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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

In Südafrika arbeiten junge Leute als "Peace Workers", deren Aufgabe darin besteht, nachbarschaftliche Konflikte gewaltfrei beizulegen.

Hilfstruppen des Friedens

In der Großsiedlung Kayelitsha ("Neue Heimat") bei Kapstadt wohnen 800.000 Menschen auf engem Raum zusammen. Foto: Veser

In der Großsiedlung Kayelitsha ("Neue Heimat") bei Kapstadt wohnen 800.000 Menschen auf engem Raum zusammen. Foto: Veser

Von Thomas Veser

Okay, jetzt nochmal von vorn und schön der Reihe nach". Mit ruhiger Stimme appelliert Sitemela Bulelani an die Frauen, die einander offenbar nichts mehr zu sagen haben. Die eine hatte der anderen vor einigen Monaten Geld geliehen und davon bisher nichts wiedergesehen. Freundlich, aber bestimmt überwindet der 27-jährige Peace Worker in der früheren Hometown Kayelitsha bei Kapstadt die scheinbar ausweglose Situation.

Mit einer Ratenzahlung von 50 Rand (etwa sieben Euro) pro Monat können beide Frauen leben. "Wir halten das schriftlich fest und notfalls sehen wir uns hier wieder", bekräftigt der Vermittler nachdrücklich. Dann nimmt er die Frauen an der Hand und sagt: "umarmt Euch zur Versöhnung" .

Erneut hat Sitemala Bulelani im Bürocontainer der "Community Peace Workers" (CPW) einen Fall geschlichtet. Der Streit ums Geld gehört zum Alltag in der rund 800.000 Einwohner zählenden Großsiedlung. Gläubiger, die ihr Geld zurückhaben wollen, konnten sich bisher nur an die Polizei wenden. Die protokolliert zwar den Vorgang, hilft jedoch nicht dabei, die Forderungen durchzusetzen.

Mit deutscher Hilfe

Um die Lücke zu schließen, hat die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), die im Auftrag der deutschen Bundesregierung Kooperationsprojekte umsetzt, mit südafrikanischen Partnern ein Community Peace Worker-Projekt gegründet. Pro Jahr erhalten rund hundert junge Leute eine Ausbildung zum Peace Worker. Die Aufgabe der Gruppe, die zu gleichen Teilen aus Frauen und Männern zusammengesetzt ist, besteht darin, im Wohnviertel "Site C" durch Patrouillengänge sich anbahnende Konflikte früh zu erkennen, mit den Betroffenen zu verhandeln und zu schlichten.

Ähnliche Ansätze in anderen Hometowns brachten positive Resultate: Rund 80 Prozent der ehemaligen Peace Worker konnten später eine feste Arbeitsanstellung finden, außerdem ist die Kriminalitätsrate dort um 25 bis 30 Prozent gesunken.

Diese Entwicklungen strebt auch das CPW-Korps in Kayelitsha an. Die größte, aus 20 Wohngebieten bestehende Hometown Südafrikas entstand vor zwei Jahrzehnten. Ursprünglich hatte die Regierung das Ziel verfolgt, dort Schwarze anzusiedeln, die sich der Rassentrennungspolitik zufolge als "illegale Besetzer" im Kapstädter Raum aufhielten.

In der Hoffnung auf eine bessere Existenz zogen jedoch bald in großer Zahl Bewohner aus den verarmten Gebieten der Provinz Ostkap nach Kayelitsha, der "Neuen Heimat", wie sich der Begriff aus der Xhosa-Sprache übersetzen lässt. Heute führt die Autobahn N2 von Kapstadt nach Kayelitsha – auf den Beschilderungen sucht man den Namen allerdings vergeblich. Hohe Stahlzäune am Rand der Siedlung trennen die Menschen von Autobahnen und Eisenbahnlinien. Nach dem "Exit 35" führt eine Straße über eine Brücke in die "Neue Heimat", die für ihre Bewohner jedoch zum Alptraum geworden ist.

Im Wohnquartier "Site C" haben die Community Peace Workers ihr Hauptquartier. Vier Dienstschichten pro Tag sind vorgesehen. Sitemala Bulelani, der es zum Schichtleiter gebracht hat, lässt den uniformierten Trupp zunächst strammstehen. "Der Drill muss sein, damit wir diszipliniert auftreten" , begründet er diesen Vorgang. Während des einmonatigen Einführungskurses treiben die Konfliktschlichter Sport, lernen Selbstverteidigung, Feuerlöschen und absolvieren einen Erste-Hilfe-Kurs.

Im Schulungsraum werden sie mit dem Gesetz vertraut gemacht, üben ein, wie man sich in Familien- oder Nachbarschaftskonflikten richtig verhält und auch in großen Menschenmengen die Übersicht behält.

Waffen tragen sie während ihres einjährigen Dienstes an der Gemeinschaft nie, auch Verhaftungen nehmen sie nicht vor. Werden Korps-Angehörige beispielsweise Zeugen eines bewaffneten Raubüberfalls, dürfen sie sich nicht aktiv einmischen. Aber die Trupps besitzen Funkgeräte, mit welchen sie die reguläre Polizei über den Vorfall informieren.

Unbezahlter Dienst

Bewerber für eine CPW-Stelle dürfen keiner anderen Beschäftigung nachgehen und müssen ein einwandfreies polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Dass sie Drogen meiden und Pünktlichkeit zu ihrem Moralkodex gehört, wird gleichfalls vorausgesetzt.

Nach dem Appell setzt sich der Trupp in Bewegung. Als Hochschulabgänger hat Sitemela Bulelani zuvor in einem Tourismusunternehmen gearbeitet und dafür umgerechnet 300 Euro Monatsgehalt bezogen. Wie alle Peace Worker muss er während seiner Dienstzeit auf jeglichen Lohn verzichten; dafür erhalten die Korpsangehörigen monatlich Lebensmittelpakete im Wert von umgerechnet 50 Euro, womit sie den kargen Speisezettel ihrer Familien ergänzen. Sitemala hat sich für die CPW-Arbeit entschieden, "weil wir zunächst eine sichere Umgebung brauchen, das ist für mich eine Herausforderung" .

Kleine Lebensmittelläden, Friseursalons und Autoreparaturwerkstätten säumen die Hauptstraße im "Site C". Annähernd 60 Prozent der Bewohner haben keine feste Stelle und verdienen ihren Lebensunterhalt im informellen Sektor, etwa durch Kleiderverkauf und Tagelöhnerarbeiten.

Ständig strömen Neuankömmlinge nach Kayelitsha, wo offizielle, also durch den Staat ausgewiesene Wohnviertel neben informellen Quartieren liegen. Es ist keine Seltenheit, dass in den schlichten Wohngebäuden, die oft nur einen Raum besitzen, zehn Familienangehörige zusammenleben. Die Frustration über die berufliche Perspektivlosigkeit und die räumliche Enge bilden in Kayelitsha ein explosives Gemisch.

"Bei Konflikten sehen die Menschen Gewalt schnell als einzigen Ausweg", berichtet der 26-jährige Peace Worker Lanoie Mkwena. Besonders heftig gehe es an den Wochenenden zu, wenn die Bewohner in den Straßenkneipen ihren Kummer in billigem Fusel ertränken. Außerdem gebe es "viele Junge, die Drogen nehmen und leicht an Waffen herankommen", fügt er hinzu. Überfälle auf offener Straße und Einbrüche sind in der "Neuen Heimat" an der Tagesordnung.

Als die CPW-Angehörigen ihre ersten Streifengänge unternahmen, "reagierten die Menschen misstrauisch", erinnert sich Lanoie Mkwena, "sie hielten uns für verkappte Polizeispitzel" . Das hat sich inzwischen geändert: Oft behandeln die Bewohner Angehörige des Korps wie alte Bekannte, sie schätzen die Vermittlungsdienste der jungen Leute und begeben sich immer häufiger zu ihrem Hauptquartier, um Streitfälle schlichten zu lassen.

Regelmäßige Patrouillengänge ermöglichen einen direkten Kontakt zur Bevölkerung, die das Korps über die Ereignisse in der Nachbarschaft auf dem Laufenden hält. "So ist es recht oft möglich, Konflikte noch im Anfangsstadium friedlich beizulegen" , erzählt Schichtleiter Bulelani. Erfahren die Peace Worker, dass Kinder den Schulunterricht schwänzen, suchen sie die betroffenen Familien auf und versuchen die Eltern im Gespräch zu motivieren, den Nachwuchs wieder in die Schule zu schicken. In einem anderen Fall ist es etwa gelungen, einen Haushaltsvorstand vom Entschluss abzubringen, eine an Aids erkrankte Familienangehörige vor die Türe zu setzen.

Berufsperspektiven

Auch in Kayelitsha blicken die Peace Worker schon mit mehr Optimismus in die Zukunft; Nonhle Sikolo, die sich bis zu ihrem Eintritt ins Korps mit Aushilfsjobs durchgeschlagen hat, strebt eine Stelle als Gefängnisaufseherin an. Und Lanoie Mkwena, der seine Business-Management-Ausbildung abgebrochen hat, sieht für sich Chancen auf einen Job im Sicherheitsbereich. Auch dazu schafft ihnen das einjährige Training durch Fortbildung die nötigen Grundlagen.

"Das war für einige Peace Worker anfangs nicht selbstverständlich", meint dazu Khaya Yaphi, der in der Kapstädter Verwaltung für die Jugendförderung zuständig ist. " Inzwischen haben sie begriffen, dass der freiwillige Dienst an der Gemeinschaft keine feste Stelle sein kann. Aber er bringt soziale Anerkennung und gibt den jungen Leuten die Chance, dringend benötigte Fertigkeiten für ihr späteres Leben zu erwerben."

Thomas Veser, geboren 1957, lebt als Journalist mit dem Schwerpunkt Reportage in Konstanz.

Printausgabe vom Samstag, 03. Mai 2008
Online seit: Freitag, 02. Mai 2008 14:18:00

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