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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Ein Porträt

Fels, Ludwig: Realismus, Sinnlichkeit, Gewalt

Von Sigrun Höllrigl

Ludwig Fels ist ein schonungslos ehrlicher Schriftsteller. Wenn er erzählt, will er empfinden, was er erzählt, wenn er schreibt, muß er berührt sein. Spürbar beschreibt er menschliche
Realität. Das allein ist ein Kunststück, eine fast unschlagbare Mischung, der Schlüssel zum großen Erfolg, wäre da nicht jener harte Realismus, der ihn von Anfang seiner schriftstellerischen Laufbahn
an auszeichnete. Ludwig Fels nennt seinen Lebens- und Schreibensgrundsatz Wahrhaftigkeit. Hinter diesem großen Wort steht seine seelische Empathie. Sie ist sein Weg, von sich zu gesellschaftlich
tragenden Berührungen zu gelangen. Wahrhaftigkeit bedeute, sich als Schriftsteller beim Schreiben in Bereiche vorzuwagen; dort, wo es weh tue, durchzustoßen, hart zu bleiben, eine doppelte
Selbstqual, einerseits im Ringen um die beste Formulierung, die beste Metapher, anderseits der Kampf gegen die eigene Empfindsamkeit.

Der Weg zum Schriftsteller

In armen Verhältnissen aufgewachsen, vom Stiefvater geprügelt, absolvierte der Schriftsteller eine Malerlehre und arbeitete später als Hilfsarbeiter. 1973 trat er mit dem Gedichtband "Anläufe"
erstmals an die Öffentlichkeit. Es folgten Romane wie "Die Sünden der Armut" (1975), "Ein Unding der Liebe" (1981) und "Der Himmel war eine große Gegenwart" (1990). Zuletzt
erschienen in Annäherung an die amerikanischen Literatur "Bleeding Heart" (1994) und 1997 "Mister Joe". Dazwischen schrieb er zahlreiche Lyrik- und Erzählbände, Hörspiele und
Theaterstücke, die an großen Bühnen uraufgeführt wurden.

Die triste Jugend und sein wütendes soziales Engagement trugen ihm den Ruf des Arbeiterdichters ein, ein Ruf, der dem Schriftsteller nicht gerecht wurde. Die Frage, wie er zur Literatur gestoßen sei,
steht im Raum. "Ich habe das so oft erzählt, daß es so klingt, als würde ich eine Anekdote erzählen. Ich hasse Anekdoten. Sie sind banal und verlogen." Wie oft im Leben fügen sich Lebensbedingungen,
kleine Zufälle und die großen Gefühle zusammen. In Jugendzeiten war Ludwig Fels mit Schmökern aus der Leihbibliothek unterwegs im Wilden Westen, mit Old Shatterhand, Lederstrumpf, harten Männern wie
Tarzan und mit halbnackten Frauen, wie viele damals in seinem Alter. Nur hat der in der Nähe von Nürnberg geborene und seit 1983 in Wien lebende Schriftsteller damals exzessiver, genauer und mehr
durcheinander gelesen. Erste Begegnungen mit fremden Ländern und Kulturen geschahen durchs Lesen, Zeiten der Energie und Fantasie. Möglichkeiten zu reisen gab es für ihn damals keine. Als Lehrling
klaute er sich Travens "Totenschiff" und kam so erstmals mit Literatur in Berührung. Faszination entsteht und die großen Gefühle. In ihm sei die Bereitschaft, an Worte zu glauben und an deren
Wahrheit.

Diese Bereitschaft ist kein Dauerzustand bei Ludwig Fels. Oft, vielleicht zu oft, zweifelt er an der Sinnhaftigkeit des Schreibens, und dieser Zweifel zieht sich von den ersten Gedichten bis heute.
Er hadert gut und oft, träumt den Traum vom großen Geld, von einem Leben am Swimmingpool einer Hazienda in Mexiko. Nach 20 Jahren in diesem "Scheißjob" habe er das Recht dazu. Er sei nicht dauernd
durchdrungen von großer Erlauchtheit, nur weil er Literatur produziere. "Nur weil ich Schriftsteller bin, alle Werte hochzuhalten, wirklich alle? Mach ich auch. Inzwischen tun mir die Arme weh vor
lauter Hochhalten." Manchmal wolle er über sich selbst lachen, auf sentimentale, lustige oder zynische Art. Warum er letztlich Schriftsteller geworden sei, habe er selbst nie ergründen können. Die
Wahrheit, weiß er, bleibt unvollständig, und doch versucht er zu glauben, höflich, daß es sich erneut lohnen könnte, sich mit dieser Frage zu konfrontieren.

Ludwig Fels' Einschätzung über seinen Weg zum Schriftsteller bleibt nüchtern und sachlich: "Ich hatte keine andere Chance. Wo ich herkam, wie ich aufgewachsen bin, hatte ich keine Möglichkeit, mir
eine Form von Legalität zu erwerben. Ich war schwer gefährdet und dachte: Das einzige, was ich kann, ist lesen, denken und es ausdrücken. Und schreiben."

Die Radikalität des Lebens

Die ersten Anfänge waren bescheiden, ohne Ansprüche, Geld zu verdienen. Als junger Schriftsteller und Autodidakt hatte Ludwig Fels keine Ahnung von den Gesetzen des Literaturgeschehens, und selbst
jetzt, wo er sie kennt, blickt er kompromißlos auf die Realität. Inzwischen weiß er seine Position gut zu verteidigen. Seinen Schriftstellerkollegen empfiehlt er, mit ihren neuen Büchern in den Knast
zu gehen. Das sei eine Herausforderung an die Literatur. Er selbst habe sich diesem Härtetest immer nur unter Schweißausbrüchen stellen können. Absolut im Zentrum der Wahrheit, der Ohnmacht, des
Lebens zu sein, in seiner Reduktion, ohne Firlefanz, war jedesmal ein gutes Erlebnis: "Man ist vernichtet, wenn man dort etwas schwafelt." Turrini, Handke oder die Jelinek sollten einmal versuchen,
diesen Typen im Knast zu erzählen über Literatur, über das Leben oder was überhaupt Sache sei. Der Autor wird nicht geschont. Und wenn man dann etwas rübergebracht habe, dann sei das ein völlig
unverfälschtes Gefühl. Starke Worte, die in keinster Weise zurückgenommen sein wollen.

Ludwig Fels will die Radikalität des Lebens sichtbar machen. Er haßt den Narzißmus einer rein spielenden Literatur. Kein Wunder, meint er, daß die Jungen die Schnauze voll haben von dieser Art von
Literatur. Es seien andere Zeiten da mit neuen Chiffren und ganz anderen Bildern.

Zum Romane schreiben, sagt Ludwig Fels, dazu braucht man drei Dinge. Eine wahnsinnig gute Partnerschaft, Geld und das Gefühl, diese Zeit nehme ich mir, um diesen Roman zu schreiben. Meistens fehle
eines dieser drei Dinge, und das mache es schon schwierig, das Romanschreiben. Natürlich ist er da, der Traum von den sogenannten optimalen Bedingungen. Ein bis zwei Jahre konsequenter Arbeit
bedeuten täglich verzichten, das Leben zu genießen. Der letzte Roman von Ludwig Fels,"Mister Joe", erschien vor Monaten, und für den neuen ist das Feuer noch nicht da. Die große Eitelkeit, was
das Schreiben anlangt, sei vorüber. Daß er Romane schreiben könne, habe er einige Male bewiesen.

"Mister Joe" hat ihn einmal mehr Kraft gekostet, mehr als gedacht, und sich diese ewig gleichen Gedanken über die Sinnhaftigkeit von Literatur und ihrer Verkäuflichkeit aus dem Kopf zu treiben,
verlange, in einem ungeheuren Prozeß zu verdrängen. Zwei Projekte geistern ihm jetzt durch den Kopf. Einen Wildwestroman zu schreiben ist der eine Wunsch, der zweite eine Novelle über ein Affenbaby.
Mehr will Ludwig Fels noch nicht verraten. Sich hinsetzen und schreiben, das kann er noch nicht. Schwierige Zeiten. Kein Wunder, wenn der Schriftsteller meint: "Wenn jetzt im Moment jemand kommen
würde: Hör mal zu Baby. Ich hab da einen tollen Job für dich. Du kannst gutes Geld verdienen und es würde nicht so weh tun wie Romane schreiben. Denke ich mir, okay, ich fang dort an." Unverblümt,
rücksichtslos spricht Ludwig Fels über die Schattenseiten, als freier Schriftsteller zu existieren und von der Langweile im deutschsprachigen Literaturbetrieb.

Es gelte Abschied nehmen von einem altmodischen und altbackenen Kulturbetrieb, von Blähungsgeschichten irgendwelcher Studienräte und von starren Vermittlungsformen. "Eine Lesung ist langweilig, auf
deutsch gesagt. Da sitzt man da, jemand blättert in einem Buch und liest irgend etwas vor. Sonst passiert nichts. Alle riechen nach Tee. Das ist zuwenig. Die Leute wollen eine Erlebniswelt, eine
Performance haben." Ludwig Fels' spontane Fantasien blühen kräftig: Musik, Schlangenbeschwörungen oder Striptease sind seine Antwort.

Gestützt auf die Entwicklungen in der amerikanischen Literatur um Autoren wie James Ellroy ist schwarzer Realismus und Sinnlichkeit seine Medizin. In einem Interview bekannte er einmal: "Ich kann nur
noch mit gewalttätigen Vorstellungen Widerstand leisten." Schon im vorletzten Roman "Bleeding Heart" ist dieser Bezug deutlich zu spüren. In Tanger ergibt sich der Romanheld in alkoholreichen
Hotelnächten seinen obszönen Sexualfantasien um die verlorene Geliebte. Der Roman endet mit der Vergewaltigung einer jungen Journalistin. Männliche Lust und Verzweiflung und die Sehnsucht nach Liebe,
diese beiden Motive schlingt Ludwig Fels in der für ihn so typischen, manchmal überbordenden Bildsprache ineinander: Er treibt die Sprache in expressiver Passion voran.

In seinem jüngsten Roman "Mister Joe" (Luchterhand-Verlag) schildert er die anonym bleibende amerikanische Großstadt mit den Worten: "Hoch oben hingen Streifen Nebel in der Luft, in dem die
Sonne zappelte wie in einem Spinnennetz. Ihr Licht, das keinen Geruch, kein Gewicht hatte, fokussierte den Strahl und das Glas der Fassaden. Die City wuchtete Beton und Granit gegen die fließenden
Wolken, und die Straßen dazwischen verbreiterten sich zu Tälern."

"Ich mag Kitsch"

Eingeleitet wird der Roman mit dem grausamen Tod der elfjährigen Rosario in Manila. Das Mädchen stirbt an inneren Blutungen, welche ihr ein Arzt, ihr Peiniger, mit dem Vibrator zufügt. Dieser Tod
ist menschenunwürdig und wird von Ludwig Fels in dieser Härte bis ins Detail körperlich beschrieben. Oft will man die Augen verschließen. Die Geschichte des philippinischen Mädchens ist wahr. Um die
Tatsachen hat Ludwig Fels eine rasante, fiktive Handlung gesponnen und läßt sie in einem leichengepflasterten Finale kulminieren.

Filmische Sequenzen und Schnitte, Gerüche, lyrische Traumpassagen und fließende Dialoge kennzeichnen den sinnlich bis opulenten Sprachstil von "Mister Joe". Wie schon in "Bleeding Heart"
ruft die Sprache zu inneren Bildern: "Ich mag Kitsch. Wenn es weh tut, finde ich das hervorragend. Das einzige, was ich möchte, ist angesprochen und ergriffen zu sein. Ob das ein guter Rocksong ist,
Springsteen oder Bon Jovi, von mir aus, das ist ganz egal. Wenn es Kitsch ist und mich Kitsch berührt, dann bin ich eben auch berührt."

Das Felssche Panorama zeigt Blut, Gewalt, Sex, Sperma und Kot, eine Gewalt jenseits der Filmsprache in Kino und Fernsehen. Wie er es schafft, das Thema Sextourismus am Voyeurismus von Talk-Shows und
Zeitgeist-Stories vorbeizumanövrieren, ist bewundernswert und macht "Mister Joe" zu Literatur. Am Ende des Buches sind wir Leser erschossen. Und dann geschieht vielleicht etwas Merkwürdiges.
Man beginnt, das Buch plötzlich neu zu erfahren. Hinter Gewalt und Härte gewinnen die empfindsamen Passagen größere Kraft. Wenn durchscheint, was Ludwig Fels erzählt: Er schreibe in einer Härte, die
ihm als Mensch nicht nahestehe. "Gewalt erschüttert mich als Mensch, als Person bis ins Innerste, wenn ich begreife, was geschieht. Ich habe auch keinen Schutz vor ihr. Es gibt einfach zuviel Gewalt.
Es gibt viel mehr Gewalt als das Gegenteil Liebe oder Freundschaft."

Halb Krimi, halb Literatur, nähert Ludwig Fels mit "Mister Joe" erzählerisch der Unterhaltungsliteratur. Sein Image als Arbeiterdichter will er mit diesem Roman endgültig hinter sich lassen.
Trotz aller Erfolge ist er als Schriftsteller und Mensch in seiner Aufrichtigkeit der Outlaw geblieben, der das Risiko liebt. In seinen Hoffnungen vertraut er auf die Wende, darauf, daß die Literatur
die Gesetze der jungen Generation aufnimmt: "Es sind andere Zeiten angebrochen. Ich kann Ihnen noch keine Namen nennen. Ich spür's. Das einzige, was ich gerne hätte, daß diese Zeiten wirksam würden."
Dann will der heute 51jährige Ludwig Fels wieder ganz vorne dabei sein.

Freitag, 19. Juni 1998 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 16:55:00

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