes Jagdgebiet war und habe Menschen gesprochen mit der nämlichen Frage. Natürlich ist diese Frage nur ein Vorwand, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen, die einen durch irgendetwas interessieren.

W. Z.: Nach welchen Kriterien haben Sie sich Ihre "Opfer" ausgesucht.

Corino: Ich bin quer durch alle Milieus gestreift und fand es interessant, festzustellen, dass es eine Schichtung gibt, gerade in Berlin-Mitte; einerseits zwischen der Auguststraße, die hier verläuft und andererseits zwischen der Torstraße, die ungefähr 30 Meter von dort entfernt ist und umgekehrt beim Hackeschen Markt und beim Alexanderplatz. Das sind zwei verschiedene Welten, wenn man das aus dem Blickwinkel einer Nach-Wende-Soziologie betrachtet. Im Bereich Auguststraße gibt es viele zugezogene Projektträger mit wichtigen Taschen und Tascheninhalten, Eventdesigner und Kommunikationstrainer und wie sie alle heißen. Am Alexanderplatz hingegen finden sich die Losverkäufer ein und all die unglücklichen Leute, die ein Los kaufen, in der Hoffnung, es könne ihr Leben zum Besseren hin verändern.

W. Z.: Sie sprechen von Menschen, die von der Wende profitiert haben und jenen, die davon überrollt wurden.

Corino: Ja. Manchmal bekommt man die Brüche in den Biografien ja durch ganz kleine Andeutungen zu spüren. Ich habe versucht, die - für die Zeitung geschriebenen - Kolumnen kurz zu halten und dennoch hat manchmal ein ganzes Schicksal in einer Kolumne Platz.

W. Z.: Ich nehme an, die Gesprächsbereitschaft der Menschen war sehr unterschiedlich.

Corino: Es waren gerade die so genannten einfachen Leute, die viel poetischere, tragische Dinge zu erzählen hatten. Ich erinnere mich an eine 80-Jährige, die im Konzentrationslager Ravensbrück zwangssterilisiert worden war und einem inneren Impuls folgend, auf der Straße einen kleinen, schwarzen Jungen aufgelesen hatte, den sie zu sich nehmen wollte, was ihr die Polizei untersagte. Sie war, nach dem Krieg, als Prostituierte tätig gewesen und behauptete, mit Erich Honecker durch ihr Gewerbe bekannt gewesen zu sein. Ein unglaubliches Schicksal, vorgetragen in diesem Berliner Ton, der alles runterhält.

W. Z.: Wie genau definieren Sie diesen Berliner Ton? Als raffinierte Hochstapelei? Oder ist es ein Tiefstapeln?

Corino: Ich würde es als Tiefstapelei ansehen. Die typischen Berliner Originale haben so eine Klarkommer-Mentalität, das Robuste im Ton. Die Verletzung wird da ganz stark versteckt. Den Sprachgestus einzufangen, das war mir natürlich auch wichtig als wesentliches Merkmal der Charakterisierung.

W. Z.: Aus Ihnen spricht die Porträtistin.

Corino: Eine solche zu sein, daran liegt mir viel. Es macht mir Spaß, Menschen auf solche Art zu erfassen.

W. Z.: Auch auf die Schnelle, als rasende Reporterin?

Corino: Vielleicht lässt sich das bildlich gesprochen vergleichen mit den Karikaturisten in einer Touristenhochburg. Es war mir aber auch wichtig, dass ich durch die Flüchtigkeit des Eindrucks geschützt bin.

Dadurch wissen ja alle, dass ich diesen Menschen nicht wirklich kenne, indem ich nur das zeige, was mir durch den ersten Blick auffällt.

W. Z.: Das Sie geschützt sind oder der andere?

Corino: Beide. Natürlich auch durch die Beiläufigkeit der Frage. Dadurch bleiben manche dieser Porträts auch stecken in der Alltäglichkeit und in der Trivialität. Trotzdem öffnet sich bei sehr vielen ein kleines Fenster zu ihrer Seele. Man kann zunächst einmal eine Bestandsaufnahme machen und dann sehr schnell weiterfragen. Andererseits kann man sich auf die Schnelle auch sehr leicht verweigern.

W. Z.: Sie sprechen von Rückschlüssen in Bezug auf den Symbolgehalt der Gegenstände. Sind solche Wertungen nicht überholt.

Corino: Ich glaube nicht.

W. Z.: Wenn Sie sich im Bereich

des symbolischen Denkens bewe-gen bei Ihren Taschenporträts, stoßen Sie dann auf einen nennenswerten Unterschied von Männern und Frauen, wenn Sie Fragen

stellen?

Corino: Was die Bereitschaft sich zu öffnen betrifft eigentlich nicht. Einen Unterschied stelle ich eher berufsspezifisch fest. Menschen, die in kreativen Berufen verankert sind, sehen in meinen Fragen eher eine amüsante Form der Selbstdarstellung.

W. Z.: Das Spiel, den Gag?

Corino: Genau. Wobei ich jetzt wieder auf die so genannten einfachen Leute zurückkommen möchte, die das Ganze viel unverstellter angehen.

W. Z.: Was trägt Eva Corino in ihrer Tasche?

Corino: Ich glaub, jetzt muss ich sagen: Das ist mein Geheimnis . . .

Freitag, 30. November 2001 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 14:57:00

Lexikon



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