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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Die Architektin Anna Lülja Praun

Ausgewogenheit des Seins

Von Lisa Fischer

Es waren kosmopolitische Einflüsse, die das architektonische Verständnis von Anna Lülja Praun formten. Zwischen Bulgarien und Österreich, Russland und Frankreich lagen die ersten Prägungen, die eine fruchtbare Symbiose für jene Vitalität herzustellen schienen, die die Grande Dame der Architektur heute noch kennzeichnen. Mit ihren 94 Jahren sitzt sie nach wie vor über ihren Entwürfen am Wiener Arbeitstisch. Sie zeichnet und koloriert. Das Wesentliche jedoch ist die Komposition. Gleichgültig ob es sich um Sofas, Kästen oder Lampen handelt, Anna Lülja Praun konzipiert ihre Stücke immer mit Bedacht und Genauigkeit. Den Entwürfen ist ein klares Konzept zugrunde gelegt. Statik, Symmetrie, Materialgerechtigkeit und Ästhetik. Diese vier Säulen bilden eine unumstößliche Basis für das Schaffen der Architektin. "Der Körper ist symmetrisch" sagt sie "bis auf den letzten Zipfel des Herzens". Daher wird Symmetrie von ihr gekonnt eingesetzt. Da wird streng gemessen und kalkuliert, bis jedes Detail seine Wertschätzung erhält. Jeder Strich ist durchdacht, jede Linie bewusst gesetzt.

Ihre radikale Ehrlichkeit bei der Arbeit und ein kompromissloser Gestaltungswillen hinterlassen Spuren. Eine klare Statik und nur die Verwendung der besten Materialien geben den Entwürfen jene Ästhetik, die ein unauslöschliches Markenzeichen von Anna Lülja Praun darstellt. All diese Komponenten bringen Ruhe. Sie lassen die Betrachtenden innehalten und Wohnen zu einer Philosophie werden. Derartige Formen schenken Klarheit. Die Balance, die von einem Möbelstück ausstrahlt, verführt zu jener Ausgewogenheit des Seins, die das von Praun gestaltete Ambiente zur Verfügung stellt. Trotz dieser Präzision werden die Gedanken leicht. Die schlichte Eleganz, aus bestem Material gefertigt, wirkt zugleich modern und historisch, denn die Arbeiten der Architektin sind das Produkt zahlreicher Einflüsse.

Kosmopolitische Jugend

Anna Lülja Praun wurde 1906 in St. Petersburg geboren, ihre Schwester Natascha zwei Jahre später in Moskau. Die Mutter, eine geborene Baranoff, war Russin, der Vater Boris Simidoff, Bulgare. Die Eltern hatten sich in der Schweiz im Kreis russischer Emigration kennen gelernt. Hier trafen sie auch mit Lenin, Trotzki und Kropotkin zusammen. 1909 übersiedelte die Familie endgültig von Moskau nach Sofia. Der erste Eindruck, der hier für Anna Lülja prägend war: der Blick aus dem Hotelfenster auf den Garten, in dem rote Blumen blühten. Auch später sollte die Naturbeobachtung einen wesentlichen Bestandteil des architektonischen Blickens und Gestaltens darstellen. Die Mutter, ungewöhnlich für diese Zeit, war ausgebildete Ärztin und baute als eine der ersten Frauen in Sofia eine gynäkologische Praxis auf. Der Vater gründete zusammen mit dem Literaten Hadjief und Dr. Todor Hajlof den Verlag Hemus, in dem er bulgarische Übersetzungen deutscher und russischer Kinderbücher publizierte. Schon durch die Sprachen, russisch, bulgarisch und deutsch, mit denen Anna Lülja aufwuchs, war der internationale Einfluss gegeben und konkretisierte sich in der entsprechenden Lektüre. Natürlich wurde im Privatunterricht auch noch Französisch gelernt.

Den Sommer verbrachte die Familie Simidoff jedes Jahr am Schwarzen Meer. Die Schlichtheit und Funktionalität der Häuser, die Anna Lülja hier vorfand, waren ein weiterer Mosaikstein für die zukünftige Arbeit.

Schon als Kind liebte Anna Lülja das Zeichnen. Immer wieder fertigte sie für die Klassenkolleginnen Bilder an. Ein besonderer Tag im Jahr war jedoch ihr Geburtstag. Da erlaubte ihr die Mama, die Möbel der Wohnung nach eigener Lust und Laune zu verrücken. Am Abend mussten sie dann wieder an ihrem alten Platz stehen. Für Anna Lülja bedeutete dies die erste praktische Erfahrung von Wohnraumgestaltung, die sie mit kindlich-kreativer Neugierde durchführte und die weitreichende Folgen für ihre spätere Karriere als Architektin hatte.

Besonders beeindruckend für das Kind waren auch einige Möbelstücke: Der amerikanische Schreibtisch, den die Mutter in ihrer Ordination benützte, hinterließ ebenso einen unauslöschlichen Eindruck wie die Möbel aus Wien. Die Mutter hatte die Thonetsessel dem englischen Botschafter in Sofia abgekauft. Schließlich beeinflussten das Mädchen jedoch auch die Gespräche mit einem Vetter, der in Karlsruhe Architektur studierte. Obwohl Anna Lülja Simidoff in Mathematik keine guten Noten vorweisen konnte, beschloss sie, Architektur zu studieren. Der Vater zog Erkundigungen ein. Die Wahl fiel auf Graz, dessen technische Universität in den zwanziger Jahren einen ausgezeichneten Ruf besaß. Hier inskribierte sie 1924 und begann ihre Laufbahn als weibliche Studentin unter weitgehend männlichen Kollegen. Sie schwitzte oft vor Unbehagen, wenn sie als einzige Frau unter Kollegen ihre Vorlesungen absolvierte. Die Universität war eine Männerdomäne, die Kunstgewerbeschule Frauensache. Um die rigiden Geschlechterverhältnisse aufzulockern, wurden daher oft Feste zwischen diesen beiden Ausbildungsstätten organisiert.

Während die junge Studentin in Österreich erste Schritte zur eigenen Professionalität unternahm, wurde in Bulgarien die Karriere des Vaters jäh beendet. 1925 wurde er in Sofia hingerichtet. Das Militär hatte nach einem Attentat auf den bulgarischen König Tausende Sozialisten verhaften und töten lassen. Die Politik holte Anna Lülja Praun in der Folge auch in Österreich ein.

1934 brach der Bürgerkrieg aus. Da sie mit einem Architekten, Herbert Eichholzer, der der linken internationalen Avantgarde zuzurechnen war, zusammengelebt hatte, wurde ihre Wohnung ebenfalls durchsucht und Anna Lülja verhaftet. Die russischen Briefe der Mutter, die sie verdächtig machten, von Russland Geld zu bekommen, wurden als zusätzliches Belastungsmaterial herangezogen. Sie wurde verhört, schließlich aber wieder freigesetzt. In der Folge durfte sie jedoch die Stadt nicht verlassen und ihr Studium nicht beenden. Eichholzer, der später unter den Nationalsozialisten in den Widerstand ging, wird 1943 in Wien hingerichtet werden.

Ohne abgeschlossenes Studium begann Anna Lülja Simidoff aber praktisch zu arbeiten. 1935 lernte sie Clemens Holzmeister und in seinem Atelier ihren späteren Mann, den Architekten Richard Praun, kennen. Das Holzmeister-Atelier war bereits in Nationalsozialisten und Nicht-Nationalsozialisten gespalten. Dennoch erhielt sie ihren Einstieg in die angewandte Architektur. Sie arbeitete am Festspielhaus und an Projekten für Ankara mit. Hier fügten sich weitere Mosaiksteine zum später so unverwechselbaren Stil. Herbert Eichholzer, Clemens Holzmeister, Joseph Frank, Ernst Plischke, Eileen Gray und Richard Praun beeinflussten sie in ihren Gestaltungsformen. Aus diesen vielfältigen Anregungen entwickelte sie eine eigene Bau-Handschrift.

Harte Jahre

Neben der Arbeit kämpfte sie um einen ordentlichen Abschluss an der Universität. Sie erlangte ihn schließlich nach langem und hartnäckigem Insistieren und verließ 1938 Graz. Sie ging nach Berlin, Paris und kehrte schließlich nach Sofia zurück. Hier arbeitete sie im Wasserverkehrsamt, bis sie 1942 nach Österreich reiste, um Richard Praun zu heiraten. Noch im selben Jahr kam ihre Tochter Swila zur Welt. Die Kriegsjahre waren hart. Die junge Familie lebte am Land. Anna Lülja Praun wusch für Bäuerinnen Wäsche, schrubbte Holzböden und hatte ihre kleine Tochter zusammen mit der Mutter bei einer Landwirtin untergebracht. Zu Essen gab es wenig, aber es reichte zum Überleben. Die Karriere war unterbrochen, die Ehe gescheitert, als sie nach den Kriegsjahren einen Neubeginn startete.

Das Schicksal kam ihr am Totenbett einer Freundin, der Chemikerin Erna Juvan, zu Hilfe, als diese zu einer neben ihr sitzenden Dame sagte: "Grete, ich vermach' Dir die Lül." Es war gleichsam ein unerwartetes Testament, denn die Frau war die Gemahlin des Generaldirektors einer großen Firma - Schöller-Bleckmann. Als dieser Anna Lülja Praun Tage nach diesem Ereignis anrief, wusste sie erst, welches Vermächtnis ihr die Freundin hinterlassen hatte. Es war der Start zu neuen Aufträgen für Geschäfts- und Firmeneinrichtungen. In der Folge arbeitete sie für die unterschiedlichsten Größen aus Industrie oder Kunst. Herbert von Karajan zählte ebenso zu ihren Kunden wie die Keramikerin der Wiener Werkstätte Gudrun Baudisch oder der Komponist György Ligeti. Auch das Autohaus Denzel gehörte zu ihren Auftraggebern. Wolfgang Denzel hatte mit ihr zusammen in Graz studiert. Als er sie Jahre danach wieder traf und ihn ihr Können beeindruckte, gab er ein Nachtkästchen in Auftrag. Anna Lülja Praun machte sich sogleich an die Arbeit. Es musste ihren strengen Kriterien entsprechen, gleichzeitig musste es Wolfgang Denzel gefallen. Als das Produkt schließlich vor dessen Augen stand und die Designerin auf eine Reaktion wartete, kam diese unerwartet klar. Denzel sagte: "Es ist wunderbar gearbeitet, aber es bleibt nicht neben meinem Bett." Praun aber erwiderte: "Gehen Sie ins Büro und lassen Sie mich da." Sie machte sich sofort an die Arbeit und arrangierte jedes Detail. Am nächsten Morgen um 7 Uhr kam ein Anruf: "Ich danke Ihnen", hörte sie Wolfgang Denzel sagen, "es ist perfekt." In einen neuen Zusammenhang gesetzt, erzielte das Kästchen jene unerwartete Wirkung, auf die die Begeisterung folgte. Gleichzeitig war dies der Beginn einer jahrelangen Zusammenarbeit der beiden Persönlichkeiten.

Das kleine Möbelstück beinhaltete aber auch den großen der Start für die Kooperation mit dem Tischler Karl Panuschka. Beide werden über Jahrzehnte hinaus jene gelungene Symbiose zwischen Handwerk und Gestaltungsformen herstellen, die die Voraussetzung für ein einzigartiges Resultat ist. Auf diese Art setzte Anna Lülja Praun eine alte Wiener Tradition fort, bei der die Achtung vor dem handwerklichen Können eine wesentliche Rolle spielt. Kommunikation mit dem Material und dem Raum auf der einen Seite, mit dem Auftraggeber und dem Handwerker auf der anderen Seite sind demnach jene Säulen, auf denen der Erfolg der Architektin beruht.

Anna Lülja Praun entwickelte diese Herangehensweise im Laufe der Zeit. Erhielt sie einen Auftrag, so galt ihr erster Blick dem Menschen, der zweite dem Platz. Dann folgte ein Gespräch, schließlich der Entwurf. Jeder ihrer Entwürfe war argumentierbar und klar durchdacht. Misstöne zwischen den einzelnen Bestandteilen mussten beseitigt werden, sollte ihre architektonische Formsprache Gehör finden. Dabei war sie kompromisslos. Ließen sich Unstimmigkeiten zwischen Auftraggeber und ihr nicht beseitigen, konnte es keine produktive Zusammenarbeit geben. Der Erfolg beruhte immer auf dem wechselseitigen Verständnis und der harmonischen Zwiesprache von Raum und Gestaltung. "Da schwammen schon einige Auftraggeber davon", sagt sie "wenn wir nicht zusammen gekommen sind." Wenn sich hingegen die Vorstellungen trafen, dann entstanden daraus jahrelange Kooperationen und Freundschaften.

Das Ein-Frau-Unternehmen

Anna Lülja Praun agierte immer als Ein-Frau-Unternehmerin und arbeitete in erster Linie für Privatkunden und -kundinnen. Inneneinrichtungen sind dabei ebenso erwähnenswert, wie Häuser oder die Ausstattung von Segelyachten. 1976 p1ante sie das Haus Tschalkoff am Laaerberg, 1980 baute sie das Haus für den Komponisten Ligeti um. Transparenz und Leichtigkeit sind dabei die Konsequenz harter Arbeit. Spezialisiert ist Anna Lülja Praun jedoch auf Innenreinrichtungen und Möbelentwürfe. Dabei wird ihr Grundsatz, dass die Gültigkeit der Form so lange währen muss, wie das Material hält, unwiderruflich und gibt ihren Entwürfen zeitlose Aktualität.

Trotz der großen Zahl an realisierten Projekten ist ihr Werk bis heute ein Geheimtipp. Öffentliche Anerkennung erhielt sie 1981 durch den Preis der Stadt Wien. Erst im Alter von 80 Jahren aber, 1986, wurden ihre Arbeiten in der Wiener Galerie Würthle gezeigt und somit einer breiteren Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht. Im Mai 1999 erfolgte im Haus Wittgenstein in Wien eine besondere Ehrung: In diesem Meisterwerk architektonischer Gestaltung erhielt Anna Lülja Praun eine Ehrenauszeichnung der bulgarischen Kulturministerin, Frau Emma Moskova. Die Arbeiten der Künstlerin wurden somit in ihrer grenzüberschreitenden Ausrichtung anerkannt.

Manche Meisterinnen ihres Faches müssen das Alter überlisten, um in ein öffentliches Bewusstsein einzutreten. Anna Lülja Praun arbeitet auch heute noch lieber an einem neuen Konzept für einen Entwurf als an ihrem Ruhm. Viel Unterstützung erhält sie dabei von ihrer Tochter Swila, die zu ihr einen engen Kontakt pflegt. Das Erbe ihrer professionellen Leidenschaft ist zudem bei ihren beiden Enkelkindern produktiv fortgeschrieben. Während Saia bereits eigenständig als Architektin in New York ihre Entwürfe kreiert, beendet Manuel gerade sein Architekturstudium.

Mit ihrer einzigartigen Vitalität wird Anna Lülja Praun sicher mit 100 Jahren noch vor Ideen sprühen und noch einiges von ihrem zeitaktuellen Verständnis der Tradition des Wiener Möbels an die nächste Generation weitergeben.

Freitag, 24. November 2000 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 15:03:00

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