30.03.2010, 12:25
Debatte über Marktsignale: Die verkehrte Anleihewelt und der Kanarienvogel
Die steigende Staatsverschuldung in den USA und Großbritannien führt zu außergewöhnlichen Bewegungen an den Bondmärkten: So rentieren theoretisch risikolose Staatsanleihen höher als Swap-Raten. Ex-Fed-Chef Greenspan ist besorgt - und sieht Kanarienvögel.
von Tobias Bayer FRankfurt
Alan Greenspan ist alarmiert: "Mich beunruhigt die Haushaltslage in den USA sehr", sagte der ehemalige Präsident der US-Notenbank Fed in einem Interview. Er hält es für wahrscheinlich, dass wegen der wachsenden öffentlichen Verschuldung die Zinsen steigen werden. Das würde eine Erholung des Häusermarkts erschweren und auch Investitionen verhindern.
"Ich schätze die amerikanische Politik nicht", sagte Greenspan und bemühte eine Metapher aus der Welt des Bergbaus: Steigende Zinsen seien der "Kanarienvogel unter Tage" ("Canary in the mine"). Die empfindsamen Vögel wurden früher als Warnsignal im Bergbau eingesetzt. Sie reagierten auf giftiges Methangas. Dementsprechend stehen sie heute im übertragenen Sinne für frühe Boten schlechter Nachrichten. "Ich finde es sehr schwierig, in die Zukunft zu blicken und keine Angst zu haben", sagte Greenspan. Er war von 1987 bis 2006 Fed-Präsident.
Viele Investoren meinen einen solchen Kanarienvogel ausgemacht zu haben. Als Gefahrensignal interpretiert wird derzeit die Differenz zwischen zehnjährigen Swap-Raten und der Rendite auf US-Staatsanleihen gleicher Laufzeit. Sie ist momentan negativ, was außergewöhnlich ist. Swap-Raten geben an, zu welchen Sätze variable gegen fixe Zinszahlungen getauscht werden können. Normalerweise sind die Sätze höher als Treasury-Renditen. Der Grund: Sie basieren auf Refinanzierungssätzen wie der Londoner Interbankenrate Libor, die unter anderem Ausfallrisiken ("Credit Risk") wiederspiegeln.
Staaten mit einem "AAA"-Rating wie die USA und Großbritannien gelten dagegen als sicher und sollten zumindest theoretisch niedriger rentieren als Swap-Sätze. Allerdings scheint sich diese Einschätzung mit der steigenden Staatsverschuldung zu ändern. Die Ratingagenturen werden nervös und stellen Herabstufungen in Aussicht. Standard & Poor's (S&P) beispielsweise warnte Großbritannien und bestätigte am Montag den negativen Ausblick: "Die Bonitätsnote könnte gesenkt werden, wenn die Sparpläne der Regierung nicht ausreichen, um die Schuldenlast Großbritanniens auf ein nachhaltiges Niveau zu bringen."
Alan Greenspan sieht Kanarienvögel und hat Angst
Negative Swap-Spreads gibt es in den USA bei 30-jährigen Papieren seit dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008. In Großbritannien trat die Konstellation für zehnjährige Laufzeiten seit Dezember 2009 auf und verstärkte sich seit Anfang Februar.
Dass jetzt auch der zehnjährige US-Swap-Spread negativ ist, interpretieren Marktteilnehmer als Alarmsignal: "Unter dem Strich heißt das, dass der amerikanische Anleihemarkt Probleme hat", sagte James Bianco, Präsident von Bianco Research. Es sei ein Indiz, dass Investoren die gewaltige Flut an Staatspapieren nicht absorbieren könnten, sagte Bianco. Momentan haben die Vereinigten Staaten Papiere im Umfang von noch nie dagewesenen 7400 Mrd. $ ausstehen. Das Haushaltsdefizit wird dieses Jahr wohl auf 1600 Mrd. $ anschwellen.
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FTD.de, 30.03.2010
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