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Auf Streifzug durch das 20. Jahrhundert

Schmidt, Helmut / Stern, Fritz : Unser Jahrhundert – Ein Gespräch

Fritz Stern (l.) debattiert mit Helmut Schmidt über Gott und die Welt. Foto: Buchumschlag

Fritz Stern (l.) debattiert mit Helmut Schmidt über Gott und die Welt. Foto: Buchumschlag

Von Rainer Mayerhofer

Aufzählung Erfahrungen eines jungen Wehrmacht-soldaten und eines Flüchtlingskinds.
Aufzählung Begegnungen mit den Mächtigen der Welt.

"Fangen Sie an, Fritz." Mit diesen vier Worten startete der deutsche Altkanzler Helmut Schmidt (Jahrgang 1918) am 22. Juni 2009 ein Marathongespräch mit dem 1926 in Breslau geborenen Historiker Fritz Stern, das sich über drei Tage erstreckte und Gott und die Welt – vor allem Letztere – Revue passieren ließ.

Warum und in welchen Momenten ihm Geschichtsbewusstsein von Nutzen gewesen sei, will der Historiker vom Politiker wissen, und schon sind sie beim Thema, das ihrer beider Leben nachhaltig geprägt hat – beim Zweiten Weltkrieg. Helmut Schmidt, dem Soldaten war bei Beginn des Russlandfeldzuges 1941 klar, dass es für Hitler in Russland so enden würde wie seinerzeit für Napoleon.

Fritz Stern, dessen Familie Deutschland hatte verlassen müssen, erlebte den Beginn des Russlandfeldzuges schon in den USA und erinnert sich an die ambivalente Stimmung in den ersten Monaten des Krieges, als die Wehrmacht alarmierend schnell vorankam.

Die Frage, wie es zur Machtübernahme der Nazis kommen konnte, und der Holocaust, der dem künftigen deutschen Kanzler in den Kriegsjahren weitgehend verborgen blieb, obwohl er selbst einen jüdischen Großvater hatte, kehren in den Gesprächen immer wieder, wenn sich Querverbindungen ergeben. Und die beiden alten Herren wechseln in ihrem Gespräch recht rasch zwischen den Zeiten.

Vom Polenfeldzug zu Brzezinski

Vom Polenfeldzug ist der Sprung zu Präsident Carters polnischstämmigem Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski nicht weit, den Schmidt überhaupt nicht geschätzt hat. "Arrogant , überheblich und aggressiv sei er gewesen", meint Schmidt, und er hätte ihn einmal beinahe hinausgeschmissen aus seinem Büro, wie auch einen Erzbischof mit polnischem Namen, der im Auftrag des Vatikans einen Papstbesuch in Deutschland vorbereiten sollte. Später verrät Schmidt seinem Gesprächspartner auch, dass der mit ihm befreundete Wiener Kardinal Franz König ihn zu einem Anti-Ratzinger-Artikel in der "Zeit" bewegen wollte.

Natürlich kommen auch die amerikanischen Politiker nicht zu kurz – die beiden Präsidenten Bush etwa –, wobei Schmidt sie als "Beispiel für den Abstieg der Ostküste" bezeichnet und Stern ironisch meint, die Leistung des jungen Bush sei es gewesen, den Vater aufzuwerten: "Dadurch dass er so schlimm war, denkt man weniger kritisch zurück an den alten Bush."

Pointiert auch die Erinnerungen des Politikers und des Historikers an die Begegnungen mit den Mächtigen der Welt. Über Papst Johannes Paul II. etwa weiß Schmidt zu berichten: "Man flog nach einem Treffen mit ihm nach Hause mit dem Gefühl: Das ist ein guter Mensch. Gleichzeitig habe ich immer gewusst: Er ist intellektuell beschränkt." Stern wiederum sagt über Dan Quayle, den Vize von Bush senior: "Wenn man so jemanden zum Vizepräsidenten macht, ist das eine Art Verachtung für das Amt."

Kritisch setzen sich die beiden Gesprächspartner aber auch mit den modernen Massenmedien auseinander. Schmidt, seit 1983 Herausgeber der "Zeit", sieht in der Entwicklung der modernen Massenmedien einen Zug zur Oberflächlichkeit in der Information und in der Bildung. Entertainment und Sensation würden immer wichtiger, und selbst Führungspersonen seien darauf angewiesen, da mitzuziehen. Stern seinerseits stellt fest, dass die neuen Kommunikationsmittel auch den Politikstil ändern: "Alle sind fortwährend am Handy. Alles wird kürzer und knapper, für Memoranden bleibt da gar keine Zeit mehr."

"Zwei kluge alte Männer streifen durch das 20. Jahrhundert und die Welt von heute, und der Leser genehmigt sich eine Prise Weisheit", heißt es im Verlagsprospekt. Besser könnte man das Buch nicht empfehlen, und man darf versprechen, dass der Leser darüber hinaus auch viel Vergnügen haben wird.

Helmut Schmidt, Fritz Stern: Unser Jahrhundert – Ein Gespräch. Verlag C.H.Beck, 287 Seiten, 22,60 Euro.

Printausgabe vom Dienstag, 09. März 2010
Online seit: Montag, 08. März 2010 16:54:00

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