Wiener Zeitung Neu in der Linkmap:
 
  Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Das Unternehmen Benutzer-Hilfe
 Politik  Europa  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  Meinung  English  MyAbo 
 Lexikon Interview  Glossen  Bücher  Musik  Debatten 
Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Der französische Schriftsteller Philippe Djian wird 50 ·

und mit ihm seine Figuren

Djian, Philippe: Schweigen wie ein Gehäuse aus Blei

Von Verena Mayer

„D as gab mir zu denken, aber nicht sehr lange, denn ich schiffte mich unverzüglich wieder nach Babylon ein." Es ist ein Zitat des amerikanischen Autors
Richard Brautigan, das den später verfilmten Roman „Betty Blue · 37,2 Grad am Morgen" einleitet. Das war Mitte der Achtziger, und spätestens ab diesem Zeitpunkt galt Philippe Djian als Amerikaner des
französischen Romans, den man am liebsten an die Seite von Jack Kerouac und Henry Miller postierte. Da war ein Außenseiter gefunden, der sich zum Argot ebenso bekannte wie er systematisch in den
grammatikalischen Verkürzungen der Umgangssprache schrieb. Einer, der aus dem verschnörkelten französischen Erzählstil ausbrach und seine Romane aus Flechtwerk von Alltagssituationen, Beiläufigkeiten
und kunstvollen Floskeln zusammensetzte: „Ja, auf dieser Welt braucht man nicht den Schlaumeier rauszukehren, da mußte man versuchen, seinen Teppich zu befestigen, und konnte nicht immer alles
darunter kehren" („Blau wie die Hölle", 1982).

Texte ohne Gramm Fett

Die Biographie des Autors paßte da irgendwie ins Bild, das die Kritik mit Wendungen wie „Alltagsprosa" oder „atemberaubendes Erzähltempo" einzufangen versuchte. Sein Literaturstudium hat Philippe
Djian, der · am 5. März 1949 in Paris geboren · als Sohn eines Handwerkers armenischer Herkunft aufwuchs, nach dem ersten Jahr abgebrochen, die Schule für Journalistik in Rennes ebenso. „Das Ganze
ödete mich an", meinte er in einem seiner seltenen Interviews. Stattdessen verdingte er sich als Hafenarbeiter, flog nach New York, wo er in der Librairie Francaise im Rockefeller Center jobbte.
Irgendwann landete er in Kolumbien und arbeitete an einer politischen Reportage, für die sich in Frankreich kein Mensch interessierte. Nachdem er noch beim Skandalblatt „Detective" Artikel
anderer redigiert hatte, war auch mit dem Journalismus Schluß, obwohl er, wie er selbst zugibt, dabei die Effizienz gelernt habe, einem „Text jedes Gramm Fett zu entziehen".

Angefangen zu schreiben hat er in der Einsamkeit eines Bürokobels an einer Autobahn-Zahlstelle, wo er Ende der siebziger Jahre die Maut einhob. 1981 wurde sein erstes Buch „50 contre un", das gerade
erst ins Deutsche übersetzt wird, vom renommierten Pariser Verlagshaus Gallimard mit der Begründung abgelehnt, Djian befinde sich „außerhalb der Literatur". Also alles Referenzen, die eines Charles
Bukowski, John Fante oder eben Richard Brautigan würdig sind und Djian bei einem jungen Publikum schnell zum Kultschreiber avancieren ließen. Man entdeckte Amerikanismen, Western-Atmosphäre, Sea-,
Sex- and Sun-Ästhetik und erfreute sich an einem Lebensgefühl, wie in „Betty Blue" stammbuchtauglich beschrieben: „Was den Charme dieser Generation ausmachte, das war die Erfahrung der Einsamkeit
und der absoluten Nutzlosigkeit der Dinge. Ein Glück, daß das Leben schön war. Ich legte mich aufs Bett, das Schweigen war wie ein Gehäuse aus Blei."

Nun wird Philippe Djian 50, seine Bibliographie umfaßt zehn Romane, zwei Novellen und zwei Erzählbände; die Höhe der Auflagen seiner Bücher sind sechsstellig, und sie wurden, keine Frage, längst in
das Programm von Gallimard aufgenommen. Im Grunde war Djian niemals der rüpelhafte Haudegen, für den man ihn gerne gehalten hätte, auch wenn er bisher noch immer keinen einzigen Literaturpreis für
sein Werk erhalten hat. Seit mehr als 20 Jahren lebt Djian mit seiner Frau Année zusammen, er hat drei erwachsene Kinder, sich liebvoll dem Bau eines Eigenheims hingegeben und wohnt derzeit im noblen
Schweizer Lausanne.

Würgeengel des Semikolons

Auch wenn er am Foto seiner Buchumschläge extra unrasiert und mit gerunzelten Brauen seinen Blick über den Horizont schweifen läßt, ist er kein jointrauchender Macho, zieht dem Gedröhne
leistungsstarker Motorräder die eine oder andere Oper vor und bekennt sich frank und frei zur Knochenarbeit: „Ich glaube nicht an das Feuer des Schriftstellers, der in einer Nacht 30 Seiten wie im
Flug verfaßt. Ich glaube an die Härte der Arbeit." Und auch was seine Sprache betrifft, ist Djian nicht der „junge Wilde", der wie er redet hinrotzt, was ihm gerade in den Sinn kommt: Djians Prosa
zeichnet sich in jeder Zeile durch komplette Stilsicherheit aus. Die vermeintliche Alltagsprosa, die so locker daherkommt, ist eine bis ins letzte Detail ausgefeilte Kunstsprache, bei der jedes Wort
perfekt sitzt. Und das nicht nur, weil Djian den altertümlichen „Subjonctif de l'imparfait" in die „Umgangssprache" einfließen läßt, als wären seine Romanfiguren · die Installateure, Huren,
Lastwagenfahrer und kiffenden Motorradfreaks · mit dem Bildungsideal der Académie francaise aufgewachsen.

„Ah, Sie sind Schauspieler? meint er. Ja, erkennen Sie mich nicht? Ich bin der Würgeengel des Semikolons" („Erogene Zone", 1984). Es geht auch nicht selten ins Poetische: „In der Küche
spritzten die Schnitten aus dem Toaster, und die Kaffeemaschine rülpste beharrlich in ihrer Ecke, er hatte die Tasse mit Messer Gabel Untertasse auf den Tisch gestellt, (. . . ) er setzte sich davor,
mit dem Arsch auf den Stuhl, die Brote waren verbrannt, der Kaffee bitter, verdammt . . ." („Blau wie die Hölle").

„Das Leben kann eine griechische Tragödie sein, ohne, daß etwas Außerordentliches passiert", meint Djian in einem jener Interviews, die er nur gibt, wenn der Verkauf eines Buches angekurbelt
werden muß. Ansonsten kommentiert er seine Arbeit nicht und hält sich peinlich vom elitären Pariser Literaturbetrieb und den Medien fern. Sein Werk widersetzt sich aber auch jeder Zusammenfassung. Es
ist die Banalität des angesprochen „Lebens", die Djian nachzeichnet, auch wenn das Leben von Roman zu Roman in unterschiedliche inhaltliche Rahmen eingebettet ist. Etwa in ein Roadmovie („Blau wie
die Hölle"), eine „amour four" („Betty Blue"), eine spanische Familiensaga („Matador") oder einen Zwischenfall in einer Chemiefabrik („Mörder").

Die einzige auffällige Gemeinsamkeit, mit der man möglicherweise einen Bogen über das Ouevre des 50jährigen spannen könnte, sind die Schriftsteller, die sich in Haupt- oder Nebenrollen in fast jedem
Roman wiederfinden. Sie sind allesamt mäßig erfolgreich, weshalb Djian sie Arbeiten wie Spülkastenreparaturen oder Teppichrollen-Schleppen als Nebenjobs verrichten läßt. Ebensowenig haben sie ihre
Frauengeschichten unter Kontrolle: „Und sie plapperte mit ruhiger Stimme weiter, während sie wie selbstverständlich den Rock herunterzog und ( . . .) eine Ecke unter den Wasserhahn hielt, ,ach nur
das bißchen Erde, das geht geht wieder raus . . .' · und sich nicht weiter um mich scherte, als wäre ich ein alter Freund, mit dem man ein Zimmer teilt. Ich machte sie darauf aufmerksam, daß ihre
Sandalen voller Staub waren. ,Ja natürlich', antworte sie. Sie ergriff ein Papiertaschentuch und beugte sich nach vorn. Ich habe den Anblick eingehend gewürdigt. Dann trat ich auf sie zu. Ich habe
einen Finger in das Gummi ihres Höschens gesteckt, und sie stützte sich aufs Bidet und spreizte die Beine." („Pas de deux", 1994)

Banales, pures Leben

Nach solchen Zwischenspielen werden die Protagonisten meist von ihren Ehefrauen oder Freundinnen verlassen, und während sie versuchen, sie wiederzubekommen, stolpern sie schlafwandlerisch von
einer Peinlichkeit in die nächste. Was nun die djianschen Figuren so liebenswert macht, ist, daß sie nicht aufgehört haben zu altern, sondern gemeinsam mit dem Autor 50 geworden sind. Waren in den
ersten Romanen noch schäbige Motels und heruntergekommene Vorstadtkneipen die zentralen Handlungsorte und wurde am Strand wild gecampt und gebumst, lebt man nun in Einfamilienhäusern am Stadtrand und
wälzt die Probleme der Mittvierziger. Die Lässigkeit der einstigen Helden ist nüchternen Alltagsepisoden gewichen. Die „Assasins"-Trilogie, von der bis jetzt nur „Mörder" (1996) und „Kriminelle"
(1998) auf Deutsch vorliegen, ist ein Sukkus des banalen, puren Lebens.

Mit 50 bricht man nicht mehr aus dem Alltag einer kleinen Hafenstadt aus, schon gar nicht, wenn man dem Mittelstand angehört, eine Werkstatt besitzt oder Unterwäsche-Verkäuferin ist. Die Midlife-
crisis gleitet an einem träge vorbei, man sorgt sich um seine sterbenden Eltern und seine pubertierenden Söhne, lagert die Beine hoch und verwendet Krampfadernsalbe. Man hat seine Ideale verraten und
sich ein feines Netz an Lebenslügen gesponnen. Selbst die Schriftsteller sind zu Randfiguren geworden. Nie war Djian dem, was er das „Leben" nennt, näher, es geht nicht mehr um Sonne, Sex und Strand
oder blutig-burleske Liebesgeschichten in abgewohnten Hotels, sondern um Kurzsichtigkeit, Haarausfall und Familienausflüge.

Selbst das Badezimmer, bisher in jedem Djian-Buch Ort wilder sexueller Aktivität, ist bei den unspektakulären „Kriminellen" der neunziger Jahre nicht mehr das, was es einmal war: „Sie setzt sich
an den Rand der Badewanne und schminkt sich weiter ab, während ich mir kaltes Wasser ins Gesicht spritze. Dann tauschen wir die Plätze, und ich klettere in die Badewanne, um mir die Füße zu waschen.
Sie beginnt sich ihr Gesicht einzucremen."

Letzte Veröffentlichung:

Philippe Djian: Kriminelle. Aus dem Französischen von Ulrich Hartmann. Diogenes, Zürich 1998, 244 Seiten.

Freitag, 05. März 1999 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 16:51:00

Lexikon



Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum · AGB