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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Am 5. Juni 1998 jährt sich der Geburtstag des populären spanischen Dichters zum 100. Male

Lorca, Garcia: Zum 100. Geburtstag

Von Werr Hörtner

"Weil er ein Schwuler war, habe ich zwei Kugeln in seinen Arsch gefeuert" · mit diesen Worten brüstete sich Juan Lusi Trescastro am 19. August des Jahres 1936 in einer Gaststätte von
Granada, am Morgen desselben Tages bei der Hinrichtung von Spaniens berühmtestem und populärstem Dichter, Federico García Lorca, beteiligt gewesen zu sein. Er konnte diese Tatsache stolz und
unbehelligt von sich geben, da die Faschisten Granada bereits vor einem Monat erobert und dort ein Schreckensregime errichtet hatten. Am 17. Juli 1936 war im damaligen Spanisch-Marokko die
antirepublikanische Revolte unter General Franco ausgebrochen, drei Tage später hatten die Putschisten bereits Granada unter ihrer Kontrolle. Eines der ersten Opfer war der sozialistische
Bürgermeister von Granada und Ehemann von Federicos Schwester Concha, Manuel Fernández Montesinos, der noch am selben 20. Juli festgenommen und etwas später erschossen wurde. García Lorca war damals
38 Jahre alt und der gefeiertste Dichter des spanischen Sprachraums.

Doch nicht der gewaltsame Tod des großen Dichters steht im Mittelpunkt der zahlreichen Gedenkveranstaltungen, die sich durch das ganze Jahr 1998 hindurchziehen, sondern seine Geburt und sein Werk.
Federico García Lorca wurde am 5. Juni 1898 in dem Dorf Fuente Vaqueros, 18 km außerhalb von Granada gelegen, geboren. Eine Kleinstadt wie Hunderte andere in Spanien, die jedoch durch ihren berühmten
Sohn in den Rang eines berühmten Ortes erhoben wurde. Hier eröffnete heuer am 16. Jänner das spanische Königspaar Juan Carlos und Sofia offiziell das "Lorca-Jahr", das geprägt ist von einer Unmenge
von Ausstellungen, Lesungen, Aufführungen seiner Theaterstücke, Gedenkveranstaltungen, Neuausgaben seiner Werke usw.

Am oberen Ende des langgestreckten Hauptplatzes des Dorfes, an dem die Einwohner an den Wochenendabenden unermüdlich ihren Rundgang absolvieren, weist die überlebensgroße Lorca-Skulptur des
granadinischen Bildhauers Cayetano Aníbal auf den berühmten Sohn des Ortes hin. Und nur 50 m davon entfernt, in der einstigen Calle Trinidad Nr. 4, heute Calle Poeta Federico García Lorca genannt,
das einstöckige Wohnhaus der Familie, das 1986 als Gedenkstätte und Museum für den großen Dichter die Pforten für die Öffentlichkeit öffnete.

Der kleine Federico wuchs in einer behüteten, kultivierten großfamiliären Umgebung auf. Der Vater, Federico García Rodríguez, war ein wohlhabender Grundbesitzer, die Mutter Lehrerin im Dorf.
Die acht Geschwister des Vaters waren alle verheiratet und hatten Kinder, so daß Federico mit etwa

40 Cousinen und Cousins aufwuchs. Dazu kamen noch sein jüngerer Bruder Francisco und die Schwestern Isabel und Concha. Federico blieb seinen Eltern Zeit seines Lebens in tiefer Dankbarkeit und
Wertschätzung verbunden, was u. a. in zahlreichen Briefen seinen Ausdruck fand.

Lorcas Geburtshaus wurde mit viel Liebe wieder in den Originalzustand versetzt, auch die ursprünglichen Möbel konnten wieder ausfindig gemacht und hierher gebracht werden. Im Erdgeschoß steht das
Klavier, auf dem der junge Künstler seine ersten Musikstudien absolvierte und später dann viele seiner Kompositionen einstudierte. Das Ehebett, in dem Federico auf die Welt kam, ist ebenso noch
vorhanden wie sein Kinderbett. Im oberen Stockwerk des Hauses, dem früheren Kornspeicher, befindet sich heute ein Ausstellungsraum, in dem Briefe von García Lorca, Kleider, Zeichnungen des vielseitig
begabten Dichters, Fotos und Erstausgaben seiner Werke zu sehen sind.

Im Hof des Gebäudes zahlreiche Pflanzen, ein Mispel- und ein Orangenbaum, ein Ziehbrunnen. Ein wunderschöner Maimorgen. Aus einem versteckten Lautsprecher dringt verhalten Musik: jene Volkslieder,
die García Lorca gesammelt und neu arrangiert hat und die heute bereits als Lorca-Lieder gelten. Eines von ihnen, "Los cuatro muleros", die vier Maultiertreiber, wurde · mit einem anderen Text
unterlegt · im spanischen Bürgerkrieg zur Hymne der deutschsprachigen internationalen Brigadisten. Juan de Loxa, Dichter aus Granada und seit der Eröffnung dieses Museums auch Direktor der
Einrichtung, erzählt mir im Hof des Geburtshauses mit Begeisterung vom unsichtbaren Herrn der Gedenkstätte. "In diesem Haus, wo Federico geboren wurde · und schließlich hat der Geburtsort einer
Person eine gewisse Bedeutung · glauben wir jeden Tag noch mehr an ihn. Das Haus wurde am 29. Juli 1986 als Gedenkstätte eröffnet, also 50 Jahre nach dem Tod des Poeten. Und wenn ein Freund von ihm
kommt · denn es leben immer noch welche · und etwas mitbringt, eine Zeichnung oder einen Brief, den ihm Federico geschrieben hat, so muß sich diese Person hier fühlen, als wäre sie noch mit Lorca
zusammen. Und wenn ein Besucher kommt, sei es aus Japan, aus den Vereinigten Staaten, aus Österreich oder wo auch immer, so soll er sich hier wohl fühlen."

Auf die Frage, wie denn dieser unbändige Haß der Faschisten auf Lorca, der sich nie parteipolitisch engagiert hatte, zu erklären ist, führt De Loxa aus: "Lorca war ein Beispiel dessen, was die
Faschisten nicht erlauben konnten: das Brillante, das Geistreiche. Auch die persönliche Mißgunst der Einheimischen spielte eine starke Rolle." Und die Nichte des Dichters, Laura García Lorca ·
Tochter von Federicos Bruder Francisco · , die heute die Lorca-Gedenkstätte Huerta de San Vicente in Granada leitet, erklärt sich diese unbändige Wut folgendermaßen: "Vielleicht störten die
Faschisten sein Talent, seine Aufgeschlossenheit, sein freier Geist."

Fuente Vaqueros liegt inmitten der Vega, einer agrarisch intensiv genutzten Ebene westlich von Granada. Die beiden Flüsse Genil und Cubillas haben fruchtbares Schwemmland angehäuft, das in der
langen Zeit der arabischen Herrschaft von einem ausgeklügelten System von Bewässerungsgräben durchzogen wurde. Heute wird in der Vega vor allem Obst und Gemüse angebaut, und ausgedehnte Pappelwälder
durchziehen die Ebene. Das Holz der schlanken Bäume eignet sich gut zum Herstellen von Kisten.

Sein Geburtsort und die umgebende Landschaft haben den späteren Dichter zutiefst geprägt. In Fuente Vaqueros verbrachte Federico eine glückliche Kindheit, ein unerschütterliches Fundament, auf dem er
später sein Werk aufbaute. Viele Textstellen seiner Gedichte beziehen sich auf die Landschaft und die Eindrücke der Vega, und zahlreiche Personen seiner Theaterstücke haben ihre Vorbilder in Menschen
aus Fuente Vaqueros oder Umgebung. Im Nachbardorf Valderrubio etwa, wohin die Familie Lorca 1907 übersiedelte, stand das Haus von Frasquita Alba, die später zumindest teilweise zur Vorlage für Lorcas
berühmtes Theaterstück von"Bernarda Albas Haus" wurde · worin er mit analytischer Klarheit die despotische Witwe als Prototypen faschistischer Mentalität gezeichnet hatte. Bei einem Interview
mit einem Journalisten 1933 in Buenos Aires erinnerte sich der damals bereits gefeierte und berühmte Dichter an seinen Geburtsort: "Meine ganze Kindheit spielte sich im Dorf ab. Hirten, Felder,
Himmel, Einsamkeit. Also Einfachheit. Ich wundere mich sehr, wenn man glaubt, daß das, was in meinen

Stücken enthalten ist, von mir erfundene Gewagtheiten sind, Dichterkühnheiten. Nein. Das sind authentische Umstände, die vielen Leuten seltsam vorkommen, weil es auch seltsam ist, daß man sich dem
Leben mit solch einfacher und nur selten geübter Haltung, nur sehend und hörend, nähert."

Im Alter von elf Jahren zieht Federico mit seiner Familie in die Großstadt Granada. Hier reifte der Jüngling zum bedeutendsten spanischen Dichter dieses Jahrhunderts heran. In seinen Dichtungen
huldigt Lorca immer wieder diese Stadt mit ihrer fast 800jährigen arabischen Vergangenheit, und doch hat ihn zeitlebens mit dieser "Stadt des Schnees zwischen tropischem Gewächs", wie er sie
nannte, eine durchaus ambivalente Beziehung verbunden. Was García Lorca an Granada liebte, war die glorreiche arabische Periode, die dann 1492 mit dem erfolgreichen Abschluß der Reconquista, der
Wiedereroberung der maurisch besetzten Gebiete, ein brutales und unvermitteltes Ende fand. Und vor allem liebte er den Stadtteil Sacromonte, den "Heiligen Berg", das Viertel der Zigeuner. Bis vor
nicht allzu langer Zeit lebten sie noch in den Höhlen und unterhielten die Touristen mit ihren Tänzen und Gesängen. Später siedelten sich dann Hippies aus aller Welt hier an. Heute stehen die Höhlen
bis auf ganz wenige Ausnahmen leer; nur im unteren, an einer Straße gelegenen Teil wurden die Urzeitwohnungen zu schmucken Unterkünften ausgebaut. Hier gibt es auch einige Flamenco-Lokale, zu denen
die Touristen allabendlich in Bussen herangekarrt werden. Lorca hätte sich angewidert abgewendet von dieser Art der Zigeunerromantik mit Kastagnettengeklapper und Olé-Rufen.

Sein erstes Buch veröffentlichte García Lorca bereits 1918 · die Kosten der Publikation trug sein Vater. Noch viele Jahre später erinnert er sich dankbar der Unterstützung durch die Familie:
"Zum Glück muß ich nicht vom Ertrag meiner Feder leben. Wenn ich es müßte, wäre ich nicht so glücklich. Gott sei Dank habe ich Eltern, die manchmal mit mir schelten, die aber sehr gut sind und
schließlich immer bezahlen." Dieses erste Buch ist zugleich Lorcas einziger Prosaband, eine Schilderung seiner Eindrücke auf Spaziergängen durch Granada und Umgebung.

Der Stadtteil, der noch am meisten das alte Granada mit seinen maurischen Wurzeln erspüren läßt, ist der an einen Hang gebaute Albaicín mit seinen schmalen Gassen und immer wieder unvermittelt
auftauchenden Aussichtspunkten. Hier finden sich aber auch die stattlichen Wohnhäuser mit ihren hohen Mauern, hinter denen die Gärten voller Jasmin, Rebengewächse, Obstbäume und anderer Pflanzen ·
und mit dem unvermeidlichen Springbrunnen · verborgen sind. Schon ein Autor des frühen 17. Jahrhunderts, Pedro Soto de Rojas, hatte Granada als "Paradies, für viele versperrt; Gärten, für wenige
geöffnet", bezeichnet, und diese Charakteristik hat Lorca sehr gut gefallen.

Die Kehrseite von Lorcas Liebe für diese Stadt war seine Abneigung gegen das Bürgertum Granadas und die von diesem vertretene Politik der Geist- und Kulturlosigkeit. Hier lebe "die schlimmste
Bourgeoisie Spaniens", sagte er einmal. Der Dichter bezeichnete Granada auch als das "Paradies der Geizhälse", eine geistig verarmte, von einem unsensiblen Bürgertum in kultureller Quarantäne
gehaltene Stadt. Diese öffentlich immer wieder geäußerte Kritik an der granadinischen Bourgeoisie war sicherlich auch ein Grund für Lorcas Hinrichtung nach der faschistischen Machtübernahme.

Mit 21 Jahren verließ Federico Granada und übersiedelte nach Madrid, um dort das von seinen Eltern gewünschte Studium der Rechtswissenschaften fortzusetzen. Er betrieb dieses Studium mit abnehmender
Ernsthaftigkeit, dafür lernte er in der spanischen Hauptstadt viele gleichgesinnte und gleichgestimmte Menschen kennen. Er kehrte aber häufig nach Granada und in seine geliebte Vega zurück. Und
nachdem seine Familie sich 1925 ein Sommerhaus am Stadtrand von Granada mit einem großen Grundstück, die Huerta de San Vicente, angeschafft hatte, verbrachte Federico nach Möglichkeit jeden Sommer
hier, wo er glücklich und produktiv im Kreise seiner geliebten Familie arbeiten konnte.

Gerade rechtzeitig zum Gedenkjahr wurde das Landhaus ebenfalls zu einem Museum und das umgebende Grundstück zu einem Lorca-Park umgestaltet, der allerdings unter seiner fatalen Lage leidet, nämlich
zwischen einer Autobahn und einer Umfahrungsstraße eingeklemmt zu sein. Doch zu Lorcas Zeiten war dieses Terrain noch ein Hort der Ruhe und des Friedens. Im ersten Stock das Wohn- und Arbeitszimmer
Federicos. An seinem Schreibtisch schrieb er zahlreiche Werke und eine Unmenge von Briefen an Freunde in aller Welt. In diesen Briefen begeisterte er sich immer wieder über den Ausblick, den er vom
Balkon seines Zimmers genießen konnte · über die fruchtbare Ebene der Vega, zum Palasthügel der Alhambra bis hin zu den schneebedeckten Gipfeln der Sierra Nevada. In den Band "Canciones"
(Gesänge) hat Lorca ein Gedicht über diesen Balkon aufgenommen, das mit derselben Zeile beginnt und schließt: "Wenn ich sterbe, laßt den Balkon offen."

Mir ist nicht bekannt, ob Federicos Familie nach seiner Ermordung tatsächlich diese Balkontür offen ließ · auf jeden Fall hatte er sich seinen Tod anders vorgestellt. Da in Madrid die gewalttätigen
innenpolitischen Auseinandersetzungen eskaliert waren, flüchtete García Lorca Mitte Juli hierher, in die Huerta de San Vicente, um hier Ruhe und Schutz zu finden. Doch wenige Tage später bricht der
Putsch aus und Granada wird von den Franco-Truppen besetzt. Die faschistischen Schlägertrupps tauchten auch schon bald in der Huerta auf, um Federico festzunehmen. Dieser war aber in die Wohnung von
Bekannten in der Stadt geflüchtet. Aber auch dort machten ihn die Schergen der heraufziehenden Franco-Diktatur ausfindig · und auf die Festnahme folgte wenige Tage später die Hinrichtung.

Es entbehrt nicht einer gewissen historischen Ironie, daß im heurigen großen Lorca-Gedenkjahr in Spanien ausgerechnet eine Regierung an der Macht ist, die einer gemäßigten Nachfolgepartei der
Falange Francos entspringt. Und daß diese Regierung und allen voran Ministerpräsident José Aznar sich bemüßigt fühlt, den berühmtesten spanischen Dichter dieses Jahrhunderts zu ehren, wo es nur geht.
Er kenne nicht wenige, erzählt mir Juan de Loxa schmunzelnd, die bis vor kurzem die bloße Erwähnung des Namens des großen spanischen Dichters mit einem Nasenrümpfen quittierten, während sie heuer bei
den Gedenkveranstaltungen zu Ehren García Lorcas in der ersten Reihe sitzen.

Werner Hörtner ist Redakteur der Zeitschriften "Südwind" und "Lateinamerika anders" und Mitarbeiter der "Schule für Dichtung" in Wien.

Freitag, 29. Mai 1998 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 16:56:00

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