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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Über die Autorin und Dramatikerin Marlene Streeruwitz

Der dominierende Punkt

Von Lothar Lohs

Es wurde angekündigt als Stück zur Lage der gebeutelten Nation, die Uraufführung von "Sapporo", der schrägen "Revue", mit der Marlene Streeruwitz im Rahmen des "steirischen herbstes", provokant angesetzt am vergangenen Nationalfeiertag, ihr Comeback als Dramatikerin feiern sollte. Es wurde ein Debakel erster Klasse. Es hagelte - zurecht - Verrisse für die bestürzend laienhafte Inszenierung Kazuko Watanabes und damit setzte sich ein Verhängnis fort, das schon über den Anfängen der Autorin hierzulande gewaltet hatte: Marlene Streeruwitz hat wenig bis gar kein Glück mit ihren Regisseur(inn)en.

Rund zehn Jahre früher hatte Marlene Streeruwitz als Newcomerin das, was man einen unheimlich starken Auftritt nennt. Die Tochter eines Badener ÖVP-Politikers hatte schon ein Leben als Ehefrau und Mutter zweier Töchter hinter sich, als das Branchen-Zentralorgan "Theater heute" in seiner Serie "Autoren zu entdecken" im Juni 1990 verkündete, dass da in Wien eine neue österreichische Dramatikerin einige aufregende Stücke in der Schublade liegen hätte. Drei Jahre später war Marlene Streeruwitz eine der meist gespielten Autorinnen im deutschen Sprachraum. Die Spätstarterin wurde mit ihren rund 40 Lenzen zur Nachwuchsautorin des Jahres gekürt, die Theater rissen ihr die Stücke aus der Hand und die Uraufführungen jagten sich in Köln, München, Frankfurt und Berlin. Kein Wunder, da hatte jemand einen verblüffend neuen, elektrisierenden Ton in den müden, grauen Stadttheateralltag gebracht.

Collage von Realitätsfetzen

Die Streeruwitz hat eine verwegene Lust am Spiel mit Zitaten und Mustern. Als Formprinzip ihrer Stücke fungiert die Collage von Realitätsfetzen und Wirklichkeitsschichten. Sie benützt dabei die ganze abendländische Kulturgeschichte schamlos als Fundus der Materialien, als Spielplatz ihrer Fantasie, die sich aber nie in postmoderne Beliebigkeit verläuft, sondern immer im Dienst einer Parabel steht: eine Konstante ihrer Stücke etwa sind Frauen, die in dieser Männerwelt auf der Strecke bleiben. Und in den ganz wenigen, herausragenden deutschen Inszenierungen wie Torsten Fischers Uraufführung von "Waikiki Beach" (am Kölner Schauspiel 1992) und Jens Daniel Herzogs Ur-Version von "New York. New York." (an den Münchner Kammerspielen 1993, übrigens mit einem glänzenden Tobias Moretti) konnte man sehen, dass diese höchst kunstvoll montierten Dramen aus Realitätspartikeln, Bildungsgut und (Trivial-)Mythen, diese grellen Theaterclips mit ihrem kühnen Formenmix mitten ins Herz der Wirklichkeit treffen. Man konnte sehen, wie das Theater in den Hades der Wünsche, der Perversionen, der Zerfleischung hinab steigt, wie es rast, geifert, schleimt und dabei urkomisch sein kann, zart und stets sehnsüchtig nach Liebe, nach Glück.

Doch diese Hits, die ihr Niveau auch nicht durchgehend halten konnten, blieben die Ausnahme. Diese Stücke benötigen risikofreudige Inszenatoren, die bis zum gnadenlosen Ende keine Angst haben vor grellen Effekten, triefendem Pathos, klebrigen Klischees und einer waghalsigen Abenteuerreise des Theaters mit allen zur Verfügung stehenden Stilmitteln. Und in der Regel hatte die Autorin Pech mit ihren Interpreten. Da inszenierte etwa Harald Clemen "Elysian Park" am Deutschen Theater in Berlin 1993 in Grund und Boden, das Stück war damit abgeschossen, wurde nie mehr nachgespielt. Aber auch die Wiener Aufführungen von "New York. New York." am Volkstheater und "Tolmezzo" am Schauspielhaus, als die Wiener Festwochen 1994 (noch unter Klaus Bachler) der Autorin einen Schwerpunkt einrichteten, "sind gescheitert", wie Marlene Streeruwitz selbst trocken konstatiert. Und deshalb ist sie im Prinzip in Wien immer noch eine unentdeckte Dramatikerin.

Die erste Streeruwitz-Welle ebbte ab, das Theater machte Pause von der eigenwilligen Autorin, die sich wiederum, die Nase voll von blinder Regiewillkür, der Prosa zuwandte und mittlerweile als Romanautorin reüssiert. Ihr Debüt "Verführungen" (1996) wurde vom Feuilleton gefeiert. Den unwiderstehlichen Erzählsog, der da in den trostlosen Liebes- und Lebensalltag der Heldin Helene Gebhardt hineinzog, beschrieb damals Reinhard Baumgart in der "Zeit" so: "Sie hämmert einen harten Beat, notiert kurze, auch torsohaft zusammengeschlagene Sätze, übersät den Text mit Punkten und Pausen, reinigt ihn von fast allen Nebensätzen, fegt die Adjektiva raus. So entsteht diese zugleich atemlose, doch heftige, kräftige Prosa."

Es folgten "Lisas Liebe" (1997, Suhrkamp), "Nachwelt" (1999) , die Erzählung "Majakowskiring" (2000, beide bei S. Fischer) und zuletzt in der Edition Selene "Und. Sonst. Noch. Aber. II" (1), der zweite Band ihrer gesammelten Angriffe, Reden, Essays von 1997 bis 2000, sowie ein Band Text- und Bildcollagen "Und. Überhaupt. Stop." (2), der Marlene Streeruwitz, die Vielseitige, wiederum von einer anderen Seite präsentiert, nämlich als aberwitzige Nachfahrin der Dadaisten.

Angefangen hat alles mit ihrer Scheidung: es war die Geburtsstunde der Autorin Streeruwitz. Sie begann zu schreiben, "als Versuch, ein großes Unglück meines Lebens sprachlich zu erfassen, es nicht zu verdrängen, sondern manifest zu machen, um damit umgehen zu können. Die Frage lautet ja immer: Verdrängen oder Nicht-Verdrängen. Und da ist Schreiben für mich Trauerarbeit und Anti-Verdrängungsprozess in einem, zwei Dinge, die man in unserer Kultur nicht beherrscht und auch nicht lernt." So Marlene Streeruwitz 1992, am Beginn ihrer Laufbahn. Inzwischen hat die Autorin einen weiteren zentralen Impuls hinter ihrer Prosa verraten, die Widerlegung des Klischees, der Alltag der Frauen hierzulande sei nicht literaturfähig. Und sie hat in zwei großen Poetik-Vorlesungen in Tübingen sowie in Frankfurt die weiteren Fundamente ihres Schreibens offen gelegt. (Beide sind in der Edition Suhrkamp erschienen: "Sein. Und Schein. Und Erscheinen." Tübinger Poetikvorlesungen, 1997. Sowie: "Können. Mögen. Dürfen. Sollen. Wollen. Müssen. Lassen." 1998.)

Hier verkündet sie ihr Projekt einer "nicht patriarchalen Poetik", in der es um die "Entkolonialisierung" von patriarchalen Gefühls- und Denkmustern geht und darum, "wie ein Anders-Denken möglich werden kann, obwohl wir keine andere Sprache als die patriarchale kennen." Es tut Not, die Wahrnehmungsklischees im Informations- und Lebensfluss aufzuspüren, die unbewusst die "Grammatik des Patriarchats" transportieren. Es gilt, meint Marlene Streeruwitz weiters, "die Quelle all dieser Verdunkelungen und Verschleierungen" im "Archiv des Patriarchats zu finden", wo alles "Wissen über die Macht" gelagert wird. Und es gilt, diese Quelle trocken zu legen und einen Schritt weiter zu gehen: "Will man oder frau nicht in der Erstickung der vorgeschriebenen Sprache untergehen, muss der Weg zu einem anderen Entwurf von Selbst gefunden werden."

Ihr radikal feministisches Programm hat Marlene Streeruwitz das Image einer Fundamantalistin eingetragen, einer finsteren Männerhasserin. Doch das heißt in ihrem Fall, Kultur- und Gesellschaftskritik mit dem Privatkrieg einer Amazone zu verwechseln. Klar, Marlene Streeruwitz, die Spitzzüngige, hat einen ausgeprägten Hang zu sarkastischer Bosheit, was das Heldenleben der Männer betrifft. Sie verfügt über einen beißenden Witz, sie hält Shakespeare für einen "Langweiler", Goethe für einen "Kriegstreiber" und das Burgtheater wäre, wenn es nach ihr ginge, schon lange ein Fitnesscenter unter der Leitung von Arnold Schwarzenegger. Der antipatriarchalische Furor der Streeruwitz mag viele nerven, aber hier hält jemand mitten in der schönen Manager- und Marketing-Welt an Utopien fest, die ja eigentlich schon untergegangen sind. Und wenn sich manche Kritiker ihrer Vorlesungen und Reden wie in einem "ultralinken Seminar von K-Gruppen der siebziger Jahre fühlen", dann ist das für Marlene Streeruwitz keine Beleidigung: Die Träume von einer anderen Welt, die damals auf der Tagesordnung standen, sind nicht eingelöst worden, warum soll man also aufhören, davon zu sprechen.

Fragmentarisierte Sprache

Doch wenn auch Marlene Streeruwitz in der Theorie von einer Utopie der Entkolonialisierung und einer neuen Sprache träumt, in ihren Romanen und Stücken hält sie sich an das, was Adorno einmal "Bilderverbot" genannt hat. Da geht es nicht um Träume, sondern um beinharte Realität. Da dominiert eine zerstückelte fragmentarisierte Sprache, die sich an die allwaltende Zerstörung und das Scheitern der Figuren mimetisch anschmiegt. Da dominiert der Punkt, mittlerweile das Markenzeichen der Marlene Streeruwitz, der Punkt als Zeichen für das schiefgehende Leben.

Das bringt ihr dann so flapsige Fragen ein, wie die eines Germanistikprofessors in Udine nach einer Veranstaltung über österreichische Literatur bei Risotto al Radicchio und Friulanischem Tokaier: "Der Punkt. Frau Streeruwitz. Der Punkt. Ist das nun eigentlich künstlich für Sie. Oder. Ist das ein Bedürfnis." Die Autorin, die sich nach einem Studium der Slawistik und Kunstgeschichte gegen eine "akademische Beschäftigung mit der Welt" entschied, erzählt diese Anekdote genussvoll in ihren Frankfurter Poetikvorlesungen. Sie beschied dem denkfaulen Professor, dass die "Antwort auf die Frage nach dem Ursprung der Punktsetzung doch sein Geschäft wäre", dass sie ihm doch sein Arbeitspensum sichern würde, "mit dem Aufgeben von Rätseln." Punkt.

"Der vollständige Satz ist eine Lüge", verrät Marlene Streeruwitz ein bisschen weiter dem Leser dann doch und der einzige adäquate Ausdruck für die Identitäts-Gestörten sei das "Stakkato des Gestammels". Da eröffnet sich im übrigen eine Parallele zu Horvaths berühmter "Stille" in den Volksstücken, in der die Gefühle und Wünsche der Figuren sprachlos rotieren. So wie Horvaths legendäre "Stille" unterbricht der Punkt bei Streeruwitz den Fluss der Sprache und in den Pausen dazwischen "ist das Suchen zu finden. Nach sich. Nach Ausdruck". Doch auch da gibt es keine Zuflucht nirgends. Es bleibt einzig die nagende Sehnsucht nach Glück mitten in der Sprach- und Lebensleere.

Selbstverständlich dominiert der Punkt auch die Stücke der Marlene Streeruwitz. Und auch damit hatten die Regisseure bislang ihre liebe Not. Aber nun ist hierzulande eine neue Streeruwitz-Welle angesagt: Am Volkstheater holt Regisseur Michael Kreihsl kommendes Frühjahr die schon längst fällige Erstaufführung von "Waikiki-Beach" nach, und am Linzer Landestheater steht die Uraufführung von "Boccaleone" an. Der erste Anlauf einer erneuten Streeruwitz-Rezeption am Theater hierzulande versandete leider, wie schon gesagt, kläglich. Dies ist umso bedauerlicher, als es sich bei "Sapporo" um den dramatischen Versuch einer Stellungnahme zu den tektonischen Verschiebungen in dieser Republik seit der Wahl handelt. Dabei hat die Autorin zum ersten Mal auf ihr theatersprengendes Stilprinzip der Collage verzichtet und zu einem unverblümten Realismus gegriffen. "Ich habe mir", sagt die Erzfeindin allen realistischen Theaters erstaunlicherweise, "monatelang den Kopf zerbrochen, wie man das Stück formal lösen kann, dass es wirklich politisch bleibt. Und diese Realtitäts-Mimikry hielt ich schließlich für den Augenblick einfach notwendig, um die Wirklichkeit der Politik und auch der Wirtschaft, also diese Marketing-Welt, in der das alles ja letzten Endes stattfindet, vorzuführen."

Die Frage ist, ob auch einfallsreichere oder mutigere Regisseure als Kazuko Watanabe diese "Revue" wachküssen hätten können, in der eine verkommene Karriereseilschaft in einem TV-Studio an einer weiteren Volksverdummungs-Show namens "Kochen mit Volksmusik" arbeitet. Die Frage ist, ob der doppelte Boden des Stücks sichtbar gemacht werden kann, dass es sich nicht nur um "harmlose", profitgierige Kitschproduzenten handelt, sondern um die schwarzen "Seeleningenieure", die momentan an der Rückpolung der Nation auf die guten, alten Werte arbeiten: Auf so "Ankerbegriffe wie Heimat. Glück. Frieden. Liebe. Ehre. Treue.", wie es einmal heißt.

Davon war in Graz nichts zu sehen, doch das lenkt zum Schluss das Augenmerk auf die Publizistin Marlene Streeruwitz, der Streitbaren, die sich auch im "Standard", in der Zürcher "Weltwoche", in der "Süddeutschen" oder in der renommierten "Zeit" mit der Welt anlegt, sich Sorgen um Österreich macht und mit zornigen bis ironischen Kommentaren die Machenschaften des Patriarchats verfolgt. Das Böse ist schließlich immer und überall. Im Zentrum ihrer Beobachtung war dabei zuletzt eben die Umprogrammierung einer Nation auf nationalen Chauvinismus dank des unschätzbaren Bärendienstes, den die sogenannten EU-Sanktionen dafür geliefert haben. Das hat diese Regierung geschickt zu einem sieben Monate dauernden Ablenkungsmanöver "weinerlich selbstgerechter Selbstdarstellung" benützt, in dem konsequent vertuscht wurde, warum die EU-Maßnahmen gesetzt wurden, dass sich hier nämlich erstmals eine Volkspartei in Europa mit einer extrem rechstlastigen Partei ins Bett gelegt hat.

Herrscht bald wieder Frieden im Land, auch am Donnerstagabend in Wien? Das kann Marlene Streeruwitz, die, sofern sie in Wien weilt, immer an den Donnerstag-Demos teilnimmt, aus Chicago, wo sie momentan eine Gastprofessur absolviert, noch nicht einschätzen. Aber eines weiß sie auch schon in Chicago: "Es wird eine neue Politisierung der Kunst geben."

Freitag, 10. November 2000 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 15:03:00

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