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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Zu Besuch beim amerikanischen Schriftsteller Paul Auster

Auster, Paul: Der Einsame

Von Michael Saur

Der Zirkus ist in der Stadt. Bunt und laut, lustig und manchmal traurig wie frierende Liliputaner mit angepappten Nasen ziehen die Schausteller durch die eiskalten Straßen. Eine Ecke weiter ist man plötzlich allein. Eine Tür führt in einen Coffeeshop, wo einem die Bedienung das "Hi" wie eine Handvoll Schnee entgegenwirft. Man sitzt vor den dampfenden Kaffeemaschinen, den silbrig glänzenden Toastern, den mit flüssigem Zucker begossenen Muffins unter Glashauben und raucht eine Zigarette. Dann tritt man wieder auf die Straße. Schneewasser tropft in Pfützen. Der Frühling hat begonnen. Jetzt weitergehen, die Augen offenhalten, sich treiben lassen, Eingang finden in Häuser und verschlossene Seitenstraßen, die niemand sonst zu bemerken scheint. Paul Auster finden.

Paul Auster schreibt Romane über einsame Seelen, deren Leben weniger durch aktiven Einsatz als durch Zufälle gelenkt werden. Als Paul Auster Anfang dreißig war, begann in seinem Leben alles schief zu gehen. Er hatte sich für einen Dichter gehalten, der, wenn schon nicht von seinen Gedichten, dann wenigstens von Übersetzungen leben würde. Aber das Geld reichte hinten und vorne nicht. Seine Frau verließ ihn. Sie nahm den Sohn mit. Sein Vater starb. Seine Lebensplanung zerbröselte wie ein Stück Keks in einer sich schließenden Faust. Was ihm blieb, war die Hoffnung auf den Zufall, das Unerwartete.

Esstisch mit Zigarillostummeln

Die Krise liegt lange zurück, sie ist ziemlich gut ausgegangen, mag man denken, wenn man heute bei Paul Auster im Brooklyner Wohnzimmer sitzt, wo gerade eine aufwendige Küchenrenovierung abgeschlossen wurde und alles in gepflegter Eintracht erstrahlt, und man ist sich nicht sicher, ob der mit Zigarillostummeln volle Aschenbecher auf dem polierten Esstisch, in den Auster pausenlos nachlegt, stilgerecht, Nostalgie oder ein kleiner Rest von Subversion ist.

In den letzten drei Jahren sind zwei neue Bücher von Paul Auster erschienen. "Von der Hand in den Mund. Eine Chronik früher Fehlschläge" ("Hand to Mouth. A Chronicle of Early Failure") ist eine Art Autobiographie seiner mageren Jahre, die ihren Höhepunkt in der eben erwähnten Lebenskrise fanden. In der Biographie erzählt Auster, wie er festhielt an dem Wunsch, Schriftsteller zu sein. Wie Perlen einer Kette reihen sich in dem Büchlein die Anekdoten gescheiterter Versuche aneinander, an Geld zu kommen.

"1979", sagt Paul Auster. "Das war, als sich alles in meinem Leben änderte." Kein schlechter Satz. Er klingt wie der Anfang eines seiner Romane. "Das war ein verrücktes Jahr", erinnert er sich. Auster war zweiunddreißig, verheiratet mit Lydia Davis, einer Übersetzerin, sie hatten einen zweijährigen Sohn, Daniel. Es begann eine Zeit der totalen Isolation, des Unglücklichseins. "Mit meiner Arbeit war ich gegen eine Wand geprallt, meine Ehe funktionierte nicht, ich war pleite. Ich war am Ende." Auster war gefangen in großer Einsamkeit, die Probleme umgaben ihn wie eine dicke Mauer, und er wusste nicht, wie er aus seinem Gefängnis herauskommen konnte. Er flüchtete sich ins Schreiben und erwartete, was man sich normalerweise von einer Flucht erwartet: die Rettung.

Während der nächsten drei Monate brachte Auster die Memoiren seines Vaters, Samuel Auster, einem schwierigen und distanzierten Mann, auf Papier. "Das Porträt eines unsichtbaren Mannes" ("The Portrait of an Invisible Man") ist ein behutsamer, einfühlsamer Text über einen Menschen, der sein Leben nie jemandem erzählt hätte, zuallerletzt seinem Sohn. Eine Geschichte in dem Buch berichtet davon, dass Samuel Austers Mutter im Jahr 1919 zur Flinte griff und seinen Vater erschoss. Sie wurde nicht verurteilt dafür. Das Gericht zeigte Nachsicht mit der von ihrem Mann oft misshandelten Frau und hielt die Last des Gewissens für Strafe genug. Die Familie beschloss, die Angelegenheit nie wieder zu erwähnen. Der Preis dafür war, so zu tun, als hätte der Vater nie existiert.

Wäre ein Vetter Austers nicht im Jahr 1970 einmal im Flugzeug neben jemandem gesessen, der aus dem kleinen Ort Kenosha in Wisconsin stammte, in dem sich die Tragödie zutrug, und der ihm die Geschichte, als der Name Auster fiel, erzählte - Paul Auster hätte nie davon erfahren. Sein Vetter schickte ihm später einen Zeitungsausschnitt aus dem Jahr 1919 aus der "Kenosha Evening News".

Auster erzählt im Esszimmer zwischen Küche und Salon davon. Er raucht, er erzählt, er raucht. Seine Stimme ist weich, in der nicht privaten Radiostation New Yorks ist sie oft zu hören, Auster ist dort ein beliebter Vorleser seiner eigenen Bücher. Der Turm im Aschenbecher wächst. Auster zieht am Zigarillo, sieht aus dem Fenster hinaus in den stillen Garten, der Rauch verlässt zuerst Nase, dann Mund, kräftige graue Farbstriche auf einer klaren Leinwand, die sich dann in tanzenden Wellen unter der weißen Zimmerdecke verlieren. Zwischendrin steht er auf, händigt den Scheck, den jemand auf der Kommode bereit gelegt hat, der Putzfrau aus. Es liegt Samstagmorgen in der Luft, aufgeräumte Ruhe, aus der Küche kommt ein sattes Kühlschrankschnurren.

Schreibstube in Brooklyn

Früher verließ Auster jeden Morgen das Haus, in dem er seit zehn Jahren mit seiner zweiten Frau, der Schriftstellerin Siri Hustvedt, lebt. Ging in seine kleine Schreibstube in Brooklyn, ein paar Blocks entfernt, nicht mehr als drei Minuten zu Fuß, ließ die Jalousien herunter, drehte zwei nackte Glühbirnen in ihre Fassungen. Auf einem Zeitungsstapel stand eine alte Kaffeemaschine. Die mechanische Schreibmaschine hatte bessere Zeiten gesehen. Wenn Auster vom Schreibtisch hochblickte, sah er auf die schmutzige Wand. Wenn das Telefon klingelte, und es waren weder sein Lektor noch seine Frau am Apparat, fragte der sonst so zuvorkommende Auster scharf, woher der Anrufer die Nummer habe. Erst recht, wenn ein Journalist in der Leitung war. Er schützte sich und seine Zeit, war im Schreiben zu Hause, wollte ungestört bleiben.

In dem Schreibstübchen entstanden wunderschöne Bücher: "Mond über Manhattan" ("Moon Palace"), "Leviathan" ("Leviathan"), "Die Musik des Zufalls" ("The Music of

Chance"). In dem Zimmer entstand auch die zärtliche Weihnachtsgeschichte von Auggie Wren und seinem Zigarrenladen in Brooklyn.

Regelmäßig schrieb Auster bis Mittag in seiner Schreibstube. Dann ging er hinaus, lief durch Brooklyn, verschwand in irgendeinem Diner zum Mittagessen. Aß und schaute. Immer noch war er unbekannt, wurde in Frieden gelassen, fühlte sich wohl, war einer unter vielen anderen, 5 Dollar das Mittagessen. Er kehrte nach seinem Lunch in die Schreibstube zurück, arbeitete für zwei weitere Stunden. Dann ging er nach Hause, wo ein Hund, seine Frau und die kleine Tochter Sophie warteten. Später zog auch sein Sohn Daniel wieder ein. So sahen seine Tage aus. Die Sorgen der mageren Zeiten waren überwunden.

Es waren konfliktfreie Jahre, Freunde wunderten sich nicht darüber, dass nun alles so reibungslos verlief, weil Auster seine dunklen Seiten in den Büchern abarbeitete. Er war zufrieden und hasste es jedes Mal, New York verlassen zu müssen. Die Stadt gab ihm in ihrer anonymen Lebendigkeit die nötige Ruhe. Es war die Zeit, als Auster dem Musiker Lou Reed in einem Drehbuch die Zeilen in den Mund schrieb: "Ich denke seit 35 Jahren darüber nach, New York zu verlassen, aber es gelingt mir nicht - Gott sei Dank."

Doch dann geschah etwas, das sich Paul Auster eigentlich schon gewünscht hatte, bevor er anfing, Bücher zu schreiben. Als der Filmregisseur Wayne Wang zu Weihnachten 1990 die "New York Times" aufschlug, blieb er an einer Geschichte hängen. Es war eine ungewöhnliche Weihnachtsgeschichte. Der Autor der Geschichte hieß Paul Auster, lebte, so stand es unter dem Text, in Brooklyn, und Wayne Wang hatte noch nie von ihm gehört. Er riss den Text raus und nahm sich vor, den Mann anzurufen.

Die Geschichte in der Zeitung ging so: Ein Autor wird gefragt, ob er eine Weihnachtsgeschichte für die "New York Times" schreiben möchte. Der Autor nimmt den Auftrag an. Doch ihm fällt nichts ein, und die Zeit beginnt zu drängen. Von der Leere gemartert, geht er Zigarren kaufen in dem kleinen Laden, der ihn seit vielen Jahre versorgt. Der Zigarrenverkäufer ist ein großer Bewunderer des Schriftstellers, schließlich ist der Zigarrenverkäufer selbst auch Künstler, morgens um sieben für einen kurzen Moment jedenfalls. Dann schießt er ein Foto, immer dieselbe Straße, immer dieselbe Kreuzung: Atlantic und Clinton Avenue in Brooklyn. Er hat schon 4.000 Fotos in zwölf sauber angelegten Fotoalben. Der Autor erzählt ihm von seiner verzweifelten Situation, woraufhin der Alte sagt, gegen ein Mittagessen würde er ihm die tollste Weihnachtsgeschichte erzählen. Der Autor schlägt ein. Beim Essen erzählt er, wie er vor 20 Jahren einen Ladendieb im Geschäft beobachtete und wie er ihm erfolglos hinterher rannte. Der Junge verlor auf der Flucht seine Brieftasche mit seinem Namen und seiner Adresse. Der Zigarrenverkäufer behielt die Brieftasche. Monate vergingen. Es kam Weihnachten. Der Zigarrenverkäufer war allein und beschloss, dem Jungen zu Weihnachten seine Brieftasche zurückzubringen. Als er an der Tür klopfte, öffnete ihm eine alte Blinde, die ihn für ihren Enkel, den Ladendieb, hielt. Der Zigarrenverkäufer schlüpfte in die Rolle. Sie tranken Wein und waren für den Moment eine kleine, glückliche Familie. Irgendwann schlief die Alte ein. Der Zigarrenverkäufer ging aufs Klo und fand das Diebesgutlager des Jungen, und es war bis zum Rand gefüllt mit glänzend verpackten Kameras. Er nahm eine, legte die Brieftasche des Jungen auf den Tisch und verließ die alte Frau. Und seit dem Tag schießt er mit der Kamera jeden Tag sein Foto. So endet die Geschichte in der Geschichte, der Autor bezahlt das Mittagessen, setzt sich am selben Tag noch hin und schreibt "Auggi Wrens Weihnachtsgeschichte" ("Auggi Wren's Christmas Story").

Filme mit Haas und Wang

Als Wochen später das Telefon in der Schreibstube klingelte, steckte Auster tief in der Arbeit an einem neuen Roman. Der Anrufer war Wayne Wang. Er wollte die Weihnachtsgeschichte verfilmen. Der Anruf wurde zu einer Art Zäsur für Paul Auster. "Als junger Mann war ich sehr an Filmen interessiert. Ich wollte tatsächlich Filmemacher werden", sagt Auster. "Später dachte ich nicht mehr daran. Als meine Romane erschienen, begannen sich Leute zu melden, die meine Bücher verfilmen wollten. Aber die meisten Literaturverfilmungen, die ich in meinem Leben gesehen hatte, waren schlecht, und ich lehnte alle Angebote ab." Auster fühlte die Skepsis des Romanciers gegenüber dem Film. Erst als eines Tages der Dokumentarfilmer Philip Haas anrief und anfragte, ob er Austers Roman "Die Musik des Zufalls" verfilmen könne, gab Auster seine Einwilligung. "Philip hatte mein Buch wenigstens verstanden", sagt Auster. In Wirklichkeit beeindruckte ihn die Entschlossenheit des Anrufers. Nicht nur hatte Haas noch nie einen Spielfilm gedreht, er hatte auch keinen roten Heller. Austers Beteiligung an der Filmarbeit beschränkte sich auf eine winzige Rolle, und obwohl er den Film mochte, bestärkte es ihn letztend-

Fortsetzung auf Seite 4

Fortsetzung von Seite 3

lich, in Zukunft der Verlockung solcher Angebote zu widerstehen. In einem Interview sagte er damals, die wahre Kunstform sei eben doch das Buch. "Ein Film kann nicht die menschlichen Dimensionen aufzeigen, so wie es ein Buch ermöglicht. Vermag nicht, die Nähe aufzubauen, die zwischen Leser und Schreiber entsteht, die ja eine der intimsten Begegnungen überhaupt ist."

Der Anrufer Wayne Wang war ein anderes Kaliber als Philip Haas. Er hatte Geld, er hatte Hollywood-Erfahrung. Er war bereits ein erfolgreicher Filmemacher, dem mit seinen bisherigen Filmen gelungen war, was auch Paul Auster mit seinen Büchern schafft: Anspruch und Unterhaltung zu vereinen. Wang machte Filme, die allen gefielen. Auster mochte auch, dass Wang noch nie von ihm gehört hatte, die Weihnachtsgeschichte also mit der größten Unschuld lesen konnte. Und aus dem Geschichtchen entstand der Film "Smoke", der 1996 mit großem Erfolg in die Kinos kam. Gleich im Anschluss drehte das Team "Blue in the Face". Auster führte in dem Film gemeinsam mit Wayne Wang Regie.

Das nächste Filmprojekt Austers kam 1998 in die Kinos: "Lulu on the Bridge". Paul Auster hatte diesmal das Drehbuch geschrieben und allein Regie geführt. Der Film war ein kommerzieller Flop und rasselte nicht nur bei der gänzlich unbeeindruckten amerikanischen Kritik durch. Auch die deutschen Kritiker, zu deren Lieblingen Auster gehört, fanden den Film halbbacken.

Doch da sitzt er nun, holt ein neues Päckchen Zigarillos aus dem Keller, wo er, seit er das Stübchen aufgab, auch seine Schreibmaschine stehen hat, und dann erzählt er, dass durch seinen Kopf bereits eine neue Filmidee geistert. "Mich hat das Filmemachen gepackt. Ich war so lange einsam, und es ist so eine andere Erfahrung, einen Film zu machen, mit Hunderten von Leuten zusammenzuarbeiten", sagt er voller Eifer. Erst im letzten Frühjahr hat er ein Drehbuch abgeschlossen, gemeinsam mit Siri Hustvedt. Wayne Wang wird es verfilmen. "Der Unterschied ist klar. Beim Schreiben eines Romans implodiert man, beim Machen eines Films darf man explodieren", sagt er, und immerhin sei es ja auch ein Jugendtraum.

Ehemaliger Wunderknabe

Vor ein paar Jahren, im Garten seines Hauses, erzählte Auster, dass er sich oft wundere und dass ihn dabei eine heftige Traurigkeit befalle, wenn er sehe, was aus vielversprechenden Kindern später einmal werde. Sobald sie in die Pubertät kämen, ihre solipsistischen Welten verließen, würden sie gewöhnlich und in den meisten Fällen langweilig. Thematisiert hat das Paul Auster in seinem vorletzten Roman, "Mr. Vertigo" ("Mr. Vertigo"). Darin kann der Protagonist fliegen. Mit der Pubertät verliert er diese Fähigkeit. Das Buch läuft aus in ein Porträt eines gealterten, melancholischen und ganz gewöhnlichen Mannes.

Das Glück des ehemaligen Wunderknaben ist es, dass er jemanden findet, der für ihn seine Geschichte erzählt und ihn so vor der völligen Vergessenheit bewahrt. Sein letztes Buch, "Timbuktu" ("Timbuktu"), führt das Thema der Einsamkeit noch weiter. Oft waren die Erzähler in Austers Büchern selbst Schriftsteller (Leviathan, Auggi Wren). Diesmal ist der Erzähler kein Schriftsteller, sondern - ein Hund. Er ist der letzte Begleiter des völlig nichtigen und zu Ende gehenden Lebens seines Herrchens.

Die Angst vor dem Alleingelassenwerden sitzt tief, es ist die Negation dessen, dass man allein ist. "Man muss erkennen, gleich von Beginn an, dass die Essenz des Projektes das Scheitern sein wird", schrieb Auster über den Versuch in "Das Porträt eines unsichtbaren Mannes", seinen Vater kennen zu lernen, indem er seine Geschichte erzählte.

Es ist kein Wunder, dass Paul Auster als sein Lieblingsbuch "Bartleby the Scrivener" von Hermann Melville nennt. Die Einsamkeit Bartlebys geht an die Grenze des Unerträglichen, und gleichzeitig ist die Tatsache, dass es diesen Erzähler gibt, der Bartleby bemerkt und seine Geschichte erzählt, nicht nur herzerwärmend, sondern eine Rettung für alle. "Bis zur Pubertät fühlen wir uns niemals beobachtet, weil wir keine Beobachter brauchen", sagte Paul Auster damals im Garten. Als er das sagte, waren es noch ein paar Wochen, bis Paul Austers Sohn Daniel in einen spektakulären Mordfall in der New Yorker Nachtklubszene verwickelt wurde. Die US-Presse verhielt sich still. Sie respektierte die Privatsphäre der Austers. Später fragte ich Paul Auster einmal, wie die Angelegenheit ausgegangen war. Er hob nur die Hand. Ein Jahr später las ich in der Toilette eines Restaurants im New Yorker Stadtteil Soho mit Filzstift an die Wand gekritzelt: "Befreit Daniel Auster."

Don DeLillo hat einmal gesagt, man fühle sich von Pauls Texten eingeladen wie von einem wunderbaren Freund. Sein Lektor sagt, enge Freunde würden Auster in letzter Zeit immer öfter an seine Arbeit als Schriftsteller erinnern. Durch die Filmarbeit ist Austers Leben entzweigebrochen. Die Krise, die der Bruch bedeutet, ist die quintessenzielle Auster-Geschichte. Warten wir, bis er sie erzählt.

"Hintergrundrauschen"

Dieser hier erstmals in einer Zeitung veröffentlichte Text über Paul Auster stammt aus dem Buch "Hintergrundrauschen - Zu Besuch bei amerikanischen Schriftstellern" (Picus Verlag, Wien 2001, 142 Seiten). Dem Journalisten Michael Saur, der aus New York seine Reportagen an die "Süddeutsche Zeitung", die "Zeit", den "Stern" oder den "Playboy" liefert, ist es gelungen, zu einem guten Dutzend der renommiertesten amerikanischen Autoren vorzudringen, um sie zu interviewen. Wobei vordringen und interviewen die falschen Worte sind, denn Michael Saur nähert sich den Autoren indirekt, diskret und manchmal auch kollegial; er interviewt sie auch nicht, er führt echte Gespräche mit ihnen, über Drogen, Bill Clinton, den Weg zum Ruhm - und natürlich über Literatur. Manche der dabei entstandenen Porträts sind sehr kurz (und gelegentlich auch nichts sagend). Ist Saur aber in Form, dann entstehen wunderbare literarische Menschenbilder - zum Beispiel, wenn Richard Ford im vornehmsten Club New Yorks über Rassismus spricht oder Frank McCourt über die Wut auf seine Kindheit oder T. C. Boyle über seinen roten BMW. R. F.

Freitag, 08. Juni 2001 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 15:00:00

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