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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Zum 90. Geburtstag des Dramatikers Fritz Hochwälder

Hochwälder, Fritz: "Konfession: Schriftsteller"

Von René Freund

Wien VII, Westbahnstraße 3, 3. Stock, Tür 11: Zimmer, Küche, Kabinett - da wohnten vor dem Ersten Weltkrieg mein Vater, meine Mutter, deren alte Mutter, unser Dienstmädchen Anna Waldbrühl und ich, das Kind." So beginnen die autobiografischen Skizzen, die Fritz Hochwälder unter dem Titel "Im Wechsel der Zeit" vor gut 20 Jahren publiziert hat. Westbahnstraße 3, Wien Neubau: In dieser Wohnung kommt Fritz Hochwälder auch zur Welt, und zwar am 28. Mai 1911 - "in der guten alten Zeit, die sich gerade anschickte, den Ersten Weltkrieg vorzubereiten." Seine Eltern, assimilierte Juden aus Galizien, lassen ihn wohl vom Rabbiner taufen, aber das bleibt - auch in seinem weiteren Leben - der einzige Berührungspunkt Hochwälders mit dem jüdischen Glauben.

Nichts deutet darauf hin, dass Hochwälder später als Autor von Stücken wie "Das heilige Experiment", "Donadieu" oder "Der Himbeerpflücker" dramatische Welterfolge landen sollte. Seine berufliche Laufbahn scheint vorgezeichnet. Sein Vater Leonhard Hochwälder, Tapezierermeister, und seine Mutter Theresia, Tochter eines Tapezierermeisters, sind sich naturgemäß ziemlich einig über den Berufsweg ihres einzigen Sohnes. Folgerichtig absolviert Fritz Hochwälder auch die Tapeziererlehre im väterlichen Betrieb und beendet diese mit der Gesellenprüfung. Gut 50 Jahre später wird er als Ehrenmitglied in die Wiener Tapezierer-Innung aufgenommen - eine Auszeichnung, über die er sich mehr gefreut hat als über so manchen goldenen Orden.

Angst vor "Revoluzzern"

Den Ersten Weltkrieg übersteht der Familienvater Leonhard Hochwälder bei der Fliegertruppe in Triest - damals mussten die Tragflächen der Flugzeuge noch mit Leinwand tapeziert werden. Die Nachkriegszeit verbringt die Familie in bitterster Armut. Materiell gesehen gehört man zum Proletariat, und dennoch, man strebt dem Bürgertum zu und fürchtet nichts mehr als die Kommunisten. Fritz Hochwälder in seinen Erinnerungen: "Im Winter freilich wurde es fürchterlich, frierend fuhren wir mit einem Handschlitten zur Westbahn, um Braunkohle zu ergattern, und eines Tages brach aus der eher proletarischen Hermanngasse ein wildbewegter Demonstrationszug, die Rollläden wurden geschlossen, meine kleinbürgerlichen Eltern, die weniger zu verlieren hatten als andere ihresgleichen, zitterten schrecklich vor den blutrünstigen Revoluzzern, den ,Roten', und ahnten nicht, dass sie knapp fünfundzwanzig Jahre später von wohldizisplinierten Mördern zur Gaskammer transportiert werden sollten."

Hochwälder beginnt sehr früh mit den "Roten" zu sympathisieren. Seine politische Prägung ist von seiner literarischen schon in frühen Jahren schwer zu trennen: Als halbwüchsiger Lehrling nimmt er bereits an den Diskussionen der "Gruppe der Jungen" im Palais Ratibor in der Singerstraße teil und begeistert sich für Büchner, Wedekind und Gerhart Hauptmann. Seine literarische, philosophische und politische Bildung holt er sich an der Volkshochschule Ottakring - unter anderem von Edgar Zilsel, dem dort lehrenden Verkünder des Neopositivismus.

Sieht man von kleineren, großteils unaufgeführt gebliebenen Stücken und Hörspielen ab, ist Hochwälders erste große literarische Arbeit ein Roman - merkwürdig für einen Schriftsteller, der später kaum noch Prosa geschrieben hat. "Prosa war mir immer zu fad", sagte Fritz Hochwälder 1986, wenige Wochen vor seinem Tod, in einem Interview. Dass Hochwälder in seiner gewohnt pointierten Ausdrucksweise ein bisschen übertrieben hatte, stellte sich erst 1995 heraus, als im Styria Verlag "Donnerstag" erschien, der einzige Roman Hochwälders - geschrieben im Wien des Krisenjahres 1933 von dem damals 22jährigen arbeitslosen Tapezierergesellen.

Der Roman "Donnerstag", der übrigens bis auf den Titel nichts mit dem gleichnamigen Theaterstück des Schriftstellers zu tun hat, beweist eindrucksvoll, dass Hochwälders Prosa keineswegs "fad" ist: Die 150, erst im Nachlass wiederentdeckten Seiten entwickeln einen enormen dramaturgischen Sog, der durch die sperrige Sprache noch verstärkt wird - eine Sprache, die den Eindruck vermittelt, der Autor wäre beim Schreiben außer Atem gewesen. Die spätexpressionistischen Satzfetzen, inneren Monologe und grellen Schlaglichter erinnern stilistisch an das Drehbuch zu einem schnell geschnittenen Videoclip. Die zwischen Bohème, Dienstbotenklasse und Kleinganoventum angesiedelten Protagonisten nehmen die Charakterisierungskunst des Dramatikers Hochwälder vorweg.Die vielen Einzelschicksale aus dem Dickicht der Stadt montiert Hochwälder zu einem beklemmenden Bild vom Wien der Zwischenkriegszeit, das auch als historische Studie fesselt: Zwischen Arbeitslosigkeit, sozialem Aufbegehren und Relikten aus der Kaiserzeit keimt der Faschismus auf.

1938 marschieren Hitlers Truppen in Wien ein.

Hochwälder, als Linker und als Jude doppelt gefährdet, entschließt sich auf Betreiben seiner Eltern zur Flucht - diese fühlen sich zu alt und glauben wohl wie so viele, dass es schon nicht so schlimm kommen werde. Im August 1938 durchschwimmt Hochwälder den Alten Rhein und gelangt ans rettende, ans andere Ufer.

In Zürich wird ihm als Verfolgtem politisches Asyl gewährt. Hochwälder ist - so sagte er später - im Herzen immer Wiener geblieben. Dennoch lebte er bis zu seinem Tod 1986 in der Stadt, die ihn damals aufgenommen hat.

Üppig gestaltete sich das Leben eines Asylanten in der Schweiz freilich nicht: Ein Arbeitsverbot verhinderte, dass man etwas verdienen durfte, eine kleine finanzielle Zuwendung, dass man verhungerte.

Die Jahre der Armut in der Fremde werden zu den furchtbarsten im Leben des jungen Mannes - und zu den fruchtbarsten. "Das Jahr 1941 verbrachte ich in einem Arbeitslager im Tessin", so Hochwälder in seinen Erinnerungen. "Wir bemühten uns dort vergeblich, die Magadino-Ebene fruchtbar zu machen. Gegen Jahresende wurde ich zwecks schriftstellerischer Betätigung dispensiert . . ." Freunde stellen dem jungen Mann, der sich stärker denn je zum Schreiben berufen fühlte, eine kleine Holzhütte in Ascona zur Verfügung.

"Dort saß ich mutterseelenallein, ernährte mich hauptsächlich von Suppenwürfeln, sah in den blauen Himmel des Südens und schrieb in zwei Monaten ,Das heilige Experiment', jenes Stück, von dessen Erträgnissen ich noch heute zehre."

Hochwälder benützt in dem Drama den Untergang des Jesuitenstaates in Paraguay im 18. Jahrhundert als historische Kulisse, um die Fragen nach sozialer Gerechtigkeit und nach der Möglichkeit der Errichtung von "Gottes Reich auf Erden" zu stellen. Das Stück treibt die Unvereinbarkeit von Realpolitik und Idealpolitik auf die Spitze - der Handelnde, und vor allem der politisch Handelnde, macht sich die Hände schmutzig. Am Ende des Stücks ist das Reich Gottes beim Teufel. Der Visitator des Königs hat die real gewordene Utopie in realpolitische Macht zurückverwandelt. Er hat für Recht gesorgt - und zweifelt zuletzt an der Gerechtigkeit seines Handelns: " . . . was hülfe es, wenn ich die ganze Welt gewönne - und nähme doch Schaden an meiner Seele." Merkwürdig, dass dieses Stück heute nicht mehr gespielt wird - es würde nicht schlecht in eine Zeit passen, in der grüne Pazifisten erklären müssen, warum sie um der Gerechtigkeit willen andere Länder bombardieren lassen.

Internationaler Durchbruch

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg beginnt Hochwälders Siegeszug durch die Theater der Welt: 1943 wird "Das heilige Experiment" noch mit mäßigem Erfolg in Biel-Solothurn uraufgeführt, 1947 mit wachsendem am Wiener Burgtheater gespielt. Hochwälder kann von den bescheidenen Einnahmen eine Mansardenwohnung in Zürich mieten.

Die Bohème-Szenerie kommt seiner Schaffenskraft entgegen. Es entstehen "Casa Speranza", "Hôtel du Commerce", "Der Flüchtling", "Meier Helmbrecht" und "Der öffentliche Ankläger", das Revolutions-Kriminaldrama, das zu seinem meistgespielten Stück wird. Der internationale Durchbruch gelang 1952, als "Das heilige Experiment" unter dem französischen Titel "Sur la terre comme au ciel" am Théatre de l'Athenée in Paris über 450-mal en suite gespielt wird.

In den 50er und 60er Jahren avanciert Hochwälder zum "Hausdichter" des Burgtheaters und zu einer Art "österreichischem Nationaldramatiker" - was den allem Nationalen abgeneigten Autor nicht dazu bewegen konnte, nach Wien zurückzukehren. Seine Stücke wurden in viele Sprachen übersetzt und in allen bedeutenden Theaterstädten der Welt gespielt. 1958 kommt "Das heilige Experiment" als Reclam-Ausgabe heraus - ein Jugendtraum des Autors Hochwälder hat sich erfüllt.

In den 60er Jahren entdeckt Hochwälder auch das Medium Fernsehen für sich. Seine Beschäftigung mit dem historischen und dem ganz alltäglichen Nationalsozialismus in dem Fernsehspiel "Der Befehl" rufen ähnlich turbulente Reaktionen hervor wie "Der Herr Karl" von Merz und Qualtinger.

1971 schreibt er das Drehbuch zur legendär gewordenen Joseph-Roth-Verfilmung "Das falsche Gewicht" (mit Helmut Qualtinger, Kurt Sowinetz und Agnes Fink, Regie: Bernhard Wicki).

"Out" - und hochaktuell

Danach begann es um Fritz Hochwälder allmählich stiller zu werden. Sein 75. Geburtstag in Wien wurde zwar offiziell gefeiert, doch seine Stücke standen immer weniger auf den Spielplänen. Im Oktober 1986 starb Fritz Hochwälder in seiner Wohnung in Zürich.

Heute ist Fritz Hochwälder als Dramatiker "out". Seine Stücke, die fast alle den klassischen aristotelischen Regeln der Einheit von Handlung, Zeit und Ort folgen, gelten als altmodisch. Tatsächlich passen sie kaum zum zeitgenössischen Theater und seinem Publikum, dessen Interesse, wie Hochwälder bereits 1966 erkannte, "weniger der dramatischen Hervorbringung gilt als der jeweiligen Repräsentation." Seine Stücke verfügen über gut charakterisierte und niemals eindimensionale Personen, sie sind spannend - und sie haben ein Anliegen.

Die Form mag man als veraltet oder als zeitlos bezeichnen; die Themen von Hochwälders Stücken sind jedenfalls hochaktuell. Die Moden wechseln. Vielleicht wird der Dramatiker Fritz Hochwälder demnächst wieder "modern" werden. Angesichts der vom deutschen Feuilleton heftig bejammerten (und zum Teil herbeigeschriebenen) "Theaterkrise" bemerken gerade die sehr jungen Regisseure und Intendanten, dass das Publikum vor allem eine Sehnsucht hat: nämlich eine Geschichte erzählt zu bekommen. Diese zur Untugend gewordene Kunst beherrschte Hochwälder.

Ich gestehe, dass mein Engagement für den Dramatiker nicht frei von persönlichen Einflüssen ist: Fritz Hochwälder war mein Taufpate. Ins Taufregister hat er sich folgendermaßen eingetragen: "Hochwälder Fritz, Zürich. Konfession: Schriftsteller."

Literatur: Katalog der Wiener Stadt- und Landesbibliothek zur Hochwälder-Ausstellung 1991, herausgegeben von Herwig Würtz; Fritz Hochwälder: Im Wechsel der Zeit. Autobiographische Skizzen und Essays, Styria Verlag, Graz/Wien/Köln 1980.

Freitag, 25. Mai 2001 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 15:00:00

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