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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Nach dem Ende des Bürgerkriegs ist die Lage im Südsudan schwierig

Die Mühen des Friedens

Der Krieg ist offiziell zu Ende – doch auf die heimkehrenden Flüchtlinge warten Armut und Streit um Wasser und Land. Foto: Karin Desmarowitz

Der Krieg ist offiziell zu Ende – doch auf die heimkehrenden Flüchtlinge warten Armut und Streit um Wasser und Land. Foto: Karin Desmarowitz

Von Michaela Ludwig

Über Pulchum, dem 330-Seelen-Ort im Zentrum des Südsudans, kreisen die Geier. Die Lehmhütten mit ihren strohgedeckten Dächern liegen verlassen in der Hitze des späten Vormittags. Nur vereinzelt steigen dünne Rauchsäulen zwischen den Tukuls , den traditionellen Lehmbauten, in den bedeckten Himmel. Eine Frau steht an ihrer Feuerstelle. Auf dem linken Arm trägt sie ihr Kind, in der freien Hand hält sie einen langen Holzlöffel, mit dem sie im Topf umrührt. Wie jeden Tag gibt es Sorghum , eine hirseähnliche Getreideart, die stundenlang zu einem zähen Brei verkocht wird.

Neben der Hütte, wo bis vor drei Tagen noch Tomaten, Bohnen und Sorghum sprossen, ragen abgekaute, braune Stängel empor. Der Rest ist niedergetrampelt oder abgefressen. Wohin man auch blickt: das gleiche Bild. "Vor zwei Nächten gab es Kämpfe unter den Viehhirten" , berichtet Mary Aienne Mading, die Sprecherein von Pulchum, dem Kirchenmann Benedict Mayumba von der Diözese Rumbek. "Die eine Gruppe musste mit ihren Rindern fliehen. Dabei haben sie unsere Gärten zerstört." Verbittert blickt sie hinüber zum Viehcamp.

Doch die Frau am Kochtopf erzählt eine andere Geschichte: An der Wasserstelle, die sich Viehhüter und Dorfbewohner teilen, sei ein Streit entbrannt. Aus Rache hätten die aufbrausenden Viehhüter ihre Rinder durch die Gärten von Pulchum getrieben.

Benedict Mayumba weiß, dass der alte Konflikt zwischen nomadischen Viehhütern und sesshaften Bauern jetzt, nach dem Krieg, überall im Südsudan wieder aufbrechen wird. Die mittlerweile über 70 Tukuls von Pulchum stehen auf dem Weidegrund der Viehhüter. Die ziehen seit Generationen während der Regenzeit in diese Gegend vor den Toren Rumbeks. Ihrem Verständnis nach haben sie ein Anrecht auf dieses Land. Doch als die Hirten in diesem Jahr kamen, lebten hier plötzlich Menschen: die Rückkehrer von Pulchum.

Mit leeren Händen

Seit einem Jahr betreut Benedict Mayumba die Flüchtlinge und Vertriebenen, die schon vor Kriegsende in ihren Heimatort Rumbek zurückgekehrt sind. Die meisten hatten in den Flüchtlingslagern und Slums der sudanesischen Hauptstadt Khartum Zuflucht gefunden. Doch dort waren sie unerwünscht: Die Stadtverwaltung setzte die Vertriebenen immer wieder unter Druck, die Stadt zu verlassen. Slums wurden abgerissen und die Lager aus der boomenden Stadt hinaus in die Wüste verlegt. "Sie kommen mit leeren Händen zurück", erzählt Benedict Mayumba. "Aber hier haben sie auch nichts. Sie besitzen kein Land, und ihre Häuser sind zerstört oder von fremden Leuten bewohnt." Deshalb bauten die Rückkehrer neben dem Krankenhaus provisorische Hütten aus Palmenblättern. "Es kamen immer mehr, und die Lage wurde sehr angespannt. Dann haben die Bewohner uns um Hilfe gebeten", erzählt der Ugander, der für ein Jahr im Rückkehrer-Programm der Diözese arbeitet. "Wir mussten einen Platz finden, an dem sie sich niederlassen können." Rumbek konnte als erste Stadt von den nordsudanesischen Regierungstruppen befreit werden. Das war 1998. Rumbek wurde zur provisorischen Hauptstadt des Südens. Auf einer einfachen Sandpiste landeten Flugzeuge, die Lebensmittel und internationale Helfer brachten. Die großen UN-Agenturen und viele internationale Hilfswerke eröffneten Büros und starteten von Rumbek aus die Operationen ins Zentrum des Südens. Unweit der Landebahn beginnt die befestigte und planierte Straße, die sich am Markt und dem Freedom-Square, einem Versammlungsplatz von der Größe mehrerer Fußballfelder, vorbei zieht. Die etwa 100.000 Einwohner Rumbeks leben in Lehmhäusern, die wenigen Steinhäuser der Stadt sind von Granateneinschlägen gezeichnet. Wasser und Strom gibt es nicht. Die planierten Straßen, die vom Welternährungsprogramm ausgebessert werden, führen nur wenige Kilometer aus der Stadt hinaus und sind während der Regenzeit unbefahrbar. Auf einer Bautafel wird vor Minen gewarnt: "Bleiben Sie auf der Straße!" Doch nur einer von zehn Südsudanesen wird diesen Aufruf lesen können, alle anderen sind Analphabeten.

Bis zum Gelände der Vereinten Nationen ist die Straße mittlerweile repariert. Hier sitzt David Gressly, stellvertretender Koordinator des UN-Einsatzes im Südsudan. Die UN-Mitarbeiter planen die Rückführung der Flüchtlinge und Vertriebenen. Die Weltorganisation hat 63 Millionen Dollar allein für Rückkehr- und Wiederansiedlungsmaßnahmen bei der internationalen Staatengemeinschaft beantragt. "Wir erwarten im Jahr 2006 etwa 600.000 Rückkehrer", sagt Gressly. "Etwa 60.000 wollen wir aus den Nachbarländern zurückführen, die übrigen kommen auf eigene Faust." Das ist eine immense Herausforderung, denn die Infrastruktur ist zusammengebrochen, Schulen, Straßen und Gesundheitsstationen sind zerstört, es existiert keine funktionierende Verwaltung. Doch bisher wurden erst zehn Millionen Dollar überwiesen – kein Wunder also, dass der Wiederaufbau nur schleppend anläuft.

Für Dorfsprecherin Mary Aienne Mading und ihre Leute war die internationale Präsenz in Rumbek ein Glücksfall. Die Diözese verhandelte mit einem Clanchef, der sein Land in der Nähe von Rumbek zur Verfügung stellte, Benedict Mayumba überzeugte internationale Organisationen, dass für die zwei neuen Dörfer Abarko und Pulchum Wasserlöcher gebohrt werden müssten, und die Diözese stellte das Baumaterial. An die neuen Dorfbewohner wurde Saatgut verteilt.

Suche nach eigenem Land

Seitdem haben sich in Abarko, dem zweiten Rückkehrer-Dorf, 500 Menschen niedergelassen. "Jeden Tag kommen neue" , erzählt Zacharia Madit. "Jeder kennt unser Dorf, und wenn sich ein Rückkehrer in Rumbek bei der Regierungsbehörde meldet, wird er hierher geschickt." Der 27-Jährige ist in Abarko für die Neuankömmlinge zuständig. Bisher wurde Abarko von den Viehhütern verschont. Stolz deutet der Familienvater Madit auf seinen Garten: Dort wachsen Erdnüsse, Bohnen und Kürbisse, daneben steht Sorghum, mannshoch. Davon hatte er während der 17 Jahre in den Flüchtlingslagern von Khartum geträumt. "Wir wollten unser eigenes Land bewirtschaften. Das hatten sie uns in Khartum verboten." Deshalb zögerten Madit und seine Frau Agum Then keine Sekunde, als sie von einem Rückführ-Transport in den Südsudan erfuhren. Sie gehörten zu den ersten, die sich auf den langen und gefährlichen Weg zurück machten. Doch wurde der Transport nur für den ersten Teil der Strecke gestellt, den Rest des Weges durch den sudanesischen Busch bewältigten sie zu Fuß. Anderthalb Monate waren die 75 Rückkehrer unterwegs. "Meine Frau hat unsere kleine Tochter getragen und ich unseren Sohn ", erzählt Zacharia. Als ehemaliger Soldat war er das weite Gehen gewöhnt, doch die Füße seiner Frau waren bald wund und angeschwollen.

Was sie jedoch in ihrer Heimat erwartet, stimmt viele Rückkehrer bitter. In Abarko und Pulchum gibt es weder Schule noch Gesundheitsstation. Die Bewohner klagen über Hunger. Lediglich eine Lebensmittellieferung haben sie erhalten, beklagt Zacharia Madit. Die Folgeration sei geplündert worden, bevor sie die Rückkehrer-Dörfer erreichte. Um die Familien mit dem Nötigsten zu versorgen, machen sich die Frauen jeden Tag auf den anderthalbstündigen Fußmarsch nach Rumbek. Auf dem Markt verkaufen sie Brennholz oder schleppen Wasser für ein paar sudanesische Pfund. Davon kaufen sie Milch, Zucker und Sorghum. Zacharia Madit übt sich in Geduld: "In zwei Monaten können wir ernten, dann hört der Hunger auf."

Enorme Probleme

Darauf können die Leute aus Pulchum nun nicht mehr hoffen. Mary Aienne Mading wird ihre älteren Kinder, die in Khartum geblieben sind, weil sie dort Arbeit haben, vor der Rückkehr warnen. "Sie sollen erst kommen, wenn ich bessere Nachrichten für sie habe" , sagt die 45-Jährige. Benedict Mayumba sieht hierin einen weiteren Grund für den schleppenden Aufbau des Südsudans. "Der überwiegende Teil der spontanen Rückkehrer sind Frauen, Kinder und alte Leute. Die gut qualifizierten Südsudanesen in Europa, Nordamerika, und den Nachbarländern, warten ab, bis sie eine deutliche Verbesserung sehen." Die aber ist nicht in Sicht. Benedict Mayumba ist niederschlagen. Die Aufgabe, die Rückkehrer in Abarko und Pulchum wieder einzugliedern, ist enorm. Und sie sind ja nur die Vorhut. Die Vereinten Nationen rechnen mit vier Millionen Rückkehrern innerhalb der nächsten Jahre.

Michaela Ludwig arbeitet als freie Journalistin mit den Schwerpunkten Entwicklungspolitik und Ostafrika in Hamburg.

Information: Krisenherd Südsudan

Mit der Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen der sudanesischen Regierung und den Rebellen der sudanesischen Volksbefreiungsbewegung (SPLA/M) im Januar 2005 endete der 21 Jahre lang tobende Bürgerkrieg im Südsudan. Zwei Millionen Menschen wurden getötet, vier Millionen flohen nach Europa, Nordamerika und in die afrikanischen Nachbarländer. Doch die meisten Flüchtlinge blieben als "intern Vertriebene" im eigenen Land.

Seit Abschluss des Friedensvertrags, der unter massivem Druck der internationalen Gemeinschaft zustande kam, kehren die Flüchtlinge in ihre Dörfer zurück: Das ist der Beginn der weltweit größten Rückkehrbewegung in eine der ärmsten Regionen der Welt. Doch die Infrastruktur ist nach 21 Jahren Krieg zerstört. Das sorgt in den Rückkehrgebieten für sozialen Sprengstoff. M. L.

Printausgabe vom Samstag, 22. April 2006
Update: Freitag, 21. April 2006 16:51:00

Lexikon



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