26.03.2010, 16:46
Steffen Kretschmann: Der Quotenboxer
Sat 1 will endlich wieder vom Boxen profitieren. Deshalb soll der nahezu unbekannte Steffen Kretschmann zum Star aufgebaut werden - am Samstag muss er sich beweisen.
von Bertram Job, Düsseldorf
Der baumlange Boxer, der den Helden abgeben soll, kann einem beim Zuschauen manchmal leidtun. Wo immer ihn die TV-Kameras auch stellen, ständig ist er schwer unter Druck. Das Getrommel auf den Sandsack darf für Steffen Kretschmann schier kein Ende nehmen, damit der dräuende Kommentar aus dem Off ("Er muss jetzt an die Grenze gehen!") seine Berechtigung erfährt.
Wenn er dennoch mal verschnauft, sitzt ihm sogleich sein bärbeißiger Promoter im Nacken. Ahmet Öner ist keine Anstrengung gut genug, seit sein schwergewichtiger Schützling im letzten Sommer einen Kampf verlor. An diesem Samstag muss der ihm erst mal beweisen, dass er "kein Weichei" ist, sagt er. Darauf versichert der Boxer fast trotzig, dass es keinen Anlass zur Sorge gibt: "Ich will und werde ihn diesmal schlagen!"
Sehen so Sieger aus? Schwergewichtsboxer Steffen Kretschmann präsentiert seinen Oberkörper, der etwas anders aussieht als der der Klitschkos
"Knockout - Der Kampf seines Lebens" hieß eine vierteilige Dokumentation, mit der der Privatsender Sat 1 nach neunjähriger Pause sein Comeback im Ring einläutete - als spätabendliche Dokusoap. Die reißerische Serie diente als Trailer für eine Liveübertragung eines Boxkampfs, die nun zum Testballon wird. Wenn die Einschaltquoten am umkämpften Samstagabend (22.20 Uhr, Sat 1) einigermaßen stimmen, so heißt es, wird die Kooperation mit Promoter Öner eventuell fortgesetzt.
"Ein zweistelliger Marktanteil wäre ein großer Erfolg", sagt der Sportchef des Senders, Sven Froberg, der danach "in Ruhe entscheiden" will. Das Ziel von Sat 1 ist in der Tat eine recht sportliche Herausforderung: Das Zugpferd ist jetzt nicht mehr Weltmeister Dariusz Michalczewski, sondern ein spröder Profi ohne Titel, den mit Ausnahme der Fachpresse fast niemand kennt.
Mit 1,96 Metern hat Steffen Kretschmann immerhin das richtige Maß, das ein Profi für den Erfolg im obersten Limit braucht. Die boxerische Klasse und den mentalen Härtegrad hat er in seinen 15 Aufbaukämpfen (14 Siege) aber natürlich noch kaum nachweisen können. Und nach einer K.-o.-Niederlage gegen den gewiss nicht außerirdisch starken Denis Bachtow steht Kretschmann, der ehemalige Amateurmeister aus Halle an der Saale, bereits mit dem Rücken zur Wand: Nur wenn er den 15 Zentimeter kleineren Russen (32 Siege, fünf Niederlagen) am Samstag beim Rematch in Hamburg bezwingt, wird er von Öners Boxstall Arena weiter aufgebaut.
Das ergibt die Dramaturgie, die der Sender an Stelle großer Namen setzt: Hier kämpft ein unbesungener Boxer vor aller Augen um seine zweite Chance, ja um seine Existenz. Oder: "Deutschland sucht den Superstar" mit Boxhandschuhen, aber ohne Bohlen.
Teil 2: "Wenn Steffen noch mal verliert, lass ich keine Ausrede gelten"
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FTD.de, 26.03.2010
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