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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Friedrich Gottlieb Klopstock im Kreise seiner schärfsten

Bewunderer

Klopstock: Der heilige Dichter

Von Udo Dickenberger

Friedrich Gottlieb Klopstock (1724 bis 1803), der Autor des Epos vom Messias, galt schon zu Lebzeiten als heiliger Dichter: Er wurde von den Zeitgenossen, denen die Poesie zur Ersatzreligion geworden war, die aber mit dem Christentum nicht brechen wollten, beinahe
wie der Held seines Hauptwerks selber verehrt. Er führte sich im Leben wie ein Prophet auf und er fand ergebene Anhänger. In seinem Aufsatz „Von der heiligen Poesie" versucht er zu zeigen, dass
der historische Messias, der in Gleichnissen sprach, Dichter wie er selber war, der moderne Messiadensänger. Das Werk des Herrn darf verbessert werden, denn Christus hat nur Grundrisse mitgeteilt.
Klopstock will Kollisionen mit den amtlich eingesetzten Verwaltern des göttlichen Worts vermeiden. Darum folgt der Wink, dass der Dichter und der Theologe, indem sie die hinterlassenen Grundrisse
ergänzen, auf einer Stufe stehen: „Sie dachten, auf verschiedene Weise, über die Religion nach." Die Poesie wird zur Religion, die Bibel zur Dichtung. Wenn die Bibel nicht authentisches
göttliches Wort ist, sondern ein von Gott inspiriertes, vom Menschen geschaffenes Werk, dann darf dieses Werk auch weiter bearbeitet werden, ohne dass damit die göttlichen Urheberrechte beschnitten
würden.

Die Wahrheiten, die der wenig originelle Prophet Klopstock verkündet, hat er natürlich nicht selbst gefunden, sie waren vor seiner Zeit bekannt, er darf nicht an ihnen rütteln. Die alte Wendung, Gott
oder die Muse habe etwas eingegeben, wird von der Zuversicht in die Gültigkeit der eigenen Empfindungen abgelöst. Während die Religion positiv geworden ist und ihr die Stunde der Interpretation und
der Kommentierung geschlagen hat, tritt noch einmal ein Verkünder auf · aber einer, der philologisch geschult ist. Die beglaubigende Instanz ist das Gefühl, aber die Zuhörer können in die Karten
schauen, denn sie kennen die Vorlage. Klopstock kostet die Empfindungen aus, die sich einstellen, wenn das Altbekannte noch einmal besser gesagt wird. Die Frommen laufen ihm nach, als verstünde er
sich darauf, Kranke zu heilen, Getränke zu vermehren. Der verspätete Seher gibt sich naiv, aber er weiß, dass alles reflektiert ist, inszeniert wird. Seine Flucht vor den Inhalten macht sich im Werk
einschneidend bemerkbar, bis in die Gestaltung der Nebenfiguren hinein. Denn der Seher riskiert weniger, wenn er sich mit den Nebenfiguren statt dem Gottessohn befasst: da hat er größere Freiheiten.
Daher dann das Episodengewuchere, das die Haupthandlung überdeckt.

Der dichtende Seher

Der dichtende Seher Klopstock war eitel und an der Wirkung seiner Hauptwerke aufs Publikum interessiert. Eine Erhebung rezeptionsästhetischer Daten stellte er im Spätsommer 1776 unter seinen
Bewunderern in Braunschweig an. Im Brief vom 3. September 1776 bittet er die Anhänger außerdem darum, ihm bei seiner projektierten Lebensgeschichte zu helfen. Wehmütig erinnert er sich an die
Erfolge, die er mit einer „Messias"-Rezitation bei 16 Nonnen in einem Kloster erzielt haben will, in einem Brief vom 6. Jänner 1767. „Sie standen dicht um mich herum. Ich las, und ich sahe nicht
wenig Thränen." Seiner Fanny hatte der Dichter schon am 10. Juli 1750 berichtet, dass er große Erfolge mit dem Vortrag einer Liebesgeschichte aus dem „Messias" bei profanen Hörerinnen erzielt hat.
Er wurde „von liebenswürdigen Leserinnen zugleich geliebkost und zugleich verehrt". Soweit ist es im Kloster, soweit bekannt, dann aber doch nicht gekommen.

Zu Klopstocks Zeiten wurde der „Messias" als Erbauungsbuch gelesen. Sogar im Gottesdienst wurde er eingesetzt: Abschnitte aus dem „Messias" sollen in Wörlitz noch zu Beginn des 19.
Jahrhunderts in der Abendmahlliturgie verwendet worden sein. Die eifrigsten Anhänger machten es wie der Meister selber. Sie brachten den „Messias" unter das Volk, lasen aus ihm vor, trugen ihn
in die Klöster, zelebrierten messianische Messen. Johann Martin Miller berichtet Klopstock in seinem Brief vom 14. Oktober 1780 von einer Verehrerin im Stift zu Günzburg, die nur in der Bibel, dem
Gebetbuch und dem „Messias" liest. Er kennt zwei katholische Komtessen aus der Gegend um Ulm, die den „Messias" mit in die Messe nehmen, um dort darin zu lesen. Christian Friedrich Daniel
Schubart, auch einer aus dieser Schule, schreibt dem Meister auf dessen Anfrage bei Miller vom 22. Mai 1776 hin von seinen „Messias"-Vorlesungen. Zwischen München und Mannheim hat Klopstocks Epos
dank Schubart immer neue Anhänger gefunden, besonders in Ludwigsburg. Für die dortigen Handwerker war der „Messias" nach der Bibel das göttlichste Buch. Das dankbare Publikum hat den Rezitator
reich belohnt. „Da konnt' ich meinen Kindern manche Wohlthat erweisen, und manch gutes Glas Wein auf Ihre Gesundheit trinken." So ist es recht · das sind die messianischen Wunder zur
Klopstockzeit: Hörertränen werden in freundliche Weingaben verwandelt.

Neben Schubart, Miller und den Freunden in Braunschweig werden die Angehörigen der Familie Stolberg wohl die treuesten Anhänger gewesen sein. Friedrich Leopold Stolberg teilt Klopstock einerseits am
21. Dezember 1773 die Worte mit, die seine Mutter zwei Tage vor ihrem Tod sprach, als sie die Nachkommen segnete: fromme Worte, Worte aus der Bibel. Andererseits zitiert er am 2. Juni 1776 zum Tod
eines anderthalbjährigen Mädchens Verse aus dem „Messias". Das eine Werk ist da beinahe so heilig wie das andere. Als Stolberg heiraten will, ist zum Glück die Messiade das Lieblingsbuch der
Braut. Ob aus dem Eheprojekt etwas hätte werden können, wenn Agnes den „Messias" und seinen Dichter nicht gemocht hätte?

„Des Todes Wonnegesang"

So problematisch es gewesen sein muss, mit einem Mann zu verkehren, der so monoman auf sein Werk fixiert war wie Klopstock, der forderte, alle Welt müsse sich immerzu mit ihm beschäftigen · er
fand stets Leute, die willig mitspielten. Die Stolbergs haben eifrig den „Messias" studiert, in einem fort Briefe geschrieben, ausgiebig „Messias"-Verse zitiert. Friedrich Leopold Stolberg beendet
seinen Trost- und Trauerbrief an Heinrich Wilhelm von Gerstenberg · der in seinem „Ugolino" selber den „Messias" zitiert · Stolberg beendet seinen Brief vom 25. Dezember 1779 mit einem „Messias"-
Zitat, das ich bei meinen ausgedehnten Streifzügen über herausragende Gräberfelder auf einem Grabmal, wohl von 1840, des Hoppenlau-Friedhofs in Stuttgart fand · wo übrigens Schubart, Hauff,
Dannecker, Wolfgang Menzel, Cotta, Haug und viele andere berühmte Schwaben ruhen. Stolberg an Gerstenberg aus der Messiade: „Schweig denn o Thräne die in Wehmut Trost weinet, / Mach ihr Herz nicht
weich! tröste nicht mehr! / Ist am Ziele denn nicht Vollendung? / Nicht im Thale des Todes WonneGesang?" Diese Verse sind dem 20. Gesang des epischen Großwerks entnommen · da löst die Handlung
sich oratoriumhaft in Lyrik auf.

Auch die anderen Anhänger denken an den „Messias", wenn es auf das Ende zugeht. Im Oktober 1778 glaubt Schubart, der auf die Gesundheit niemals Rücksicht nahm, dass er nicht mehr lange leben
wird. Er kratzt einen Abschiedsbrief an seine Frau mit einem Nagel ins Papier. Der hingekratzte Brief ist voller Wiedersehenshoffnung und zitiert einen Vers des 15. „Messias"-Gesangs, den ich
wiederum auf dem erwähnten schwäbischen Grabmal fand, in dessen unmittelbarer Nähe, nur ein paar Meter weiter, Schubart selber bestattet ist. „Beste, liebste, treueste, zärtlichste Gattin, du
fromme, arme Dulderin · Gott lohn' dir deine Liebe und deine Leiden! · ,O Wiedersehen! / O du der Liebenden Wiedersehen!` · Thränen und Herzschläge lassen mich nicht mehr schreiben." Schubart hat
den hingekratzten Abschiedsbrief dann um 13 Jahre überlebt.

Im ersten Band der biographischen Schrift „Klopstock. (In Fragmenten aus Briefen von Tellow an Elisa)", die aus der Feder von Klopstocks Freund Carl Friedrich Cramer geflossen ist, werden zwei Verse
des 15. Gesangs in einem Disput darüber, ob man zweimal lieben und heiraten darf, gegen Klopstock vorgebracht, allerdings ohne großen Erfolg. „Wiedersehen! O du der Liebenden Wiedersehen, / Wenn
bey dem Staube des Einen nun auch des anderen Staub ruht!" Klopstock findet in dieser Monogamismusdebatte den Ausweg, dass man mehrmals darf, weil ja jeweils die Grade der Liebe verschieden sind.
Wie dem nun auch sei, es rührt über die Jahrhunderte hin an, wie intensiv sich Klopstocks Anhänger damit beschäftigen, was der Meister wohl zu diesem oder jenem Problem sagen würde · sie waren
brennend an den Lehrmeinungen dieses Experten in Fragen der gehobenen Gefühlskultur interessiert.

Die zitierten Wiedersehensverse stammen übrigens wie die weiter oben herangezogenen Tränenverse aus der zweiten Hälfte des Werks, die für weit schwächer als die erste gilt. Klopstock darüber in einem
Brief vom Oktober 1767: „Es ist viel schwerer die Freude als den Schmerz auszudrücken." Der Mittler ist tot und es geschieht nichts. Die Zeit bis zum Opernfinale wird lang · aber gerade dieser
Teil des Epos, der sich mit der Erhöhung des Gottessohnes befaßt und seinen Visionen und Ausblicken, hat dem Publikum gefallen. Der „Messias" stellt Vorbilder fürs eigene irdische Leben bereit
und liefert Vergleiche, Bilder, Metaphern. Wer das Werk gründlich gelesen hat, der weiß, wie er mit dem Dichter reden muss. Christian Stolberg bittet in einem Brief vom 10. Dezember 1772: „Sagen
Sie mir daß Sie mich Ihrer Freundschaft würdigen, daß Sie mich lieben wie Eloa Benoni, und daß Sie versichert sind daß ich Sie nach aller meiner Fähigkeit liebe." Einer perfekten Hörerin begegnen
wir im ersten Band von Cramers „Klopstock". Ihr muss nur wenig erklärt werden. Alle Anspielungen versteht sie sofort. Friedrich von Matthisson weiß sogar von einem muselmanischen Klopstock-
Anhänger, der den „Messias" so geschwind liest wie den Koran. Klopstocks christliche Bewunderer vergleichen den Dichter des „Messias" mit dem Originalmessias, sie lesen an den wichtigsten
Tagen des Kirchenjahres im „Messias" und sie berichten dem Dichter davon. Die Ankunft des „Messias" ist für die Bewunderer ein Zusatztermin im Kirchenjahr. Ignaz Matt in Wien teilt dem
Dichter am 20. September 1781 mit: „Endlich einmal ist der Messias angelangt." Matt will die Exemplare, die er bekommen hat, für die Ausgabe an die Subskribenten vorbereiten. „Sobald ich da
fertig, werde ich seine Ankunft sogleich feyrlich, und zwar aus Mangel eines Sternes durch die Zeitung verkünden, und dann Hand ans Werk legen."Wenn der „Messias" eintrifft, ist das fast
so, wie wenn das historische Vorbild selbst käme, oder wiederkehrte.

Die Verehrer installieren individuelle Gedenktage. Sie merken sich, an welchem Tag sie den Dichter zuerst gesehen haben und erinnern ihn daran. So erwähnt Heinrich Christian Boie, der als Hainbündler
schon vereinshalber Bewunderer des Dichters ist, im Brief vom 18. Jänner 1776 den Tag, an dem er vor gut zwei Jahren den Dichter zum erstenmal gesehen hat, und Katharina schreibt ihrem Bruder
Christian Stolberg am 2. Juli 1782 eigentlich nur, um sich das Vergnügen zu machen, ihm an Klopstocks Geburtstag zu schreiben. Johann Heinrich Voß hat mit der „Elegie, an zwey Schwestern" sogar
ein Gedicht geschrieben und im Göttinger Musenalmanach für 1774 veröffentlicht · in dem Jahr also, in dem der Roman erschien, in dem die Lotte ihrem Werther beim Gewitter „Klopstock!" zuraunt · Voß
also hat ein Gedicht geschrieben, in dem er zur Steigerung des Ausdrucks darauf hinweist, dass das Opfer am 2. Juli, an Klopstocks irdischem Geburtstag, dahinging · und, sozusagen, für den Himmel
geboren wurde. Auch ein Trost.

Der Mittler Gottes

Immerhin beruhigt, dass auch einem Klopstock nicht alles gelang. Angelika Kauffmann hat keineswegs, wie erwünscht, den gesamten „Messias" illustriert · die Anweisungen des Meisters gingen
ihr vermutlich zu weit. Klopstocks Freund Ebert hatte keine Lust, ein Register zum „Messias" zu erstellen · aber dann sprang der treue Cramer ein und brachte das Register mit einer
beeindruckenden Geschwindigkeit zustande.

Dass das Epos vom Erlöser in einer würdigen Ausstattung auf den Markt gebracht wurde, wundert einen nicht. Den vier „Messias"-Bänden in der sechsbändigen Werkausgabe von Göschen (1798 bis 1800) sind
Stiche vorangestellt, die den Gang der Handlung illustrieren. Der erste Band beginnt mit einem Stich, der den Schöpfer zeigt, wie er in einer Wolke sitzt und seinem Sohn Instruktionen erteilt · aber
vielleicht ist der junge, von Geschichten erfüllte Mann, der andächtig seinem Herrn lauscht, ja auch der Messiadendichter selber.

Bestattet wurde er in Ottensen bei Altona. Die Grabschrift hat Friedrich Leopold Stolberg aus dem Werk seines Lehrers zusammengestellt. Die Inschrift für den Mittler zwischen dem Mittler Christus und
den Menschen beginnt:

„DEUTSCHE NAHET MIT EHRFURCHT UND MIT LIEBE /DER HÜLLE EURES GRÖSTEN DICHTERS/ NAHET IHR CHRISTEN MIT WEHMUTH UND MIT WONNE/ DER RUHESTÄTE DES HEILIGEN SÄNGERS,/ DESSEN GESANG, LEBEN UND TOD IESUM
CHRISTUM PRIESS/ER SANG DEN MENSCHEN MENSCHLICH DEN EWIGEN,/ DEN MITTLER GOTTES."

Zuerst hatte Gott uns die Propheten geschickt, dann sprach er durch seinen Sohn, den Mittler, zu uns. In der Periode der heiligen Poesie genügten diese Mitteilungen nicht mehr den sprachlichen
Anforderungen, deshalb musste Klopstock kommen, den Stoff neu bearbeiten, die deutsche Literatur auf eine neue Stufe heben, seraphisch.

Wer heute über die alten Friedhöfe streicht, findet ausgiebig Verse von Klopstock und seinen Schülern. Sie wirken fort, aber auf dem Friedhof. Dass die Messiade trostlos sei, wissen auch diejenigen,
die noch keine Zeile daraus gelesen haben. Die Grabsteine verwittern, die Inschriften auch. Erhalten bleibt einstweilen, was abgeschrieben wird. Sammeln und Ausdeuten, das ist wieder einmal das Ende
vom Lied, und dann verwittern wir auch.

Freitag, 06. August 1999 09:45:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 16:48:00

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