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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Der Nobelpreisträger Gabriel García Márquez ist zum Beruf seiner jungen Jahre zurückgekehrt

Márquez: Journalismus aus Leidenschaft

Von Werner Hörtner

„Schuld hatte Carol Reed, weil er den Film ,Der dritte Mann` nach Graham Greenes kriminalistischer Fantasie gedreht hatte" · mit diesen Worten erklärte Gabriel
García Márquez den Lesern der renommierten kolumbianischen Tageszeitung „El Espectador", warum er nun von der österreichischen Hauptstadt aus berichtet. Drei Reportagen schrieb der junge
Journalist anläßlich seines Wien-Besuches im September 1955: eine über die Zugreise von Triest nach Wien und zwei über seine Erlebnisse in der Stadt an der Donau. Eine der beiden überschrieb er
„Im Hotel des buckligen Zwerges", einer Obdachlosen-Absteige, in der er seine erste Wiener Nacht verbrachte.

Der Journalismus stand am Beginn der Laufbahn des Literaturnobelpreisträgers von 1982, und dorthin kehrt der heute 72jährige Autor nun wieder zurück. Er hat sich erneut in seiner Heimat
niedergelassen und in der Innenstadt des malerischen Cartagena de Indias an der Karibikküste ein Haus nach seinen Plänen umbauen lassen. Schon vor Jahren hat er die „Stiftung für einen neuen
Iberoamerikanischen Journalismus" ins Leben gerufen, deren Ziel die Aus- und Fortbildung journalistischer Fachkräfte ist. Teilweise leitet Gabo, wie ihn Freunde und Kollegen nennen, die Kurse selbst.

Die hervorragendste journalistische Gattung ist für García Márquez die Reportage. Als Reporter begann er Ende der 40er Jahre für die Zeitung „El Universal" zu schreiben, und mit seiner
Reportage über den von den kolumbianischen Marine-Admirälen zu verantwortenden Tod von 14 Schiffbrüchigen (später als Buchausgabe erschienen: „Bericht eines Schiffbrüchigen"), die 1955 in
„El Espectador" erschien, erregte er erstmals großes Aufsehen in seiner Heimat. Bis hinauf in die höchsten Kreise der Macht: Die Auflage stieg mit jeder Folge von García Márquez' Reportage,
woraufhin der damalige Diktator Rojas Pinilla die Zeitung einstellen ließ.

Die Nachricht vom · unabsichtlich mitverschuldeten · Ende seines Auftraggebers erreicht den Reporter in Paris. Es beginnt ein längerer Aufenthalt in Europa, in dem sich der Journalist mehr schlecht
als recht mit publizistischen Gelegenheitsarbeiten über Wasser hält · und bereits an seinen ersten Romanen zu schreiben beginnt. Bis ein Freund ihm eine Redaktionstätigkeit bei einer Zeitschrift in
Venezuela beschafft. Nach dem Triumph der Castro-Revolution in Kuba vor genau 40 Jahren kehrt Gabo nach Bogotá zurück und baut dort ein Büro der kubanischen Nachrichtenagentur Prensa Latina auf.
García Márquez war · wie so viele lateinamerikanische Intellektuelle und Künstler · von der siegreichen kubanischen Revolution fasziniert, empfand sie als Bestätigung des lateinamerikanischen
Selbstverständnisses, als Meilenstein auf der Suche nach der eigenen Identität, die ja sein gesamtes Werk durchzieht. Die Freundschaft mit Revolutionsführer Fidel Castro ist dem Kolumbianer heute
noch geblieben.

Beim letzten Kurs an seiner Journalisten-Akademie im vergangenen Dezember erinnerte sich Gabo an seine eigene Lehrzeit beim „Universal" und an das Schicksal seiner ersten Meldungen: „Direktor
Clemente Manuel Zabala las die Meldung, strich alles durch und schrieb sie zwischen den Zeilen neu. Bei meinem zweiten Artikel derselbe Vorgang. Ich verbrachte Tage damit herauszufinden, warum und
wie er die Änderungen anbrachte. Dann hat er mir weniger ausgebessert, bis er eines Tages nichts mehr durchstrich. Ab diesem Augenblick war ich offenbar Journalist."

In der Zeitung selbst ist für den Journalisten García Márquez, der als Schriftsteller zu Weltruhm kam, die Arbeit des Redakteurs am wichtigsten. Seine Arbeit ist „das Gesicht der Zeitung. Die
Tätigkeit der Redakteure ist sogar wichtiger als die des Direktors. Sie sind es, die der Zeitung Qualität verschaffen." Doch García Márquez kümmert sich mit seiner Stiftung nicht nur um die
Ausbildung spanischsprachiger Journalisten und Journalistinnen, er will nun auch direkt in die Medienlandschaft seines Landes eingreifen. Im vergangenen Dezember kaufte er die Wochenzeitschrift
„Cambio" · neben „Semana" das bekannteste politische Magazin Kolumbiens · von der bisherigen Eigentümerin, der Journalistin Patricia Lara. Genauer gesagt, der Autor selbst erwarb
50 Prozent der Anteile, die andere Hälfte teilt sich eine aus den namhaftesten VertreterInnen des kolumbianischen Journalismus bestehende Personengruppe: María Elvira Samper, Mauricio Vargas, Pilar
Calderón, Roberto Pombo und Ricardo Avila. Den meisten von ihnen ist gemeinsam, daß sie genauso wie García Márquez in der Tageszeitung „El Heraldo" aus Barranquilla journalistische Erfahrung
schöpften und in der Regierungszeit von Präsident César Gaviria (1990 bis 1994) höhere politische Ämter einnahmen.

Anfang dieses Jahres erschien die erste Nummer, für die der Nobelpreisträger als Haupteigentümer verantwortlich zeichnet. Sie war vor allem den soeben angelaufenen Friedensverhandlungen zwischen der
Regierung und den FARC, der größten und ältesten Guerilla-Organisation Kolumbiens gewidmet, und zeichnet sich durch eine betont objektive, über den Konfliktparteien stehende Berichterstattung aus.
Ein Sonderfall in Kolumbien, wo die Medien stark mit politischen Parteien oder ökonomischen Interessensgruppen verbunden sind.

Der Journalismus ist ja dem in Lateinamerika stark vertretenen Genre der Testimonio-Literatur aufs engste verwandt. So ist Márquez' letzter Roman „Nachricht von einer Entführung" eigentlich
eine Reportage über eine spektakuläre Entführung durch das Drogenkartell von Medellín. Die Realität seiner Heimat Kolumbien, die dem Phantastischen genügend Nährstoff bietet, ist auch die Grundlage
des neuesten journalistischen Projekts des Nobelpreisträgers: García Márquez war persönlich anwesend, als am 7. Jänner in dem kleinen Ort San Vicente de Caguán, 700 km südlich von Bogotá, die
Friedensverhandlungen zwischen Regierung und den FARC begannen. Er kündigte an, diesen Friedensprozeß, der Kolumbien möglicherweise in eine neue Ära der gesellschaftlichen Strukturierung des Landes
führt, journalistisch begleiten zu wollen. So daß wir in absehbarer Zeit mit der „Chronik eines angekündigten Friedens" rechnen können.

Freitag, 07. Mai 1999 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 16:50:00

Lexikon



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